Porträt

laut.de-Biographie

Viper

Lee Arthur Carter aka Viper hat es geschafft, in einem Atemzug mit DIY-Outsidern wie Ivan Zoloto, John Fahey, dem unvermeidlichen Based God oder gar Daniel Johnston genannt zu werden. Das liegt nicht nur an seinem quantitativ abartigen Output, sondern an der Art und Weise, wie Viper Musik macht: ausschließlich aus dem Bauch heraus und ohne jede Rücksicht auf Konventionen oder gar auf ökonomischen Erfolg. Dabei begründete er en passant ein ganzes Subgenre mit: Cloud Rap, insbesondere dessen Spielart Mumble Rap. Einen gewaltigen Einfluss auf Vaporwave, die er ab 2016 in sein Ouevre aufnahm, darf man ihm aber auch unterstellen. Diese Wandelbarkeit, gepaart mit seiner Wiederkennbarkeit ist es, die dem Texaner immer wieder neue Leben in den Untiefen des Internets beschert, kurz bevor sich niemand mehr für ihn interessiert und die Paradoxie seiner Person gut symbolisiert.

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Eine Diskographie zusammenzufassen ist schlechterdings jedoch kaum möglich. Nach zahlreichen Ausflügen in die Tiefen des Internets muss man sich der Zählweise von rateyourmusic.com anschließen, die zwischen Alben mit ausschließlich (!) neuem Material und den aberhunderten Veröffentlichungen (mindestens 1.600) mit Duplikaten unterscheidet, die zumeist auf seinem eigenen Label Rhyme Tyme erscheinen. Wohlgemerkt besteht längst nicht jedes Release mit Duplikaten ausschließlich aus Duplikaten, darüber hinaus ist es aufgrund teils nur geringer Änderungen durchaus umstritten, welche Songs eigentlich als Duplikate zählen. Nach dieser Zählweise ist das 2022 erschienene "Pussy Boy Ill Kill Ya (All I Need Is Tha Money)" vermutlich das neunzehnte Album mit Eigenmaterial, das sich ob seiner (relativen!) Zugänglichkeit auch als Einstieg in das Werk des Houstoners anbietet.

An dieser Stelle merkt man schon, welche zwei Attribute für Viper besonders markant sind, die auch seine Hörer mitbringen sollten: Anstrengungsbereitschaft und Humor. Was genau Viper von seinen teils unhörbaren Releases, die an einen besoffenen Merzbow in einer Karaokebar erinnern, in der nur Southern Rap-Songs verfügbar sind, ernst meint, ist unklar. Bei zunehmender Beschäftigung mit Viper meint man, zu erkennen, dass es ihm genauso geht. Teil des Gags am Musiker Viper ist, dass viele seiner Releases zwar völlig konform mit seinem Stil erfolgen, aber eine avantgardistische Genialität durchblitzen lassen, die einen baff zurücklässt. Zwar hört sich niemand auf der Welt nach Viper an, Viper sich aber durchaus ein Stück weit nach Houston: chopped and screwed, die von DJ Screw geprägte Houstoner House-Variante, quillt in Vipers Werk an allen Enden heraus.

Und so folgt Viper seinem eigenen Motto: "Wenn du einen guten Song hast, klingt er besser, wenn man ihn rückwärts abspielt", so geäußert auf Old Soul FM 94.3 Takoma Park im Jahr 2016. Dies macht er dann auch nach Gutdünken. Heraus kommt schräger Outsider-Rap, gerne in Autotune ersoffen, sofern er nicht seinen hallenden Bariton bemüht, für den man die eigenen Scheuklappen ganz weit aufmachen muss. Nicht nur musikalisch, sondern umso mehr in den vordergründig bizarr hohlen Gangster-Texten sowie Album- und Songtiteln stellt sich die Frage: Wie weit geht Vipers Ironie? Diese Frage stellen sich zunehmend Menschen weltweit, als das 2008 erschienene "You'll Cowards Don't Even Smoke Crack" 2013 auf Youtube auftaucht und Millionen Views einfährt.

