28. Juni 2011
"Das Gefährliche sind die Bild-Leser"
Interview geführt von Michael EdeleMit ihrem 2007er Album "Vanitas" gelang den Broilers ein sprunghafter Anstieg ihrer Popularität. So richtig sprang der Funke dann nach den Shows im letzten Jahr über.Nun legten die Düsseldorfer vor wenigen Wochen mit ihrer neuen Scheibe "Santa Muerte" nach. Höchste Zeit also, mal bei Fronter Sammy nachzufragen, wie man sich als neuer Rockstar so fühlt. Der zeigt sich vom steigenden Bekanntheitsgrad weitgehend unbeeindruckt und will von der Bezeichnung Rockstar nichts wissen.
Stattdessen ist der Mann gut mit Arbeit eingedeckt, steht doch noch das Artwork für die neuen Tour-Shirts auf dem Plan. Dennoch nimmt er sich ein paar Minuten Zeit für uns.
Sammy, vor wenigen Tagen erschien euer neues Album "Santa Muerte". Wie kommt man denn auf so einen Titel – der heilige Tod?
Klingt doch schön, hehe. Bei uns ist es ja schon so etwas wie eine Tradition, dass wir nicht so leicht verständliche Titel haben. "Vanitas" oder "Lo-Fi" schlugen ja auch schon in die selbe Kerbe. Es ist auf jeden Fall wichtig, dass die Titel als Wort gut klingen und bei den Menschen eine gewisse Fantasie oder Reaktion auslösen.
Es kann sich eigentlich jeder was drunter vorstellen, aber wenn man tatsächlich mal nachforscht, was der Titel bedeutet, kommt oftmals noch etwas ganz anderes dabei heraus. In unserem Fall ist "Santa Muerte" eine fiktive Stadt. Ein anonymer Ort mit Palmen, Wolkenkratzern und ein bisschen Strand, ein bisschen absurd eigentlich. Aber dieser Ort ist Sinnbild für die Inhalte des Albums.
Du arbeitest offensichtlich sehr fantasievoll, was das Album-Konzept angeht. So habe ich bei deinen Texten auch immer das Gefühl, dass man als Hörer in gewisser Weise direkt angesprochen wird und Teil des Geschehens ist.
Sowas wurde mir schon einmal gesagt. Dennoch schreibe ich eigentlich hauptsächlich aus der Ich-Perspektive.
Das ist schon richtig, aber man hat das Gefühl, dass man mit dir am Tisch sitzt, deinen Texten zuhört und sozusagen eine gemeinsame Erinnerung durchlebt.
Perfekt. Wenn das tatsächlich so funktioniert, ist das super und freut mich total. Ich liebe das jedenfalls, wenn Bands das bei mir schaffen. Wenn sie mich mit ihrem Texten miteinbeziehen und mir die Gelegenheit geben, sie für mich selbst zu deuten. Ich bin oft ganz schön enttäuscht, wenn ich die Texte englischsprachiger Bands für mich interpretiere und irgendwann über Linernotes stolpere und letztendlich war der Text über was vollkommen Profanes. Deswegen will ich auch, dass sich unsere Fans ihre eigenen Gedanken über meine Texte machen. Die sollen das gar nicht alles so verstehen und deuten können, wie ich das tue. Das wäre langweilig.
Versuchst du den erhobenen Zeigefinger dabei bewusst zu vermeiden oder ist es eher deine Art, Zustände zu reflektieren und eigene Gedanken preiszugeben?
Es gibt erstaunlich viele Leute, die finden, ich solle doch einfach mal ein wenig mehr mit dem erhobenen Zeigefinger agieren und auf bestimmte Sachen direkt hinweisen, aber das ist nicht mein Ding. Man gerät damit schnell ins Predigen und das überlasse ich dann gerne anderen Bands, die das besser können.
Auf Konzerten mache ich schon deutlich, was mich anpisst. In Texten spiegele ich lieber einen Zustand wider und mache klar, dass man etwas daran ändern sollte, wenn man mit dem Ist-Zustand nicht zufrieden ist. Wenn man nur rumsitzt und wartet, wird sich nichts ändern.
In deinen Texten legst du aber auch eine deutliche Vorliebe für Asphalt und Städte an den Tag. Was fasziniert dich denn so daran?
Tja, was soll ich sagen? Ich liebe Städte einfach. Ich bin in Düsseldorf geboren und groß geworden. Allerdings nicht im Zentrum, sondern – wie alle hier in der Band – eher am Stadtrand. Für uns war es immer was Besonderes, mit dem Zug in die Innenstadt zu fahren. Düsseldorf ist jetzt kein Moloch wie New York, aber mittlerweile wohne ich in der Innenstadt und finde das absolut großartig. Das könnte ich nur noch steigern, wenn ich nach New York käme.
