24. Februar 2021

"Ich habe mich nie isoliert"

Interview geführt von

1971 gelang Alice Cooper dank "I'm Eighteen" und "Love It To Death" in 'Detroit Rock City' der Durchbruch. 50 Jahre später widmet er seiner Heimatstadt ein komplettes Album und versammelt auf "Detroit Stories" Freunde und Wegbegleiter für eine musikalische Rundfahrt.

Die Coronaviruspandemie macht auch vor Rockstars nicht Halt. Vincent Furnier, besser bekannt als Alice Cooper, feierte gerade seinen 73. Geburtstag und gehört damit zur sogenannten 'Risikogruppe'. Gleich im Anschluss an unser Interview fährt der Musiker zum Impfen. Dabei strahlt Cooper vor allem Optimismus aus: Er rechnet fest damit, bei gutem Impffortschritt noch in diesem Jahr seine nächste Konzertreise antreten zu können.

Neben den Klassikern aus über fünf Dekaden Alice Cooper würden auf dieser sicher auch einige Stücke seines neuen Albums "Detroit Stories" die Guillotine wackeln lassen. Cooper feiert 2021 seine Geburtstadt Detroit als Wiege amerikanischen Hard Rocks und Durchbruchsstätte seiner Band. An der Seite von Iggy Pop und der MC5 prägte er die dortige Szenerie der frühen 70er. Die Originalbesetzung kam auch jetzt wieder zusammen.

Dein Assistent teilte uns eben mit, dass du direkt im Anschluss an das Interview einen Covid-Impftermin hast. Bereits vor einigen Monaten hast du mit "Don't Give Up" die Coronakrise in einem Song verarbeitet, der leicht verändert nun auch auf dem neuen Album steht. Wie erlebst du die Pandemie und wie siehst du vor diesem Hintergrund die Zukunft der Musikbranche?

Alice Cooper: Die Pandemie betrifft einfach jeden und absolut niemand sah sie kommen. Niemand hätte das so vorhersehen können. Mittlerweile ist es schon fast ein Jahr her, dass ich zuletzt auf Tour war. Aber ich glaube, die Impfung kann dabei helfen, die Dinge langsam wieder zum Laufen zu bringen. Du bekommst ein paar Spritzen und dann brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen. Wenn jeder auf der Welt geimpft wird, können wir diese Krankheit vertreiben und hoffentlich zum Normalzustand zurückkehren. Ich bin da sehr optimistisch.

Kernthema deines neuen Albums ist nicht Corona, sondern Detroit. Wann warst du zuletzt selbst in der Stadt?

Wir haben das Album dort geschrieben und aufgenommen. Die Musiker stammen ebenfalls aus Detroit. Ich wollte nicht bloß über Detroit schreiben, sondern wirklich hinfahren und es dort umsetzen, um das Flair einzufangen. Ich bin ja auch dort geboren. Detroit ist meine Heimatstadt, das Zuhause von Rock'n'Roll und die Hard Rock-Hauptstadt der USA. Schau dir bloß mal die Bands von dort an: Alice Cooper, Iggy And The Stooges, MC5, Bob Seger, Ted Nugent, Suzi Quatro ... all diese Hard Rock Bands! Das Zentrum von Hard Rock ist Detroit.

Du wurdest in Detroit geboren, hast deine Teenager-Jahre aber in Phoenix verbracht, wo schließlich auch die Band entstand. Erst später und nach einem Zwischenstop in Kalifornien seid ihr schließlich zurück nach Michigan gezogen. Welchem Impact hatte dieser Umzug auf die Alice Cooper Band?

In Los Angeles haben wir einfach nicht reingepasst. Dort fand sexy, cooler Rock statt. San Francisco war mehr Country- und Psychedelic-orientiert. New York City war viel zu anspruchsvoll. Aber in Detroit drehte sich alles um Blue Collar Hard Rock. Da haben wir reingepasst. Sogar das Theatralische passte. Denn ich sah The Stooges und dachte mir: "Oh, das ist ganz schön theatralisch." Ich sah die MC5 und auch sie waren recht theatralisch auf der Bühne. Wir fühlten, dass wir an diesen Ort gehören. Und es hat funktioniert. Dort haben wir "Love It To Death" geschrieben und aufgenommen – zusammen mit unserem Produzenten Bob Ezrin. Das war unser Durchbruch. Wir habens in Detroit geschafft – nicht in Los Angeles, nicht in Phoenix, nicht in New York, sondern in Detroit.

"Ich wollte vor allem Leute unterhalten, nicht die Welt verändern."

Für den Song "Social Debris" kam die originale Alice Cooper Band wieder zusammen. Wie steht ihr heute zueinander?

