28. Februar 2008

Abgeklärte Sympathinnen

Interview geführt von

Letzte Woche erschien "The Con", das fünfte Album des kanadischen Zwillingsduos Tegan And Sara, endlich auch in Deutschland. Darüber muss geredet werden. Andrea Anez hat 50 Prozent der Band kurz vor dem Start ihrer großen Europatour in Köln getroffen. Sara zeigt sich im Gespräch äußerst aufgeweckt, erzählt ausführlich und begeisternd - sehr erfreut, die Bekanntschaft zu machen.Skandal! Die Quins vernachlässigen europäische Fans! In Nordamerika ist "The Con", das neueste Werk der Zwillingsschwestern, schon seit vergangenem Juli auf dem Markt, hierzulande wurde der Release gleich mehrfach aufgeschoben. Doch hat die Warterei auch jenseits von Plattitüden wie "Vorfreude ist die schönste Freude" ihr Gutes - unter anderem das außerordentliche Vergnügen, Tegan And Sara gleich zweimal in kurzer Zeit live erleben zu dürfen: zum einen im Herbst 2007 anlässlich der Übersee-Veröffentlichung, zum anderen im März zum europäischen Erscheinungstermin.

Wie Sara im Vorfeld der zweiten Tour zu berichten weiß, haben letztjährige Gigs in Europa gewichtig zur jetzigen Albumveröffentlichung beigetragen. Das Label erkannte nämlich, dass die T&S-Anhänger überreif sind für eine neue Platte. Die Geschwister selbst haben wohl weniger ein Problem mit der späten VÖ, schließlich wird auch in Kanada mittlerweile mehr Geld mit Konzerten verdient als mit CD-Verkäufen. Oder etwa nicht?

"Für uns als kanadische Band ist es sehr teuer, nach Europa zu kommen", begradigt Sara gleich zu Beginn des Interviews den Eindruck. "In Kanada und in den USA - auch in Australien - ist der Markt für uns noch weiter entwickelt und wir sind nicht auf geborgtes Geld von der Plattenfirma angewiesen, um die Tour dort zu finanzieren. Ich glaube allerdings nicht, dass dem Label so richtig bewusst war, wie groß unsere Fangemeinde in Deutschland schon tatsächlich ist." Spätzünder beim Major Warner also.

Wachstumsziele, Gewinnerwartungen

"Das aktuelle Album konnten wir bei der letzten Tour noch nicht verkaufen, dafür aber Eintrittskarten. So haben wir die Leute auf unsere Musik aufmerksam machen können." Was an sich kaum mehr nötig gewesen sein dürfte, schließlich haben Tegan And Sara spätestens seit dem 2005er-Erfolgsalbum "So Jealous" (in Amerika erschien die Platte wiederum bereits 2004) eine äußerst respektable Fanschar um sich herum versammelt. Ausverkaufte Konzerte waren da im Herbst nur die logische Folge.

Sara zeigt trotzdem viel Verständnis für den Brötchengeber. "Es ist so eine Sache, wenn die Plattenfirma Geld in ein Projekt stecken soll, um deine Karriere vorwärts zu bringen. Wenn nicht mit sofortigen Ergebnissen zu rechnen ist, sitzt das Geld eben nicht ganz so locker und sie beobachten dich ganz genau. Ich verstehe schon, dass das heutzutage, wo die Musikindustrie ums Überleben kämpft, nicht anders geht", relativiert die entgegen der Legende gar nicht schüchterne Bandhälfte.

"Wir brauchen sie und sie brauchen uns. Eine etwas merkwürdige Beziehung." Für das Zweigespann sei es jedenfalls immer sehr aufregend, nach Europa kommen zu können und vor 800 Fans zu spielen. Klar definierte Ziele haben die Songwriterinnen aber auch für den Alten Kontinent. "Wenn wir in Deutschland mit der Zeit größer werden, ist das auch eine schöne Sache. In Amerika, Kanada und Australien können wir mittlerweile vor 1000 oder 2000 Leuten spielen. Das fühlt sich toll an. Wir konnten es vor unseren eigenen Augen wachsen sehen."

Mehr Spaß mit Erfahrung

Zum Glück bestimmt der Businessgedanke nicht auch den Alltag der Band. Beim Betrachten der Making-Of-DVD, die der Special Edition von "The Con" beiliegt, wird das einmal mehr deutlich (hier ein Ausschnitt). Tegan und Schwester reißen im Video Witze am Stück, persiflieren sich gegenseitig in gespielten Streitgesprächen, kurz: ein Welpenspiel mittlerweile 27-jähriger Sympathinnen, die sich niemals zu ernst nehmen. Nichtsdestotrotz fällt aber jederzeit auf, wie professionell und konzentriert sie an ihrer Musik arbeiten.

