24. April 2004
"Ich war zu schüchtern, um Johnny Cash anzusprechen ..."
Interview geführt von Giuliano BenassiWährend der Tour zu ihrem neuesten Werk "Aw C'Mon / No You C'Mon" spielten Lambchop am 24. April in der Manufaktur in Schorndorf. Nach dem Auftritt sprach LAUT in einem Büro hinter der Bühne mit Sänger und Songschreiber Kurt Wagner.
Es ist erstaunlich, dass eine so große Band wie Lambchop auf einer so kleinen Bühne wie heute Abend zurechtkommt. Ihr hattet ja nicht einmal Platz, um euch umzudrehen …
Ja, heute Abend war es recht gemütlich. Aber ich mag es so, denn wir hören uns alle viel besser. Ich mag keine großen Bühnen. Ich finde es schöner, wenn wir alle nah beisammen sind.
Lebt ihr zurzeit im Tourbus?
Ja, wir fahren ständig von einem Konzert zum nächsten.
Ihr seid schon seit Februar unterwegs und werdet im Juli wieder einige Konzerte geben, unter anderem beim Konstanzer Zeltfestival. Wie macht ihr das bei so vielen Beteiligten: Sind alle jederzeit dabei, oder spielt ihr mit wechselnden Besetzungen?
Na ja, der Kern besteht aus sieben bis acht Leuten, die immer spielen. Weitere fünf oder sechs wechseln sich ab, je nach dem, was in ihrem Leben gerade los ist. Paul Niehaus, z.B., ist gerade mit Calexico unterwegs, andere arbeiten ganz normal und nehmen sich gelegentlich ein paar Tage frei, um einen Teil der Tour mitzumachen. Andere wiederum haben eine Familie und können bis auf den einen oder anderen Tag nicht einfach weg. Da aber ein fester Kern vorhanden ist, haben alle anderen die Möglichkeit mitzumachen, wenn sie die Zeit dafür haben.
Heute Abend seid ihr mit dem polnischen Dafo String Quartet aufgetreten. Wie kam die Verbindung zustande?
Unser Konzertagent Berthold Seliger arbeitete mit ihnen zusammen und machte uns auf sie aufmerksam. Wir trafen uns und sie machten einen sehr netten Eindruck. Natürlich sind sie absolut überqualifiziert; sie sind wahrscheinlich die besten Musiker, mit denen wir jemals gespielt haben. Die Zusammenarbeit funktionierte auf Anhieb. Ich bin sehr glücklich, dass wir im Moment dabei haben. Das ist etwas Besonderes, denn wir haben nicht die Möglichkeit, ständig mit ihnen zu spielen.
Wie macht ihr das mit der Setlist? Ihr könnt nicht einfach jeden Abend eine neue aufstellen, da sie ja Noten ablesen und schon vorher wissen müssen, welches Lied als nächstes kommt.
Das stimmt. In dieser Hinsicht sind unsere Konzerte nicht so spontan, wie sie es früher waren. Aber wir haben siebzehn Lieder mit Streichern im Repertoire, nicht nur von unseren letzten Aufnahmen, sondern auch von älteren wie "Nixon" oder "How I Quit Smoking". Das gibt uns die Möglichkeit, manche Stücke abzuwechseln. Es gibt ja auch Lieder, bei denen die Streicher nicht dabei sind. Sie können sich dann ausruhen und wir können den Sound ändern.
Du scheinst eine Menge Interviews zu geben. Wie wurde euer neues Werk "Aw C'mon / No You C'mon" deiner Meinung nach aufgenommen?
Ja, ich rede viel … Ich glaube, das Album kommt ganz gut an. Aber das ist schwer zu sagen. Von der Bühne aus scheinen die Leute es zu mögen.
Euer 2002er Album "Is A Woman" wurde in der Süddeutschen Zeitung ja zu einer der besten Rockplatten aller Zeiten gekürt. Wie fandest du die Kritiken zum neuen Material?
Ehrlich gesagt: ich habe keine große Ahnung.
Interessiert dich das überhaupt?
Es ist schön, für seine Tätigkeit auf Anerkennung zu stoßen. Aber es ist sehr schwierig, bei so vielen Informationen ständig auf dem Laufenden zu bleiben. Ich finde es toll, was hier in Deutschland vorgeht. Es ist mein Lieblingsland geworden, um aufzutreten. Die Konzertbesucher zeigen mit Abstand die größte Begeisterung. Ich weiß zwar nicht, woran das liegt, aber wir finden das sehr schön.
