4. Oktober 2024

"Ich bin ein Gegner der Ironie"

Interview geführt von

Pünktlich zum trüben Herbstbeginn und in Zeiten der Multikrisen veröffentlicht PeterLicht mit "Alles Klar" ein nachdenkliches Album. In unserem Interview spricht er über die Kraft der Problemlösung und die Kraft treibender Bäume.

Auf seinem Fahrrad kommt Peter Licht beschwingt daher geradelt, sein Pullover trägt die Aufschrift "No Problemo". Wir müssen beide lachen, weil es damit perfekt und tatsächlich ungeplant mit der "Depression"-Aufschrift meines Sweatshirts matcht. Da stehen also ein Misanthrop und ein Menschenfreund wie Ying & Yang am Hohenstaufenring in Köln. In einer Welt der Multikrisen möchte der Songwriter ein Yang, ein Problemlöser sein und hat sein neues Werk "Alles klar" dabei.

Das Café Wahlen, in das wir uns begeben, wirkt wie ein Portal in eine alternative Welt. Hier drinnen befindet sich ein Exil der Mittelschicht, zumeist ältere Herrschaften tauschen den neusten Tratsch aus und wählen aus einer Vielzahl an noblesken Kuchenkreationen aus. Eine spannende Szenerie, die auch noch im Interview als Thema auftaucht. Süßliche Seelennahrung ist wichtig in diesen bitteren Zeiten.

Lass es dir schmecken, Peter. Da fällt mir ein, dass ich vor ein paar Wochen ein Interview mit deinem Label-Kollegen Bernd Begemann hatte. Das Label Tapete hatte ihm anlässlich seines Releases einen äußerst leckeren Kuchen gebacken. Ich gehe davon aus, dass es bei dir nun einen ähnlich leckeren Gaumenschmaus gab?

Ach ehrlich? Gut, dass ich das nun weiß. Mir kommt es auch so vor, als ob die Torte an mir vorüberging. Das muss ich doch mal mit Gunther von Tapete sprechen, der für die Torten die Verantwortung trägt, der mir anscheinend Bernd vorzieht und mich gänzlich unbetortet lässt.

Das tut mir leid. In der Torten-Rangliste deines Labels stehst du scheinbar nicht auf dem oberen Platz. Oder ist das Problem auch, dass du einfach nicht Teil der Hamburger Schule warst?

Ich werde das auf jeden Fall richtig stellen und plane bereits eine größere Social-Media-Kampagne, wo meine Rolle noch einmal ganz neu beleuchtet wird. Ich hätte da mehr Beachtung verdient und wünsche mir dahingehend noch eine weitere Dokumentanion. Ich bin natürlich nicht Teil der Hamburger Schule, aber dann doch.

Du hast praktisch mit deinem Debüt "Vierzehn Lieder" 2001 die Kölner Schule begründet. Oder müssen wir auch da wieder die Lorbeeren an Can und Holger Czukay verteilen?

Ich stand bei seiner Beerdigung am Grab. Leider habe ich ihn nie getroffen, obwohl ich Riesenfan von ihm bin. Es gab jedenfalls anlässlich seines Begräbnisses über Social Media öffentlich den Aufruf, ihm die letzte Ehre zu erweisen. Also keine geschlossene Sache, jeder konnte dorthin gehen. Das hat mich schon sehr berührt, weil man zu ihm auch so aufblickte, er ist ja so einen eigenwilligen Weg gegangen. Ich war ehrlich gesagt auch etwas verwundert, dass außer seinen Bandkollegen kaum andere Musiker*innen dort waren. Also es gibt natürlich kein festgeschriebenes Gesetz, dass Musiker zum Begräbnis eines Kollegen auftauchen müssen, aber ich hätte schon mit mehr Zuspruch gerechnet. Aber zur Kölner Schule: Ich bin eher meine eigene Schule.

"Ich bin großer Freund der Klarheit"

Du bist auf jeden Fall ein Mensch, der lieber nach Problemlösung sucht?

