12. August 2003
"Und plötzlich war es Business ..."
Interview geführt von Linus SchwankeStunden vor dem fulminanten Gig auf der Burgruine Hohentwiel bei Singen sprachen wir mit Jim über die Simple Minds gestern und heute, über Fans, politische und emotionale Musik und - wen wundert's - über schottischen und sizilianischen Fußball.
Hi Jim. As time goes bye - manche von uns erinnern sich gerne an die Zeit der Simple Minds in den 80ern. Diese Musik war Teil unseres Lebens und fehlte auf keiner Party. Es ist total lustig, dich nach so langer Zeit heute einmal persönlich zu treffen (Jim lächelt). Wie schaust du zurück auf diese Zeit, fast 20 Jahre später?
Hm.. Ich denke, die Hauptsache, wenn ich zurück blicke, ist - wenn ich da auch für meinen Partner und Gitarristen, Charly Burchill, sprechen darf: Im Großen und Ganzen haben wir die Zeit genossen, und manchmal schienen unsere Sachen besser zu laufen als die anderer. Es ist witzig - erst, als wir vorgestern hier im Hotel ankamen, erinnerte ich mich zum Beispiel, dass wir hier Mitte der 80er schon einmal waren. Wir spielten zu der Zeit in riesigen Stadien, hatten einen Nummer-Eins Hit, waren in Amerika bekannt und - versteht mich nicht falsch - das war schon ganz schön aufregend. So sehr, dass ich mich hier in diesem Hotel damals sogar elend fühlte, wirklich elend. Mag sein, ich war einfach zu jung, um das alles zu verarbeiten. Ich war besorgt, hatte fast Schiss vor der ganzen Entwicklung. Ich merkte, dass sich in unserer Band etwas veränderte. Nicht die Band selber, sondern ihr Status: wir waren nicht mehr einfach Musiker, sondern plötzlich ein Business. Das war keine leichte Übergangszeit.
Vorgestern kamen wir nun wieder hier her, nach 20 Jahren. Ok, wir hatten einen wunderschönen Gig vor einem fantastischem Publikum, aber sicher keinen Nummer-Eins Chart Hit mehr. Ich bin heute sehr früh aufgestanden, war im See schwimmen, habe lecker gegessen, ein paar Bekannte getroffen. Irgendwie ist das besser heute, wenn ihr mich versteht. Klar sage ich nicht nein, wenn ich gefragt werde, ob mir ein neuer Nummer-Eins Hit gefallen würde. Ja sicher! Aber: jedes Ding hat eben seinen Preis. Wir genießen das Leben lieber so, wie es jetzt ist.
Damals gab es ja diese Fraktionen: Depeche Mode oder Simple Minds. Das war fast so wie in den 70ern die Jeansfrage zwischen Wrangler und Levis. Hast du das mitbekommen oder ging es an dir vorbei?
Vor allem unsere und die Fans von U2 waren sich ähnlich, auf Grund unseres gemeinsamen keltischen Ursprungs und unseres Idealismus bei Themen wie Anti-Apartheit, Greenpeace oder Live Aid. Depeche Mode hatte doch völlig andere Inhalte. Eine "Competition" hat es auch nie gegeben, denn Musik mache ich erst einmal für mich, und nicht - wie im Sport - um einen Gegner zu besiegen. Na gut, wenn wir schon von Competition reden, dann kämpft man allenfalls innerhalb der Charts.
Hast du noch Kontakt zu Peter Gabriel?
Peter Gabriel ist nach wie vor ein großer Held für mich. Erst kürzlich habe ich auf unserer Website eine Artikel über das Phänomen Peter Gabriel geschrieben, und wie er den Simple Minds in der Anfangszeit geholfen hat. Aber regen Kontakt zu ihm habe ich leider schon lange nicht mehr. Eigentlich überhaupt zu wenigen Leuten aus der Branche. Gut, man sieht sich ab und zu, wenn man auf Tour ist oder bei anderen Anlässen wie Award Shows, aber geplante Treffen gibt es kaum.
