laut.de-Biographie
Beth Gibbons
Als Sängerin von Portishead avanciert Beth Gibbons dank ihrer dramatischen Stimme und ihrer düsteren Ausstrahlung in den frühen 90er-Jahren zur Vorzeigedame des Trip Hop. Allerdings tut man der Britin Unrecht, sie einzig und allein darauf zu beschränken, denn im Laufe ihrer langen Karriere entfernt sie sich immer mehr von dem Genre, nimmt ein ruhiges Singer/Songwriter-Album auf, tritt auf Alben von Annie Lennox, Jane Birkin und Joss Stone als Gastsängerin in Erscheinung und wagt sich gar an eine Sinfonie heran.
Sie erblickt am 4. Januar 1965 im englischen Exeter das Licht der Welt und wächst mit ihren beiden Schwestern auf einer Farm auf. Außerdem muss sie schon in jungen Jahren mit der Trennung ihrer Eltern klarkommen. In ein neues Leben bricht sie erst mit 22 Jahren auf, als sie nach Bath zieht. Doch bietet die Kleinstadt nicht viel, um sich selbst zu verwirklichen. Dementsprechend versucht Beth kurze Zeit später in Bristol ihr Glück.
Dort feilen Massive Attack zu Beginn der 90er an einer noch nie dagewesenen Mixtur aus Elektronik, Soul, Jazz und Dub, die sich wenig später unter dem Genrebegriff Trip Hop etabliert. Ihr Debüt "Blue Lines", auf dem auch ein gewisser Geoff Barrow mitwirkt, erscheint 1991. Barrow betätigt sich schon zuvor als Remixer und Produzent für Acts wie Depeche Mode, Paul Weller und Primal Scream. Zu jener Zeit nennt man ihn noch wenig schmeichelhaft "the guy from Portishead", Bezug nehmend auf die kleine Hafenstadt.
Noch im selben Jahr begegnet er Beth Gibbons, die sich in einer Werbeagentur ein paar Pfund dazuverdient. Zuerst tauschen die beiden Tapes untereinander aus, jedoch ohne Aussicht auf eine weitere Zusammenarbeit. Barrow möchte mit Portishead erstmal Solo-Wege beschreiten. Als der Erfolg auf sich warten lässt, kommt er wieder auf sie zu. Die zwei komponieren zunächst den Score zum zehnminütigen Film "To Kill A Dead Man", der auf die Spionage-Movies der 60er verweist. Dort nehmen sie zusätzlich kurze Rollen ein. Danach veröffentlichen sie mit Portishead die Single "It Could Be Sweet". Kurz danach stößt Jazz-Gitarrist Adrian Utley zur Band dazu.
Als Trio entsteht der Track "Sour Times". 1993 komplettiert Toningenieur Dave McDonald das Line-Up. Im Anschluss ergattert die Formation mit einem 3-Track-Demo einen Plattenvertrag bei Go! Records. Dort erscheint 1994 ihr Debüt "Dummy", das neben massenweisen Samples aus Soul, Jazz und Fimmusik laut Barrow "Elektronik mit menschlichem Antlitz" bietet und die Band mit einem Schlag ins Rampenlicht katapultiert. Mit der Single "Sour Times" erobern die Briten sogar den amerikanischen Markt. In ihrer Heimat zeichnet man das Album mit dem Mercury Prize aus, der Start einer fulminanten Indie-Karriere.
Erst 2002 nimmt Beth Gibbons eine Solokarriere in Angriff, gemeinsam mit Paul Webb alias Rustin Man, einst Mitglied der wunderbaren Talk Talk. Webb versteht sehr viel von Blues und Folk, weswegen die Stimme der Britin auf "Out Of Season" im größtenteils akustischen Gewand noch mehr ins Zentrum des Geschehens rückt als bei Portishead.
2004 betätigt sie sich als Gastvokalistin für Joss Stone, Jane Birkin und Rodrigo Leão. Mit Portishead teilt sie sich 2005 zum ersten Mal zusammen mit Massive Attack die Bühne. 2006 steuern sie "Requiem For Anna" für das Serge Gainsbourg-Tribute-Album "Monsieur Gainsbourg Revisited" bei. 2007 ist die Britin Teil der Gästeliste auf dem Song "Sing" des Annie-Lennox-Albums "Songs Of Mass Destruction".
2008 lösen sich Portishead auf "Third" endgültig von ihrer Trip Hop-Vergangenheit und greifen Einflüsse aus Blues, Industrial und Krautrock auf. Seine Vorliebe für das letztgenannte Genre lebt Barrow ab 2009 vermehrt mit seiner Zweitband Beak> aus. Und Gibbons? Die zieht sich völlig aus dem Musik-Business zurück. Erst 2014 taucht sie mit einer Coverversion von "Black Sabbath" der gleichnamigen Band, die gemeinsam mit den Black Metallern von Gonga entsteht, überraschend aus der Versenkung auf.
Als wenn das nicht schon kurios genug wäre, bekommt sie eine Einladung des Promoters Filip Bercowicz, der 3. Sinfonie Henryk Mikolaj Góreckis, besser bekannt als "Sinfonie der Klagelieder", ihre Stimme zu leihen. Gibbons stellt sich der Herausforderung und unterzieht sich einem langen Vorbereitungsprozess. Sie erhält bei Caroline Jaya-Ratnam in England und später bei Anna Marchwinska in Polen Gesangsunterricht, da das Werk eine Sopran-Sängerin erfordert, sie aber für klassische Verhältnisse ein Alt besitzt, das eine Stimmlage darunter liegt. Den polnischen Text lernt sie in- und auswendig, obwohl sie kaum ein Wort in dieser Sprache versteht.
Im November 2014 begeistert die Britin zusammen mit dem Sinfonieorchster des Polnischen Rundfunks unter der Leitung Krzysztof Pendereckis das Publikum im The National Opera Grand Theatre in Warschau. Den umjubelten Auftritt halten auch Kameras fest. Die Aufzeichnung von "Henryk Górecki: Symphony No. 3" erscheint aber erst 2019 auf CD und DVD.
Die Ankündigung ihres ersten richtigen Solo-Albums überrascht die Öffentlichkeit im Frühjahr 2024. Auf "Lives Outgrown" reflektiert die 59-jährige Sängerin Themen ihres bisherigen Lebens, darunter ihre Mutterschaft, Ängste, die Sterblichkeit und ihre Wechseljahre, die sie als "krasse Prüfung" beschreibt. Gibbons produziert die Platte gemeinsam mit James Ford (u.a. Arctic Monkeys, Depeche Mode) und Talk-Talk-Drummer Lee Harris.
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