Das ist ein roter Faden auf meinen Alben und mit diesem Ansatz laufe ich auch über den Planeten. Wobei mir einfällt: Vor einiger Zeit erkannte mich jemand und meinte direkt: "Ach, du bist doch der Peter Licht, der immer so traurige Lieder schreibt". Das hat mich ehrlich gesagt etwas geschockt, obwohl er natürlich nicht ganz Unrecht hat. Es gibt natürlich auch abgründige oder traurige Lieder auf meinen Alben, weil man von diesen düsteren Themen umgeben ist, aber ich versuche, damit klarzukommen. Das ist auch ein Grund, warum ich diesen Beruf ausgesucht habe. Ich beschäftige und betrachte solche Sachen genauer und dann findet praktisch eine Verarbeitung oder Heilungsprozess statt. Das ist ja auch ein wichtiger Ansatz für mein neues Album, wo es auch Rettungslieder gibt. Wir sind ja von Multikrisen umgeben und das macht ja mit allen was. Wir fühlen uns aufgrund dieser Masse an Problemen verletzlich, aber ich transformiere das auf dem Album in etwas Positiveres.

Wir bewegen uns hier in diesem Café in einer Art anderer Realität. Ein nettes Lokal, überwiegend älteres Publikum. Es hat so etwas von dieser Vergangenheit, die ja ständig romantisiert wird. So eine kleine Weltflucht, um die Probleme draußen zu lassen oder auch die Augen zu schließen.

Diese Szenerie erinnert mich an ein Marthaler-Bühnenbild. Ich finde es fantastisch hier. Die Geräuschkulisse, überall diese Teppiche, auch an den Wänden. Ja, man ist wirklich mal etwas raus aus dem Alltag. Der Sound entsteht auch durch die Torten und versackt in der schmandig-sahningen Konsistenz.

Wir hatten das Thema Melancholie schon und ich habe einfach mal aus Interesse nach einem Café mit diesem Namen gegoogelt. Ergebnis: Die Gruppe Schürzenjäger hat einen Songtitel mit diesem Namen und deren Genre-Kollegen Amigos sogar einen aktuellen Titel mit dem Namen "Auch Im Porsche Fallen Tränen". Die Schlagerwelt nimmt also auch traurige Themen auf und verarbeitet sie nun.

Ich bin kein großer Kenner dieser Art Musik und die Amigos sind ja eher am anderen der Skala. Aber ja, es ist durchaus möglich, dass die jetzt alle Probleme lösen. Die brillieren ja auch mit einer Direktheit und durch ihre Präsenz treffen sie genau den Kern des Problems. Ich gehe mit meinem Song "Problemlöser" auch dorthin. Es gibt das Paradox, dass mit einer ansteigenden Krise und ihren Problemen gleichzeitig die Wege der Problemlösung ansteigen. Aber dann gibt es auch die Klimakrise, über die Jonathan Francis gesagt hat, dass wir sie gar nicht lösen können und eben akzeptieren müssen. Die Botschaft, dass wir absolut nichts ändern können.

Selbst die heile Schlagerwelt kann sich jetzt nicht mehr hermetisch vor all den Problemen abgrenzen und erlebt einen Realitätsschock.

"Auch Im Porsche Fallen Tränen". Der heißt wirklich so?

Das ist wirklich so drüber, dass mir gerade selbst enorme Zweifel kommen, ob ich mir nicht das eingebildet habe (Nein, Anm. d. Red.) Dein Albumtitel "Alles klar" ist jedenfalls auch so duale Ansage. "Alles Klar", für einen Moment der Erleuchtung oder eben auch als eher resignierte Antwort.

Ich liebe diesen "Alles Klar"-Slogan. Im Grunde genommen ist ja niemals alles wirklich klar, wenn man ihn ausspricht.

Oder man überspielt damit, dass es einem schlecht geht, indem man ein beschwichtigendes "Jaja, alles klar" bringt, um direkt weitere Nachfragen abzubinden.

Ich bin ein großer Freund der Klarheit, dieser Benennung von allem und von Zuständen. Es ist immer gut, wenn man sich in Klarheit befindet. Der Albumtitel ist ja nicht "Alles Scheiße!", sondern eben "Alles Klar". Ich finde, dass derzeit die Dinge wirklich sehr klar und offensichtlich vor einem liegen. Das finde ich so tendenziell eine gute Entwicklung.

"Es ist mein Beruf, Dinge zu überhöhen"

Dir wird aber tendenziell auch immer ein Hang zur Ironie vorgeworfen. Ich finde, das fährst du auf dem neuen Album deutlich zurück.