Tegan And Sara behalten die inhaltlichen Fäden über ihr Produkt jederzeit in der Hand. Acht Jahre Musikmachen bringen schließlich einiges an Erfahrung und Entscheidungswillen mit sich, und den bringen die beiden mit "The Con" so konsequent wie nie ein. Unabhängigkeit in Sachen Songwriting, Sound und gesamtkünstlerischer Gestaltung ist ihnen immens wichtig. "Nach einiger Zeit im Geschäft beginnst du, eigene Ideen zu entwickeln. Du denkst dir: 'Ich möchte nicht, dass ein anderer die Entscheidungen trifft, ich möchte die Sachen selber in die Hand nehmen.'"

"Das ist mit einer ganzen Menge Arbeit verbunden, aber am Ende, wenn du dann vor dem Ergebnis stehst, weißt du, dass es das Wahrhafteste ist, das du erzielen konntest." Ich war auch früher mit ganzer Seele dabei, aber jetzt weiß ich, dass ich sogar mehr daraus machen kann. Weil ich mehr Erfahrung mit den Instrumenten habe. Weil ich mehr Erfahrung mit Songwriting habe und mehr Erfahrung mit der Arbeit an einem Album. Wie soll sich das Album anhören? Welche Aussage soll bei den Leuten ankommen? Wie möchte ich es den Medien präsentieren? Wie kann ich ein Album machen, dass die Zeit übersteht und einen bleibenden Eindruck hinterlässt?"

Und siehe, es wurde ein Kreis

Kanadas Exportschlager agiert auf sämtlichen Spielfeldern mit viel Überlegung, Devise: erst Denken, dann Handeln. Mit einem Gesamtkonzept im Hinterkopf auch für das Albumarrangement? Die Nummer fünf hinterlässt nämlich keinesfalls den Eindruck einer losen Sammlung einzelner Singles. "Es war nicht so, dass ein thematisches Konzept von Anfang an feststand. Aber bei der Art, wie und wo es aufgenommen wurde, wie das visuelle Drumherum aussieht, hatten wir sehr konkrete Vorstellungen im Kopf."

Die Reihenfolge der Tracks wurde diesmal ebenfalls mit deutlich mehr Bedacht als früher festgelegt. "Wir wollten etwas Zyklisches erschaffen. Etwas, das einen Kreis nachahmt; an einer Stelle beginnt und sich einmal um sich selbst drehen lässt. Ein Song wie 'Are You Ten Years Ago' zum Beispiel, den wir mit elektronischen Drums eingespielt haben, hätte auf einer unserer früheren Alben keinen Sinn ergeben. Aber innerhalb von 'The Con' steht er im Zusammenhang mit dem Rest. Wir wollten erreichen, dass das Album am Ende ein sinnvolles Ganzes ergibt."

Es ist eine Art Fortsetzungsroman geworden. Den Anfang macht "I Was Married", ein zaghaftes Duett zum Thema Hochzeit und den unwillkürlichen Kontrollverlust, wenn Menschen einander zu Magneten werden. Den finalen Schlusspunkt setzt der Trennungsakt "Call It Off", ein Reigen aus Chaos, (Selbst-)Zweifeln, Misstrauen und Schwindel. "Wir begannen fast genauso, wie man anfängt, wenn man ein Buch schreibt", bestätigt Sara. "Von 'I Was Married' aus arbeiteten wir uns vorwärts."

Method Acting

Dabei geben Tegan And Sara dem Hörer zunächst einmal die sicheren Ohrwürmer. Hängen die dann an der Leine, "können wir etwas mit ihnen spielen und sie mit Ungewöhnlichem herausfordern. Am Ende führen wir die Hörer diesmal wieder zurück zum anfänglichen Thema, mit dem wir begonnen haben. So wie du auch ein Buch liest, so wie jemand eine Geschichte auf der Leinwand erzählt, so wie du auch ein Bild malst."

Dass die Band die Tracks in der exakten Reihenfolge der CD eingespielt hat, klingt fast ein wenig nach Method Acting. Sara: "Ja, das kann man so sagen. Als wir mit der Arbeit am ersten Song anfingen, hatten wir noch diese frische Energie. Wie zu Beginn einer neuen Beziehung. Nach knapp zweieinhalb Monaten Aufnahmen landeten wir schließlich beim letzten Track - und fühlten uns fast so ausgelaugt wie am Ende einer langen Partnerschaft. Wir waren am Ende der Beziehung angelangt und auch am Ende des Albums."

