laut.de-Kritik

Überfrachteter Sample-Pool ohne Struktur.

Review von

Eines kann man Jack White beim besten Willen nicht vorwerfen: mangelnde musikalische Produktivität. Ob mit The White Stripes, The Raconteurs, The Dead Weather oder als Solo-Künstler: Der Multiinstrumentalist strotzt geradezu vor kreativem Output in den Welten der Tonkunst. Dass all der Ideenreichtum auch irgendwann zu viel des Guten sein kann, zeigt seine dritte Platte "Boarding House Reach", die der 42-Jährige im Alleingang veröffentlicht.

Obwohl die elf Anspielstationen exzellente Aufnahmetechnik zeigen und vor aufdringlicher Akribie triefen, klingen die detailverliebten Liedwerke über weite Strecken im Kern paradoxerweise wie Mitschnitte einer leidenschaftlichen Jamsession. Angereichert mit (zu) vielen externen Klangexperimenten demonstriert die Platte beinahe formlose Materie im verspielten Sample-Reigen und flimmert mehr instrumental als in großen Gesangsmelodien eine knappe Stunde vor sich hin.

So erinnern die pitchfreudigen Sinustöne in "Hypermisophoniac" an die Hintergrundmusik aus dem Game Boy-Lautsprecher, an die Rock'n'Roll-Piano und Kinderchor-Fragmente angeklebt wurden. Auch die Klänge in "Everything You've Ever Learned" weisen zunächst Videospielsound auf, bevor Synthieflächen immer weiter anschwellen, nur um im Finale unvermittelt zum Erliegen zu kommen, ohne dass sich die aufgebaute Spannung zu etwas wirklich Liedhaftem ausformen hätte können.

Hier offenbart sich eine weitere Schwäche des Albums: Während White größtenteils etablierte Songbausteine wie Strophe, Refrain oder Bridge vermeidet, unterbrechen abrupte Wechsel von Instrumenten sowie von - und dies schlägt noch mehr zu Buche - Tempi und Rhythmen den musikalischen Fluss.

Zudem generiert die Liedabfolge keine konsistente Storyline, sondern bildet eher eine bunte Aneinanderreihung knapper Songs, aufgeblähte Songideen und grotesken Interludes zwischen Musik und Literatur wie etwa "Ezmerelda Steals The Show". Auch das schwammige Violinen-Piano-Duett in "Abulia And Akrasia" stellt gesprochene Sprache vor das rhythmisch freie Klangbild. Verspieltheit auf der Solo-Platte okay, aber dann bitte im Rahmen irgendeiner sinnstiftenden Struktur.

Dabei schürten die Vorab-Singles doch zunächst die Vorfreude auf den Longplayer. In "Connected By Love" schmettert White die schmerzverliebten Vocals über den dominanten Synthie-Bass, dem dank des raffinierten Arrangements mit Rockorgel überwiegend nur zwei Tonhöhen ausreichen.

Genauso bietet das Blues-Motiv von "Over And Over And Over" in Verbindung mit den triolischen Einwürfen des angezerrten Kirchenchors beste Unterhaltung. Textlich zeigt sich White darin nachdenklich: "The sisyphean dreamer / My fibula and femur / Hold the weight of the world. / I think, therefore I die / Anxiety and I / Rolling down a mountain."

Aber sonst? "Corporation" transformiert das anfangs ansehnliche Gitarrenriff bald in eine verschwommene, mit Samples überladene LoFi-Klangkulisse, während den Hörer in "Ice Station Zebra" penetrante Karneval-Tuschs zwischen Whites Rap-Strophen belästigen.

"What's Done Is Done" führt in eine überraschend eindeutige Gospel-Ballade, die im 6/8-Takt unbeschwert und relativ banal vor sich hinplätschert. Das dreiteilige Metrum bedient der Sänger übrigens im Großteil seiner Songs, sofern ein konstanter Rhythmus auszumachen ist. So auch im Schlusstrack "Humoresque", der mit seinen leichten Pianoklängen und gehauchten Vocals wie ein Wiegenlied erscheint.

Mit "Boarding House Reach" legt Jack White einen überfrachteten Sample-Pool ohne Struktur vor, der kaum Spannung schafft und nicht lange in Erinnerung bleibt. Es bleibt Enttäuschung.

Trackliste

  1. 1. Connected By Love
  2. 2. Why Walk A Dog?
  3. 3. Corporation
  4. 4. Abulia And Akrasia
  5. 5. Hypermisophoniac
  6. 6. Ice Station Zebra
  7. 7. Over And Over And Over
  8. 8. Everything You've Ever Learned
  9. 9. Respect Commander
  10. 10. Ezmerelda Steals The Show
  11. 11. Get in the Mind Shaft
  12. 12. What's Done Is Done
  13. 13. Humoresque

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10 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 6 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 6 Jahren

    "...ohne dass sich die aufgebaute Spannung zu etwas wirklich Liedhaftem ausformen hätte können."

    Gewagte(?) These: Ich persönlich habe Jack White noch nie so wirklich als begabten Songwriter wahrgenommen bzw. finde, dass das gerade allgemein seine größte Schwäche ist. Dass, genau wie in der Rezi hier auch beschrieben, Jack White ja durchaus in vielerlei Hinsicht ein begabter, detail- und soundverliebter Künstler ist, der auch eine Menge interessanter Riffs, Sounds, Energie auf's Parkett legt, dass es sich aber relativ seltem zu etwas wirklich formvollendet Liedhaften zusammensetzt. Was ja auch nicht schlimm sein muss. Von einer Band wie The Dead Weather erwarte ich das ja zum Beispiel auch nicht unbedingt. Auf Dauer ist es halt nur ein bisschen wenig, gerade wenn Jack White von vielen auch gerne mal als eine der Lichtgestalten des modernen Rock'n'Roll angesehen wird. Konnt ich in dieser Hinsicht nie so wirklich nachvollziehen. Muss aber auch sagen, dass ich mich mit seinem jüngeren Solooutput nicht ganz so stark auseinandergesetzt habe. Von daher habe ich da vielleicht auch einfach nicht den nötigen Gesamtüberblick.

    • Vor 6 Jahren

      Deswegen habe ich seit Ewigkeiten wahrscheinlich von Jack White nichts mehr aufgelegt. Ein guter Techniker und Soundtüftler, aber auf Platte kommt dabei nicht immer zwangsläufig etwas Zwingendes und Großartiges heraus.

  • Vor 6 Jahren

    Ich fand die ersten beiden Soloplatten größenteils langweilig. Nach dem ersten Hören, habe ich hier zumindest den Eindruck endlich mal was für Jack White ungewohntes zu hören. Ob es wirklich funktioniert ist ne andere Frage.