19. August 2025
"Wir haben in Wacken kein Geld verdient"
Interview geführt von Maximilian SchäfferJean und Falk über ihren Wacken-Gig, seine Vorgeschichte und andere Irre mit historischen Instrumenten.
Saltatio Mortis haben beim Wacken Festival mit einer Mega-Show ihr 25-jähriges Bandjubiläum gefeiert, kurz zuvor war bereits ihr Best-of-Album "Weltenwanderer – Von Träumen & Krawall" erschienen. Nach ihrem Gig in Wacken sprachen wir mit Falk und Jean über ihre Show und die Geschichte der Band.
Wie fühlt ihr euch nach der Mega-Show? Seid ihr zufrieden?
Jean: Ja, für uns ist mit dieser Show am Mittwoch, es ist eigentlich ein Klischee, wenn man das so sagt, aber für uns ist ein Traum wahr geworden. Wir haben als Fans angefangen Musik zu machen. Das Musikmachen ist das, worum es uns geht. Und irgendwann auf dem Wacken-Acker zu stehen, auf irgendeiner Bretterbühne, das war für uns damals schon ein Highlight. So haben wir auf Wacken angefangen und wir hatten das Glück, dass uns Menschen wie Holger Jensen und Thomas Hübner (die Festival-Gründer, AdR) über die Jahre immer wieder protegiert haben. Dann kamst du weg von der Bretterbühne hin zu einem Zelt und dann kam die nächste Bühne und so weiter. Wir haben uns tatsächlich ganz klassisch hier hochgearbeitet. Ich hätte fast gesagt hochgeschlafen, aber ne, wir haben uns hochgearbeitet.
Und jetzt den Mittwoch headlinen zu dürfen und das Vertrauen zu kriegen von den Veranstaltern und von allen Partnern, die hier mit zu tun haben, das war schon überwältigend. Als das Angebot reinkam - von wegen Mittwoch seid ihr der Headliner und Donnerstag Guns n' Roses – aber kein Druck! Da haben wir uns nicht natürlich nicht lumpen lassen. Wir haben die größte Produktion auf die Bühne gewuchtet, die wir je gemacht haben. Der Production Value war wirklich sehr hoch. Wir haben tatsächlich - das kann ich offen sagen – kein Geld verdient am Mittwoch. Natürlich haben wir eine Gage bekommen, aber wir haben die gesamte Gage in unsere Show geballert. Über Monate vorbereitet. Ob das die Aktion war, dass der Sänger plötzlich im Dach fliegt, oder die Pyro, oder die LED-Wall, usw ... Das war für uns einfach so wichtig. Wir wollten gerne Danke sagen ans Festival und danke an die Fans mit dieser fetten Show. Es hat tierisch Spaß gemacht, Aber um ehrlich zu sein, ich bin jetzt auch froh, dass es geschafft ist.
Und die Fans haben es euch quittiert, indem sie trotz sintflutartigem Regen begeistert geblieben sind!
Jean: Das ist das größte Lob, was man kriegen kann, bei so einem Scheißwetter - sagen wir es wie es ist, es war einfach nur brutal. Aber Alea springt selber rein ins Publikum und macht den Circle Pit mit und fällt noch in den Matsch. Ich finde das großartig. Also, da kann man nur riesen Danke sagen an die Fans, dass die das mitmachen. Ich habe zwischendurch gedacht, vielleicht stecken die alle fest und können gar nicht weglaufen. Deswegen bleiben die alle da. Die stecken einfach nur im Matsch und die Arme, die sie nach oben recken, sind nicht, weil sie mitfeiern wollen, sondern weil sie um Hilfe rufen. Aber sie blieben tatsächlich alle da und haben geil mitgefeiert, das ist super.
"Ich traf mich mit anderen Irren mit historischen Instrumenten"
Großes Kino zum Jubiläum also, sogar vor der Bühne. Eure Best-Of ist jetzt erschienen - Weltenwanderer - fünf CDs. Kannst du vielleicht beschreiben, durch welche Welten ihr gewandert seid?
