laut.de-Kritik

Ein Ohrenschmaus für Individual-Touristen.

Review von

Andreas Dorau findet immer wieder eine gute Idee, um ein neues Album zu veröffentlichen. Erst letztes Jahr schenkte er sich zu seinem 60. Geburtstag elektronische Synthie-Blumen mit "Im Gebüsch". Für sein neues Album packt er seinen Koffer und rollt durch das historisch-kulturell und kulinarisch wertvolle Wien. Nach der österreichischen Hauptstadt wird es dann auch gleich benannt. Die Songs sind kleine, individuelle Reise-Inspirationen. Österreich hat man zurzeit vorwiegend politisch wieder auf dem Schirm, aber plötzlich denkt man lieber an die köstlichen Mozartkugeln, die große Palette an Mehlspeisen und den persönlichen Lieblingsfilm "Before Sunrise". Ja, auch "Der Dritte Mann" spielt in Wien eine große Rolle und gehört zu Andreas Lieblingsfilmen.

Schon bei "45 Lux" geht das Tanzbeinschwingen los. Die eingängige Melodie und die Stimme Doraus klingen vertraut und laden zum Mitmachen ein. Egal ob man lässig dazu die Finger schnippt oder gemütlich im dämmrigen Laternenlicht durch die Gassen swingt. Mit den flotten Beats und diesem Hauch 1980er-Nostalgie freundet man sich sofort an.

Andreas ist der etwas andere "Tourist". Ab sofort nennen wir ihn liebevoll Andreas Donau. Er führt uns mit seinen Augen und Interessen durch die Stadt der duftenden Sachertorte und dabei müssen es nicht die Top-Sehenswürdigkeiten sein. Eher im Gegenteil. Wenn du aber gerne Städte von oben betrachtest oder stundenlang auf der Kirmes abhängst, dann solltest du auch mal die Aussicht vom Riesenrad am Prater genießen. Andreas will das aber gar nicht. "Runde Um Runde", da wird ihm nur schwindelig und außerdem knackt es überall: "Das Ding ist 80 Jahre alt. Es knirscht und mir ist kalt."

Die Stadt an der Donau besuchte er nicht nur zu Recherchezwecken für seine neue Platte, sondern war schon damals mit den Eltern häufiger dort. Auf dem Weg nach Italien gab es immer mal wieder einen Zwischenstopp in der Stadt. Heute besingt er die Urlaubslaune mit "Vienna Sur Mer". Wer träumte nicht davon, dass seine Lieblingsstadt am Meer liegt? Das war allerdings noch vor Klimakatastrophen und Tsunami. Jeans Team schwelgten übrigens auch schon 2004 von "Berlin Am Meer".

Architektonisch hat Wien auch einiges zu bieten. Neben Barock und Jugendstil gibt es zahlreiche Bauwerke aus der Gründerzeit. Ein Augenschmaus für Urban Sketcher und den Individual-Touristen. Doch Dorau betrachtet lieber die schiefen Decken eines ganz normalen Gebäudes und beschreibt in "Verbautes Haus" die Tristesse eines verdreckten Mietshauses, so wie man es oft in Großstädten sieht. Erbsengrau, düster und traurig. Entsprechend melancholisch klingt die Melodie dazu.

So vielfältig seine Gedanken und Ideen sind, so zahlreich auch die Gäste, die "Wien" mit aufmischen, textlich und musikalisch. Da wären, zum Beispiel Zwanie Jonson (Produzent und eigentlich fast immer mit dabei), Lars Precht (von Blumfeld), Albrecht Verderber (ebenfalls Blumfeld), Superpunk und bester Kumpel Carsten Friedrichs, Gunther Buskies (Tapete Records) und die wunderbare Stefanie Schrank. Sie ist nicht nur bei Locas in Love dabei, sondern veröffentlicht auch fleißig ihre Solo-Hits ("Schlachtrufe BRD") und begleitet auch gerne mal Andreas auf Konzertreise. Auf diesem Album singt sie mit ihm "Lass Uns Spazieren Gehen". Und nein, Andreas mag es nicht, spazieren zu gehen, denn er braucht immer ein Ziel, wenn er losgeht. Darum geht es in dem Song aber auch gar nicht. Hier treffen zwei außergewöhnliche Stimmen auf- und harmonieren miteinander.

Sehr viel lieber mag Andreas da schon Erfindungen. Dazu kann er sich stundenlang Videos oder Dokumentationen anschauen. Ein Denkmal setzt er dem ungarischen Erfinder, Mechaniker und Architekten Wolfgang von Kempelen mit dem Stück "Wolfgang Von Kempelens Sprechmaschine". Dazu sollte man sich tatsächlich ein paar Clips anschauen. Bei seiner Promotour durch die Plattenläden diverser Städte zeigte Andreas gerne dieses Beispiel eines Nachbaus des Sprechapparates. Im Song erklärt er die Funktion und Leistung des Gerätes. Wieder ein Beweis dafür, dass man mit Musik nicht nur wunderbar abtauchen, sondern auch viel lernen kann.

Abseits von Klischees und Wiener Schmäh erleben wir mit Andreas eine unterhaltsame Stadtrundfahrt der besonderen Entdeckungen und Momente. Doraus Pop-Melodien sind genau die richtige Mixtur für diese trüben Tage im Februar 2025. Natürlich packen wir jetzt alle unsere Koffer und fahren nach Wien. Denn auch da scheint irgendwann mal wieder die Sonne.

Trackliste

  1. 1. 45 Lux
  2. 2. 431 42
  3. 3. Vienna Sur Mer
  4. 4. Runde Um Runde
  5. 5. Ich Kann Nicht Schlafen
  6. 6. Alles Ist Gleich
  7. 7. Tourist
  8. 8. Verbautes Haus
  9. 9. Hinter Jalousien
  10. 10. Der Regen In Wien
  11. 11. Mädchen Mit Herz
  12. 12. Lass Uns Spazieren Gehen
  13. 13. Wolfgang Von Kempelens Sprechmaschine

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