laut.de-Kritik
So anspruchsvoll kann Easy Listening sein.
Review von Philipp KauseDen Sonnenuntergang im Albumtitel kann man gleich beim Wort nehmen: Melody Gardot rollt auf "Sunset In The Blue" die geballte Ladung Romantik und Zweisamkeit aus. Die Sängerin, Pianistin und autodidaktische Gitarristin streift wie nebenbei den großen Mancini-Klassiker "Moon River". Rundherum baut sie ein Set aus nur wenigen Covers ("Love Song", "You Won't Forget Me", "I Fall In Love Too Easily"), meist aber eigenen neuen Kompositionen. Die Gardot-Kreationen wirken aufs erste Hören so, als seien sie ebenfalls Jazz-Standards.
Es gibt auch wieder portugiesische Lyrics (wie schon 2012 in "Se Você Me Ama" auf "The Absence"), in drei Songs und einer einzelnen Songzeile. Die portugiesische 'Saudade', ein unbestimmbares Gefühlsgemisch aus Fernweh, Weltschmerz, Nostalgie und grundloser Tristesse, faszinierte die Amerikanerin Melody bereits bei der Wahl eines ihrer Genres: Denn Bossa Nova-Hauch pflegte sie bis dato schon. Nun perfektioniert sie diesen Emotionen-Cocktail weiter.
Melodys Stimme streichelt das limbische System in den Gehirnen ihrer Fans wie die Stimme der besten Freundin beim Plausch über persönliche Themen. Sie malt als roten Faden einen Bogen vom Sonnenuntergang in Blau, indem sie uns quasi ans Wasser setzt und in die Ferne spüren lässt, bis zum Mondschein über Fischerbooten am Morgen. Dabei leistet sie nichts Revolutionäres, sondern intoniert einfach wunderschön, sicher, anstrengungsfrei.
Wie hypnotisch pulsierend der Kontrabass in "From Paris With Love" und "You Won't Forget Me" vibriert, wie schrill die hohen Violinen-Parts demgegenüber die Zerrissenheit der einsamen Liebessüchtigen in ihrem inneren Monolog vertonen und wie versöhnlich ein Saxophonsolo die Situation zusammenfasst – da kann man sich sogar von 'Schnulzen' treiben lassen. Ausgefeilt gelingt ihrem Arrangeur Vince Mendoza die Balance zwischen luftiger Eleganz und majestätischer Schwere, überkandideltem Kitsch und achtsamer Tonveredelung in diesem Orchester-Sound.
Leise Töne ragen umso mehr aus dem Dickicht heraus, so etwa der introspektive, starke und stille Unplugged-Slow Mo-Track "I Fall In Love". Doch auch der dick aufgetragene Schmalz an vielen Stellen bereitet der hohen Qualität keinen Abbruch. Schon gar nicht, wenn der Latin-Stil der Akustikgitarre, manch dezenter Tusch aufs Becken und die vornehmen, karamellisierten Streichertöne des Londoner Royal Philharmonic Orchestra dem Titelsong sein atmosphärisches Setting zeichnen. Oder wenn ein Song wie "Ave Maria" das Flair von Filmmusik ausstrahlt, auch den Soul von Bacharach-/David-Stücken. Doch die Gardot-Eigenkomposition übertrifft jedes Easy Listening.
Das wiederum liegt an der erwähnten Melancholie und daraus resultierenden 'Mellowness' der Melodien von Melody. Die Künstlerin lässt sich extrem vom Bossa Nova Rio de Janeiros inspirieren, was etwa in den Bläserakzenten von "Ave Maria" wunderschön zum Ausdruck kommt. Die 35-Jährige pflegt die Tradition der 60er aus einem anderen Land, und sie macht sie sich passioniert zu eigen, auch in "Ninguém Ninguém", einer hart-perkussiven, schnellen Vertonung jener 'Saudade'.
Sie setzt dort und überhaupt viel auf Paulinho da Costa. Dessen Sound als Perkussionist kennt jeder. Er spielte bei Magnum und Toto in deren Stadionrock-Phase, auf mehreren Michael Jackson-Alben, dem Who's Who des 80er-Soul (Herbie Hancock, Patrice Rushen, Anita Baker, Al Jarreau), Seal und hunderten weiteren Acts. Der Brasilianer verfügt über ein Repertoire von über 50 Schlaginstrumenten. So profitiert "Ninguém Ninguém" vom reichhaltigen Tropenklang der afrobrasilianischen und afrokubanischen Schlaginstrumente (Timbales, Atabaque, Berimbau, Surdo-Trommel, Kastagnetten), ein flirrender Effekt entsteht.
Formvollendet wie Melodys lusophone Aussprache zeigt sich auch das Trompetensolo des deutschen Lockdown-Kritikers Till Brönner in "Um Beijo". Die Ortsnamen zeigen es: In Berlin der Trompeter, in London das Orchester - nur die Besten weltweit genügen Melody. Als Pianist gehört der in Paris lebende Sohn von Brasiliens Legende Baden-Powell, dazu, Philippe Baden Powell. Der online kursierende Track "Little Something" mit Sting ist übrigens nur auf der CD-Version des Albums enthalten, nicht auf Vinyl.
Guter Kniff an der Seite Stings: Ein Disco-getriebener Synth Pad-Beat, von Ferne die gleiche Stimmung wie in "Desert Rose", aber auf deutlich höherem Tempo. Melody und der englische Kollege fügen sich zu einer Vokal-Paarung, als wären sie füreinander geschaffen. Stilistisch Folktronic, was dann zu beiden nicht direkt passt, aber dadurch beweist: Melody Gardot hat keinen Zwang sich in Orchester-Sound zu hüllen. Sie entstaubt das Easy Listening-Genre von seinem 'Billig'- und 'Altbacken'-Image, sie erleichtert den Vocal-Jazz von seiner 'Unantastbar'-Attitüde und zieht schon lange nicht mehr nur durch ihre spannende Biographie in Bann.
2 Kommentare mit einer Antwort
5/5 und das absolut verdient.
Wenn man überhaupt meckern kann, dann höchstens über den Bonus Track der CD, das Duett mit Sting. So großartig der Song auch ist, er passt nicht ganz zum Rest des Albums und reißt einen am Ende etwas aus der Stimmung.
Das ist jedoch auf sehr hohem Niveau genörgelt. Ein wunderschönes Album einer faszinierenden Künstlerin.
Genau das Richtige für den Lockdown. Wird gecheckt.
Hey Schwinger,
deine Mudda wird gecheckt .