Jean: Wir haben uns durch den musikalischen Bereich so ein bisschen über die letzten Jahre hinweg angefreundet mit Mythologie. Wir gucken überall rein, ob das jetzt die nordische Mythologie ist, oder eher aus dem mittelalterlichen Bereich hier in Mitteleuropa. Wir haben festgestellt, dass diese Götterwelten uns total was geben, also uns persönlich und auch den Fans. Es gibt da ja verschiedene Länder und Welten: Jotunheim, das Land der Riesen, Muspellsheim, das Reich des Feuers, und wie sie alle heißen. Wofür also stehen die Welten? Besonders Falk und auch der Alea haben sich da eingelesen. Und so sind die Songs auf der Platte dann sozusagen assoziativ zugeordnet. Da gibt es Lieder, in denen mehr Energie läuft und wo du auch live die Pyrotechnik-Geschichten hast, in denen es richtig vorwärts geht. Dann gibt es andere Welten, wo wir sagen, das ist die Wurzel von allem. Das ist unten der Beginn vom Weltenbaum, wo alles anfängt. Das sind natürlich die mittelalterlichen Stücke, die akustischen Stücke, mit denen wir früher angefangen haben, auf dem Mittelaltermarkt zu spielen. So haben wir versucht, unseren Lebensweg als Band nachzuvollziehen in einer Art mythologischen Reise. Der Weltenwanderer, dann auf den Bildern verkörpert von Alea, ist für uns derjenige, der uns durch diese Welten führt. Der geht uns mit seinem Stab in der Hand vorweg und sagt: "Folgt mir, ich weiß, wo es hier sicher durchgeht!" Nach 25 Jahren Bandgeschichte ist es nun mal so, dass man durch diese ganzen verschiedenen Welten durchgewandert ist, mal mehr oder weniger glücklich und mal mehr oder weniger erfolgreich. Wir alle haben auch Songs in der Schublade, die vielleicht auch irgendwann mal in den Giftschrank gehören sollten. Das ist bei jeder Band so. Aber wir sind stolz auf das, was wir da haben und wollten den Fans ein tolles, wertiges Produkt geben. Fünf Platten, 50 Songs. In der Box ist noch eine Kassette drin von unseren Freunden von Tabernis, die Songs von uns gecovert haben mit Trommeln und Dudelsäcken. Und ein Buch mit ganz vielen Bildern aus der Band-Historie, mit Liner-Notes drin und allem Drum und Dran.
Wie war der Prozess der Songauswahl? War der schwierig?
Jean: Ja, war schwierig. Und dann haben wir es uns ganz einfach gemacht und die Fans entscheiden lassen. Wir haben eine Vorauswahl getroffen, um gewisse Songs festzulegen die da einfach rein mussten, die für uns Standard sind. Und ganz, ganz viele andere Dinge durften die Fans entscheiden. Wir haben einfach in fünf verschiedenen Etappen die Fans online voten lassen, welche Songs für sie in eine gewisse Welt gehören oder welche Songs sie überhaupt gerne auf so einer Best-Of hätten. Und dann hatten wir eine riesen Datenbasis an Songs und das wurde die Auswahl. Also, das ist quasi eine Box für Fans von Fans.
Falk, du bist ja Gründungsmitglied von Saltatio Mortis. Gibt es für dich Meilensteine in der Bandgeschichte, wo du gemerkt hast, es verändert sich was als Musiker?
Falk: Ich glaube, das sind so mehrere Phasen. Der erste Meilenstein war: Ich treffe mich mit anderen Irren mit historischen Instrumenten. Das war der allererste. Der zweite war, dass damals Lutz Demmler von Umbra Et Imago auf uns zukam: "Hey, ich mach mal zwei, drei Remixe von euren Mittelalterstücken. Hört euch das mal an, Gefällt euch das?" Und das war Elektro. Dudelsack-Elektro. Könnte ich mir heute nicht mehr vorstellen, dass wir so Musik machen. Aber das war so für uns so ein Knalleffekt!
