24. Oktober 2024

"Musik ist so einfach!"

Interview geführt von

Violinistin Sarah Neufeld, Multiinstrumentalist Richard Reed Parry und Cellistin Rebecca Foon sind aus der Musikszene Montreals nicht mehr wegzudenken. Nun veröffentlichen die Kanadier*innen mit "First Sounds" ihr erstes Trioalbum.

Sarah Neufeld, Richard Reed Parry und Rebecca Foon lernten sich Ende der 90er Jahre kennen, als sie unabhängig voneinander versuchen, in der Kunst- und Kulturszene ihrer kanadischen Heimat Fuß zu fassen. Danach arbeiten sie u.a. in Bands wie Arcade Fire oder Esmerine zusammen. Jedoch kam es nie zu einer gemeinsamen Platte. Während der Pandemie war es dann soweit und das Trio realisierte zusammen mit Produzent Shahzad Ismaily (Cermaic Dog) und weiteren Gastmusikern das Album "First Sounds". Wir sprachen mit den drei Kanadier*innen via Zoom über ihr am 1. November erscheinendes Album, die Montrealer Musikszene und zukünftige Pläne.

Glückwunsch für euer erstes Trioalbum. Wie geht es euch?

Richard: Dankeschön!

Sarah: Yeah, danke!

Rebecca: Uns geht es gut.

Ihr kennt euch schon seit Ende der 90er aus Montreal. Wie habt ihr euch kennengelernt?

Richard: Wir lernten uns kennen, als wir Elektroakustik studierten. Ich schätze, Sarah hat Jazz studiert.

Sarah: Ja, wir waren einfach so etwas wie Musikschulfreunde. Und Becca und ich haben uns kennengelernt, als wir noch jüngere Teenager waren.

Rebecca: In der Highschool.

Sarah: Ja, als Teenager. Das ist so putzig.

Richard: Genau. Und im Grunde haben Sarah und ich einmal zusammen gespielt und sie meinte: Oh, da ist diese Becky, mit der wir unbedingt spielen sollten. Und so machten wir es einfach. Wir trafen uns in meiner Wohnung und sofort war es sehr einfach und natürlich, zusammen Musik zu machen und wir waren alle sofort begeistert davon. So nach dem Motto: Oh, das ist so einfach. Musik ist so einfach.

Und wie lief die Zusammenarbeit in den späten 90er Jahren?

Richard: Nun, ein Freund von uns plante damals eine Puppenshow. Also haben wir uns getroffen, einen Haufen Musik gemacht und sind mit dieser Puppenshow live aufgetreten. Das war sozusagen unsere erste Zusammenarbeit, unser erster Auftritt.

Wie kann man sich die experimentelle Musikszene in Montreal insgesamt vorstellen? Aus der Entfernung gesehen wirkt die Szene für mich wie eine große Familie.

Richard: Ich würde sagen, es ist nicht gerade eine große Familie, aber von außen betrachtet: Ja. Ist man drinnen, ist es natürlich wie in jeder künstlerischen Szene, wo es alle möglichen kleinen Mikroszenen gibt. Aber sie überschneiden sich miteinander. Es wird zu einer Art olympischem Ringen: Kleine musikalische Mikroszenen und kleine Gruppen von Leuten, die miteinander arbeiten. Aber wenn man das Ganze aus der Ferne betrachtet, sieht es aus wie, oh ja, die olympischen Ringe.

Es überschneidet sich alles irgendwie. Aber in sich selbst gibt es natürlich endlose Variationen und spezifische kleine Fraktionen. Wenn man lange genug irgendwo lebt und lange genug irgendwo arbeitet, spielt man irgendwann mit Leuten, mit denen man ursprünglich gar nicht gespielt hat. Es beginnt alles miteinander zu verschmelzen und zu einem großen organischen Ökosystem zu werden, das aus der Ferne betrachtet eine einzige große Szene ist.

"Das Projekt ist der beste Weg, um in einen Flow-Zustand zu kommen"

Ihr habt über die Jahrzehnte gemeinsam in verschiedenen Bands wie Arcade Fire oder Esmerine zusammengearbeitet. Nun veröffentlicht ihr mit "First Sounds" euer erstes Trio-Album. Warum kam es über die Jahrzehnte nie zu so einem Album?

