16. Juli 2020

"Man will einfach mal weg von Zuhause"

Interview geführt von

Die Coronakrise machte der ersten Headlinertour einen Strich durch die Rechnung. Am 17. Juli erscheint das Debütalbum "Wir Bauten Uns Amerika" einen guten Monat früher als geplant. Wir sprachen mit Schlagzeuger Leon Sennewald über die Karriere einer Band aus der oberschwäbischen Provinz.

Man hätte Provinz in diesem Sommer auf nicht wenigen Bühnen der Republik live erleben können. Auch erste Festival- und TV-Auftritte liegen bereits hinter der Band. Dabei verdingte sich das Quartett vor nicht allzu langer Zeit noch als Straßenmusiker rund um Ravensburg und am Bodensee. Wir sprachen mit Leon über ihr Debütalbum "Wir Bauten Uns Amerika".

Ein aktueller Bezug zu Beginn: Wie haben Provinz die Wochen und Monate im Lockdown verbracht - kreativ oder depressiv?

Zuerst depressiv, dann aber kreativ. Natürlich hat uns alles zu Beginn hart getroffen. Wir waren gerade auf Supporttour für Fil Bo Riva, die wurde abgebrochen. Und dann eben unsere eigene Tour und der Albumrelease. Das mussten wir erst mal sacken lassen. Aber dann haben wir relativ bald mit Proben und Schreiben angefangen und können jetzt sagen, dass wir die Zeit auf jeden Fall sinnvoll nutzen.

Als jemand, der ebenfalls aus der Ravensburger Gegend stammt - perfekt: Ihr seid eine der ganz wenigen Bands, die es aus dem oberschwäbischen Proberaum raus geschafft haben. Woran liegt das eurer Meinung nach - von den Faktoren Zufall oder Glück mal abgesehen?

Wie du schon sagst, lässt sich nie bestreiten, dass Glück und Zufall dazu gehören. Wir haben einmal im richtigen Moment vor den richtigen Leuten gespielt, dadurch kam der Stein ins Rollen. Davon abgesehen glaube ich, dass Vincents Texte und Themen viele Leute ansprechen und nachvollziehbar sind. Das schafft eine Verbindung, die Leute singen gerne mit. Das hilft auf jeden Fall. Und wir verarbeiten Themen, die uns mit Anfang 20 beschäftigen, Themen, die so gut wie jeder kennt.

Wo hängt man mit Anfang 20 in Ravensburg und Umgebung denn so ab? Ich war immer gerne im Balthes.

Wenn wir in Ravensburg unterwegs sind, dann eigentlich am liebsten im Irish, der Kantine oder auf WG-Parties. (lacht)

Erzähl doch ein wenig vom bisherigen Karriereverlauf - von der Bandgründung im Alter von 12 bis hin zum AnnenMayKantereit-Producer, ausverkaufter, wenn auch wegen Corona verschobener Headlinertour und Auftritten im Fernsehen. Wie geht das vonstatten, dass man plötzlich als eine Band der Stunde gehandelt wird?

Das ist schon sehr verrückt. Uns kommt es immer so vor, als ob wir in einer Blase leben würden. Man bekommt schon alles mit, was um einen herum passiert, aber es dauert immer eine Weile, bis man alles realisiert hat. Für uns und die Leute, die noch im Boot sind, war das eigentlich viel Arbeit. Wir mussten uns live relativ schnell von rumpeliger Straßenmusik hin zu Festivalbühne und Studio entwickeln, was sehr viele Proben benötigt hat. Das waren wir so nicht gewohnt, hat uns aber viele Türen geöffnet. Der Rest ging dann gefühlt sehr schnell.

Welcher Karriereschritt war für euch denn der entscheidende?

Das ist schwer zu sagen. Es gab wohl einige. Entdeckt wurde Provinz durch die "Zu Jung"-Sofar-Session. Da war lange nicht klar, ob jetzt "Zu Jung" oder ein anderer Song genommen wird - zum Glück haben wir "Zu Jung" gewählt. Dann waren die Businesspartner eine sehr wichtige Entscheidung sowie unser Produzent Tim Tautotorat, da haben wir zum Glück auch alles richtig gemacht. Es fühlt sich mehr so an, als wäre es die Summe der Entscheidungen gewesen, nicht eine einzelne.

"Wir hatten eine krasse Casper- und Marteria-Phase"

Drei Cousins und ein Kumpel - erinnert ein wenig an Kings Of Leon: Machen Verwandtschaftsverhältnisse die Kommunikation in der Band schwieriger? Oder bewirken sie das Gegenteil?

Beides. Manchmal nimmt man einfach kein Blatt vor den Mund. Das ist gut und macht die Kommunikation direkt. Aber natürlich ist die Hemmschwelle für Streit und Auseinandersetzung oder auch Provokation nicht so hoch, wie wenn wir 'nur' Freunde wären. Aber im Großen und Ganzen profitieren alle davon, und wir haben dadurch einen noch stärkeren Zusammenhalt.

Seid ihr eigentlich Autodidakten am Instrument, gelernte Musiker oder beides?