In einem Artikel aus den USA steht über euch: "Lambchop taugen nicht wirklich was für die Vereinigten Staaten. Sie stellen amerikanische Musik in einer netten, verschachtelten Verpackung für die Europäer vor." Stimmt es wirklich, dass ihr hier einen größeren Erfolg habt als drüben?
Na ja, die USA sind riesig. So gesehen, sind wir dort weniger bekannt als hier. Andererseits gibt es eine kleine Anzahl an Menschen, die in den letzten zehn Jahren unsere Alben gekauft haben. Sie scheinen jedes Mal zahlreicher zu werden. Es ist kein Phänomen, es handelt sich immer noch um eine bescheidene Anzahl an verkauften Exemplaren. Ich sehe die USA als ein Land unter anderen. Es könnte auch Belgien sein, oder wo auch immer. Es ist OK; wir verbringen die meiste Zeit hier, deshalb denke ich, dass wir hier einen größeren Erfolg haben. Wir versuchen, so viel wie möglich in den USA zu spielen, aber natürlich treten wir lieber dort auf, wo sich die Leute für uns interessieren. So lange die Band zusammen ist, ist es eigentlich egal, wo wir spielen. Es könnte überall sein.
Was das Zitat betrifft, habe ich den Eindruck, dass manche Journalisten sauer darüber sind, uns nicht als erste entdeckt zu haben. Ich finde das dumm. Wenn du es magst, OK, wenn nicht, ist es auch nicht schlimm. Es geht nicht um Länder oder Grenzen, es geht um Menschen, die Musik hören. Ich habe kein Problem mit Leuten, die das hassen, was wir tun. Nicht jeder kann das mögen, was du tust. Das habe ich schon vor langem akzeptiert.
In fast jedem Bericht über euch ist zu erfahren, dass du bis vor wenigen Jahren als Bodenleger tätig warst, bevor du dich hauptberuflich der Musik zugewandt hast. Vermisst du nicht die Sicherheit eines regelmäßigen Jobs oder die Möglichkeit, abends nach Hause zu gehen, anstatt in den Tourbus zu steigen?
In einer gewissen Hinsicht vermisse ich die Beständigkeit, die Möglichkeit, bei meiner Frau, meinen Pferden oder meinen Hunden zu sein. Ich vermisse auch die Möglichkeit, etwas zu erschaffen. Als ich noch Fußböden machte, war ich in ein Projekt eingebunden. Ich begab mich auf eine Baustelle, und wenn ich fertig war, lag da dieser wunderschöne Gegenstand, gebaut, um ein Leben lang zu halten. Das gibt einem das Gefühl, etwas vollbracht zu haben. Andererseits haben wir nach einem Auftritt oder der Fertigstellung eines neuen Albums ein ähnliches Gefühl.
Ich dachte an diesen Zusammenhang, als ich las, dass du für euer neuestes Album über einen Zeitraum von sechs Monaten jeden Tag ein neues Lied geschrieben hast. Als du noch ein Handwerker warst, konntest du am Abend auf deine Arbeit zurück blicken und dir sagen, hey, heute habe ich etwas geschafft. Bei Kopfarbeit ist das bestimmt nicht so einfach. Manchmal hast du einen guten Song und bist zufrieden, an anderen Tagen kommt kaum etwas zustande. Ist das nicht frustrierend?
Na ja, ich hatte mir vorgenommen, jeden Tag ein Lied zu schreiben. Zum Glück nicht ein gutes Lied, denn das wäre sehr viel schwieriger gewesen. Manchmal kam ein gutes zustande, andere Male nicht. Aber das war kein großes Problem. Ich trank ein Bier und dachte, morgen ist ein neuer Tag. Vielleicht klappt es ja dann. Mit dieser Einstellung lief es ganz gut. Es handelte sich um eine tägliche Routine, wie viele andere Dinge, die man jeden Tag so tut.
Hatte deine Routine auch etwas mit Rauchen zu tun? Deine Stimme scheint mit jedem Album tiefer zu werden …
Ja, es ist schlimm. Aber zuhause rauche ich nicht. Während ich für das letzte Album schrieb, hab ich für ein paar Monate ganz aufgehört. Das war recht interessant. Seitdem wir auf Tour sind, habe ich aber wieder angefangen. Es ist wohl eine Art und Weise, die Zeit totzuschlagen.