Reden wir von eurer Musik. Ihr hattet großen Erfolg in den 80ern, in den 90ern war es ruhiger, aber seit 2001 kam es zu einer Art Explosion mit "Neon Lights" und 2002 mit "Cry". Dann hieß es, ihr arbeitet nach der "Best of" schon wieder an einem neuen Album. Ihr seid dauernd auf Tour. Was ist los mit euch?
Es ist erstaunlich, ja. (lacht) Noch vor vier Jahren waren wir ein wenig energielos. Nicht deprimiert, aber wir haben tatsächlich die Simple Minds in Frage gestellt. Ich fühlte mich zum Beispiel einfach weit weg von der Musik, ich hatte irgendwie den Kontakt zu ihr verloren, so als wenn es einfach ein Zeitfenster gäbe, das nun nicht mehr offen stand. Okay, ich habe nie vorgehabt, aufzuhören und zu sagen 'das war's jetzt'. Aber es war einfach klar, dass die Luft raus war. Wir waren ausgebrannt, der Drive, die Energie war futsch. Wir waren auf einmal furchtbar rückschrittig. Aber wen wundert's? Nach zwanzig Jahren gibt es solche Phasen einfach!
Wir haben uns schließlich in den Hintern getreten und uns neuen Herausforderungen gestellt, so als müsste man einfach beweisen, dass man noch da ist. Ansonsten müssen wir nach all den Erfolgen, den guten Songs und vielen Touren wohl nichts mehr beweisen. Aber aufgeben? Nein. Wenn wir heute auf Tour gehen, wollen wir keine guten Konzerte geben, sondern exzellentere, als die Leute es erwarten. Der Hype geht weiter und es macht richtig Freude.
Verrätst du uns schon etwas über das neue Album?
Musik zu schreiben und zu komponieren ist die eine Seite, daraus ein Album zu produzieren, die andere. Bei "Cry" haben wir jedenfalls gesehen, dass die Richtung stimmt. Nun nehmen wir wieder eine Herausforderung an und probieren einmal aus, wie weit wir gehen können. Ich denke, das neue Album wird wieder mehr die Band selber reflektieren, so wie sie heute ist. Wir waren seit "Cry" viel auf Tour. Und selbst wenn elektronische Elemente eine Rolle spielen werden, steht das menschliche, das Herz der Band im Vordergrund.
Wie politisch darf Musik sein?
Grundsätzlich kennt Musik keine Regeln. Jeder nähert sich ihr auf andere Weise. Wir sind meistens danach gegangen, was instinktiv in uns war. Es gab da das Album "Street Fighting Years", in dem Mandela, Belfast und auch die Berliner Mauer Themen waren. Klar waren das politische Themen, aber es waren eben reale Themen unserer Zeit, ohne dass wir beschlossen hätten, plötzlich politisch zu werden. Wir haben sie zur aktuellen Zeit kommentiert und versucht, sie zu erforschen, Erklärungen zu finden. Aber auch, wenn es bereits 15 Jahre her ist, so gelten die Inhalte nach wie vor. Es ging und geht dabei weniger um die persönliche Freiheit von Nelson Mandela - jeder weiß, er ist schon lange frei - sondern um alle Menschen, die für eine gute Sache kämpfen.
"Don't You" ist nach wie vor euer bekanntester Song. Ihr spielt diese Pflichtnummer noch heute auf jedem Gig. Hängt euch das nicht langsam zum Halse raus?
Na ja, im Proberaum rollt man schon ab und zu die Augen und denkt "oh no, nicht schon wieder", aber auf der Bühne ist das wirklich anders. Du merkst, die Leute wollen es hören, sie freuen sich, sie bezahlen Geld dafür. Es ist so gesehen fast ein bisschen Service, auf den die Menschen Anspruch haben. Wir spielen unsere Songs ja auch nicht einfach runter, sondern verändern sie von Zeit zu Zeit. Man versucht als Liveband, jedesmal besser zu werden. Stellt euch vor, es kommen viele Menschen mit wochenlanger Vorfreude und Kribbeln im Bauch zu einem Konzert, und sie müssen enttäuscht feststellen, dass die Band auf der Bühne sich langweilt oder keinen Bock hat. Das ist übel.