1974 brachen wir ja auseinander, nachdem wir sechs oder sieben Alben zusammen aufgenommen hatten. Aber wir waren schon lange davor in der Highschool befreundet. Die Auflösung der Band beeinträchtigte unsere Freundschaft nicht. Wir sprangen uns nicht gegenseitig an die Gurgel, es gab keine Rechtsstreitigkeiten. Wir gingen zwar unserer eigenen Wege, hielten aber Kontakt zueinander. Wenn Dennis mich als Sänger auf einem seiner Alben brauchte, sang ich darauf. Wir sprechen ständig miteinander. Die Band war an den letzten drei Alben beteiligt. In London haben wir sogar mal zusammen gespielt. Da stand ich erst mit meiner jetzigen Band auf der Bühne und nach dem Ende der Show ging der Vorhang plötzlich wieder hoch und die Originalbesetzung tauchte auf. Wir standen uns also immer recht nahe.

Denkst du manchmal darüber nach, inwiefern deine Karriere anders verlaufen wäre, wenn du damals Alice Cooper nicht als Solokünstler fortgeführt hättest, sondern das Bandsetup wiederbelebt hättest?

Ja schon. Aber nach dem "Muscle Of Love" Album waren wir einfach ausgebrannt. Wir hatten keine Ideen mehr und haben uns gegenseitig erschöpft. Wir nahmen uns keinen Urlaub, lebten miteinander, probten miteinander, recordeten miteinander, tourten miteinander. Irgendwann fehlte uns die Inspiration und die Band zerfloss einfach.

Apropos Inspiration: "Detroit Stories" wirkt in dieser Hinsicht sehr vielseitig. Es gibt neben klassischem Rock unter anderem Bluesiges, etwas Punk, sogar R'n'B. Was war dein Ansatz, als klar war, dass du das Album Detroit widmen willst?

Es sollte ein gitarrengetriebenes Hard Rock-Album werde, da waren wir uns sicher. Aber wir haben dann auch realisiert: Wenn du Detroit thematisieren willst, kannst du Motown nicht ignorieren. Du kannst den Blues nicht ignorieren und auch Punk nicht. All das gehört zu Detroit. Einige Songs sind aus dieser Motivation heraus entstanden. "$1000 High Heel Shoes" hatten wir eigentlich als Rocksong geschrieben, aber ich fand, dass das auch ein toller Motown Song sein könnte und schlug vor, Girls und Bläser einzuladen, um daraus einen Motown Song zu machen. So ists dann passiert. Genauso war es beim Blues. Für "Drunk And In Love" holte ich Joe Bonamassa an Bord, ich selbst spielte Mundharmonika. Ich habe versucht, all die verschiedenen Musikstile abzudecken, die Detroit ausmachen. Aber ungefähr 60 bis 70 Prozent des Albums ist Hard Rock.

Neben Bonamassa tummeln sich noch einige andere Gäste. Einer davon ist Wayne Kramer, der mit den MC5 zu einer der absoluten Schlüsselfiguren der Musikszene Detroits wurde. Erinnerst du dich noch daran, wann ihr euch zum ersten Mal getroffen habt?

Oh, das ist schon lange her. 1969 war das. Da hab ich die MC5 live erlebt. Wir waren damals alle befreundet, bewegten uns in den selben Musikkreisen und spielten ständig zusammen bei Shows. Damals waren irgendwie alle Musiker in Detroit Freunde. Iggy, Bob Seger, Ted Nugent und so weiter ... damals waren wir alle Kumpel. Es gab keinen Wettbewerb auf persönlicher Ebene. Der Wettbewerb war: Wer macht die beste Platte und wer spielt die beste Show? Wir pushten uns gegenseitig. Iggy war verdammt gut, also mussten wir unsere Show aufpolieren. MC5 waren irre tight, also mussten auch wir tighter werden. Das war super.

Interessant ist auch, dass ihr drei – Alice Cooper, Iggy And The Stooges und MC5 – musikalisch recht unterschiedlich wart, obwohl ihr klar Teil derselben Szene wart.

Ja, das ist schon witzig. Rock'n'Roll konnte sehr verschiedene Ausprägungen annehmen. The Stooges spielten sehr basisch, sehr "street", Drei-Akkorde-Rock'n'Roll. Iggy war der zentrale Faktor. Er stand da vorn und war das Punk-Original – lange vor den Ramones, lange vor den Sex Pistols. Iggy war der King of Punk. Und er war gut darin. Verdammt gut. Die MC5 waren sehr politisch. Sie waren die White Panthers. Sie hingen mit John Sinclair zusammen, wollten schon 1969 Marihuana legalisieren. Bei Alice Cooper ging es vor allem um die Show. Ich war überhaupt nicht politisch. Ich mochte Politik nicht besonders. Unsere Show war weitaus komplizierter als die aller anderen. Wir steckten viel Energie in Details, wie etwas klang und auf der Bühne aussah. Was uns einte war, dass wir alle Gitarrenrock spielten.

Eine weitere Gemeinsamkeit war, dass euch damals alle drei ein Hauch von Gefahr umwehte.

Absolut! Du wusstest nie, was bei Iggy passieren würde und genauso wenig, was bei Alice passieren würde oder bei den MC5. Sie hätten während einer Show gut vom FBI hochgenommen werden können, immerhin standen sie auf einer Wanted Liste, weil sie politisch bis an die Grenzen gingen. Eine Menge Leute waren hinter ihnen her. Sie wollten nicht einfach bloß eine Band sein und mischten Politiker auf. Ich wollte vor allem Leute unterhalten, nicht die Welt verändern.