Seine Fans, darunter sein sklavisch an seinen Lippen hängendes reddit, unterstellen dem MC, er transportiere tiefgründige Messages, die nur möglichst direkt und dumm transportiert würden, um auch den letzten Deppen zu erreichen. Viper selbst lehnt diese Lesart wahlweise brüsk ab, gerne mit völlig übersteuerten und sich widersprechenden Begründungen, so sagte er 2013 Vice:
"Ich schrieb "Cowards", als ich gerade bei meiner Gang 5-9 Piru einstieg. Ich habe mit meinen Gangbrüdern Crack verkauft und wir mussten bei jeder Ladung ein bisschen was probieren, um sicherzugehen, dass wir 1A-Qualität hatten, sonst stimmten die Verkäufe nicht."

Allerdings braucht Viper für Albumtitel wie "Cops Can’t Read " (wovon es sieben Teile gibt) oder "The Pen Ain’t Mighta Than My Pistol " natürlich einen Sprachwitz und eine Ironie, die seiner Ernsthaftigkeit zuwider stehen. Hat er Spaß in seinen wenigen Interviews, bricht er seinen eigenen Charakter quasi ununterbrochen, allerdings ohne in einen "Normalzustand" zurückzukehren, er gibt sich nur anders weird. So gab er ebenfalls mal zu Protokoll, bei "Cowards " ginge es eben nicht um Crack, sondern um Selbstermächtigung; bei der Gelegenheit betonte er auch, er sei Death Grips-Fan. Ein vielschichtiger, seltsamer und dadurch liebens- und lohnenswerter Charakter also, der schon längst nicht mehr aus seinem eigenen rabbit hole entkommen mag. Dazu gehören bei Viper auch immer Anspielungen auf seine angebliche Maklertätigkeit, die er für abgedroschene Wortwitze ebenso wie für gerappte Angebote für Beteiligungsscheine an seiner angeblichen Firma benützt.

Die Carters scheinen ihren Kindern eine kreative Ader in die Wiege gelegt zu haben, Lees Bruder Greg ist ein durchaus erfolgreicher Filmproduzent, 2022 verantwortet er als Autor das wohlwollend aufgenommene "Hip Hop Family Christmas Wedding". Auch für Lee war 1997 mal Platz in einem Film, im von der Rezension hochgelobten "Fifth Ward". Zum Soundtrack dieses Films trat Viper unter dem Namen "J-Ride" zum ersten Mal als Rapper auf, wenngleich er schon seit frühester Kindheit rappte. Er war Mitglied der lokalen Rapcrew "Screwed Up Click", bei der, und nun wisst ihr, wie irre diese Welt ist, auch George Floyd (ja, genau der) Mitglied war.

Vipers erster eigener Release erscheint 2004 als Lee Dogg mit "Hustlin' Thick", einem noch recht traditionellen Rap-Album. 2006 ändert er seinen Namen in Viper und schon mit dem im selben Jahr erscheinenden "Ready And Willing" beginnt der musikalische Trip ins Nirgendwo, für den Viper heute bekannt ist. Wobei es nicht ganz stimmt, dass Viper "nur" für seine Musik bekannt wäre. Sein popkultureller Einfluss fußt wesentlich auf seinen exzentrischen, amateurhaften Albumcovern, deren seltsamer Magie man sich kaum entziehen kann. Zeitweise war Viper DAS Meme der entsprechenden Foren. Meist bestehen die Cover von Viper aus einem Selfie und einem billigen, irrsinnigen Schriftzug; das reichte, um zur Legende zu werden.

NEEM blog gelingt es 2022, den als "Tom" firmierenden Urheber der meisten dieser Cover ausfindig zu machen, der die Arbeit mit Viper allerdings schon Jahre zuvor einstellte. Tom sprach in den Jahren ihrer Zusammenarbeit anscheinend nur zwei, drei Mal überhaupt mit Viper, der ihm eine Liste mit Badezimmer-Selfies und tausenden Albumtiteln übersandte, verbunden mit der Aufforderung, eine Kombination rauszusuchen. So wurde Kunst geboren.

"Ya'll Cowards Don't Even Smoke Crack (YOU'LL COWARDS DON'T EVEN SMOKE CRACK II)" war für Weihnachten 2022 als Nachfolger seines Durchbruchalbums angekündigt, bislang jedoch nicht veröffentlicht.

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Surftipps

  • Vipers Bandcamp

    eine Ansammlung von Irrsinn

    https://rapperviper.bandcamp.com/releases

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