Ich stehe einfach auf dieses urbane Leben. Ich freue mich nach wie vor jedes Mal, wenn ich auf meinen Balkon zum Innenhof gehe, wo es eigentlich total ruhig ist, aber man dennoch immer den Atem der Stadt spürt. Auf der anderen Seite gibt es viele, die Städte gar nicht abkönnen. Unser Produzent konnte zum Beispiel viele meiner Texte und die Bilder die darin aufgeworfen wurden, gar nicht verstehen, einfach weil er auf dem Land lebt.
"Thilo Sarrazin ist nicht eloquent - zum Glück!"
Warst du denn schon einmal in New York oder einer anderen US-Großstadt?Nein, leider nicht. Das ist einer meiner großen Träume.
Ist das dann dein nächstes Reiseziel oder willst du dir das gerne noch ein wenig aufsparen für die Zukunft?
Also das nächste Reiseziel ist erst mal Urlaub allgemein, aber das ist momentan in keiner Weise abzusehen (lacht). Jetzt stehen natürlich erstmal Interviews und tausend andere Sachen an. Ich hab gerade das Artwork für das neue Tour-Merchandise abgeschlossen, die nächsten Webisodes müssen noch gedreht werden und mein Nacken dankt mir das schon wieder mit höllischen Schmerzen.
Stress schlägt mir immer sehr auf den Nacken und es wäre momentan einfach großartig, wenn ich mich irgendwo an den Pool legen und relaxen könnte. Aber das dauert wohl noch eine ganze Weile.
Was würdest du als Stadtmensch denn tun, wenn du mal eine Woche in einer Blockhütte in Kanada ausgesetzt würdest?
Das fände ich gar nicht mal so schlimm. Vor allem würde ich mich freuen, wenn ich es dann auch schaffen würde, Notebook und Handy zu Hause zu lassen. Dann wäre aber fast jeder Ort geil, egal ob Kanada oder Wüste. Wenn ich Urlaub mache, dann ist es für mich auch kein Problem, einfach mal nur rumzuliegen, ein Buch zu lesen und Musik zu hören. Das tut mir dann richtig gut. Ich muss in meinem Urlaub nicht zwingend Kultur erleben. Das könnte ich auch in Kanada machen. Oder ich zieh mir ein Holzfällerhemd an und lauf durch den Wald.
Und jagst mit der Axt einen Bären.
Ja, oder er mich (lacht).
Das Stadtleben ist also Haupteinfluss deiner Inspiration. Denkst du denn, dass eine komplett andere Umgebung, wie eben die Wildnis in Kanada ebenfalls als Inspiration dienen könnte?
Aber auf jeden Fall! Wie sich das dann auswirkt, kann ich natürlich nicht sagen. Ich besitze selber kein Auto und fahre überall mit öffentlichen Verkehrsmitteln hin, was ich auch sehr genieße. Außer in der Erkältungszeit, da habe ich als Sänger natürlich immer Paras, dass ich mich anstecke (lacht). Da beobachte ich immer gern die Menschen und schaue denen zu, was sie tun, versuche Stimmungen aufzufangen und diese in meinen Texten umzusetzen.
Das Geschehen um mich herum aber auch im Fernsehen hat natürlich Einfluss auf mich. Das politische Leben regt mich genauso auf, wie alle anderen Menschen und gibt mir mehr als genug Stoff für meine Texte.
Politische Themen stehen bei dir aber nicht sonderlich hoch im Kurs, oder?
Sag das nicht. Auf "Santa Muerte" würde ich fast behaupten, dass die Hälfte der Songs was Politisches haben. Wenn ich singe "Weckt Die Toten Auf", dann geht es ja nicht um morbide Faszination und Wiedererwecken, sondern dass man sich mit der aktuellen Situation auseinandersetzen und was daran ändern sollte. Was würde denn passieren, wenn Sarrazin nicht die Schnarchnase wäre, die er dankenswerterweise ist, sondern ein deutlich charismatischerer Mensch? Was, wenn er die Leute mit seinem Schwachsinn wirklich hätte begeistern können? Mancher Text auf dem Album hat seine politische Message zwischen den Zeilen.
Denkst du denn, dass Sarrazins Buch wirklich so viele Menschen auf seine Seite gezogen hat? Oder ist der Erfolg nicht eher damit zu erklären, dass die Leute sehen wollten, wie sich ein eigentlich gebildeter und angesehener Mensch mit seinen absurden Thesen und Theorien vollkommen entblödet?