Außer mir hatte, glaube ich, keiner so richtig intensiv Unterricht. Robin und Vincent hatten eine Zeit lang Klavierunterricht und experimentierten etwas mit anderen Instrumenten herum. Das meiste lernen wir aber autodidaktisch. Vor allem Mosse, der hat erst vor drei Jahren mit dem Bassspielen angefangen.

Zu welchem Zeitpunkt habt ihr beschlossen, eine Musikerkarriere anzustreben?

Das Band-Ding machen wir ja schon eine ganze Weile nebenher. Aber als Vincent und Leon vor zwei Jahren Abi gemacht haben und parallel dazu Provinz langsam eine Perspektive hatte, haben wir beschlossen, uns die erste Vertragslaufzeit zu 100 Prozent auf Provinz zu fokussieren und danach zu entscheiden, ob wir das weiter durchziehen.

Haben eure Eltern das nie mit "Lernt lieber mal was Gscheits, das wird eh nix! kommentiert"?

Unsere Eltern waren meistens sehr unterstützend. Natürlich wurde das zu Beginn auch belächelt. Aber das konnten wir ändern.

Wo liegen eure Inspirationsquellen?

Letztlich bezieht man - zumindest unterbewusst - aus allem, was man an Musik hört oder gehört hat, Inspiration. Darüber hinaus auch Serien und Filme, andere Künstler oder alltägliche Erlebnisse ... alles fließt mit ein. Musikalisch gesehen sind gerade die drei Cousins viel mit Klassikern wie den Beatles, Johnny Cash, den Hosen oder Grönemeyer aufgewachsen. Später hatten wir alle eine krasse Casper- und Marteria-Phase. Und heute hören wir alles Mögliche von Britpop wie Coldplay oder Tom Odell über Rap wie Trettmann und Mac Miller bis hin zu Jeremias, Element Of Crime oder Haindling.

Wie findet ihr die vom Label genannten Referenzpunkt: Leoniden, Giant Rooks, Von Wegen Lisbeth, Faber oder auch Folkpop? Stammen die am Ende sogar von euch selbst?

Es ist immer etwas komisch, mit anderen Bands verglichen zu werden. Man will ja eigentlich mehr für sich selbst stehen. Aber wir verstehen natürlich, dass man uns musikalisch so gut einordnen kann. Davon mal abgesehen, fühlen wir uns natürlich geehrt, mit den Bands verglichen zu werden, wir feiern sie und ihre Musik auch.

"Wir klängen anders, wären wir in einer Stadt aufgewachsen"

Gibt es bei Provinz eigentlich einen Main-Songwriter oder entstehen eure Songs im Kollektiv?

Main-Songwriter ist bei uns Vincent. Er schreibt die Texte und hat meistens die Ideen für die Songs. Diese präsentiert er im Proberaum, und ab da arbeiten wir gemeinsam daran weiter und machen sozusagen den Feinschliff.

Der Bandname, eure Videos - ihr zelebriert die Heimat in Lyrics und Bildersprache. Nicht selten gehen Bands aber lieber den anderen Weg: Die Herkunft als Landeier zu verschleiern. Euer Entwurf fährt, wie gesagt, das Gegenteil. Kann dieser jetzt schon ziemlich ausformulierte Ansatz aber über zwei oder drei Alben tragen? Oder soll er das überhaupt?

Es ist so: Das Aufwachsen in unserer Heimat, unserer Provinz, hat uns geprägt. Wir sind auch der Meinung, dass wir anders klingen würden, wären wir in einer Stadt aufgewachsen. Und ganz drastisch runter gebrochen ist es das, was uns neben der Familie und der Freundschaft verbindet. Deshalb finden sich die Provinz und ihre Auswirkungen natürlich in unseren Texten und Liedern wieder. Aber die Provinz ist für uns jetzt nicht das Hauptthema, um das sich die nächsten Alben drehen sollen. Wir verarbeiten, was uns im Leben und Alltag widerfährt oder inspiriert. Da wir schon jetzt nicht mehr so oft in der Heimat anzutreffen sind, zumindest vor und nach Corona, wird das auch zwangsläufig weniger unser Thema bleiben. Trotzdem ist das unsere Herkunft, und das ist auch gut so.

Stimmt, man liest, auch Provinz wollen sich so bald wie möglich vom Acker machen - lieber Groß- als Kleinstadt: Wird es in der Provinz also doch zu eng?

In der Tat zieht es uns in eine Stadt. Gerade als wir Teenies waren, hatten wir oft das Gefühl von Langeweile und Alltagstrott, wodurch sich die Sehnsucht nach der Stadt entwickelt hat. Ich glaube, dass geht den meisten hier so. Man will einfach mal raus und weg von Zuhause, für sich leben.

Und wenn ihr dann draußen in der Welt seid, können wir trotzdem mal mit einem schwäbischen Liedtext rechnen?

Um ehrlich zu sein, redet außer Mosse keiner von uns privat wirklich schwäbisch. Somit ist die Wahrscheinlichkeit nicht extrem hoch. Aber wir wollen natürlich nichts von vornherein ausschließen, also wer weiß ... (lacht)

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