Ich finde Ironie eigentlich nie besonders gut und lehne das eher ab. Ich möchte der Welt auch nicht mit so einer Distanzierung und abgehobenen Außenbeobachtung entgegenstehen. Aber ich verstehe auch, dass man mich mit meiner Art, wie ich Sachen beschreibe und gleichzeitig auch nicht, als ironischen Künstler betrachtet. Doch eigentlich bin ich ein Gegner der Ironie. Ich finde auf "Alles Klar" ist sie auch kaum noch vorhanden.

Mich hat vor allem der Anfang des Albums mit "Wir schulden Euch Nichts" ziemlich getroffen. Dieser Kinderchor, der die Schuldfrage stellt und vielleicht auch uns anklagt.

Als die Kinder diesen Text gesungen haben, hat mich das emotional absolut umgehauen und sehr berührt. Diese Kinderstimmen tragen auch eine Unschuld und Kraft in sich. Ich habe diesen Song erstmal ohne Kinderchor und nur am Klavier geschrieben, und dann hat sich das in diese Richtung entwickelt. Mein Produzent Boris kam eines Tages mit der Idee, dass wir im zweiten Teil einen Kinderchor dazu nehmen. Das war ein sehr guter Einfall, denn genau durch diesen Twist im zweiten Teil bekomme ich diese Anklage auch an mich zurück.

Wahrscheinlich hat man sich gerade in den letzten zehn Jahren doch zu sehr in die bereits angesprochene Ironie geflüchtet. Irgendwie treibt mich der Gedanke um und ich gebe mir auch eine Schuld an dem Dilemma.

Hm, da kann ich jetzt nicht genau sagen, wo dein Anteil liegt. Irgendwie dreht sich auch das ganze Alum darum, aber vor allem um die Frage: Wie kommen wir da wieder raus?

Uns ist auch total der Fortschrittsoptimismus verloren gegangen. Vor Jahren gab es immer ein Gimmick, dass uns eine strahlende Zukunft versprochen hat und dem Kapitalismus immer seine Relevanz gab. Ich denke da an die mittlerweile egale Apple-Keynote, wo man den Auftritt von Steve Jobs gebannt bewunderte und er immer wieder etwas aus dem Hut zauberte. Oder politisch auch die Grünen, deren Vorstand heute zurückgetreten ist, während die Faschisten überall Aufwind bekommen.

Das finde ich auch traurig, gerade weil die Grünen ja eigentlich für das dringende Problem Klimakrise prädestiniert sind und die anderen Parteien daran kein großes Interesse zeigen.

Wenn du auf TikTok gehst, gibt es da erschreckend viel AfD-Content. Die haben anscheinend einen Zugang gefunden, der anderen Parteien abgegangen ist.

Das macht mich tatsächlich wirklich sprachlos und mir fehlt eine richtige Erklärung dafür, warum ausgerechnet solche rückwärtsgewandten Muster aus der Vergangenheit doch so viel Zuspruch bekommen.

Etwas trüb ist das schon alles. Ich lese gerade auch Bücher, die nicht zur Erheiterung beitragen. Was hört oder liest man denn da am besten? Okay, dein Album ist natürlich auch perfekt dafür.

Haha, da hast du mir natürlich ein schönen Elfmeter vorgelegt. Aber ja, tatsächlich hat mir das Album geholfen. Es gab immer wieder Momente, wo ich dachte "Puh, irgendwie ist das alles doch sehr verzwickt" und dann bin ich wie in "Baum Im Fluss" an den Rhein gegangen und plötzlich kam mir die Inspiration dafür.

Aber direkt einem Baum? Das ist schon sportlich.

Nee, es ist ja auch mein Beruf, Dinge zu überhöhen. Es ust trotzdem bei Hochwasser durchaus vorgekommen, dass so ein dicker Stamm an einem vorbeitrieb. Ich schaue jedenfalls auf den Baum oder etwas Ähnliches, betrachte meine Ausweglosigkeit in dem Moment, aber sehe dann wie friedlich er davon treibt und wahrscheinlich in Rotterdam oder im Amazonas landet. Da kann ihn Fitzcarraldo ja aus dem Fluss fischen und daraus sein Opernhaus im Dschungel bauen.

Lustig, genau das Buch habe ich gerade angefangen. Also "Eroberung des Nutzlosen" von Werner Herzog, wo er über die ganzen Strapazen zu "Fitzcarraldo" schreibt, es aber doch irgendwie schafft.