Wenn wir zwei oder andere Menschen mit gesundem Menschenverstand uns über so etwas unterhalten, dann ist das natürlich absoluter Quatsch, was der da erzählt. Das Erstaunliche ist ja eben, dass da einer mit ausgeprägtem Bildungshintergrund so einen Scheiß verzapft. Das Gefährliche sind wiederum die sogenannten Bildzeitungs-Leser, die diesen Mist unreflektiert schlucken. Die versuchen dann ja auch nicht, im Detail heraus zu finden, wo denn die Ursachen für diese Problematik liegen. Die nicken dann einfach die großen Parolen ab: "Ja, das sind die Kopftuch-Mädchen und die Schnurrbart-Väter und die müssen alle verschwinden und aus Deutschland raus."
Sich mal an die eigene Nase zu fassen und zu erkennen, dass es mit der eigenen Arbeitsmoral auch nicht weit her ist, das ist dann schon wieder zu unangenehm. Wer könnte auch auf die Idee kommen, dass man als Deutscher ohne Spanischkenntnisse in Spanien nicht wie der Heiland empfangen wird? Da müsste man ja seinen Verstand einsetzen. Deswegen mögen viele die einfachen Aussagen der Bild-Zeitung oder eben Thilo Sarrazin. Wenn der Typ charismatischer oder eloquenter wäre, könnte der wirklich gefährlich sein. Gott sei Dank ist er das nicht.
Wenn du schon einen Text wie "Weckt Die Toten Auf" ansprichst: Mich erschreckt eigentlich am meisten, wie viel die Menschen heutzutage einfach so schlucken. Dass die Leute wie in Stuttgart tatsächlich mal wieder auf die Straße gehen und demonstrieren ist doch mittlerweile die absolute Ausnahme.
Da hast du absolut recht. Die Menschen sind viel zu satt und zufrieden und wenn sie das sind, äußern sie eben keinen Unmut. Ganz blödes Beispiel: Nimm mal die Kritiken auf laut.de. Wenn da von den Lesern irgendwelche Kommentare drunter stehen, dann sind das in aller Regel doch nur die, die mit irgendwas, sei es der Review oder der CD, nicht zufrieden sind. Wenn es nicht zwingend notwendig ist, beschäftigt sich doch keiner mehr mit den Missständen.
Die sitzen daheim vor der Glotze, geben sich DSDS und sind mit ihrer Tiefkühlpizza und dem Bier in der Hand zufrieden. Das ist ein zentrales Thema auf "Santa Muerte": Wenn du unzufrieden bist, musst du was ändern. Das sieht man doch an der schwindenden Wahlbeteiligung. Die Leute gehen da nicht mehr hin, weil sie sich denken: "Meine Stimme hat doch eh keinen Einfluss. Außerdem ist doch Sonntag, da will ich um die Uhrzeit erst recht nicht aufstehen." Sowas regt mich immer furchtbar auf.
"Springsteen war der Feind!"
Im Pressetext sagst du, dass du viel von klassischen Singer/Songwritern und großen Storytellern der englischsprachigen Musikszene gelernt hättest.Einer, der in der Punkrock-Szene mehr und mehr an Wichtigkeit zunimmt, ist bei mir erst vor ein paar Jahren in Erscheinung getreten. Ich rede von Bruce Springsteen. Den hatte ich als kleiner Punk zwar schon immer auf dem Schirm, allerdings als Feind! Ich hatte mich mit dem Song "Born In The USA" nie auseinandergesetzt und sah das fälschlicherweise immer als Loblied auf die USA an.
Damit war ich in prominenter Gesellschaft, denn Ex-Präsident George W. Bush glaubt das ja bis heute. Erst nachdem ich mich näher mit der Platte und vielen anderen Soloscheiben von Springsteen befasst habe, stellte ich fest, dass da stellenweise fast schon Punk drauf ist. Durch Springsteen habe ich gelernt, dass ein Song unglaublich viel Energie, Emotion und auch Wut ausdrücken kann, wenn er nur mit Akustikgitarre und Gesang intoniert wird. Das war eine Erkenntnis, zu der ich und auch der Rest der Band erst mal kommen musste. Der Regler muss nicht auf zehn stehen, wenn man Aufmerksamkeit generieren will.
So denken anscheinend auch viele andere im Punkbereich. Immerhin ist Springsteen ja nicht nur ein enger Intimus von Social Distortion-Fronter Mike Ness, sondern auch auf dem letzten Dropkick Murphys-Album als Gastsänger zu hören.
Ja, ich denke das ist so eine ähnliche Entwicklung wie bei Johnny Cash damals. Der hat durch die "American Recordings" seinen zweiten Frühling erlebt. Springsteen hat so etwas gar nicht nötig, der war eh immer ganz oben im Musikgeschäft dabei. Dennoch finde ich es bemerkenswert, wie viele Leute auf einmal schon immer Bruce Springsteen gehört haben wollen (lacht). Ähnliches wird wohl demnächst mit Tom Petty und Bob Dylan passieren. Und ja – ich bin jetzt beleidigt, weil ich mir Bruce Springsteen mühsam für mich erarbeitet habe und ihn jetzt nicht mit allen anderen Punks teilen möchte. So geht es nämlich auch grad bei einigen unserer Fans ab.