Andererseits, und hier schließt sich der Kreis wieder, ist ein Ende auch immer der Anfang von etwas Neuem, von Hoffnung. "Du kannst jederzeit und an beliebiger Stelle wieder zurück zu den Songs, sie nochmals betrachten oder eben auch etwas ganz Neues starten."

Three is a family!

"The Con" entstand unter der Beteiligung von Death Cab For Cutie-Drummer Jason McGerr, Matt Sharp von The Rentals und Weezer, AFI-Bassist Hunter Burgan und Ted Gowans, dem Tourgitarristen von Tegan And Sara. Erstmalig produziert hat Chris Walla, ebenfalls of Death Cab For Cutie-Fame, in seinem Portlander Studio Hall Of Justice. Und wie die Making-Of-DVD schon ahnen ließ: Mit Chris lässt es sich prima zusammenarbeiten. Auch Sara kommt gleich ins Schwärmen.

Die Kooperation mit Walla habe die ganze Band weitergebracht, sie wachsen lassen. "Er ist so ein Sweetheart. Chris wird nie ungeduldig. Ich konnte mich zum Beispiel stundenlang so wie jetzt mit ihm unterhalten und er war immer völlig begeistert." Walla widme sich als Produzent der Musik genauso, wie es die Künstler täten. "Er ist vollkommen eingetaucht und ich glaube, dass er tatsächlich bei allen Dingen so vorgeht."

"Er ist so leidenschaftlich engagiert, wie man es sonst vielleicht nur mit dem eigenen Baby ist. Du läufst herum und verkündest 'Mein Baby ist das schönste!'. Und andere Leute schauen dich nur entgeistert an und denken 'Ja ja, du liebst es, weil es eben dein Baby ist.' Aber Chris stieg in den Entstehungsprozess ein, als wäre er der dritte Elternteil. Kannte jedes Wort, jede Note. Er hat uns soviel Selbstvertrauen gegeben." Walla stand ihnen auch beratend bei, als es darum ging, die sorgfältig produzierten Lieder live umzusetzen.

Besser verstehen mit Pop

Für die Bühnenperformance gilt es, den Songwriting-Prozess wieder umzukehren und den Prototyp hinter den vielen Aufnahmespuren hervorzuholen. Zurück zum Kern, zur Seele der Lieder: Gitarre, Gesang, hooky Melodie. Dahinter verbirgt sich kein Dylanscher Dekonstruktivismus, sondern Dienstleistung mit Hintergedanke. Zunächst gibt das Duo seinen Fans das Erwartbare. Und dann, erklärt Sara erneut mit einem Augenzwinkern, wenn sie ihnen aus der Hand fressen, folgt live das Unerwartete, das "something extra," als Sahnebonbon. Aufgrund der eingangs erwähnten Konzertreise 2007 dürfte der Überraschungseffekt zumindest diesmal allerdings weitestgehend ausbleiben.

Aber wie sieht er eigentlich aus, der Tegan And Sara-Liedkern? "Pop!", antwortet mir mein Gegenüber am Ende. "Ich mag Popmusik. Ich höre die unterschiedlichsten Sachen. Aber als Künstlerin bin ich gerne und zuallererst Popmusiker. Pop, wie Prince Pop ist. Obwohl ich nichts mit der Art anfangen kann, wie er seine Lieder performt. Er schreibt Popsongs - und dann zieht er sie in die Länge, holt sich zehn Minuten lang an seiner Gitarre einen runter. Aber mit dem Kern seiner Lieder kann ich etwas anfangen."

Sara besitzt definitiv kein Interesse daran, einen Song zu schreiben, den die Leute nicht verstehen, weil er abgedreht und merkwürdig ist. "Wenn ich selber ein Song schreibe, dann ziele ich auf etwas, das an der Oberfläche schlicht erscheint. Ich bin eher eine komplexe Person und finde es besonders aufregend, meine Persönlichkeit in einfachere Lieder zu stecken. Um mich dadurch selbst besser zu verstehen."

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Tegan And Sara

Nur acht Minuten trennen die beiden Zwillingsschwestern, als sie 1980 das Licht des kanadischen Calgary erblicken. Lange halten es Tegan und Sara aber …

Noch keine Kommentare