Ooops! They did it again: Der Hamburger Pop-Exzentriker erzählt, der Erfolgsautor aus den Reihen von Element Of Crime schreibt auf.

Hamburg (dani) - Sie haben es wieder getan: Knapp acht Jahre nach "Ärger mit der Unsterblickeit" haben Andreas Dorau und Sven Regener erneut ein Buch miteinander geschrieben: "Die Frau mit dem Arm" (Galiani Berlin, 192 Seiten, gebunden, 22 Euro) kondensiert ein weiteres Mal die großen Talente seiner beiden Urheber zu bester Unterhaltungslektüre.

Andreas Dorau, er wird es nicht gerne lesen, dürfte den meisten hauptsächlich für seinen der NDW zugeordneten Hit "Fred vom Jupiter" bekannt sein. Abseits davon blickt er (auch wenn ein Ende hoffentlich noch lange nicht in Sicht kommt) jetzt schon auf ein höchst bewegtes Leben zurück. Dorau hat in unterschiedlichsten Funktionen verschiedenste Bereiche der Musikindustrie kennengelernt.

Er verfügt also über einen reichhaltigen Fundus von Anekdoten verschiedenster Skurrilitätsgrade, um zu illustrieren, wie es in diesem absurden Metier zugeht. Da er zudem ein herrlich verschrobener Exzentriker mit einer oft ganz eigenen Sicht auf die Welt und die Dinge darin ist, erstrahlen in seinen Erzählungen selbst Banalitäten in einem ungewohnten, oft überraschenden Licht.

Kein Ohrensessel? Kein Problem!

Bei der Lektüre von "Die Frau mit dem Arm" fühlt man sich, als säße Dorau bei einem zu Hause im Wohnzimmer im Ohrensessel und plaudere aus dem Nähkästchen. Da steht gar kein Ohrensessel? Egal, Co-Autor Sven Regener sorgt dafür, dass man sich einen einbildet.

Erzählen kann Andreas Dorau offensichtlich ganz hervorragend, schreiben, behauptet er, nicht so gut. Deswegen hat er sich die bereits bewährte Hilfe ins Boot geholt: An Regener ist, wie jede*r längst wissen sollte, zwar selbst ein ganz ausgezeichneter Erzähler verloren gegangen. Er tritt hier allerdings vollkommen hinter die Geschichte und Geschichten seines literarischen Partners zurück.

Regener mischt sich in die Handlung überhaupt nicht ein. Falls doch, merkt man es zumindest nicht. Von ihm bleibt nur der unikate Stil. So formuliert sonst einfach niemand. Selbst dramatisch ausufernde Bandwurmsätze bleiben bei Regener locker-flockig lesbar, weil sie ihrer Länge zum Trotz völlig ungekünstelt klingen, als griffe ihr Autor sie direkt aus dem Leben.

Freizeit? Was soll das sein?

Aus dem Leben von Andreas Dorau, in diesem Fall, und der gestattet erneut tiefe Einblicke. Beruflich, künstlerisch wie privat, er trennt diese Bereiche ja nicht: "Freizeit ist auch so ein Reizwort für mich. Ich weiß gar nicht, was das sein soll. Alles, was ich tue, hat mit meiner Person zu tun und meine Person findet sich in meiner Musik und meinen Filmen wieder, was soll da eine Freizeit?"

Also erzählt Dorau über seine Musik und seine Filme und über mancherlei darüber hinaus. Er berichtet von Konzeptalben, die ein Eigenleben entwickeln, Schwierigkeiten bei Videodrehs, von aus dem Ruder laufenden Projekten, von seinem Job als Video-Consultant, Erfahrungen als DJ, Theaterautor, Kindermusikant ... alles sehr dienst-, respektive kunstbezogen, könnte man meinen. Allerdings stecken, wie obiges Zitat ahnen lässt, einhundert Prozent Andreas Dorau in allem, das er tut. "Die Frau mit dem Arm" erteilt entsprechend nicht zu knapp Auskunft über den Menschen hinter der Kunst.

