Rasant, überfrachtet, durchgeknallt: Der erste Roman von Bela B. beherbergt eine wahnwitzige Fülle kruder Charaktere.
München (dani) - Einige Kurzgeschichten hatte Bela B. zuvor bereits veröffentlicht. Mit "Scharnow" (Heyne Verlag, 416 Seiten, gebunden, 20,00 Euro) versucht er es nun erstmals auf Romanlänge. Experiment: erfolgreich. Kopf des Lesers: explodiert. Eine solche Fülle teils vollkommen schräger Gestalten, bekloppter Ideen und kruder Handlungsstränge, wie sie dieses Buch präsentiert ... kannste dir nicht ausdenken, denkste? Denkste! Felsenheimer kann das wohl.
Um ein Dorf wie Scharnow zu ersinnen, braucht es nicht besonders viel Fantasie. Triste Käffer dieser Sorte gibt es überall in Deutschland. Das Scharnow, in dem der Ärzte-Drummer seinen Roman ansiedelt, liegt nördlich von Berlin, irgendwo im brandenburgischen Niemandsland. Es könnte aber auch auf der Schwäbischen Alb liegen, oder im Fränkischen. Wumpe! Der Ort ist ohnehin nur Kulisse. Den absolut unwiderstehlichen Reiz dieser Geschichte machen die Figuren aus.
Was für Figuren!
Felsenheimer versammelt in seinem Scharnow einen Literaturblogger, diverse Waffennarren, Pornodarsteller, Gore-Film-Freunde, Verschwörungstheoretiker, ein Rudel Alkis auf der Suche nach der Glückseligkeit, Rassisten und solche, die (aus uneingeschränkt guten Gründen!) vorgeben, welche zu sein, ein Mangamädchen und seine Oma (die, wie sich herausstellen soll, ein Faible für drastische Schimpfwörter hat), einen syrischen Geflüchteten, Mobber und Gemobbte, einen übergriffigen Schulleiter, einen Transvestiten, zwei verfeindete Brüder, einen mäßig begabten Polizisten, einen Ex-Hooligan, einen Milliardär, der sein Vermögen mit Gülle gemacht hat, ein mordlustiges Buch und ein irritiertes Kreuzworträtselheft (dafuq?), einen Hund mit prominenter Verwandtschaft und eine Katze mit politisch hochrangiger Vergangenheit, ein schwules Eichhörnchenpaar und, Ionesco lässt grüßen, ein Rhinozeros mit telepathischer Begabung.
Menschen mit Superkräften kommen ebenfalls vor, insbesondere der fliegende Mann, der den Buchumschlag ziert. Außerdem: ein paar Seelen auf Zwischenstation vor ihrer Reinkarnation, und ihre Parkplatzwächter.
Klingt überladen? Hölle, ja. Und ich hab' bestimmt die Hälfte vergessen. Obwohl es so fuckin' viele sind, zeichnet Felsenheimer alle seine Charaktere derart plastisch, dass sich auch die bescheuertsten ihrer Beweggründe mühelos nachvollziehen lassen. Etwa, warum vier Männer splitternackt und mit Küchenutensilien bewaffnet, den örtlichen Supermarkt überfallen müssen.
Stoff genug für drei weitere Romane
Die wirren, vielfach miteinander verflochtenen Geschichten der Protagonisten reißt der Autor größtenteils nur an. Die Notwendigkeit dafür liegt auf der Hand: Mit 416 Seiten fällt "Scharnow" ohnehin schon nicht besonders handlich aus. Trotzdem schade, die meisten auftretenden Personen im Schnelldurchgang abzufrühstücken.
Allein in diesen kurzen Schlaglichtern stecken aber schon wieder so viele Ideen, dass es, formulierte die jemand aus, für mindestens drei weitere Romane reichen würde. Ich hoffe, Herr Felsenheimer schreibt noch ein paar. Dieser hier war rasant, überfrachtet, durchgeknallt, originell und ganz wunderbar.
1 Kommentar
Wow, klingt sehr vielversprechend. Danke für die Rezi!