Nach zwei Verschiebungen stand Björk endlich mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin auf der Open Air Bühne. Vielleicht wäre ein Konzerthaus besser gewesen.
Waldbühne Berlin (mab) - "Danke fürs Warten", raunt die Gestalt auf der Bühne am Ende des Konzerts. Sie ballt die Faust und ruft energisch hinterher: "Wir haben nicht aufgegeben!" Sieben Jahre seit ihrem letzten Besuch in Deutschland und zwei Jahre später als urpsprünglich geplant betrat Björk die Berliner Waldbühne. Es war der Auftakt der insgesamt nur sieben Dates umfassenden "Orchestral"-Tour durch Europa.
In jeder Stadt der Konzertreise steht Björk mit anderen Musikern auf der Bühne, diesmal mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und Dirigent Bjarni Frímann Bjarnason, der sonst unter anderem an der Íslenska Óperan waltet. Allein dadurch unterscheidet sich jede einzelne Performance der Show. Einen nicht unwesentlichen Faktor bei der Wirkung spielen die Venues. Zumindest in Berlin verzichtet Björk auf jegliche Stage-Dekoration und bildet damit maximalen Kontrast zur vor wenigen Monaten noch parallel aufgeführten "Cornucopia"-Produktion.
Willkommen in Distrikt 12
In Berlin blickt man auf die massive Betonwand am Rücken der Bühne, davor sitzen 32 Streicher:innen, klassisch in Schwarz. Das statische Licht taucht sie je nach Song mal in sanftes Türkis, Rot, Blau, Gelb oder neutrales Weiß. Mehr Lightshow gibt es nicht. Bjarni Frímann Bjarnason verleiht der Orchesterszenerie einen leicht mystischen Twist, indem er statt üblicher Anzugwahl zur Robe griff. Einziges bewegliches Element im Setting ist Björk selbst. Sie zieht die Aufmerksamkeit mit einem üppigen Dress plus Kopfteil von Roksanda Ilinčić auf sich, eher 'Wesen' als nur Sängerin. Es hat etwas Fantastisches, wie sie dort wandelt, trippelt, schreitet und schwebt, vor karger Kulisse, wie eine Star-Interpretin aus dem panemschen Kapitol beim Gastspiel in Distrikt 12.
Der Eindruck verstärkt sich noch, als sich fürs große Finale einige Securityposten (wohl bewusst) zurückziehen und so den Weg in den Innenraum freigeben. Kultartig strömen Menschen von den Tribünen in zwei großen Pulks gen Bühne, um der maskierten Zeremonienmeisterin wenigstens noch zwei, drei Minuten lang näher zu kommen. In ekstatischen Strichen übersetzt das Orchester dazu die elektronische Dissonanz von "Pluto" in einen aufreibenden Score. Die einsetzende Dämmerung intensiviert den Moment. Man wünscht sich, es wäre schon früher dunkel geworden. Tatsächlich war genau das einer der Schwachpunkte des Konzerts. In einem geschlossenen Konzerthaus wären die Nuancen und die Atmosphäre der über weite Strecken sehr ruhigen Show vermutlich weitaus besser zur Geltung gekommen als im hellen Freilufttempel, wo alle paar Minuten eine Gruppe mit frischem Bier durchs Bild läuft, Ordner mahnen müssen und die Künstlerin noch vor Sonnenuntergang wieder entschwindet.
Manu Delago eröffnet den Abend
Noch deutlicher wurde das Problem im Vorprogramm bei Manu Delago. Der in der Vergangenheit schon mit Björk kollaborierende Hang-Virtuose aus Österreich sitzt ab halb Acht auf der riesigen leeren Bühne allein hinter drei Instrumenten, deren Klang im weitem Rund größtenteils verfliegt. Viele Besucher laufen gerade erst aufs Gelände, ein Teil lässt vor den Toren noch kurzfristig Tickets umpersonalisieren. Delago sollte man sich wohl besser noch mal in kleinerem Rahmen ansehen. Schon im September kehrt er für einen Headline-Gig in die Hauptstadt zurück.
Das Publikum fällt divers aus. Menschen mit Tool-Shirts stehen neben Business Casual, Spritz-Trinker:innen, Klimaaktivist:innen und selbstgebastelten Björk-Kostümen. Selten erlebt man eine vergleichbare Breite bei Konzerten, bei ähnlich angenehmer Stimmung.
Obwohl gerade in den hinteren Reihen einige der rund 20.000 Plätze frei bleiben, borden immer wieder frenetische Jubelkaskaden durchs Amphitheater, wenn das Orchester die bekannten Songs mit modifizierten Arrangements startet – und bei manchem Innehalten auch während der Stücke, was Bjarnason zwischendurch auch mal mit Gesten zu unterbinden sucht. Das über zehn Minuten lang auf und ab wogende und immer wieder fast verstummende "Black Lake" zum Beispiel wird so gleich mehrfach an den fragilsten Stellen unterbrochen. Einerseits freut die Begeisterung, andererseits wünscht man sich in den (zugegebenermaßen wenigen) solcher Momente erneut ins klassische Konzerthaus. Die oberen Reihen wohl noch mehr; Berichten zufolge kam der Sound dort recht leise an.