Richard: Es brauchte die Pandemie. Man hatte plötzlich Zeit zum Durchatmen. Ich glaube, in diesem Moment hat jeder sein Leben neu überdacht. Sarah war auch schwanger. Ich wollte endlich ein Solo-Album für Kontrabass machen. Und damit habe ich angefangen. Und sofort dachte ich: Das klingt so einsam und so viel besser mit Streicherspiel. Von da an wollte ich nur noch mit Becky und Sarah spielen. Ich habe einfach angefangen, diese kleinen Melodien zu schreiben. Und ich dachte mir, Leute, lasst uns zusammenkommen und unser Ding machen und wenn Sarah bald Mutter ist, wird sie vielleicht nie wieder Zeit für Musik haben. Wahrscheinlich nicht, aber man weiß ja nie. Wir waren uns einig: Lasst es uns jetzt machen!

Sarah: Ironischerweise habe ich das Gefühl, dass ich jetzt, wo ich Mutter bin und all die anderen Dinge mache, nur noch Zeit für dieses Trio habe.

Richard: Da hast du's!

Rebecca: Mir geht es genau so, obwohl ich nicht Mutter bin.

Sarah: Ja! Ich glaube, das haben wir schon mal festgestellt. Aber ich denke, es erlaubt uns allen, in einen Flow-Zustand zu kommen, was nicht unmöglich ist, aber immer seltener zu werden scheint, je älter wir werden und je mehr wir zu tun haben. Es gibt so viele Ablenkungen. Dieses Projekt ist der beste Weg, um in diesen Flow-Zustand zu kommen. Das gibt einem dann tatsächlich Zeit und Energie.

Richard: Wir scheinen einfach eine ganz natürliche Chemie miteinander zu haben. Wir können uns also einfach zu dritt hinsetzen und Musik machen, ohne Plan und fast ohne Diskussion. Wir können sagen: Okay, lass uns eine kleine Idee haben, diese Technik ausprobieren oder lass uns versuchen, diese Rollen zu spielen. Und dann spielen wir einfach 45 Minuten lang ohne Unterbrechung. Und so sind wir in diesen Rhythmus gekommen, uns zu treffen und alles aufzunehmen, was wir tun. Das ist deshalb so, weil wir oft instinktiv und ohne jede verbale Diskussion dazu kommen. Es wird einfach zu einer musikalischen Diskussion, die in musikalischer Form stattfindet. Dann entsteht ein Musikstück, das wie ein Dialog oder ein Dreiergespräch klingt und die Stücke, die kleinen Kompositionen, ergeben sich von selbst. Manchmal ist es nicht die beste Musik, die wir je gemacht haben, aber oft ist sie es. Im Endeffekt bekommen wir Musik, die wir alle aufregend und interessant, schön und kunstvoll und nuanciert finden. Es ist etwas Wunderschönes, wenn die Chemie zwischen drei Musikern stimmt.

"Wir fühlen uns alle wohl in verschiedenen musikalischen Rollen"

Würdet ihr sagen, dass sämtliche Songs auf dem Album einen instinktiven Ansatz besitzen?

Rebecca: Ja.

Richard: Definitiv.

Der Albumtitel lässt vermuten, dass es sich um den Anfang eines neuen Projekts handelt und dass im Laufe der Jahre noch weitere Musik folgt. Liege ich mit der Annahme richtig?

Rebecca: Absolut.

Sarah: Ja, absolut.

Richard: Ich mag auch die Idee der ersten Klänge, die Dinge, die zuerst auftauchen. Das ist eine Art Verweis auf das instinktive Musikmachen. Es ist wie der erste Gedanke, der beste Gedanke sozusagen. Du folgst einfach dem ersten Impuls, dem ersten Klang.

Was waren die Themen und Motive, die euch inspiriert haben, als ihr die Songs geschrieben habt?

Richard: Ich denke, wir arbeiten bereits an einer neuen Platte. Ich würde sagen, es ist fast so, als ob man sich einfach in die Richtung bewegt, in die sich die Musik natürlich bewegt. Man findet die Ideen, die kommen, und man bewegt sich einfach mit ihnen. Das hat etwas sehr Instinktives und Animalisches, wie wenn Vogelschwärme in wirklich ausgeklügelten Mustern fliegen. Wir nennen das auf Englisch murmurations. Es ist, als ob sie keinen Plan hätten. Man beobachtet einen Vogelschwarm und denkt: Oh, sie fliegen in diese Richtung. Und einer von ihnen biegt nach links ab. Und dann merkt das der andere und folgt ihm. Und der dritte denkt: Oh, sie biegen nach links ab. Und es entwickelt sich einfach und findet irgendwie seine eigene Flugbahn.

