16. Oktober 2017
"Ein Lebewohl an die Leute, die wir mal waren"
Interview geführt von Markus BrandstetterKele Okereke ist müde, sogar ziemlich müde. So eine Vaterschaft hat es in punkto Schlafmangel schließlich in sich: Die Kleine schläft gerade nicht durch, und das genau zu einer Zeit, wo die Promo-Termine anstehen.
Ums Eltern sein dreht sich auch der neue Longplayer des Bloc-Party-Sängers. "Fatherland" zeigt Okereke erstmals als Singer/Songwriter, der auf dem Album die Beziehung zu seinem Lebensgefährten und das Verhältnis zu seinem eigenen Vater thematisiert.
Eines der bemerkenswertesten Stücke des Albums ist ein Duett mit Olly Alexander – das erste Liebes-Duett zweier homosexueller Sänger seit Elton John und Ru Paul, wie Okereke selbst meint. Die Liebe ist schließlich auch 2017 in Entertainment und Kunst weitestgehend heteronormativ – etwas, das es für Okereke zu ändern gilt.
Wir trafen Kele Okereke zum Gespräch in Berlin. Er ist beim Gespräch übrigens schlussendlich nicht eingeschlafen.
Du bist im Dezember Vater einer Tochter geworden, gratuliere. Wie geht's dir mit dem Elterndasein?
Alles gut! Obwohl in den letzten paar Tagen wir wirklich Schafprobleme hatten. Wir hatten Glück, bis jetzt schlief sie immer durch – aber die letzten Tage ziehen wir um, und sie freakt ein wenig aus. Deswegen bin ich heute ein Zombie. Falls ich also einschlafe, sorry (lacht).
Es ist ja immer ein ziemliches Klischee, vom "persönlichsten Album" zu sprechen. Würdest du sagen, dass das diesmal aber gerechtfertigt ist?
Ich weiß es ist nicht. Ich denke, dass alle meine Platten Verlängerungen meiner selbst sind. Somit sind alle meine Alben sehr persönlich. Aber mit dem, was jetzt in einem Privatleben passierte – das Vater werden – ist das schon ein Anfang eines neuen Kapitels. Das mag mehr persönlich erscheinen, weil es eben diese Aspekte behandelt. Aber persönlich waren die anderen auch. Sie bringen mir dorthin zurück zu dem, der ich damals in meinem Leben war.
"Fatherland" ist der erste Longplayer, den du unter dem Namen Kele Okereke – und nicht nur unter Kele – veröffentlichst.
Da ging es mehr um die Unterscheidung zwischen den letzten Solo-Alben und diesem. Jeder, der die ersten beiden Alben gekauft hat, könnte etwas verwirrt sein, wenn er "Fatherland" hört. Es klingt schon sehr anders. Mit einem anderem Namen ist es aber irgendwie auf eine Art auch ein anderes Projekt. Und zu diesem Album passt das ja auch.
Wann hast du mit der Arbeit an "Fatherland" begonnen?
Ich habe 2015 mit dem Schreiben begonnen, rudimentäre Ideen aufgenommen. 2016 tourten Bloc Party mit "Hymns", da habe ich an den Songs gearbeitet – und im Sommer haben wir in zehn Tagen dieses Album aufgenommen. Wir saßen sechs Monate drauf, eben weil Bloc Party ja noch tourten. Ich habe diese Platte mit Justin [Harris, Anm.], dem Bassisten von Bloc Party aufgenommen. Wir hatten eine Pause zwischen den Touren, und da nahmen wir dann auf. Dann ging es wieder auf Tour. Wir konnten erst am Ende des Jahres die Aufnahmen zu Ende bringen. Es war ein langer Prozess, der sich dahin zog.
Hast du eine Schreibroutine?
Ja, ich habe meine Routine. Ich schreibe gerne, wenn ich weiß, dass ich an etwas Konkretem arbeite. Nicht, dass man das dann auch immer findet. Aber wenn du dir Zeit nimmst, Gitarre oder Klavier zu spielen mit dem Gedanken, etwas erarbeiten zu wollen, dann stößt du vielleicht nicht immer auf das, was du suchst – aber du findest möglicherweise etwas anderes. Ich weiß immer, wenn ich ein Projekt zu Ende bringe, wohin ich als nächstes will. Ich habe ich einen Titel im Kopf, eine Marschrichtung. Dann gehe ich ins Studio. Jetzt, wo "Fatherland" fertig ist, weiß ich schon, wohin es als nächstes gehen soll. Ich sammle bereits Ideen, schreibe.
Ein Rahmen also.
