8. Februar 2016
"Am Flughafen traf ich Brad Pitt, dann versagte mein Akku"
Interview geführt von Olaf SchmidtWenn man sich zu einem Interview mit Megadeth-Fronter Dave Mustaine verabredet, weiß man nie. Wilde Geschichten über Gesprächsabbrüche und divenhaftes Verhalten geistern durch die Presse - und Belege finden sich reichlich. Mal sehen, was passiert.
Und umso erstaunter bin ich, als das Management mich mit einem entspannten und gut gelaunten Musiker verbindet, der zudem noch sehr redselig ist. Leider fallen die meisten Fragen dabei unter den Tisch - 15 Minuten sind nun mal nicht viel Zeit.
Dave, nach "Super Collider" ist dir mal wieder die halbe Band abhanden gekommen. Wie schwer war es dieses Mal, neue Musiker zu finden? Und musste jemand wie Chris Adler wirklich zum Vorspielen antanzen?
Ja, Chris Broderick und Shawn Drover hatten die Band verlassen, da waren plötzlich wieder zwei Stellen vakant. Wir waren eigentlich schon in Gesprächen über ein neues Album. Danach hatten Dave Ellefson und ich die Idee, das "Rust In Peace"-Line-Up wieder zusammenzustellen. Trotzdem wollten wir uns parallel nach neuen Leuten umsehen, da die "Rust In Peace"-Geschichte nur eine einmalige Tour gewesen wäre. Wir hätten einige Daten gespielt - und fertig.
Mit Chris Adler haben wir uns schon unterhalten, während wir gleichzeitig mit Nick und Marty gesprochen haben. Er musste übrigens nicht vorspielen. Nach unserem neuen Gitarristen Kiko auf der anderen Seite haben wir ewig gesucht. Ich lege Wert auf Fähigkeiten, Einstellung und Auftreten. So eine Entscheidung dauert auch, weil es fast so ist, als würdest du ein Kind aus dem Waisenhaus holen. Oder fast so, als würdest du eine Entscheidung fürs Leben treffen.
Du musst ja auch viel Zeit mit diesen Leuten verbringen.
Du gehst eine Verbindung bis zum Ende deines Lebens ein. Da ist es wichtig, die richtige Entscheidung zu treffen. Ich will niemanden verletzen. Ich will Spaß haben und Musik spielen. Wir kamen also an den Punkt, an dem wir Gitarristen vorspielen ließen. Entweder sie spielten gut oder sie sahen großartig aus. Ich habe viele vorspielen lassen, aber hatte nicht die Möglichkeit, mich enger mit ihnen zu unterhalten, um zu sehen, wie die drauf waren. Vor Kiko waren zwei Leute in der engeren Wahl, aber mit denen hat es nicht funktioniert.
Dann nannte mir einer den Namen Kiko Loureiro. Und ich denke: Das muss doch ein Finne sein, bei dem Namen. Also schaue ich mich um und stelle fest, dass es sich um einen gutaussehenden Brasilianer handelt. Sein Gitarrenspiel fand ich sofort aufregend. Kiko kam mich besuchen, und wir haben überhaut keine Musik zusammen gemacht, sondern nur geredet, rumgehangen und was gegessen und getrunken. Ich wusste ja, dass er spielen kann, ich wollte nur wissen, wie seine Einstellung aussieht. Alle in der Megadeth-Welt lieben diesen Typen. Na gut, nicht alle. Aber wenn du durchs Leben gehst und jeder findet alles super, was du tust, dann machst du irgendwas falsch.
Von außen betrachtet passt der gut rein. Er hat so eine nette Ausstrahlung.
Hat er in der Tat. Er ist eine wirklich freundliche Person und deswegen mögen ihn die Leute auch so.
"Mit Chris Adler müssen wir uns koordinieren"
Bleiben die beiden Neuen denn länger? Sie spielen beide schließlich noch in anderen Bands.
