laut.de-Kritik

Das Elend kann so schön sein.

Review von

Französischer Hip Hop hat in Deutschland traditionell einen etwas obskuren Status: Die breite Masse ignoriert ihn, die entscheidenden Kreise aber hören zu und nehmen ihn intensiv auf. Obgleich französische Rapper es fast schon kategorisch selten bis nie über den Geheimtipp hinausschaffen, ist ihr Einfluss auf die deutsche Rapszene beachtlich.

Da wäre etwa Bushido zu nennen, dessen düsterer Sound sich zu Beginn der 2000er weit mehr an Frankreich als den USA orientierte. Da wäre die aktuelle Frankfurter Szene, die es ohne den Einfluss unserer Nachbarn in ihrer derzeitigen Form wohl kaum gäbe. Wer etwa wissen möchte, wem der frühe Haftbefehl seinen signifikanten Flow verdankt, der höre mal bei Boobas Hit "Boulbi" rein. Auch die zweifelhaften Auswüchse der Plastikpalmen und ihrer unheiligen Nachkommen haben ihre Ursprünge westlich des Rheins. "Ohne Mein Team" ohne MHDs Afrotrap-Serie? Würde es wohl kaum geben.

Allein aufgrund des Einflusses hätte Rap aus unserem Nachbarland also größere Beachtung verdient. Vermutlich wird PNLs neues Album "Deux Frères" aber an der Mehrheit der deutschen Hip Hop-Fans vorbeigehen, ungeachtet des phänomenalen Erfolgs des Duos in Frankreich. Selbst schuld, kann man da nur sagen. Wer hier die Scheuklappen aufstellt, verpasst eines der besten Hip Hop-Alben des Jahres, und womöglich einen Einblick in "the shape of rap to come".

Von der Sprachbarriere sollte man sich dabei nicht abschrecken lassen. Deutsche Rapper hat es schließlich auch nie gestört, dass textlich wenig rüberkommt. "Ab und zu hat man mal 'Kokain' verstanden", sagt etwa Bushido über sein Vorbild Booba, "und sich gefreut, dass er die gleichen Pullover wie man selbst getragen hat." Allein was Atmosphäre und Vortrag des Brüderpaars angeht, ist "Deux Frères" ein hoffentlich wegweisendes Album. Wenn man allerdings Genius und das angestaubte Schulfranzösisch bemühen möchte: umso besser.

Das Wenige, das man über PNL weiß - die Brüder Ademo und N.O.S. geben aus Prinzip keine Interviews - liest sich zunächst wie eine klassische Aufstiegsgeschichte. Aufgewachsen ist das Duo im Problemviertel Les Tarterêts nahe Paris. Die algerische Mutter wird in den Liedern als meist abwesend, der Vater als kriminell dargestellt. In ihrer Jugend vertickten die beiden Drogen, bevor sie das Album "Dans La Légende" zu zwei der erfolgreichsten Künstler des Landes macht.

Doch trotz des fast kometenhaften Aufstiegs liegt über dem dritten Album des Duos eine tiefe Traurigkeit. Sie glorifizieren das Gangstermilieu des Viertels nicht. Vielmehr bedauern die Brüder ihr Aufwachsen in eine Welt voller Kriminalität und Gewalt. Über den Berichten über die Tickervergangenheit schwebt immer auch ein Gefühl der Schuld. "J'crois que personne ne vit sans regrets / nous, on est tout l'contraire de Piaf", singt Ademo auf "À L'ammoniaque".

Über die komplette Spieldauer herrscht ein fast schon schleppend langsames Grundtempo vor. Fröhlichere und treibendere Songs wie "91's" bleiben die absolute Ausnahme. Die bedrückende Stimmung zeigt sich als finsteres Wabern, aus dem die beiden Brüder mit einigen wohldosierten Beschleunigungen den Ausbruch wagen, in das sie jedoch immer wieder zurückfallen.

In den Melodien wie den Texten finden sich zahlreiche arabische Einflüsse. Auch die vielen Akustikgitarren, wie sie etwa im Hit "Au DD" zu hören sind, fallen auf. Der Song liefert eines der wenigen Beispiele, auf dem sich noch reine Rapparts finden lassen.

