laut.de-Kritik
Noch ein Kölsch für mich und meinen Freund Bob, bitte!
Review von Franz MauererZunächst muss an dieser Stelle betont werden, dass Wolfgang Niedecken zwar die Idee eines Dylan-Dialektalbums vielleicht von seinem Namensvetter Ambros (der ein entsprechendes Album schon 1978 in der isola felix austria verteilte) geklaut hat, der Diebstahl aber verjährt sein dürfte. Denn 1995 veröffentlichte der Frontmann von BAP mit "Leopardefell" ein Dylan-Cover-Album auf Kölsch. Die Dylanbeschäftigung Niedeckens ist jedenfalls historisch verbrieft und folgt keinesfalls einer spontanen Laune. Ganz im Gegenteil fuhr der BAPler 2017 mit einer ARTE-Crew in die Staaten, um dem 'Meister' nachzuspüren. Der Erkenntnisgewinn blieb, wie auch im Buch "Wolfgang Niedecken Über Bob Dylan", erschienen im März 2021, gleich null.
Das macht aber nichts, denn Niedeckens Dylanbeschäftigung ist für Niedeckenfans konzipiert, nicht für Dylan-Anhänger, oder für die gottweiß wie große Schnittmenge dieser beiden Gruppen. Niedeckens Berichte im Buch und seine Erzählungen auf "Dylanreise" sind reflektiert und (manchmal ein Stück weit unfreiwillig) komisch. Die Treffen zwischen Dylan und Niedecken haben die Zeitenläufte jedenfalls nicht nennenswert beeinflusst. Wie auf der CD sind die Lieder in der Liste unter dem Artikel in Capslocks geschrieben, zumal liegt der Doppel-CD eine dritte CD nur mit den Liedern bei.
"Dylanreise" ist nicht nur der OST zum Buch, sondern hat eine eigene Entstehungsgeschichte. Niedecken wurde von der Elbphilharmonie für ein Konzert zum 80. Geburtstag von Bob Dylan angefragt und tat sich dafür mit dem Jazz-Pianisten Mike Herting zusammen. Dementsprechend sind die Songs auf diesem Album also ausschließlich von Klavier, Niedeckens (im Soundgefüge deutlich hintenangestellter) Akustikgitarre und der unvermeidlichen Mundharmonika begleitet und lassen jeden Rock-Gestus angenehmerweise vermissen.
Mit "SINNFLUT" beginnt der musikalische Reigen richtig stark, ein cool übertragener Text und ein glänzend aufgelegter Niedecken verbinden sich zu einem schmissigen Kneipenlied zwischen Dylan und Waits. "VILL PASSIERT SICKHER" fällt ebenso hochkarätig aus. Nicht nur hier brilliert Hertings Pianospiel und gibt den Songs einen ganz eigenen, verspielten Touch. Das Lied klingt jedenfalls besser als die 95er-Version von "Leopardefell", dessen Songs sich hier übrigens sonst nicht finden. Die Originale der Stücke sind durchgehend deutlich zu erkennen, grundsätzlich uminterpretiert wird hier nichts, das ist nicht der Anspruch der "Dylanreise" beziehungsweise würde deren Grundidee ad absurdum führen. "LEEV FRAU HERRMANNS" trieft vor kölschem Kitsch, gerät aber eindringlich und gelungener als das etwas fade "WITH GOD ON OUR SIDE".
Überhaupt sind die englischsprachigen Songs wie "WIE NE STEIN" und "THE TIMES THEY ARE A CHANGIN´" die Schwachstelle des Albums und ziehen eher vorüber. Mag es an Niedeckens intensiverer Beschäftigung mit den Liedern seiner Mundart gelegen haben oder dem kölschen Brustton der Überzeugung. "ONE MORE CUP OF COFFEE" trägt wieder Herting und die kluge Idee, Niedecken im Refrain nicht alleine ansingen zu lassen. Wer "DU JEHS NIRJENDWO HIN" aus dem Kopf bekommt, hat mehr Glück als der Autor dieser Zeilen. Auch mit "QUINN, DAE ESKIMO" zeigt Niedecken, dass er an einigen Weggabelungen bessere Entscheidungen getroffen hat als gefühlte Konkurrenten wie Hannes Wader oder Georg Ringsgwandl. "MAN IN THE LONG BLACK COAT" ist der gitarrenlastigste Song des Albums, ausgesprochen fein austariert produziert. Niedecken und Herting strahlen mit jeder Ader genau die Souveränität aus, die für das irrwitzige Unterfangen eines kölsch-deutsch-englischen Dylan-Coverbums notwendig ist. Stellenweise gerät es etwas zu liebhaberisch und von einseitiger Altherrenliebe geprägt wie auf "FÜR IMMER JUNG", aber zumeist erstarrt Niedecken nicht vorm Epos Dylans, sondern findet eigene Mittel, die von ihm verehrten Lieder umzusetzen.
Die Spiellaune kennzeichnet die "Dylanreise" und macht sie zu einer komplett entspannten, locker wirkenden Angelegenheit. Wegen der zwischengestreuten Erzählungen und dem rudimentären Charakter mancher Songs kehrt häufig Bar-Atmosphäre ein. Das muss nicht schlecht sein, denn wer ginge nicht gerne in eine Bar, in der Wolfgang Niedecken Dylansongs zum Piano zum Besten gibt?
6 Kommentare mit 6 Antworten
Warum hat ihm nach all den Jahren eigentlich niemand gesagt, daß er einfach nicht das Format hat, sich Dylan anzueignen? Und dann auch noch so ne komplett uninteressante Songauswahl, die man an den meisten Lagerfeuern besser vorgetragen bekommt...
Ach Ragi...
Nehmt euch nen Zimmer und bringt es endlich hinter euch. Ich stehe als Trauzeuge zur Verfügung.
Die Anziehung ist sehr einseitig. Als ziemlicher cuter Boi bin ich sowas aber gewohnt.
weil er weiß, dass die Medien ihn pushen- er trägt ja jede Agenda des Systems. Er sieht sich in einer Runde von Liedermachern, die mindestens eine Liga über ihm spielen. Die Originalität zu Beginn der Karriere wird dann über die Zeit von Bräsigkeit verdrengt. Leider auch bei Sven Regener zu sehen, wenn auch nicht so deutlich und auf einem anderen Niveau.
Ach Doc...
Welche Systemagenden waren das denn so?
Niedecken wird niemals sein Potential ausschöpfen. Kölsch gehört ins Glas und nicht in die Gesangspart, damit wird er - analog zu BAP - kein bleibendes Vermächtnis abliefern können.
Kölsch gehört ins Glas" nein
Kölsch gehört ins Klo, sollte klar sein. Und nicht erst, nachdem es den Verdauungstrakt durchlaufen hat.
Anmerkung am Rande: Das erste Dylan-Cover findet sich bereits 1982 auf dem BAP-Album "Vun drinne noh drusse", nämlich "Wie 'ne Stein" (Like A Rolling Stone).
Das erste Dylan-Cover von Niedeggen war vermutlich das schamlos und schmutzig von "Ballad of a thin man" abgekupferte "Wat ess" auf dem BAP-Album "affjetaut".