Ausnahmezustand in der hessischen Provinz: Faber findet kaum ein Ende und bewegende Worte.
Hanau (leb) - Rio Reisers "Für Immer Und Dich" ertönt vom Soundcheck nach draußen an die mittellange Schlange des Hanauer Amphitheaters. Das Konzert ist trotz erträglichen 30 Grad nicht ausverkauft, was spontane Besucher:innen an der Abendkasse freuen dürfte. Genauso freuen sich manche erst mal auf einen kühlen Äppler zur Einstimmung. Mit Getränk geht es auf dem Weg zum Pavillon, der gut 2.700 Stehplätze fasst, kurz am Merchstand vorbei. Dort verkauft Fabers Mann für Drums und Posaune, DJ Real Madrid, T-Shirts. Bemerken tut das offensichtlich kaum jemand.
Pünktlich um 20 Uhr kommt Faber wie ein Tiger auf die rosenbedeckte Bühne geschlichen, nimmt die Location für sich ein und setzt nach einem Knicks zur Begrüßung ein erstes "Highlight". Darauf folgt "Jung Und Dumm", was das Alter betreffend wohl die Mehrheit des Publikums beschreiben dürfte - was das jung angeht. Dieses bleibt zunächst relativ zurückhaltend und singt vor allem für sich selbst mit.
Meister der Provokation – und bewegender Worte
Das ändert sich, als Faber, bürgerlich Julian Pollina, nach "Ihr Habt Meinen Segen" den Verlauf einer Trennung schildert: "Julian hat auch mit einer anderen geschlafen" und damit die passende Überleitung zu seinem Klassiker "Sei Ein Faber Im Wind" schafft. Faber, ein Meister der Provokation. Dem Publikum gefällts. Erst recht, als "Vivaldi" oder "Generation YouPorn" vom Zürcher und seiner Goran Koč y Vocalist Orkestar Band angestimmt werden.
Inmitten der immer besser werdenden Stimmung findet Faber auch mal ernste Worte. Er erinnert an den rechtsextrem motivierten Anschlag vom 19. Februar 2020, bei dem ein Mann erst neun Menschen mit Migrationshintergrund und anschließend seine Mutter und sich selbst tötete: "Man muss sagen, ja leider, dass Hanau vor gut zweieinhalb Jahren sehr bekannt geworden ist. Wegen eines feigen, entsetzlichen Anschlags. Zum Glück haben wir dann gemerkt, dass man etwas dafür tun muss, dass Demokratie funktioniert und man dafür einstehen muss - und, dass alle bei uns herzlich willkommen sind." Auf schallenden Applaus folgt der gesellschaftskritische Song "Das Boot Ist Voll".
"Wir spielen so lange, bis keiner mehr da ist"
Der Zürcher hat auch einige neue Songs im Gepäck. Doch "freut euch nicht zu früh", sagt er zu einem "Schweizerdeutschen-Emo-Track", der noch nicht ganz fertig sei. Fertig ist auch Faber noch lange nicht. Auch wenn "Alles Gute" nach etwa eineinhalb Stunden zunächst das Ende des Abends einleitet. Die Zuschauer:innen fordern Zugabe, und Faber, DJ Real Madrid und Co. kehren auf die Bühne zurück, die vom Szenebild auch an die Rosennacht beim Bachelor erinnert.
Nach einigen weiteren Songs schlägt Faber vor: "Was haltet ihr davon, wenn wir jetzt noch eine After-Show-Party machen?" Das Publikum reagiert begeistert. Faber: "Also gut, dann füllen wir die Zeit jetzt mit Quatsch und spielen so lange, bis keiner mehr da ist - oder zumindest fast so lange."
"Du geile Sau", Zigarettenpausen und "Tausendfrankenlang"
Bei "Wem Du's Heute Kannst Besorgen" und "Top" gibts dann endgültig kein Halten mehr. Die Stimmung ist auf ihrem Höhepunkt angelangt, "Du geile Sau"-Rufe schallen in Richtung Faber. Dazwischen stellt der Ausnahmekünstler seine Band vor und erzählt noch, dass einer seiner eigentlichen Bandmitglieder verletzungsbedingt ausgefallen sei. Mit der Ersatz-Pianistin habe man allerdings einen "absoluten Glücksgriff" gemacht. Während diese Soli spielt, geht er immer wieder an den Rand zur Crew und zieht an einer Zigarette. Fast genau "So Soll Es Sein". Nach zweieinhalb Stunden und "Tausendfrankenlang" endet die Ekstase.
1 Kommentar
Oh, was für ein schöner Bericht und eine tolle Konzertkritik. Faber hat eindeutig einen drauf, und live kommt seine Energie und die der Band wunderbar rüber.