Kiko auf jeden Fall, mit Chris müssen wir uns koordinieren. Wir versuchen, unsere Terminpläne abzusprechen. Damit wir touren können, wenn Lamb Of God nicht touren und umgekehrt. Wir müssen zum Glück nicht mehr so viel unterwegs sein wie früher, als wir gerade unseren Durchbruch hatten. Da mussten wir in viel kleinere Läden und auch viel mehr Dates spielen. Wir haben mit Chris aber auch besprochen, was wir tun, wenn das nicht immer klappt.
Er empfahl uns jemanden, mit dem wir früher schon mal gearbeitet haben. Und das klappt super, er hat bereits vier Shows mit uns gespielt, wenn Chris keine Zeit hatte. In China und Japan war das. Tony Laureano heißt der Gute und war schon für viele Bands tätig, unter anderem Nile und Dimmu Borgir. In der Drummerwelt kennt den jeder, und er ist ein sehr netter Kerl. Im Normalfall wird uns live aber Chris Adler begleiten, und nur wenn er verhindert ist, kommt Tony mit. Aber einen großen Unterschied macht das sowieso nicht. Ja, es sind unterschiedliche Schlagzeuger, aber es wird nicht wie Tag und Nacht sein, oder wie ein Keyboarder, der sich plötzlich an einem Gitarrensolo versucht.
Musiker sind auch kein McDonald's-Menü, wo du jedes Mal das Gleiche bekommst.
Ganz genau! Man kann es sich nicht immer aussuchen. Deswegen war es gut, dass Chris den Vorschlag mit Tony gemacht hat, weil er genau weiß, was die Band braucht. Die Leute glauben immer von außen, sie wüssten, was los ist. Dabei kennen sie mich doch überhaupt nicht. Chris und ich sind enge Freunde. Wenn du jemanden wirklich gut kennst, dann kannst du dir das Maul zerreißen, aber sonst ist das fruchtlos. Nehmen wir zum Beispiel dich. Ich kenne dich nicht. Wenn ich jetzt über dich herziehen würde, wäre das scheiße. Und so ist es mit Chris. Sagen wir mal, er würde jetzt behaupten, ich wäre ein guter Typ, es aber gar nicht ernst meinen. Das würde ihn auf jeden Fall seine Glaubwürdigkeit bei Lamb Of God und seinen Fans kosten.
Ich hab mal am Flughafen Brad Pitt getroffen, er hatte gerade "Snatch" gedreht. Ich fand den supercool und fragte, ob ich ein Foto machen dürfte. Und dann ging mein Akku leer. Mir war das so dermaßen peinlich. Aber er reagierte vollkommen gelassen. Genau das meine ich: Er hätte total arschig zu mir sein können. Weißt du, egal wie bekannt oder berühmt jemand ist, es spielt keine Rolle, denn letztlich sind wir alle gleich. Behandele die Menschen so, wie du selbst behandelt werden möchtest.
"Viele Menschen glauben, das liege an der Band. Tut es aber nicht"
Sprechen wir mal über das neue Album "Dystopia". Es klingt doch deutlich anders als das letzte. Mit "Super Collider" warst du wohl nicht so zufrieden?
Ja, die neue sollte anders klingen, das war geplant. Ich befand mich an einem anderen Punkt in meinem Leben. Wenn du alle Hintergründe kennen würdest, könntest du das nachvollziehen. Megadeth waren immer ziemlich durchsichtig. Als wir zum ersten Mal in England waren, und ich Interviews gab, hieß es: Warum redet er über Dinge, über die er nicht reden sollte? Warum sagt er Sachen, die Leute nicht sagen sollten? Dabei war ich einfach nur offen und ehrlich und hab über die Band gesprochen. Ich wusste so wenig damals. Aber wenn du dir die Megadeth-Alben anschaust, alle sind jeweils etwas unterschiedlich. Bestandsaufnahmen, wo und wie ich lebte und mit wem.
"Super Collider" war wirklich schmerzhaft. Wir hatten ein riesiges Problem mit unserem Managment. Das hat uns ingesamt bestimmt 14 Monate lang beschäftigt, bis wir endlich jemand Neues einstellten. Zwischenzeitlich hatten wir sogar mal drei Manager parallel, die alle nichts auf die Kette bekommen haben. Stell dir vor, du spielst in einer Band und dein Manager tut absolut nichts für dich. Da flippst du doch aus, oder?