Mehr Oper denn Popkonzert
Das Zusammenspiel von Björk und dem Rundfunk-Sinfonieorchester beeinträchtigt das zum Glück nicht, ebensowenig der holprige Anlauf auf diese erste Kollaboration der beiden Parteien. Zweimal änderte sich durch die Verschiebungen bedingt die Orchesterleitung. Ursprünglich sollte Christiane Silber dirigieren, für den ersten Nachholtermin 2021 war RSB-Chefdirigent Vladimir Jurowski vorgesehen, bevor schlussendlich Björks Landsmann Bjarnason übernahm. Die Abstimmung funktioniert im Resultat aber einwandfrei – angesichts Björks expressiven, eigenwilligen Duktus' nicht selbstverständlich.
Zwar vermisst man hie und da unterstützende Rhythmuselemente, die oft so prägend für Björks Schaffen sind. Dafür ergibt sich genau aus deren Fehlen eine spannende Dynamik zwischen den fließenden Instrumentals und Björks Vortrag, der in diesem konzentrierten Setting vielleicht sogar noch etwas eindrücklicher, weil dominanter wirkt als sonst. "Hunter" mit seiner dauerhaften Lauerstellung dient als Paradebeispiel dafür. Ganz groß auch das im Original im Duett mit Thom Yorke gesungene "I've Seen It All" aus dem "Dancer In The Dark"-Soundtrack, wo das brütende Bassmotiv in kurzen euphorischen Wellen von aufstrebenden Geigenmelodien überspült wird. Später leitet ein weiteres Stück des zugehörigen Albums "Selmasongs" das eingangs bereits erwähnte Grande Finale ein: vor "Pluto" erklingt die instrumentale "Overture".
Kurz vor Zehn gleitet die Gestalt wieder davon. Rund anderthalb Minuten geht der Weg über die seitliche Gangway, dann ist das Roksanda-Kleid verschwunden. Gut 90 Minuten dauerte das björksche Klangabenteuer in Berlin. Es war ein Abend, an dem die Musik und das Zuhören im Vordergrund stand, mehr Avantgarde-Oper als Popkonzert. Abgesehen von ihrer kurzen Schlussansprache sagte Björk währenddessen nur ein einziges Wort: "Dankeschön." Das dafür immer wieder, zuverlässig nach fast jedem Song. Wir können das nur zurückgeben: Dankeschön.
Setlist – Berlin, 17. Juni 2022:
- Stonemilker
- Aurora
- Come To Me
- Lionsong
- I’ve Seen It All
- History Of Touches
- Black Lake
- Hunter
- You’ve Been Flirting Again
- Isobel
- Hyperballad
- Jóga
- Quicksand
- Bachelorette
— - Overture
- Pluto
3 Kommentare mit 6 Antworten
Ich war dort, es war ein wunderschöner Abend.
Bin neidisch.
Ebenfalls dagewesen... Wahrhaft magisch. Und die Kritik von wegen "zu leise" kann ich nicht nachvollziehen.
Du Glückspilz!
Der Sound war gut und nicht zu leise...
Sound war mega zu leise. Saß 1. Rang ganz vorne und konnte es kaum genießen, weil es so leise war und die Musik schwer ganz zu fühlen war. Große Enttäuschung, viel besser Vulnicura Live Strings auf Kopfhörer.
Ich weiß ja nicht.
Ich saß im 2. Rang und empfand es anders. Hatte mir aber auch vorsorglich den Schmalz aus den Lauschlappen gespült.
Nein, im Ernst: Hier und da (Instagram, Kritiken) las ich davon. Aber weder ich noch meine Begleitung empfanden es so - und auch niemand um uns herum schien sich an der Lautstärke zu stören.
Fragt man sich wieder, woran es gelegen hat...
Schade auf jeden Fall, wenn man aus einem solchen Ereignis nicht ziehen kann, was man sich erhofft, verstehe ich.
Vermutlich täuscht einen da, daß es kein Schlagwerk zu hören gab. Das klingt dann einfach ungewohnt. Aber wenn man auf die Bässe geachtet hat, konnte man merken, daß es nicht wirklich leise war.
Dazu waren die Boxentürme vorne auch etwas weit vom Publikum enbtfernt. Weiter hinten gabs halt geflogene Lautsprecher über den Köpfen...statt Boxen auf dem Boden.
War auch dort. Fands leider nicht so besonders. Zu leise, Location dem Anlass nicht entsprechen und wie immer in der Waldbühne: Zu viele Eventdeppen.