Sonst missachten PNL strikte Genregrenzen weitgehend. Der Titelrack "Deux Frères" mag im Cloudrapgewand eines Lil Peep herkommen, gerappte Parts kommen hier aber nur punktuell zum Einsatz. Das stockfinstere "À L'ammoniaque" fällt gänzlich aus dem klassischen Rapkosmos. Das Autotune-geschwängerte Klagelied verweist melodisch auf die Maghreb-Wurzeln der Brüder.

Songs über Klamotten, schnelle Autos und Frauen, die den gesellschaftlichen Aufstieg bejubeln, wird man auf "Deux Frères" kaum finden. Anstatt die Statussymbole eines Systems abzufeiern, dessen Ungleichheit sie im Viertel täglich zu spüren bekommen haben, bewahren sich die beiden Brüder einen kritischen Blick. "J'pense plus à Gucci pour me vêtir. Parfois, j'm'habille en geush bat les couilles: plaire à qui? À quoi? Pour quoi faire?", erteilt Ademo dem puren Materialismus der versammelten Guccigang eine Absage.

"Hasta La Vista" nimmt spanische Elemente auf und besticht mit dem Kontrast zwischen dem fröhlichen Instrumental und dem nachdenklichen Vortrag von N.O.S. und Ademo. "Déconnecté" nimmt neben den wiederkehrenden Anspielungen auf Videospiele auch Bezug auf "Scarface", den ewigen Lieblingsfilm der Rapszene. Der aggressive Vortrag der Brüder zeigt, dass PNL auch mit Wut im Bauch wunderbar funktionieren. Woher sich diese speist, hat N.O.S. in "Zoulou Tchaing" bereits klargestellt: "Eh ouais, j'suis bon qu'à écrire des textes de merde, les gens nous aiment un peu plus sans la misère."

Auch mit dem Erfolg bleiben die Rapper in der öffentlichen Wahrnehmung die Migranten aus den armen Pariser Vororten. Über das dortige Leben reflektieren PNL noch einmal auf "La Misère Est Si Belle". Ein letztes Mal fahren sie Akustikgitarren auf, und das Duo stellt seine gespaltene Haltung zum eigenen Viertel da. Bei aller Diskriminierung und Perspektivlosigkeit der Pariser Vorstädte bleibt das dortige Elend doch die Heimat und punktet auch mit seiner ganz eigenen Schönheit.

"Tu sais qu'est c'que j'aime, ce qui nous ressemble parce que la peine et la haine nous rassemble." Trotz der offensichtlichen Fehler, die man erlebt hat, trotz der eigenen Vergangenheit, auf die man nicht stolz ist, kann man das Viertel eben nicht der pauschalen Ablehnung und Verachtung der Spießer überlassen.

PNL berichten vom Leben in den Vororten Paris, die der Politik am liebsten sind, wenn sie ganz weit weg sind und wo der "Rabe den Schrei des Hahns ersetzt" ("L'corbeau remplace le chant du coq"). Und sie tun das schonungslos. Der Gesellschaft gegenüber, und auch und vor allem sich selbst gegenüber. Seit Biggies Tagen war Straßenrap selten derart verletzlich.

Die gute Nachricht für Deutschrapfans: Die Szene selbst ist auf das Duo längst aufmerksam geworden. Künstler wie RAF Camora oder Xatar zählen PNL seit Jahren zu ihren Lieblingskünstlern. So erscheint es wohl kaum vermessen zu sagen, dass wir mit "Deux Frères" schon einen Einblick in den zukünftigen Sound von Deutschrap bekommen. Der Einfluss wird sich hoffentlich nicht in ein paar Akustikgitarren mehr im Beat erschöpfen. Deutscher Rap will traurig werden, doch die Nutte weiß nicht wie? Die Brüder aus der Pariser Vorstadt machen es vor. Daran gilt es, sich zu messen.

Trackliste

  1. 1. Au DD
  2. 2. Autre Monde
  3. 3. Chang
  4. 4. Blanka
  5. 5. 91's
  6. 6. À L'ammoniaque
  7. 7. Celsius
  8. 8. Deux Frères
  9. 9. Hasta la Vista
  10. 10. Coeurs
  11. 11. Shenmue
  12. 12. Kuta Ubud
  13. 13. Menace
  14. 14. Zoulou Tchaing
  15. 15. Déconnecté
  16. 16. La Misère Est Si Belle

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