Wir haben auch darüber gesprochen, für das nächste Album einen spezifischen Ansatz zu wählen, der in einer Art Naturanalogie weitergeht, wie Myzelwachstum und Pilzwachstum. Es kann ein einziger Organismus sein, der kein zentrales Gehirn hat und die verschiedenen Teile des Organismus folgen den anderen Teilen und scheinen sich alle schnell und effizient zum selben Punkt und zur selben Nahrungsquelle zu bewegen.

So entstand die Idee, dass wir auf eine Art und Weise komponieren können, die mykologisch ist. Es ist mehr wie ein Ökosystem, das aus mehreren Teilen besteht, die alle aufeinander reagieren. Es gibt also keinen Leadsänger. Manchmal singen wir, aber es ist nur eine Stimme, die von einer Person stammt und der sich die anderen anschließen. Die Stimme geht vielleicht auf eine andere Person über. Und das Gleiche gilt für die Motive und die melodischen Ideen. Manchmal bildet das Cello das Hauptmotiv, mal ist es der Kontrabass und das Cello übernimmt den Bass. Wir können die Rollen wirklich tauschen und wir fühlen uns alle wohl darin.

Das Album deckt von ambienten und filmmusikalischen Momenten über Minimal Music bis hin zu jazzigen und kammermusikalischen Tönen eine große klangliche Bandbreite ab. Habt ihr versucht, all eure Erfahrungen und Einflüsse einfließen zu lassen, die euch im Verlauf eurer Karriere geprägt haben?

Rebecca: Das haben wir nicht versucht, ich glaube, es waren nicht alle.

Richard: Die Tatsache, dass wir ein Streichertrio sind, ist auch so eine Art netter Rahmen. Es gibt keinen Schlagzeuger. Das gibt einem eine sehr spezifische Palette, mit der man arbeiten kann. Und ich denke, dass uns das auf eine wirklich gute Art und Weise inspiriert.

Sarah: Das stimmt absolut.

Shahzad Ismaily, der in Marc Ribots Jazz- und Rock-Band Ceramic Dog spielt, hört man in "Maria" an den Percussions. Gleichzeitig hat er das Album auch produziert. Wie groß war der Einfluss von Ismaily auf die Platte?

Sarah: Ja. Es war toll.

Richard: Er hat uns ermutigt, genau das weiterzumachen, was wir gerade tun.

Rebecca: Er lenkt die Dinge.

Sarah: Er hat diese wirklich nette Art, überall, wo er involviert ist, die Dinge auf sanfte Weise zu lenken. Er weiß buchstäblich instinktiv, wie er einer bestimmten Dynamik helfen kann, sich so zu entwickeln, wie sie es braucht. Er ist wirklich magisch. Manchmal legt er einfach einen Drone über etwas, und dann denkt man sich: Oh, Gott sei Dank ist da dieser Drone. Und das hat er bei uns definitiv gemacht. Er hat alles so angenehm gemacht und uns Selbstvertrauen gegeben, aber musikalisch hatte ich das Gefühl, dass er da war, um das zu unterstützen, was bereits im Gange war.

Richard: Ganz und gar.

Rebecca: Ja. Das gibt uns Wärme.

Richard: Hey, vielleicht können wir bei diesem Stück Percussions spielen, weißt du? Und dann hat er diese große Kiste voll mit diesen wunderschönen Glocken mitgebracht. Er sprang einfach in den Raum und spielte ein bisschen darauf herum. Und du denkst: Ja, das ist toll. Es war einfach ein schönes Gefühl von Spontaneität und ich glaube, er ist in dieser Hinsicht ein ähnlicher Musiker wie wir. Das war eine wirklich schöne Kombination. Als wenn man die Dinge einfach in die Richtung bewegt, in die sie sich bereits bewegen und das ein wenig ergänzt. Es herrschte eine synergetische Energie zwischen uns allen.

Ihr habt von Soloalben über Soundtracks bis hin Bandarbeiten in den letzten Jahren einige Sachen veröffentlicht. Welche Projekte plant ihr als nächstes?

Rebecca: Wir machen gerade ein zweites Album, was spannend ist. Wir sind gerade dabei, das zu verwirklichen.

Richard: Ich mache mehr Filmmusik. Ich habe auch eine Platte mit einem Freund von mir gemacht, der während der Pandemie verstorben ist.

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