24. August 2009

"MTV spielt keine große Rolle mehr"

Interview geführt von

Im Juni erschien "Jedes Tier", das mittlerweile vierte Album der Wahl-Berliner Tele. Ein guter Anlass, sich mit Sänger und Texter Francesco Wilking mal ausführlich zu unterhalten.Fast zehn Jahre nach ihrer Gründung sind Tele ganz heimlich, still und leise zur festen Indie-Institution in Deutschland geworden. Bereits 2000 veröffentlichen sie ihr Debüt "Tausend und ein Verdacht" im Eigenvertrieb, drei Jahre später legt das Indie-Label Tapete Records das Album neu auf.

Im Juni 2009 veröffentlicht die Band "Jedes Tier". Dazwischen liegen zwei Alben, eine Afrika-Reise im Auftrag des Goethe-Instituts, ein kurzer Ausflug zum Major-Label und ein zehnter Platz beim "Bundesvision Song Contest" von Stefan Raab im Jahr 2007.

Gesprächsstoff gibt es also zu Genüge, als sich Sänger und Texter Francesco Wilking am Telefon meldet.

Ich fange gleich mal mit einer etwas indiskreten Frage an: Könnt ihr inzwischen von eurer Musik leben?

(Zögert) Jein, also wir können in bestimmten - sagen wir mal - Jahreszeiten von der Musik leben. Wir können sicherlich nicht von Plattenverkäufen leben, aber das kann heute ja kaum jemand mehr. Wir können in dem Moment davon leben, in dem wir viel spielen, auf Tour oder Festivals: das sind eigentlich unsere Einkünfte. Und wenn wir mal 'ne Zeitlang keine Konzerte spielen - so wie das jetzt der Fall war, weil wir uns im Studio eingeschlossen haben, um aufzunehmen - sieht’s schon schwieriger aus.

Habt ihr Nebenjobs?

Zum Teil, ja. Es gibt so Leute, die alles Mögliche machen, allerdings immer auf freier Basis. Niemand ist irgendwo fest angestellt, das würde ja auch gar nicht gehen, wenn jemand ständig kommt und sagt: "Ich bin jetzt mal zwei Monate weg".

Ihr seit ja nach dem Ausflug zum Major (mit dem Album "Wir brauchen nichts") wieder beim Indie Tapete gelandet. Was nimmt man denn da als Band oder Musiker an Erfahrungen mit?

Ach ... Eigentlich muss ich sagen, ist das nicht so glamourös, wie man sich das jetzt vielleicht denken könnte. Als Band macht man da eben so sein Ding. Man unterschreibt da zwar seinen Vertrag, aber das meiste bleibt gleich: man nimmt die Platte auf, spielt Konzerte ... Die Zeiten, in denen Major-Labels bestimme Kanäle für sich offen hatten, die kleinen Labels verwehrt waren, sind da auch vorbei.

Aber bei Marketing und Promo geht da doch schon mehr, oder nicht?

Von der Promo her eigentlich nicht. Die Online-, Fernseh-, und Radio-Promo ist inzwischen selbst bei Majors-Labels ausgelagert, das machen die nicht mehr selbst; sondern oft kleine, freie Firmen, teilweise dann die selben wie bei den Indies. Klar machen die da so ein paar Sachen, die bei einem Indie-Label nicht möglich sind, die drucken dann mal 20.000 Plakate oder so.

Die Majors haben das Geld eben lockerer sitzen, aber mittlerweile schon auch nicht mehr so. Die Zeiten, in denen Universal 500.000 Euro für ein Söhne Mannheims-Video ausgegeben hat, sind vorbei.

Spielen Videos überhaupt noch eine Rolle im Zeitalter des Internets?

Videos spielen schon eine große Rolle, aber auf einer anderen Ebene. Die Leute wählen jetzt selbst aus, wann sie was angucken wollen. Wenn sie eine Band kennen lernen, und sehen möchten, wie die Typen aussehen, gehen sie eben zu YouTube ... MTV spielt keine so große Rolle mehr.

Ich habe beim neuen Album, vor allem beim Opener "Cecile (Ich nenn dich Sissi)", den Gitarren-Sound der Red Hot Chili Peppers rausgehört, obwohl ich die Band, abgesehen vom Funk-Faktor, nicht zur Grund-Koordinate von Tele erklären würde.

Ja, also als Grundkoordinate, wie du so schön gesagt hast, würde ich sie auch nicht bezeichnen. Aber es ist eine gute Band, der erstaunlicherweise immer wieder gute Lieder gelingen. Sie sind sehr kreativ und überraschend, sehr kluge und talentierte Musiker, von daher will ich das auch nicht von mir weisen. Und was die Gitarren angeht, ist es ja wirklich nicht so unmöglich, da Parallelen zu ziehen.