So seltsam es klingt: große Hits wie "Don't You" werden im Laufe der Zeit in gewisser Hinsicht Allgemeingut. Sie gehören dir dann nicht mehr alleine, sondern allen. Es ist überhaupt kein Problem, es gerne zu spielen. Ein Problem hast du erst, wenn du keine Lust mehr hast und die Leute damit enttäuschst.
Es hält sich ja wacker die Mär, "Don't You" sei ursprünglich für Billy Idol geschrieben worden, aber er hätt' es verächtlich verrissen. Darauf wurde es euch angeboten und ihr habt einen Burner draus gemacht. Viel später hat es Billy dann gecovert, mit eurem Arrangement ...
Och, ich fand die Version von Billy Idol gar nicht so schlecht, wirklich. Allerdings wurde der Song, so weit ich informiert bin, nicht ihm, sondern Brian Ferry angeboten. Er hat ihn runter gemacht, und dies später ziemlich bereut. Obwohl wir ihn nicht geschrieben haben, war es ursprünglich ein ziemlich anderer Song, ein clever gemachter, guter Popsong. Aber ohne die "la la las" und "he he heys" und andere hochintelligente Zutaten von uns wäre es wohl kein so großer Hit geworden (grinst). Brian Ferry hätte sicher auch auf die vor allem am Ende druckvollen Drums verzichtet und den Song ganz cool als Ballade vorgetragen. Ohne es eigentlich zu wollen, haben wir in gewisser Weise Mainstream daraus gemacht. Selbst Leute, die Simple Minds nicht wirklich kennen oder besonders mögen, gehen bei dem Stück mit. Mir fallen da leider auch biersaufende Typen ein, die aufgrund des "la la la" Chorus sehr gerne mitgrölen, tja.
Vorhin hast du den Vergleich Musik - Sport gezogen. Lass uns doch etwas über Fußball reden.
Gerne!
Celtic Glasgow hat ja leider das UEFA Cup Endspiel verloren, obwohl Rod Steward eigens zum Daumen drücken hingeflogen war. Warst du auch da?
Ja looogisch war ich da! Zusammen mit Charly Burchill und meinem Vater, mit dem ich schon als Kind zu Celtic gegangen bin. War ne riesige Zeit. Jetzt beim UEFA Cup haben wir nicht ernsthaft an einen Sieg von Celtic geglaubt - die Portugiesen waren einfach zu stark. Aber das Tolle am jetzigen Celtic Team ist wie sie kämpfen. Selbst bei überlegenen Gegnern denken sie nicht eine Sekunde an eine Niederlage, sondern lassen nichts unversucht. Und wenn sie geschlagen werden, stehen sie gleich wieder auf und machen weiter, das war schon immer so. Sie haben Stolz und spielen stets einen recht harten Fußball. Das Endspiel war trotzdem klasse. Wir sind dort nicht zum Party machen hingefahren, sondern um das Spiel zu genießen, unter den Fans zu sein, einige Spieler zu treffen, Schulkameraden wieder zu sehen, Berufskollegen von früher. Es war großartig und so friedlich: stellt Euch vor, es kamen 75.000 Celtic Fans zum Stadion, und nur 25.000 hatten ein Ticket. Trotzdem keine Randale und Gewalt, wie es oft in England oder Deutschland zu beobachten ist, sondern nur eine einzige Festnahme. Es war ein wundervolles Beispiel dafür, wie schön Fußball sein kann.
Celtic hat im Viertelfinale ja auch in Stuttgart gespielt, da reisten ebenfalls rund 25.000 Fans aus Glasgow an, um ihren Verein zu unterstützen.
(lacht) Siehste! Die lieben sich halt einfach.
Stimmt, das ist schon phänomenal..
Bezieht sich aber wirklich nur auf Fußball. In Glasgow geht es nämlich sonst ganz anders zu: Geh mal Samstag Nacht nach Kneipenschluss auf die Straße, das ist ein echter Alptraum. Die Celtic Fans benehmen sich dagegen wie Gentlemen, sie pflegen geradezu ihr Image, freundlich zu sein.
