laut.de-Kritik

Ja, es funktioniert!

Review von

Dass Black Country, New Road zurückkommen, war keine Selbstverständlichkeit. Schließlich handelte es sich bei Isaac Wood, der wenige Tage vor dem Release von "Ants From Up There" seinen Abgang verkündete, nicht nur um das emotionale Zentrum des Kollektivs, sondern auch seinen Sänger, der mit seinem zittrigen Sprechgesang den einzigartigen Sound der Band entscheidend prägte. Der im Februar 2023 veröffentlichte Konzertmitschnitt "Live At Bush Hall" bestärkte als Zeugnis einer Übergangsphase mit überwiegend nur soliden Songs die Zweifel. Solide zu sein, kann nicht der Anspruch einer Band sein, die mit ihrem Zweitling eines der besten Alben der laufenden Dekade vorlegte. Viele Fragen drängen sich auf. Die drängendsten: Inwiefern ändert sich der Sound der Band? Kann der Abgang Woods aufgefangen werden? Funktioniert "Forever Howlong"?

Ein Cembalo-Intro, eine Trompete und ekstatischer Gesang: "Besties" lockt mit fröhlichem, eingängigem Barockpop, der an die frühen Vampire Weekend erinnert, noch auf eine falsche Fährte. Fröhlich? Diese Band? Durchaus. Das ein oder andere düstere Augenzwinkern erlaubt sich Georgia Ellery in ihrem gekonnt eingesungenen Text aber dennoch: "I'm a walking TikTok trend / But the colour runs out in the end."

Zudem zeigt bereits der ungewöhnliche Umfang der Lyrics des Openers, dass Black Country, New Road nicht in textliche Mainstream-Pop-Reduktion verfallen. Im Gegenteil, an die Stelle des mitunter schmerzhaft direkten Seelenstriptease Woods treten viele Metaphern: "We chopped off your arms / Chopped off your beautiful purple hair, säuselt May Kershaw recht yorkeesk im operettenhaften "The Big Spin", ehe sie in Obst-Metaphorik zu Altsaxophon- und Mandolinenklängen verfällt. Dass das nie prätentiös oder gar albern gerät, sondern fasziniert, verdankt sich auch dem variablen Gesang Kershaws. Moment mal: May Kershaw? War nicht soeben noch von Georgia Ellery die Rede? Korrekt! Die drei Damen in der Band schrieben nicht nur den absoluten Großteil der Lyrics des Albums, sondern teilen sich auf "Forever Howlong" auch den Gesang auf.

Als neue größte Stärke des zum Sextett geschrumpften Kollektivs entpuppen sich die Longtracks, in denen meilenweit abseits vom Strophe-Refrain-Strophe-Schema musiziert wird. "Socks" macht in dieser Hinsicht den Anfang. Tyler Hyde intoniert zu Lewis Evans' Saxophon und Ellerys Geige einen sich über drei DIN A4-Seiten erstreckenden, wunderbar poetischen Text. Für die kaum durchdringbare Struktur, ungewöhnliche Instrumentierung und den expressiven Gesang in Songs wie "Socks" findet sich in der aktuellen Musiklandschaft kein Äquivalent. Von fern grüßt jedoch – nicht zuletzt aufgrund der Saxophonpassagen – Peter Hammill, der viel zu unbekannte Herr des Van der Graaf Generators. In diesem Musikbusiness ist still life, möchte man dem großen Poeten in Anlehnung an sein Meisterwerk aus dem Jahr 1976 angesichts seiner geheimen Erben zurufen, die sich ebenso jeder klaren Genrezuordnung verweigern. Progressive Folk mit Klezmer-Einflüssen? Passt wohl am ehesten. Von der Rockmusik – und das ist wohl neben dem Gesang der gewichtigste Unterschied zu den beiden Vorgängern – entfernt sich die Band fast vollständig, Luke Mark greift häufiger zur Akustik- als zur E-Gitarre.

Nicht jeder Ton der drei Sängerinnen sitzt, aber jeder Ton unterstützt die bizarr-schöne Atmosphäre. Georgia Ellerys Falsettgesang im Mittelteil des Closers "Goodbye (Don't Tell Me)" berührt gerade weil Ellery hinsichtlich der Tonhöhe hörbar an ihre Grenzen gelangt – etwas, das Castingshowkonzipierer und -verehrer mit ihren Vorstellungen einer perfekten (und letztlich sterilen) Stimme nie verstehen werden. In der sechseinhalbminütigen, im besten Sinne unberechenbaren Räuberballade "Two Horses" liefert sie gesanglich wie textlich ihr Meisterinnenstück ab. Ob in abstrakten Worten wie denen des bezaubernd eingesungenen "Salem Sisters" oder in sehr direkten wie in "Mary": Stets finden die Bandmitglieder nicht nur außergewöhnliche, sondern auch treffende Sprachbilder über Freundschaft, Liebe, Kuchenbacken, Reisen, Mobbing und Hexenverbrennung, zementieren ihren Status als begabteste Poeten der aktuellen Musiklandschaft.

Unzeitgemäß und gerade deshalb zeitlos fällt auch die Produktion des Albums aus. Mit James Ford heuerten Black Country, New Road einen großen Namen an. Der lässt die Band etwas räumlicher klingen als auf den beiden Vorgängern, vermeidet aber Soundspielereien – und macht damit alles richtig. Mitunter klingt "Forever Howlong" wie ein Livealbum – eines, das von echten Virtuosinnen und Virtuosen an Percussion, Akustikgitarre, Saxophon, Cembalo, Mandoline und Co. eingespielt wurde, versteht sich.

Sie hätten es sich einfach machen können: einen neuen Sänger finden, der Isaac Wood imitiert, bis an ihr Karriereende die Crowdpleaser ihres Opus magnum "Ants From Up There" spielen und neue Songs in exakt demselben Stil aufnehmen. Aber Black Country, New Road machen es sich alles andere als einfach, ersetzen Isaac im Kollektiv, spielen ihre alten Songs konsequent nicht mehr, weil es sich für sie falsch anfühlen würde, und finden eine geringfügig neue musikalische Identität. Allein diese Herangehensweise verdient Respekt. Dass sie nach ihrem Neustart abermals ein nicht nur mutiges, sondern auch herausragendes Studioalbum – und nichts anderes ist "Forever Howlong" – vorlegen, verdient mehr als das, nämlich Bewunderung. Um die Ausgangsfrage eindeutig zu beantworten: Ja, es funktioniert!

Trackliste

  1. 1. Besties
  2. 2. The Big Spin
  3. 3. Socks
  4. 4. Salem Sisters
  5. 5. Two Horses
  6. 6. Mary
  7. 7. Happy Birthday
  8. 8. For The Cold Country
  9. 9. Nancy Tries To Take The Night
  10. 10. Forever Howlong
  11. 11. Goodbye (Don't Tell Me)

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