Plötzlich sind wir scheiße, weil viel zu viele andere Fans auch Broilers hören. Das ist an sich saudämlich, aber ich kann es voll und ganz nachvollziehen, weil es mir bei anderen Bands immer noch genauso geht. Aus Sicht der Fans ist das verständlich, aus Sicht der Band denkt man aber: Warum sollen wir so arrogant sein und nur vor einer Handvoll Leute spielen, wenn es so viele mehr gibt, denen wir auch was geben können?
Wann habt ihr denn festgestellt, dass ihr auf einmal Rockstars geworden seid?
Wir sind Rockstars? Das wäre mir aber aufgefallen (lacht). Rockstars sind für mich immer noch die Typen mit Lederhosen, vielen Tüchern irgendwo am Körper und der Jack Daniels-Flasche in der Hand. Da sind wir noch ein bisschen von entfernt. Zumindest von den Lederhosen und den Kordeln. Nein, Rockstar ist für mich ein blöder Begriff, aber jetzt, da wir langsam von der Musik leben können und das Ganze wesentlich fokussierter angehen, kann man uns mittlerweile wohl als Profis bezeichnen. Ob das auf Dauer klappt oder nicht – das müssen wir sehen.
Die letzten ein, zwei Jahre habt ihr jedenfalls einen enormen Sprung gemacht.
Das ist richtig. Die Festivals waren da bestimmt ganz wichtig. Vieles lief auch über Mundpropaganda. Das letzte Album ist immerhin vier Jahre alt und Werbung wurde dafür keine mehr geschaltet. Da bin ich schon ganz schön stolz drauf.
Gerade die DVD mit dem aufwendigen Booklet war wirklich ein geiles Package und wenn man das ein bisschen durchgeblättert und sich die DVD angeschaut hat, dann fühlt man sich richtig nah dran an der Band.
Sehr cool. Das war genau unsere Absicht hinter der ganzen Aktion. Die Leute so nah wie möglich an uns ran zu lassen. Wir konnten das anfangs gar nicht so richtig einschätzen, da sich DVDs in aller Regel ja nicht so gut verkaufen. Im Endeffekt lief es aber gut, vor allem wenn man bedenkt, in welcher Größenordnung wir uns als Band bewegen. Auch die Leute, die uns jetzt erst mit "Santa Muerte" kennen lernen, haben mit "The Anti Archives" sowas wie eine Best Of in der Hand.
So sehr ich das People Like You-Label schätze, die meisten Bands dort haben doch das Problem, dass sie musikalisch zwischen vielen Stühlen sitzen und das Label nicht so recht weiß, wie und wo es die jeweiligen Bands promotechnisch unterbringen soll. Mit The Bones klappt das ja irgendwie, weil die überall funktionieren. Aber gerade eine Band wie die Heartbreak Engines oder auch ihr – in welchen Printmedien oder ähnlichem findet ihr denn statt?
Schwer zu sagen. Gerade im Printbereich gibt es viele Magazine, die schlicht und ergreifend keinen Bock auf uns haben. Denen muss man dann sagen: Pass auf – ja, der Name ist scheiße (lacht). Aber hör einfach mal rein. Viele sind dann erst mal überrascht, weil sie bei dem Namen nicht diese Musik erwarten. Aber oft ist die Tür von vornherein erst einmal dicht. Damit haben die meisten anderen People Like You-Bands eben auch zu kämpfen.
Aber People Like You muss auch ein Label zwischen den Stühlen sein, anders kannst du eine Band wie uns und gleichzeitig Demented Are Go gar nicht unter Vertrag haben. Gerade Demented sind eine großartige Band mit ganz tollen Menschen, die kannst du aber schlecht groß vermarkten.
Das ist schon richtig, aber das dürfte nicht zu einem geringen Teil auch an der Unberechenbarkeit von Fronter Sparky liegen.
Das ist allerdings wahr. Aber wie und wo promotest du so eine Band? Das ist einfach verdammt schwierig.
Dann gib uns zum Schluss doch mal noch einen Buchtipp.
Hm, ich lese gerade "Hell's Angels" von Hunter S. Thompson. Kann ich aber nicht wirklich empfehlen (lacht). Was mir sehr viel Spaß gemacht hat, auch weil es eine leichte Lektüre ist, war "Kill You Friends" von John Niven. Von meinen Bandkollegen wurde mir andererseits "The Dirt" von Mötley Crüe ans Herz gelegt.
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