"Das meiste von dem, was über Alice Cooper erzählt wurde, ist in Wahrheit nie passiert."

Heutzutage wäre kaum noch jemand erschreckt von den Dingen, die euch damals den Ruf als "Schockrocker" eingebracht haben. Was ist deiner Meinung heute nötig, um einen ähnlichen Effekt zu erzielen?

Ich weiß nicht, ob man ein Publikum heute überhaupt noch schocken kann. Es gibt das Internet, dort siehst du so verrückte Sachen ... Aber zwischen 1969 und 1971 eine Band mit Schlangen, zerfetzten Puppen, Blut und Guillotinen auf der Bühne zu sehen ... Dazu kamen starke Songs wie "I'm Eighteen" und "School's Out". Ohne starke Songs hätte es Alice Cooper nicht lange gegeben. Du brauchst Hitalben. Erst dann kann das Theater klappen. Heute ist das Publikum schockresistent. Heute kommen die Leute in meine Show, weil sie mich genau diese Dinge tun sehen wollen – Guillotine, Schlangen, Zwangsjacke, Krankenschwester und so weiter. Inzwischen ist es Tradition und die Leute freuen sich darauf. Das gehört zur Alice Cooper Produktion dazu. Abgesehen davon umgebe ich mich mit den besten Musikern. Meine Musiker zählen zu den Besten, die du da draußen finden wirst.

Du warst zwar einst kontrovers, hast es aber dennoch nie zu weit mit der Provokation getrieben. Es kam in der Regel niemand ernsthaft zu Schaden. Oder gab es einen Punkt, den du rückblickend doch anders bewerten würdest?

Nein, ich glaube wir sind nie zu weit gegangen. Wir haben die Leute empört – das haben wir getan. Aber nie wurde zum Beispiel jemand körperlich verletzt. Wir haben die Leute mit Dingen empört, von denen wir wussten, dass es Eltern auf die Palme bringt. Das meiste von dem Zeug, was über Alice Cooper erzählt wurde, ist ja in Wahrheit nicht mal passiert. Die Leute haben es einfach erfunden. Bei Ozzy gabs das gleiche Phänomen. Die Leute lieben es, Mythen und Legenden zu spinnen. Was wir auf der Bühne trieben, war schon genug, aber dann wurde das munter weiter ausgebaut. Ich erinnere mich an eine Review, in der es darum ging, dass ich Babypuppen aufschlitzte und mit Schlangen spielte. Das Witzige war: In der Show, um die es ging, war nichts davon. Der Typ hat einfach angenommen, es sei so passiert. Mir war klar, dass er gar nicht da gewesen sein konnte. Er hat einfach die ganze Review darüber geschrieben, wovon er dachte, dass es so stattfinden würde.

Es gibt diese Geschichte von dir, als du Elvis getroffen hast und er dir sein für ihn wertvollstes Besitztum gezeigt hat: ein Röntgenbild, aufgenommen nach einem Straßenkampf, in den er verwickelt war. In seinem abgeschotteten Leben stellte es die einzige Verbindung zur Außenwelt für ihn dar.

Ja, das stimmt. Er war total isoliert.

Wie gehst du selbst nach über 50 Jahren im Geschäft mit dieser oft mit Berühmtheit einhergehenden Isolation um?

Ich war noch nie isoliert. Meistens wenn ich in eine neue Stadt komme – gerade in Deutschland oder generell Europa –, ist das erste was ich mit meiner Frau nach der Ankunft im Hotel mache, rausgehen und durch die Shopping-Gegend streunen. Wir laufen einfach zwei, drei Stunden herum. Wenn Leute dann ankommen und Autogramme möchten, unterschreibe ich halt was. Wenn jemand ein Foto möchte, machen wir eins. Ich habe mich noch nie isoliert. Das habe ich von Elvis gelernt, als mir seine Situation klar wurde. Elvis und wahrscheinlich auch Michael Jackson waren so dermaßen groß, dass sie nicht in der Gesellschaft existieren konnten. Sie waren so groß, dass sie kein normales Leben führen konnten, in dem sie mal ins Kino oder abends Essen gehen. Denn natürlich werden dort Leute Autogramme und Fotos haben wollen. Ich fasse das als Kompliment auf. Wenn jemand ein Foto mit mir schießen möchte, ist das für mich ein Kompliment. Denn das heißt doch, dass ich ihnen etwas bedeute. Ich verstecke mich nicht. Wenn ich ausgehe, dann gehe ich eben aus. Okay, manchmal setze ich vielleicht einen Hut auf oder binde die Haare hoch. Aber meist schreibe ich während dieser zwei Stunden mindestens 20 bis 30 Autogramme...

Alice, wir danken für deine Zeit!

Danke dir! Ich hoffe, wir können im Spätsommer wieder ausrücken. Ich gehe davon aus, dass man ab Spätsommer wieder mit dem Touren beginnen kann!

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