Wir haben schon immer Bands bewundert, die ihren eigenen Sound haben. Also keine Band, die vielleicht einen guten Song oder gute Texte haben, sondern: einen eigenen Klang. The Police, beispielsweise, ich mein, das ist ein alter Hut, aber da muss Sting gar nicht anfangen zu singen - da weiß man sofort Bescheid.

"Wir sind Indie, weil wir wenig Platten verkaufen"

Welche Platten oder Bands liefen denn bei euch in letzter Zeit?

Das kann ich gar nicht so genau sagen, was auch damit zu tun hat, dass wir so viele Leute sind, und wahrscheinlich würde da jeder von uns jemand anderen nennen. Einige waren ganz angetan von eher ruhigerer Musik, Sachen wie den Fleet Foxes. Meine aktuelle Lieblingsplatte ... dDas kann ich so gar nicht sagen. Ich hab wieder viel älteres gehört, Nina Simone, Billy Holiday und mal wieder Bob Dylan. Aber auch neue Sachen, die ich gut fand, die Platte von den Yeah Yeah Yeahs beispielsweise. Stefan würde jetzt wahrscheinlich Iron & Wine nennen, das ist eine amerikanische Band, also auch ganz typisch amerikanisch, vom Sound her ...

Ihr seid musikalisch sowieso eher amerikanisch beeinflusst, wenn man sich mal Arrangements, den Klang der Gitarren und den Einsatz der Keyboards anschaut, oder täusch ich mich da?

Als?

Als, beispielsweise, britisch, oder auch deutsch. Man könnte bei einer deutschen Band ja auch Einflüsse wie Krautrock ins Feld führen

Vom Sound her sicherlich, ja. Da spielen auch frühere Soul-Sachen eine große Rolle. Beim Songwriting kann man das nicht so genau sagen, da weiß man ja nie genau wo die Einflüsse überhaupt herkommen.

Vielleicht liegt das dann an den ähnlichen Einflüssen, auf jeden Fall hab ich das Gefühl, dass sich die – zumindest letzten beiden – Vorgängeralben gar nicht so sehr unterscheiden, wie man anfangs noch dachte. Beim ersten Hören von "Wir brauchen nichts" beispielsweise unterschied sich der Sound sehr, wirkte im Gegensatz zum Vorgänger entschlackt, die Keyboards waren mehr in den Vordergrund gerückt. Aber wenn man es mit etwas Abstand betrachtet, sind die Platten doch verdammt ähnlich, oder?

Ja, das stimmt, obwohl es mich dieses Mal wirklich wundert, weil wir viele Sachen neu gemacht haben, neue Techniken ausprobiert haben. "Jedes Tier" haben wir zum Teil komplett live bei Moses Schneider eingespielt. Und hinterher hört man sich's an, und merkt: das ist jetzt wieder 'ne Tele-Platte geworden ...

... Was im Sinne der eigenen Sound-Signatur ja ein gutes Zeichen ist. Siehst du trotzdem Unterschiede zu den vorigen Alben? Was ist das "Besondere" an "Jedes Tier"? Inwiefern hat sich die Band auch weiterentwickelt?

Bei "Jedes Tier" sind wir, zumindest meinem Gefühl nach, etwas aus unserem "normalen" Songwriting rausgegangen. Wir haben es nicht darauf angelegt, dass am Ende alles glasklar ist, sondern jedem Song das Gewand verliehen, das er verdient. Es gibt mehr akustische Elemente, oder beispielsweise den Opener, der aus unglaublich vielen Teilen besteht. Die Platte ist für mich heterogener, vom Spektrum her breiter.

Ich hab mal gelesen, dass die Band Phoenix für euch ein Vorbild darstellt. Für mich wär das absolut stimmig, denn ich mag die Musik sowohl von euch als auch von Phoenix. Ihr wart ja auch auf Tour mit denen ...

Wir mögen die auf jeden Fall sehr gerne, wir haben uns auf der Tour auch sehr gut verstanden. Als Vorbilder würde ich sie trotzdem nicht bezeichnen, ich denke eher, dass beide Bands ähnliche Vorbilder haben. Wir haben uns auch sehr viel über Musik unterhalten, wie wir zusammen unterwegs waren und gemerkt, dass wir gleiche Vorlieben, gleiche Arbeitsweisen haben ... Wenn man deren neue Platte jetzt hört: ist auch wieder 'ne typische Phoenix-Platte geworden. Für mich ist das eine Mischung aus "Alphabetical" und "It's Never Been Like That".

Wenn du von gleichen Einflüssen von euch und Phoenix sprichst: im Strophen-Intro von "Die Zeiten ändern sich" haben mich diese Keyboard-Hits stark an Daft Punk erinnert ...

Das war nicht als Zitat gedacht, aber Daft Punk ist eine Band, die wir alle gut finden, die sehr viel bewegt hat, was Sounds angeht.