Ja, wenn da ein alter Kran am Fluss stünde, würde ich den auch in den Rhein schieben, aber bei mir reicht es nur zu kleinen Ästen. Das ist wirklich ein Traum von mir, dass ich mit einem Segelboot den Rhein entlang schippere und dann auf dem weiten Meer lande. Aber im Kern geht es in dem Song auch einfach um die beruhigende Wirkung, dass alles immer weiter fließt. Das beruhigt mich! Egal wie scheiße nun alles wirkt oder ist, aber dieser Fluss treibt immer unbeeindruckt weiter.

Er hat so eine Kraft, der man sich auch nur hingeben oder anpassen muss. So ging es mir auch mit dem Lied "Schlaflos", das genau aus so einer unschönen Phase kommt. Das war schon fast Method Acting für den Song, aber aus dieser ekligen Lage habe ich eine Hymne auf die Schlaflosigkeit erschaffen. Ich setze mich quasi auf den Thron der Schlaflosigkeit und herrsche über das Königreich der Schlaflosen. Das ist wieder so das Thema des konstruktiven Lösens. Man kann natürlich auch nur ewig herumliegen und sich über so eine schlaflose Nacht ärgern, oder man schreibt halt ein Lied darüber.

Ist es böse, wenn ich gerade bei den Songs vom neuen Album so einen gewissen Schlaflied-Vibe erkenne? Also nicht im Sinne von einschläfernd-langweilig, eher beruhigend. Wie damals, als einem die Eltern was vorgesungen haben und man das Gefühl von totaler Geborgenheit hatte.

Ja, durchaus. Die Melodie ist ja auch ähnlich einer Spieluhr und ist rundherum wie bei einem Wiegenlied abgeschlossen.

Das empfinde ich auch als Sinn hinter deinem Album. Irgendwie in Zeiten der Beunruhigung eine gewisse Ruhe hineinzubringen. Also wird aus "Alles Klar" auch ein gewisses" Alles Gut" zum Ende.

Das war das Ziel. So eine Soundwelt hinzustellen, die viel Schönheit in sich trägt und auch das Böse oder Schlechte negiert.

Es schrillt plötzlich ein lauter Trompetensound neben uns auf.

Hast du auch gerade diesen Trompeten-Sound gehört?

Ja! Ist das nicht Miles Davis? Ach, das ist eigentlich eine super Überleitung zu dem Saxophon-Teil auf “Depperboosterballade”.

Saxophon ist aber auch ein trauriges Instrument, das für mich immer im Jazz immer so einen bedrückten Vibe versprüht.

Findest du? Hm, also melancholisch ja, aber traurig eigentlich nicht!

Okay, dann geht es nur mir so, aber ich komme bei Jazz meistens eher schlecht drauf.

Nee, also das Saxophon auf "Deeperboosterballade" oder "Ich Seh Den Horizont" soll das überhaupt nicht vermitteln. Gibt dir das echt so ein trauriges Gefühl? Nee, das Gefühl herrscht gerade bei mir nicht vor. Ich freue mich jedenfalls gerade extrem auf die Tour. Nach all diesen Pandemie-bedingten Ausfällen der letzten Jahre geht es nun endlich wieder richtig los. Das macht mich sehr glücklich.

Ein guter, positiver Ausgang des Interviews. Was mache ich jetzt nur mit deiner Promo-CD? Ich habe gar kein Abspielgerät dafür. Ach, weißt du was, das schenke ich dem Paar hier neben uns. Die haben sowas bestimmt noch und freuen sich. Ist das in Ordnung für dich?

Ja klar. Ich habe noch genügend Promo-CDs daheim.

(zum Nachbartisch) Entschuldigung, dass ich sie gerade störe. Ich habe eine CD von dem Musiker PeterLicht, der hier gerade neben mir sitzt.

Ich kenne Peter Licht! Ein Lied von ihm lief damals auf der Abifeier meines Sohnes in Köln-Mülheim. Ich habe die Feier als sehr schön in Erinnerung.

Es folgt ein Gespräch zwischen den Tischnachbarn und Peter Licht. Viele Gemeinsamkeiten und Anekdoten über besagte Schule und Lehrer werden ausgetauscht. Die Welt verkleinert sich noch weiter im Mikrokosmos des Cafés, das anfangs noch so einschüchternd und fremd wirkte. Ein Stück erdiger Kuchenboden, in dessen sahniger Oberfläche auch die Depression nur eine sanfte Bitternote bleibt.

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