Hast du schon Lieder für ein neues Album geschrieben, oder fällt es dir das schwer, während ihr unterwegs seid?
Ja, es fällt mir schwer. Ich habe zwar einige Ideen im Kopf, aber wir haben einen sehr straffen Zeitplan. Am Ende eines Tages bleibt gerade die Zeit, um an den nächsten zu denken. Jede Nacht habe ich etwa zwei Stunden Zeit für mich selbst, zwischen zwei und vier Uhr, mein kleiner Fleck im Bus, während wir irgendwo hinfahren. Zuhause ist es viel einfacher, wenn ich eine bekannte Umgebung um mich herum habe und alleine bin.
Dein Zuhause ist ja in Nashville, wo auch Johnny Cash lebte. Hast du ihn jemals getroffen?
Einmal war ich nur wenige Schritte von ihm entfernt, aber ich war zu schüchtern, um zu ihm hinzulaufen und zu sagen: "Hallo Johnny, ich bin Kurt". Meine Eltern haben ihn aber mehrmals getroffen. Manchmal kamen sie ganz aufgeregt nach Hause, weil sie beim Essen neben ihm gesessen und sich mit ihm unterhalten hatten. Man konnte ihn gelegentlich in einem Restaurant sehen. Einmal bin ich mit befreundeten Journalisten in einen Bücherladen gegangen, in dem er eines seiner Bücher signierte. Sie sind gleich zu ihm hingerannt und haben mit ihm geredet. Ich fühle mich aber immer noch zu schüchtern, um eine Ikone persönlich zu treffen. Er war unglaublich einflussreich, nicht nur für den Country, sondern für das Musikgeschäft überhaupt. Nicht nur seine Musik, sondern auch seine Fernsehshow aus den 70er Jahren hat die populäre Kultur der USA verändert. Er war einer der wenigen, die grenzüberschreitend Künstler vorstellten. Nicht nur Country, sondern auch Bob Dylan. Das war sehr wichtig. Er war eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Er war auch körperlich sehr groß.
Hättest du es gerne gehabt, wenn er einer deiner Lieder gecovert hätte?
Ja natürlich, ich glaube, ich wäre davon geschmolzen.
Welches Lied hätte es deiner Meinung nach sein sollen?
Egal welches, ich wäre einverstanden gewesen. Leider ist das aber nur Spekulation.
Immerhin interpretiert David Byrne eines eurer Stücke auf seinem neuesten Album.
Ja, das finde ich toll, denn auf mich übte er einen ähnlich großen Einfluss aus. Er ist einer der Gründe, weshalb ich überhaupt anfing, Musik zu machen. Ich studierte damals auf einer Kunsthochschule, als das erste Talking Heads-Album herauskam. Es veränderte meine Sicht, über Musik zu denken. Die Dinge, die er erzählte, und die Art und Weise, wie er sie erzählte, machten für mich Sinn. Er sang über alltägliche Begebenheiten, die sich lustig anhörten, gleichzeitig aber auch aus einer anderen Perspektive, manchmal auch Angst einflößend. Das hat mich damals total beeindruckt. Davor hatte noch niemand ein Lied von uns gecovert. Dass er es getan hat, macht mich sehr glücklich.
Mit wem würdest du denn gerne arbeiten?
Oh, es gibt viele. Mit Leuten zu arbeiten, zu denen man ein gutes Verhältnis hat, macht einfach Spaß. Ich würde es lieben, mit David zusammen zu arbeiten, auch mit anderen, mit denen ich befreundet bin. Wir werden sehen, ob etwas zustande kommt. Was dich als Künstler weiterbringt, ist die Möglichkeit, aus der gemütlichen Ecke herauszukommen, die du dir erschaffen hast. Es ist also gut, auch mit Leuten zusammen zu arbeiten, die musikalisch in eine total andere Richtung gehen. Die Hauptsache ist, dass man sich gut versteht, z.B. ein gutes gemeinsames Abendessen hatte, die gleichen Gerichte oder die gleichen Filme mag. Es könnte sich also um jede Person handeln.
Die Ursprünge des neuen Albums lagen ja in einer Begleitung, die du für Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm "Sunrise" geschrieben hast. Werdet ihr mit dem Film auf Tour gehen und die Bilder musikalisch begleiten?
Wir haben es auf jeden Fall vor und planen, im Dezember 2004 auch in Deutschland damit aufzutreten.
Das Interview führte Giuliano Benassi
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