Danach machten wir eine Platte zusammen und wir kamen mit unserem ganzen Sperrholz quasi in dieses moderne Studio und dann die Frage: "Was machen wir jetzt? Was wollt ihr machen? Mehr Rammstein oder mehr Prodigy?" Und wir so: "Was meint der?" Wir haben dann ein Elektroalbum gemacht, also elektronische Musik. Der dritte Meilenstein: Der Vertrag mit unserem damaligen Label Napalm Records, die uns nur deswegen gesigned haben, weil sie In Extremo abgelehnt haben. Die meinten, sie nehmen jeden, der irgendwie so ein historisches Instrument in der Hand halten und geradeaus laufen kann. Ich habe keine Ahnung, warum die "Das zweite Gesicht", also unser erstes modernes Album, genommen haben. Ich hätte es an ihrer Stelle nicht genommen. Es gibt dann noch eine andere Geschichte dazu. Im nächsten Moment fällt bei Napalm, wir haben so eine eigene Tour gemacht, fällt denen eine Band aus. Morgenstern hieß die. Morgenstern fällt aus, weil der Drummer sich den Arm gebrochen hat. Okay, wir werden da gebucht und sind auf einmal mit so echten Gitarrenbands unterwegs und stellen fest: Auch geil! Eigentlich viel geiler wie mit diesem Synthesizer, den wir da auf die Bühne stellen. Und dann so: Kann jemand bei uns Gitarre spielen und wer spielt denn Bass? Ja, ich. Und dann, okay, alles klar, wir fangen dann mit echten Instrumenten, also Gitarre, Bass, Schlagzeug, an. Und das war der nächste Meilenstein. Das war dann "Königshenker", die Platte, wo klar war, okay, wir gehen einen neuen Weg. Es gibt noch zwei wichtige Zäsuren: Das war "Aus der Asche", 2007. Nach Königshenker haben uns drei Gründungsmitglieder verlassen. Die einen waren dafür, das Historische komplett hinter sich zu lassen und nur noch Gitarrenmusik zu machen. Die anderen haben gesagt, nee, wollen nur historische Sachen machen. Für Alea und mich war klar, wir wollen das mischen.
War das auch der Zeitpunkt, ab dem du keinen Nebenjob mehr hattest?
Falk: Ich hatte bis dahin dann noch einen Comicladen, und der wurde dann immer weniger wichtig und dann irgendwann war klar, okay, das hört jetzt auch auf. Wir setzen alles auf eine Karte. Wir gehen diesen Weg jetzt. Das war 2009. Erstmal wollte kein Veranstalter uns buchen und Napalm Record hat uns einen Vertrag aufgezwungen, der richtig scheiße ist. Also ich mag die immer noch, aber heutzutage, so retrospektiv, muss ich das so sagen. Aber wir waren einfach verzweifelt, niemand mehr wollte mit uns arbeiten, weil alle uns für unberechenbar hielten und die alten Mitglieder weg waren. Dann haben wir zum ersten Mal Musiker gesucht und hatten dann zum ersten Mal auch Leute in der Band, die wirklich Musik studiert hatten. Da war zum Beispiel Frank, der jetzt am Bass ist, in dieser Riege mit dabei, die da auf uns zugekommen ist, und das war eine neue Welt. Deswegen auch der Titel. Unsere Titel haben immer so eine Bedeutung für uns. "Das zweite Gesicht" war das zweite Gesicht zu unserem historischen Album. Bei "Erwachen" erkannten wir gerade, was Musik machen kann. Aber es war so schlecht, dass uns der Typ, der das Mastering für das Album gemacht hat, darauf bestanden hat, bitte, schreibt meinen Namen nicht rein.
"Das Internet ist mein Lieblings- und Hassthema gleichermaßen"
Lustigerweise hast du mal in einem Interview gesagt, was euch unterscheidet von Tanzwut und In Extremo sei, dass ihr keinen Metal macht. Und dann Jubiläum auf Wacken!
Falk: (Lacht) Ja, ja, aber vielleicht würde ich das mehr differenzieren wollen jetzt. Nämlich wir machen guten Metal. Nein, ich möchte da keine Wahrheiten von mir geben.
Jean: ...vor allem keine, die wir hinterher wieder löschen lassen müssen, aus dem Internet! (lacht)
Falk: Und dann gab es die Phase, Jean war mit dabei, Till ist dazu gekommen und auf einmal war es so wie bei einer guten Crème Brûlée: Du stichst rein, und diese Schicht, diese Zuckerschicht knackt, und auf einmal weißt du, das ist der Weg. Und das ist hier, das haben wir ihm zu verdanken (zeigt auf Jean). Er ist im Moment zusammen mit unserem Produzenten und dem Till die songwriterische Kraft und das ist einfach eine neue Welt für mich.
Die letzten 25 Jahre waren ja auch eine Riesen-Umwälzung im Musikbusiness. Alles hat sich durch das Internet ja komplett verändert.
