laut.de-Kritik
Das Erbe bewahren, ohne den Fortschritt zu verschmähen.
Review von Yan TemminghoffIm Zuge der Arbeiten an "The Quest" kristallisiert sich heraus, dass die altehrwürdige Prog-Kapelle Yes mehr zu sagen hat, als das Doppelalbum aufnehmen kann. Nicht einmal zwei Jahre später steht mit "Mirror To The Sky" der Nachfolger in den Läden und bietet erneut value for money mit 64 Minuten Spielzeit, die das Erbe berühren, aber Fortschritt nicht verschmähen.
Die musikalisch relevante erste CD bietet Raum für kurze und schmissige Songs wie die erste Single "Cut From The Stars" oder "Living Out Their Dream". Das abschließende balladeske Kleinod "Circles Of Time" drückt angesichts des Todes von Alan White sowie der luftigen Produktion gehörig auf die Tränendrüse. Die New Age-Lyrics wirken angesichts der multiplen Krisen wie das Pfeifen im Walde, gehören halt zum Gesamtpaket der britischen Prog-Legende.
Bleiben noch die Longtracks, die einen bedeutend längeren Atem von Seiten des Hörers einfordern. "All Connected" ist ein Melodien-seliges Monument eines Songs, das in seiner Rondo-artigen Anlage an "Roundabout" erinnert, das wiederum seine Spuren in den Spätsiebziger-Werken von Rush hinterlassen hat. Nicht umsonst bediente Geddy Lee bei der Aufnahme von Yes in die Rock'n'Roll Hall Of Fame bei dieser Nummer den Bass, anstelle des 2016 verstorbenen Chris Squire.
Der dreizehnminütige Titelsong beginnt mit einer versprengten Gitarren-Melodie, um die geschickt der Bass von Billy Sherwood sowie das Piano von Geoff Downes gewoben werden. Steve Howe behält in der folgenden instrumentalen Passage das melodische Zepter in der Hand. In der im klassischen Gewand gestalteten Gesangspassage taucht Jon Davison aus dezenten Streichern und Bläserarrangements in das Traumgebilde ein. Das orchestrale Gepräge trägt den Track die kommenden Minuten und bietet die ideale Wohlfühloase für Davisons androgyne Vocal-Darbietung, die natürlich Band-kompatibel an die Melodieführung des prägenden Frontmanns Jon Anderson angelehnt ist. Nach einer Replik an den eröffnenden Part leiten die fünf Musiker über in einen sphärischen instrumental-Teil, der sowohl Ambient-Klänge, zarte Klassik-Einschübe wie eine beeindruckende Gitarrenarbeit, die sich aus elektrischem wie akustischem Saitenkönnertum speist, beinhaltet.
Das ist tatsächlich Musik, wie sie nur Yes spielen und möglich machen können. Dieser Stil war Genre-prägend und ist heutzutage ein Stück mehr generisch, dabei so detailliert und liebevoll umgesetzt, dass es eine wahre Freude ist, beim Lauschen mitzuschwelgen. Howes jazziges und weitestgehend cleane Spiel beeinflusste Generationen von Gitarristen wie Flower King Roine Stolt oder Markus Steffen von Subsignal/Ex-Sieges Even.
Die zweite CD, die auch nur aus drei Songs mit einer Spielzeit von fünfzehn Minuten besteht, trübt den positiven Eindruck. "Unknown Place" spendiert ein verunglücktes Blues-Riffs, das zwar abgestimmt durch die Instrumente durchgereicht wird, mit den zahlreichen Wiederholungen aber nicht an Wert gewinnt. Die abschließenden beiden kurzen Songs als Pop-Geplätscher abzutun, wäre despektierlich ob der vorherigen Leistung der Musiker. An die auf dem ersten Rundling platzierten Songs reichen diese aber bei weitem nicht heran.
2 Kommentare mit 2 Antworten
Bin absolut positiv überrascht! Hätte ich so von den alten Herren nicht mehr erwartet…
Naja abgesehen von Steve Howe und Geoff Downes ist der Rest der derzeitigen Besetzung gar nicht soooo steinalt
nette Reminiszenz an Heaven & Earth; auch so viele Kindergartenmelodien.
Interessant! Das finde ich gar nicht. Für mich liegen - Gott sei Dank - Welten zwischen den beiden Alben. Liegt vielleicht auch am frischen Wind durch die „Neuen“ an Bass und Schlagzeug. Generell ist das Feedback zu „Mirror to the sky“ doch sehr positiv.