Eure Musik ist ja auch sehr groovy und hat diesen Tanz-Aspekt der französischen Elektroniker. Ich frag mich auch oft, warum mir gerade Tele so gut gefallen, weil Indie-Pop nicht so meine Musikrichtung ist, und ich glaube, dass das dieser elektronische Einschlag ist.

Wir sind eigentlich auch keine Indie-Pop-Fans ...

Ihr werdet aber zumindest immer in diesen Kontext gerückt.

Ich glaube, wir zählen einfach zu den Indie-Pop-Bands, weil das die sind, die nicht so viele Platten verkaufen. Bei Juli oder Silbermond würde ja nie jemand auf die Idee kommen, die als Indie zu bezeichnen, weil das einfach viel zu große Geschütze sind.

"Münchner Freiheit haben die Schwelle überschritten"

Ist es euer tanzbarer Sound, der euch von Label-Kollegen wie Anajo unterscheidet?

Könnte man vielleicht schon sagen. Bei Anajo geht's hauptsächlich um die Songs, erst in zweiter Linie um die Umsetzung. Bei uns geht's oft einfach nur ums Spielen. Das Lied "Foto" haben wir bei Moses in einer Art Session in 20 Minuten am Stück eingespielt. Moses stand mit uns in einem Raum, und hat gerufen "Okay, jetzt noch mal den Refrain, Strophe, Zwischenteil" - und am Ende haben wir daraus den Song zusammengeschnitten. Das ist kein klassisches Songwriting im eigentlichen Sinne. Wir entwickeln Lieder oft aus Jams.

Wir waren ja auf dieser Tour in Afrika, das war für uns eine wahnsinnige Erfahrung. Und wahrscheinlich funktionierte das deswegen so gut, weil, wie du vorhin sagtest, unsere Musik auf eine Art und Weise ziemlich funky ist. Das Publikum hat einfach getanzt, da standen die Texte dann nicht mehr so sehr im Vordergrund.

Du hast dich mal über einen Münchner Freiheit-Vergleich im Zusammenhang mit "Wovon Sollen Wir Leben?" aufgeregt. Konntest du diesen Schlager-Bezug denn gar nicht nachvollziehen? Fühlt man sich da beleidigt?

Na ja, das ist eben die Art von Musik, das Softe, das bei den Leuten diese Schlager-Assoziation hervorruft. Aber für mich ist Schlager immer was Falsches. Münchner Freiheit haben diese Schwelle überschritten, die haben oft kitschiges Zeug gemacht. Wir mögen zwar den Kitsch-Aspekt, aber purer Kitsch, das ist nichts für uns.

Aber ich hab da schon mein Frieden gemacht, mit dem Schlager-Ding, das kam jetzt auch schon länger nicht mehr.

Ihr seid eher eine Band fürs Goethe-Institut als für die Charts. Da räumen dann, wie du vorhin sagtest, Bands wie Juli, Silbermond oder die Sportfreunde Stiller ab. Ist das nicht ungerecht?

Nee, würde ich so nicht sagen. Das funktioniert wie die Quote im Fernsehen. Reich-Ranicki hat sich beim Fernsehpreis ja beschwert, er könne das alles nicht ertragen. Ich finde, da hat Thomas Gottschalk, auch wenn das kein sympathischer Typ ist, ganz gut gekontert, und gesagt, wie's eben läuft: wenn man weit kommen will, muss man dieses und jenes machen. Wenn nach zehn Minuten bei "Wetten dass? ..." keine halbnackte Frau auf dem Sofa sitzt, schalten die Leute eben um. Wer da mitmacht, verkauft mehr, wer nicht mitmacht, weniger Platten.

Aber ihr würdet bei "Wetten dass? ..." auftreten?

Wir würden schon spielen, wenn wir dort unser Ding machen könnten. Wenn jemand kommen würde und sagen: "Passt auf, ihr müsste Gruft-Rock oder Dancehall-Rap machen, was wollt ihr?", dann würden wir da natürlich nicht spielen.

Was wärst du denn dann eigentlich geworden, wenn das mit der Musik nicht geklappt hätte? Schriftsteller?

Wahrscheinlich irgendetwas in die Richtung, ja. Ich schreib auch jetzt schon immer wieder, frei, für Zeitungen und Magazine, auch Geschichten. Es hat aber neben der Musik keinen so hohen Stellenwert.

Dann können wir also bald mit einem Buch von dir rechnen? Um was würde es da gehen?

Wenn ich wüsste, dass das Buch jetzt in einem Monat in den Druck gehen würde, dann wären das wahrscheinlich Kurzgeschichten und Gedichte. Für Romane habe ich einfach nicht die Luft. Mich fasziniert das zwar, wenn jemand Monate und Jahre an einer Geschichte sitzt, aber ich kann mir das nicht vorstellen.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Tele

"Es ist schon komisch, wenn man, nur weil man Deutsch singt und Synthies benutzt, auf einmal mit Münchener Freiheit oder Purple Schulz verglichen wird", …

Noch keine Kommentare