laut.de-Biographie
Melody Gardot
Sie verdankt ihre Karriere nicht einer typischen Musikerinnenbiografie, sondern einem tragischen Ereignis. Als Gardot gerade mal 19 Jahre alt ist, zieht sie sich bei einem Unfall einen mehrfachen Beckenbruch, Wirbelsäulen-, Nerven- und Kopfverletzungen zu.
Drei Jahre zuvor beginnt sie, zwecks Aufbesserung ihres Taschengeldes, sich durch Bars zu singen. So ist es nur logisch, dass ihr Arzt während der Rehabilitation Musiktherapie ins Gespräch bringt. Er hofft, sie könne Gardot bei der Bewältigung ihrer kognitiven Probleme helfen, denn die gravierenden Folgen des Unfalls erfordern umfängliche Maßnahmen. Gardot ist beim Gehen auf einen Stock angewiesen und muss wegen einer nervlich bedingten Lichtempfindlichkeit eine Brille mit getönten Gläsern tragen.
Natürlich weiß man, dass Musik dabei helfen kann, geschädigte Nervenwege im Hirn wieder zu reparieren. Doch wie weitreichend die Konsequenzen der Musiktherapie sein würden, ahnt damals niemand. Noch während ihrer Reha-Zeit schreibt Melody eigene Songs und nimmt diese mit einem tragbaren Mehrspurgerät auf, das stets auf ihrem Nachttisch steht. "Mit dem Aufnehmen begann ich, weil ich mich auf diese Weise daran erinnern konnte, was ich gemacht hatte. Ich hatte wirklich arge Probleme mit meinem Kurzzeitgedächtnis. Ich konnte mich abends schon nicht mehr daran erinnern, wie der Tag angefangen hatte."
Harter Stoff! Doch Melody Gardot lässt sich dank der Musik nicht unterkriegen. Das Ergebnis ihrer Krankenhaus-Sessions erscheint als EP unter dem Titel "Some Lessons: The Bedroom Sessions". Es gleiche "einem alchemistischen Kunststück, dass solch kühne und eindrucksvolle Musik durch furchtbare Schmerzen und Ungewissheit entstehen kann", attestiert die Stimme der Kritik.
Doch, um zurück auf 000 zu spulen: Das Licht der Welt erblickt klein Melody im New Jersey im Jahre 1985. Nach einer normalen Kindheit singt sie als Sechzehnjährige in Bars. "Ich hätte eigentlich nicht damit gerechnet, dass ich einmal wirklich Musik machen würde", gibt sie zu. "Ich trat an Freitagen und Samstagen auf und spielte jeweils für vier Stunden. Und ich fiel wohl ein wenig aus dem Rahmen, weil ich keine Publikumswünsche bediente, sondern nur die Musik spielte, die mir selbst gefiel, eine Mischung aus alten und neuen Sachen. Ich spielte durch die Bank alles, angefangen bei Klamotten von The Mamas & The Papas über Jazzstandards von Duke Ellington bis hin zu Songs von Radiohead."
Dass dieses Repertoire nicht ihrem Alter entspricht, kratzt Melody ziemlich wenig. Denn Musik ist für sie ein Hilfsmittel zur Entspannung, zur Meditation und zur Introspektive. "Besänftigende Musik zieht mich an, häufig Genres, die gedämpft klingen und irgendwie bescheiden sind. Musik kann wahre Wunder vollbringen, vor allem die Sorte Musik, die einen beruhigt." Aus dieser Grundhaltung nähren sich auch ihre Eigenkompositionen.
Mit einer reduzierten Ästhetik versieht sie nicht nur die 6-Track EP "The Bedroom Sessions", sondern auch ihr Debütalbum. "Ich habe schon eine Menge Kummer erlebt, deshalb auch der Albumtitel 'Worrisome Heart', und wenn man Leid am eigenen Leib so intensiv erfährt, dann fließen diese Empfindungen unvermeidlich auch in die Musik ein, die man schreibt", klärt sie auf.
Abwechslungsreich und kurzweilig, subtil und intim rücken die zehn Singer/Songwriter-Kompositionen die Stimme der Protagonisten ins rechte Licht. Begleitet wird sie bei der Einspielung u.a. von Gitarrist Jef Lee Johnson (Billy Joel, Aretha Franklin) und Keyboarder Joel Bryant (Aretha Franklin).
Um ihre Musik in Worte zu fassen und assoziativ zu beschreiben, wird vor allem Madeleine Peyroux bemüht. Doch wie so oft, hinkt auch dieser Vergleich. Lassen wir Melody Gardot deshalb selbst zu Wort kommen: "Ich kann nachvollziehen, weshalb die einen aus meinen Songs vor allem den Blues heraushören. Andere meinen, meine Musik sei eigentlich Jazz. Aber wenn man es genau betrachtet, dann kommt man zu dem Schluss: Es geht vor allem ums Songwriting und die Geschichten, die die Grundlage dafür bilden. Wenn Leute einem bescheinigen, dass man den Blues habe, dann ist wohl genau dies gemeint. Der Blues ist kein Stil oder Genre, er ist ein Gefühl."
Live entwickelt die Gardot noch mehr an musikalischer Bandbreite. Den vordergündigen Vamp oder eine Femme Fatale braucht Melody nicht zu geben, doch in manchem Moment verführt ein Hauch lasziver Sinnlichkeit. Da das eigene Repertoire sich noch überschaubar darstellt, finden einige Song-Classics anderer Künstler den Weg in das Programm. Doch Melody singt nicht nur einfach nach: Sie interpretiert die ausgewählten Titel auf ihre ganz eigene, unnachahmliche Art, mit komplett anderen Arrangements versehen, und verschafft ihnen so eine gänzlich neue Seele.
Mit dem 2012 erscheinenden "The Absence" integriert die Sängerin lateinamerikanische und südeuropäische Klänge in ihren Sound. Auf dem Nachfolger "Currency Of Man", der drei Jahre später auf dem Markt kommt, betont sie ihre bluesige Seite. Sie beklagt inhaltlich auf diesem Werk politische Missstände.
Stillstand ist nicht ihr Ding, sie überrascht mit jedem neuen Album durch eine stilistisch gänzlich andere Fixierung. Kernpunkt ist und bleibt natürlich der Jazz, doch Melody Gardot ringt ihm stets neue Nuancen ab. Mit ihrem ersten Konzertalbum "Live In Europe" von 2018 untermauert sie dies eindrucksvoll.
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