Du hast ja inzwischen einen eigenen Verein in Sizilien, den AS Celtic Taormina. Wann spielen die denn mal richtig auswärts, zum Beispiel in Deutschland?
Die Leidenschaft in meiner zweiten Heimat! (freut sich offenbar sehr über diese Frage). In Anknüpfung an die Heimat ist Celtic Taormina entstanden, nachdem ich ein paar sizilianische Freunde nach Celtic Park eingeladen hatte. Obwohl sie Anhänger von Juventus Turin oder Inter Mailand waren - und natürlich immer noch sind - hat sie diese 'Celtic Party' völlig begeistert. Daheim in Taormina beschlossen sie, Celtic mit einer besonderen Huldigung zu ehren, und gaben dem Verein diesen Namen. Da leuchteten natürlich meine Augen. Der Verein ist gleich um die Ecke, in der selben Straße wo ich wohne.
Taormina scheint dir sehr ans Herz gewachsen zu sein. Du lebst dort die Hälfte des Jahres, letztens hattet ihr einen Gig im berühmten Amphitheater, du engagierst dich für deinen Verein und nun hast du dort sogar ein Hotel, die "Villa Angela", gebaut. Wie kommt man als Schotte ausgerechnet auf Sizilien?
Ich liebe Europa, besonders das kontinentale. Punkt. Von Skandinavien bis zum Mittelmeer, Spanien, Deutschland. Ich habe viel gesehen, von Amerika bis Australien, aber die Kulturen, die Landschaften, die Geschichte Europas, das alles steht mir näher. Wenn man es sich aussuchen kann, favorisiert man - wie fast alle Leute - natürlich die sonnigeren, wärmeren Regionen. Vor 20 Jahren bin ich in Sizilien im Urlaub gewesen, mein Großvater hatte mir davon vorgeschwärmt. Er war dort zwar leider im Kriegseinsatz, aber er sagte, ich solle mir dieses magische Stück Erde unbedingt einmal anschauen. Nach ein paar Drinks räumte er dann ein, außerdem seien die Frauen dort unglaublich. Meine Oma hörte das und meinte leicht eifersüchtig, dann solle er doch wieder hingehen, wenn die so unglaublich seien! So etwas macht einen neugierig (grinst).
Ich bin dann wirklich hin gefahren und stellte sehr schnell fest, dass dieses Land tatsächlich meine zweite Heimat werden könnte. Ich bin immer wieder dort hin gefahren, zwischendurch auch mal weniger häufig. Aber vor ca. vier Jahren hatte ich diese Phase von Depressionen, ich war irgendwie ausgepowert, down. Ich fuhr nach Sizilien, um mich zu erholen, zu mir zu finden. Noch am ersten Tag ging es mir wieder besser. Ich ging in mich und sagte zu mir "was tust du? Bist du bescheuert? (schnippt mit den Fingern) Zieh doch einfach hier her, wenn dir die Gegend so gut tut. Das isses, Junge!"
Die Idee mit dem Hotel kam aufgrund der atemberaubenden Lage des Grundstückes, das ich bekommen konnte. Für mich einer der umwerfendsten Ausblicke auf der ganzen Welt. Es liegt hoch über dem Meer, mit Blick auf den benachbarten Vulkan Aetna. Da ich schon sehr, sehr viele Hotels in meinem Leben bewohnt habe, hatte ich eine sehr gute Vorstellung von dem, was ich wollte, und vor allem was nicht. Die Villa Angela wird kein Snobhotel sein, wo Prominente oder Rockstars absteigen, sondern ein Haus für Jedermann mit einer mystischen, sehr privaten Atmosphäre und sizilianischer Gastlichkeit. Nicht billig, aber auch nicht zu teuer.
Da ich nach wie vor etwas ruhelos bin, denke ich trotz allem, dass ich noch ein paar Jahre nach Asien gehen werde. Die Region fasziniert mich. Keine Ahnung, wann, aber ich werde es tun. Das spüre ich einfach.
Jim, danke für das interessante Gespräch. Wir wünschen alles Gute für die Zukunft!
Das Interview führten Linus Schwanke und Giuliano Benassi.
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