Ja, und für mich als kreative Person ist das wichtig. Manche Leute lassen alles passieren, ich finde ja auch, dass du Raum für Spontanität im kreativen Prozess schaffen musst. Als ich "Fatherland" aufnahm, wusste ich noch nicht, dass es so klingen würde. In meinem Kopf hörte sich das Album etwas anders an. Aber als ich an den Songs arbeitete, trieb es mich eben woanders hin. Es gab ein Ziel – und obwohl ich das nicht erreicht habe, ist es aufregend, wo ich schlussendlich gelandet bin.
Was war denn der ursprüngliche Plan? Wie hätte "Fatherland" denn klingen sollen?
Nun, ich wollte ein Album oder eine EP machen, die wirklich völlig akustisch ist. So wie "Either/Or" von Elliott Smith oder "Pink Moon" von Nick Drake. Etwas sehr nacktes. So begann es. Aber dann realisierte ich, noch bevor ich sie aufnahm dass die Songs einfach mehr Instrumentierung brauchen würden. Ich sprach mit Justin (Harris) darüber, andere Musiker ins Spiel zu bringen. Ich merkte, dass das Ding größer werden muss, als ich es geplant hatte.
"Viele homosexuelle Künstler denken, sie müssten einen Code verwenden"
Wie war es, mit Justin zu arbeiten?
Es war interessant. Bei Bloc Party hat er einfach eine ganz andere Rolle. Es hat Spaß gemacht – aber es war auch frustrierend, zeitgleich zwei Projekte gemeinsam zu haben. Wenn bei den Aufnahmen etwas nicht geklappt hat, mussten wir bei Bloc Party dennoch zusammen rumhängen. Es war schwer, das zu trennen. Aber ich bin froh, dass er es gemacht hat. Er hat alles ziemlich meisterlich zusammengebracht.
Du hast mit 20 Musikern gearbeitet, die meisten aus der Portland-Gegend.
Ja, insgesamt (überlegt). Ein fünfköpfiger Chor, sechs Bläser, ein Cellist, ein Violinist, ein Schlagzeuger. Ja, an die zwanzig, vielleicht etwas weniger.
Erklär mal den Titel "Fatherland"
Es geht auf dem Album letztendlich um die Beziehung, die ich mit der Idee einer Vaterfigur habe. Ich wusste, dass ich zum ersten Mal Vater werde. Das brachte mich dazu, die Beziehung mit meinem eigenen Vater genauer anschauen zu wollen. Wir haben uns über die Jahre ein ganzes Stück weit voneinander entfernt. Es ist ja ein Kreis: All die Probleme, die ich mit meinem Vater habe, könnten ja auch in der Beziehung zu meinem Kind auftauchen, wenn ich sie nicht anspreche, wenn ich den Kreis nicht schließen kann. Um die Kombination dieser beiden Dinge gibt es.
Siehst du heute mehr Ähnlichkeiten zwischen dir und deinem Vater?
Um ehrlich zu sein, sehe ich mehr Ähnlichkeiten zwischen mir und meiner Mutter. Sie ist sehr eigensinnig, getrieben und stur. Man kann ihr nichts erzählen. Sie macht nichts, was sie nicht tun will. Meine Mutter ist eine echte Naturgewalt.
Im Song "Road To Ibadan" geht es um eine Reise, die du mit deinem Vater unternommen hast.
Ich habe meine Großmutter besucht, die ich seit 1993 nicht gesehen hatte. Sie ist an einem Punkt angelangt, an dem sie wohl bald sterben wird. Meine Mutter und mein Vater wollten mich in den letzten zehn Jahren schon immer dazu bringen, sie zu besuchen. Aber ich war immer beschäftigt, immer auf Reisen. Dann hatte ich aber etwas Zeit. Ich besuchte sie mit meinem Vater. Es war das erste Mal, dass ich alleine mit meinem Vater unterwegs war. Es war komisch. Ich wusste, jetzt wo ich selbst Vater werde, ist es der perfekte Zeitpunkt mit ihm ins Reine zu kommen, ihm näher zu kommen. Wenn es da nicht passiert wäre, dann wäre es nie passiert. Es war eine komische Zeit für beide von uns. Ich erwartete irgendeinen dramatischen Moment, der aber nie kam. Was ich aber bekam: Das Gespür, dass unsere Beziehung eben so ist und nicht, wie ich dachte, dass sie sein sollte. Es ist eine sehr liebevolle, freundliche Beziehung, die wir zueinander haben. Wir sind sehr unterschiedlich. Das wurde mir eben bewusst: Du hast nicht die Beziehung, die du vielleicht gerne hättest – aber dennoch eine starke Bindung.