Jean: Das ist mein Lieblings- und Hassthema gleichermaßen. Das Internet hat ganz viel getan für die Menschheit. Es ist eine Riesen-Revolution im Guten und im Schlechten. Die Gesellschaft hat irgendwann entschieden, dass Musik und Kunst nichts mehr wert ist. Es gab Zeiten, da konnten Musiker davon leben, dass sie eine Platte machen und diese Platte veröffentlichen. Damit hatten sie ein bisschen Spielgeld verdient, um dann auf eine ausgedehnte Tournee zu gehen. Mit der Tournee hat man die Platte promotet: "Ihr lieben Leute, das ist hier eine Werbeveranstaltung. Wir machen eine Tournee, damit ihr die Platte kauft." Das ganze System hat sich von den Füßen auf den Kopf gestellt. Das war nicht die Entscheidung derjenigen, die dieses Produkt machen, oder die da ihr Herz reinstecken. Das war die Entscheidung der Gesellschaft. So, wie wenn du zu einer Bäckerei reinrennst und sagst, dein Brot nehme ich gern mit und da drüben habe ich den Replikator. Ich kann das jetzt in Echtzeit auf Knopfdruck millionenfach kopieren und überall hin verteilen. Und wie ach, du regst dich darüber auf, dass ich jetzt dein Eigentum, dein Brot geklaut habe. Was soll das denn? Brot für die Welt? Der Bäcker kann davon nicht mehr leben, der muss seinen Laden zumachen und kann auch seine Familie nicht mehr ernähren. Bei den Musikern, bei den Künstlern scheint das niemanden zu interessieren. Es ist anscheinend okay, dass ein Stream nur noch 0,003 Euro wert ist. Es gibt keine Gewerkschaft, auch wenn viele versuchen, die zu gründen. Aber alle haben Angst, dass es dann noch schlimmer wird. Die großen Major-Firmen haben sich in Hinterzimmern mit den Streamingbetreibern verabredet. Aber mit dem Streamen ist das ein Fortschritt, weil zwischendurch hatten wir die Piratensituation im Internet, wo man alles machen konnte. Dann wurde ein Deal angeboten von Seiten der Leute, die früher sowas wie Pirate Bay betrieben haben. Und dann hieß es OK, das Material, das wir euch geklaut haben, das verkaufen wir euch jetzt zurück. Und die Firmen haben gesagt okay, das ist ein fairer Deal, den nehmen wir wohl. Das ist völlig verrückt. Und heutzutage muss man sich rechtfertigen dafür, dass man gewisse Dinge tut oder andere Dinge nicht tut. Zum Beispiel, dass man sagt nein, wir machen nur eine hochwertige Fanbox. Das Material in dieser Fanbox, ob das jetzt eine "Weltenwanderer"-Best-Of ist, über die haben wir gerade schon gesprochen, oder ob das eine Finsterwacht-Fanbox ist, oder was auch immer. Wir machen eine hochwertige Fanbox. Das ist von unserer Seite aus das, was wir tun wollen für die Fans. Da soll Value-for-Money-drin sein und es hilft uns, weil die treuen Fans kaufen diese Fanbox, dadurch generieren wir Einnahmen, die wir durch Streaming niemals machen können. Aber auch davon kann man auch keine Band ein Jahr lang ernähren, sondern da muss man auch eben noch andere Dinge machen, wie zum Beispiel Konzerte spielen. Heutzutage ist es eben umgekehrt. Man spielt Konzerte, um plötzlich die Plattenfotos zu bezahlen.
Jetzt habt ihr ja das Mammutprojekt "Finsterwacht" sowie das Bandjubiläum hinter euch. Gibt es noch irgendeinen Traum, wo ihr vielleicht noch spielen wollt?
Falk: Zwei Orte, vielleicht drei auf dieser Welt. Ich möchte vor den Pyramiden spielen, ich möchte mal auf der Akropolis spielen und ich möchte in dieser Sphere in Las Vegas spielen.
Auf den Weltwundern quasi!
Falk: Ganz genau. Ich möchte auf den Weltwundern spielen. Ganz bescheiden! (lacht) Der Produzent sagt immer, wenn dir der nächste Schritt keine Angst macht, ist der Schritt zu klein. Schöner Satz, aber mir geht es tatsächlich eher um interessante Projekte, interessante Songs. Ich möchte gerne mit meinen Bandkollegen gute Songs schreiben, die Leute abholen. Ich möchte gern tolle Konzerte spielen auf einem vollen Platz, in einer vollen Halle, mit einem feierwütigen Publikum. Und wir haben so viele Ideen, wie wir das in Zukunft noch gut hinkriegen.
1 Kommentar
"Aus der Asche" finde ich heute noch richtig gut. Mit der heutigen Deutschrock-Kirmes-Melange kann ich leider gar nichts mehr anfangen.