Der Brühwürfel einer Komposition

Herrlich ungefiltert tritt Dorau seine Verachtung für Jazz, Gitarren und Liebeslieder breit. Genauso wenig hält er mit seinem Vergnügen an Arztbesuchen oder seinem überaus gespaltenen Verhältnis zu seinem Signature-Song wider seinen erklärten Willen hinter dem Berg, und schon gar nicht mit seiner Passion für "das Herzstück, die Kernaussage, das Filetstück, den Brühwürfel einer Komposition": den Chorus.

"Wenn ich ein Stück komponiere, beginne ich mit dem Refrain und füge nur widerwillig weitere Teile hinzu. Meistens will ich die eigentlich gar nicht. Und jeder, der meine Musik kennt, merkt ihr das auch an, spätestens, wenn er es weiß. ich wäre noch viel radikaler in Sachen Refrain vorgegangen, wären mir nicht die Plattenfirmen regelmäßig in die Quere gekommen; immer wieder nervten sie mich mit ihrer Forderung nach Strophen, Intros, Bridges und was dergleichen an Beiwerk sonst noch existiert. (...) Das kleingeistige, rückwärtsgewandte Beharren auf Songstrukturen war für mich eigentlichset dem Siegeszug der elektronischen Musik mit ihrer Hookfixiertheit und repetitiven Klareit komplett obsolet, das Zeitalter der Remixe, in denen die Songs dekonstruiert und auf das Wesentliche runtergekocht wurden, kam mir doch eigentlich auf ganzer Linie entgegen. Und dan die Plattenfirmen mit ihren Strophen! So hatte ich mir die Moderne nicht vorgestellt!"

Qualen zum Mit-leiden

Sven Regener verpackt Doraus Erinnerungen in so unmittelbar berührende Sprache, dass man unentwegt mit-leidet. Die bei Auftritten vor verängstigten Kindern, beim Auflegen oder bei seinen ständigen Verhasplern, wann immer es etwas vorzulesen gilt, durchlittenen Qualen werden fast körperlich spürbar.

Egal, ob beinharter Dorau-Fan oder nicht: Nachdem man über Hintergründe und die allgegenwärtigen Hindernisse bei ihrer Entstehung gelesen hat, wächst die Lust, seinen Songs, Alben und vor allem den Videos hinterherzugooglen, ins Unermessliche. Das wiederum mach "Die Frau mit dem Arm" zu einer musikjournalistischen Arbeit der Extraklasse: Mehr als Interesse an der Musik zu wecken, um die es geht, kann Musikjournalismus wirklich nicht leisten.

Wie? Das wars schon?

Die Themensprünge von Videoclips zu Merchandise zu Jazz zu (nicht vorhandenen) Hobbys wirken zuweilen ein wenig wahllos. Eben noch beim Hypnotiseur, im nächsten Moment in der MRT-Röhre und im übernächsten in Moskau: Da ginge leicht der rote Faden verloren, hätte es je einen gegeben. Die Episodenhaftigkeit hat allerdings auch Vorteile: Das Buch lässt sich so problemlos häppchenweise konsumieren.

Einen eklatanten Makel hat "Die Frau mit dem Arm" aber doch: Es ist schlicht zu kurz. Am Ende macht sich ein irgendwie enttäuschendes Wie-das-wars-schon?-Gefühl breit. Es bleibt der Eindruck, dass da noch viel mehr drin-, noch viel mehr zu erfahren gewesen wäre. Wenn man dieses Buch nicht (wozu es, und das soll keineswegs despektierlich gemeint sein, bestens taugte) ausschließlich als Klolektüre verwendet, hat man die sparsamen 170 Seiten, die abzüglich Vorwort und Werkverzeichnis bleiben, mühelos in zwei Stunden verschluckt. Dafür sind 22 Euro bei aller Liebe ein recht stolzer Preis.

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