Es gibt viele Elemente von beidem auf dieser Platte. Ich denke aber nicht, dass es nur um Vaterschaft geht – sondern auch um meinen Partner, und wie wir uns beide darauf vorbereitet haben, was dieser Teil unseres Lebens bedeuten würde. Wir haben ein neues Kapitel unserer Beziehung begonnen. Die Leute die wir vorher waren, die Zeiten, die wir vorher hatten: Das wird nie mehr zurückkommen. Es gibt Songs auf dem Album, die sich für mich wie ein Lebewohl an die Leute anfühlen, die wir waren. An die Leben, die wir hatten, bevor wir einander trafen.
Es gibt auch zwei Duette – eines davon mit Olly Alexander. Ein romantisches Duett von zwei Männern – das erste seit Elton John und Ru Paul, wie du sagtest.
Ja, so ist es (lacht). Es ist nicht gerade etwas Übliches. Ich glaube, es gibt schon auch andere Duette dieser Art, aber ich kann mich an keine erinnern. Angeblich gibt es auch eines von Halsey. Es war schön, das mal rausbringen zu können. Als homosexueller Mann bekommt man nicht oft die Gelegenheit, auf authentische Art und Weise über Liebe und Begehren zu singen. Viele homosexuelle Künstler denken, sie könnten das gleiche Geschlecht nicht einfach so ansingen, denken, dass sie Pronomina ändern müssten, einen Code verwenden, der ihre heterosexuelle Fanbase nicht angreift. Ich dachte lange, dass das eben so sei, dass heterosexuelle Liebe die einzige Art Liebe ist, über die man singen kann. Ich habe aber erkannt, dass das eben nicht so ist. 2017 muss unsere Community auf eine authentische Art darüber singen können, junge Menschen brauchen die Bestätigung, dass ihre Blickwinkel genauso richtig wie die von heterosexuellen Menschen. Es hat lange gebraucht, bis ich mich wohl fühlte, das zu artikulieren. Aber es ist etwas, das mir viel bedeutet. Es war toll, das mit Olly zu singen. Er versteht das genau: Als homosexuelle Menschen gibt es eine Menge, für das wir kämpfen müssen.
Die Dinge haben sich geändert – alleine, dass ich darüber singen kann, zeigt das. Aber es gibt noch einen weiten Weg zu gehen. Warum lassen uns die Künste, das Kino, die Literatur immer glauben, dass es nur Liebe symbolisiert, wenn sich eine Mann und eine Frau küssen? Warum sollen wir uns selbst nicht genug sein? Um ehrlich zu sein, ich glaube, ich habe genug heterosexuelle Romanzen für ein ganzes Leben gesehen. Ich brauche nicht noch mehr Filme, in der Mann und Frau sich verlieben, Songs darüber, wie sehr eine Frau einen Mann liebt, wie gerne er Sex mit ihr hätte. In den 35 Jahren, in denen ich auf der Welt bin, habe ich das immer und immer wieder vermittelt bekommen. Ich glaube, ich muss das nicht mehr hören. Als schwuler Mann, der sich in seiner Haut wohl fühlt, muss ich mich mit Perspektiven umgeben, die das reflektieren, wie ich fühle.
Wie es mit Bloc Party weitergeht
Das zweite Duett auf dem Album singst du mit Corinne Bailey Rae. Wie kam das zustande?
Ich kenne Corinne schon sehr lange, wir haben uns auf einem Festival in Europa kennengelernt. Ich habe immer verfolgt, was sie macht – sie hat wegen privaten Problemen eine sehr lange Pause eingelegt, ist erst kürzlich wieder zurückgekommen. Ich hatte einen Song, bei dem ich unbedingt ihre Stimme dabei haben wollte. Glücklicherweise gefiel er ihr und sie machte mit. Sie hat den Song wirklich lebendig gemacht, ihn weiter getrieben.
Was hat "Fatherland" musikalisch beeinflusst?
Ich habe oft "Blue" von Joni Mitchell gehört, "Either/Or" von Elliott Smith, "Pink Moon" von Nick Drake hatte ich ja schon erwähnt. Al Green, "Songs In The Key Of Life" von Stevie Wonder ... (überlegt), "The Miseducation Of Lauryn Hill" fand ich toll. Viel traditionelle Singer/Songwriter-Musik, die sich auf Instrumentierung und Storytelling konzentriert.
Eine letzte Frage: Was passiert als nächstes mit Bloc Party?
Zur Zeit kann ich das nicht sagen. Jeder macht gerade sein eigenes Ding. Als nächstes werden wir uns in ein paar Monaten, vielleicht in einem Jahr, zusammensetzen und miteinander sprechen. Wie nach jeder Pause schauen wir dann, ob wir mit dem Herzen bei der Sache sind. Wenn nicht, dann lohnt es sich nicht, etwas zu machen. Man muss wirklich inspiriert sein, sonst macht es keinen Sinn. Frag mich das nochmal in dem Jahr, dann werde dir eine bessere Antwort geben können!
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