Außerdem erkrankte meine Schwiegermutter an Alzheimer, die Geschichte kennst du vielleicht. Es ist furchtbar, das zu sehen. So, als würde jemand vor deinen Augen schmelzen. Gegen Ende ihrer Zeit kam sie mich besuchen und konnte sich nicht mehr an meinen Namen erinnern. Und ich dachte: 'Komm schon, hör auf, mich zu verarschen, das ist doch alles nicht echt hier.' Und als sie dann wegwanderte, und wir ihre Leiche erst nach zwei Monaten fanden, das war alles unglaublich traurig. Vielen Menschen ist das nicht bewusst: Wenn du deine Mutter vor deinen Augen sterben siehst, dann macht dich das eben traurig. Und darum ist das Album so geworden. Mehrere Songs handeln von ihr, in "The Blackest Crow" geht es ums Sterben. Und auch "Forget To Remember" hat dieses Thema. Überhaupt hat der Song die Richtung des Albums vorgegeben.
"Dystopia" ist eine andere Sache. Nachdem wir endlich Gewissheit hatten, dass sie gestorben war, haben wir ihre Asche über dem Meer verstreut. Danach ging es mir besser, und ich konnte mich wieder auf meine Musik konzentrieren, und auf das, was ich am liebsten mache: Gitarre spielen.
"Dystopia" hast du wie immer mit einem Co-Produzenten aufgenommen. Ich bin ziemlich sicher, dass du das nach all den Jahren auch ohne fremde Hilfe könntest. Warum hältst du daran fest?
Das wirst du wahrscheinlich wertschätzen können, ich mach es, um eine andere Perspektive zu bekommen. Wofür sind solche Helfer gut? Bei meinem Buch hat das bestens funktioniert, da brauchte ich unbedingt einen Lektor. Ich finde es immer hilfreich, wenn sich jemand anschaut, was ich so treibe. Die Aufgabe eines Co-Produzenten ist, sich um den Kram am Rand zu kümmern, um die alltäglichen Abläufe. Aber manchmal liefern sie auch guten Input. Du hast eine Zeile oder eine Melodie, die gerade jemand singt, und der Producer sagt: Warum versucht ihr das nicht mal so und so?
Da fällt mir ein, wie Max Norman mit mir an "Youthanasia" gearbeitet hat. In "Addicted To Chaos" gib es die Worte 'astract tangled fallacy'. Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, was das bedeutet. Das war Max, der meinte: (imitiert englischen Akzent) Warum versucht ihr nicht "abstract tangled fallacy"? Und ich so: Oha, das kann ich ja nicht mal sauber aussprechen.
(Der Promo-Mensch schaltet sich dazwischen: "Wir müssen zum Ende kommen.")
Gut, dann noch eine letzte Frage. Ihr spielt im Sommer nach etwa acht Jahren mal wieder ein paar Headliner-Daten in Deutschland. Warum hat das so lange gedauert?
Das hat damit zu tun, dass ich auf den letzten Platten Themen behandelt habe, die in meinem Leben wichtig waren. Aber diese Alben sind in Deutschland bei den Hörern nicht so angekommen. Hauptsächlich liegt es aber an den Promotern. Wenn sie dich nicht buchen, fährst du halt nicht hin. Als wir Headliner in Wacken waren, haben wir gesehen, dass wir immer noch beliebt bei den Fans sind. Aber es hat schon mit unterschiedlichen Regionen zu tun. Viele Menschen glauben, das liege an der Band. Tut es aber nicht, wir würden jedes Jahr kommen und spielen. Es hat viel mehr mit Angebot und Nachfrage zu tun, mit ganz normalen Kräften am Markt.
Danke, dass du dir die Zeit genommen hast.
Gerne, Kumpel.
1 Kommentar mit einer Antwort
70% des Interviews geht es darum, dass Dave zeigt, was er für ein korrekter Kerl ist. Vielleicht braucht er einen Therapeuten anstelle eines Interviewers.
Ich hätte gerne noch mehr Fragen zur Musik gestellt, aber sein Redefluss war nicht zu stoppen.