laut.de-Kritik
Nabelschnur durchtrennen und ab dafür.
Review von Michael SchuhWaren zur Person Cass McCombs zu Zeiten seiner wundervollen Indie Pop-Platte "Prefection" im Jahr 2005 noch ausschließlich Geburtsjahr (1977) und Sternzeichen (Skorpion) in Erfahrung zu bringen, gibt er drei Jahre später sogar schon Interviews.
Zum Beispiel dem Vice Magazine: "Musikjournalismus als Ganzes ist vom kreativen Prozess eines Künstlers völlig ausgeschlossen und das weiß jeder (...) Ich habe auch fast nie eine schlechte Meinung über Musik. Mir kommt es eher so vor, als seien diese Musik-Meinungsführer in erster Linie Einfaltspinsel. Männliche. Es sollte auf dieser Welt mehr Beiträge von Frauen geben."
Der eilfertige Eindruck, Cass McCombs bringe hier Manieren zum Vorschein, für die ein Lou Reed 30 Jahre lang hart schuften musste, täuscht. McCombs gilt als schüchterner und getriebener Romantiker, dessen künstlerisches Ansinnen sich darauf beschränkt, das Aufnahmestudio mit hochwertigen Kompositionen zu verlassen. Promotiontermine nehmen in seiner Welt den Rang eines Stubenarrests ein.
Domino, die neue Labelheimat des melancholischen Anti-Popstars, darf sich trotzdem freuen, denn "Dropping The Writ" - auf deutsch: eine Klage fallen lassen - gibt kaum Anlass zu selbiger. Überraschend organischer und wärmer als der Vorgänger produziert lässt McCombs mit allgegenwärtigem Gespür für bleibende Melodien wenig Zweifel daran, wie ernst er seinen Lohnerwerb nimmt.
Der Humor bleibt deshalb noch lange nicht auf der Strecke: Im Eröffnungssong wartet der gebürtige Kalifornier mit der erhellenden Neuigkeit auf, dass seine Nabelschnur vor 31 Jahren vom Großvater durchtrennt wurde, gefolgt von der durchaus T-Shirt-Slogan tauglichen Zeile: "Stick a needle in my eye / I'm middle class till the day I die."
Das auf einem Country-Beat glänzende "Pregnant Pause", "That's That" im Stile der frühen Go-Betweens und die zarte Beatles/Simon & Garfunkel-Versuchung "Full Moon Or Infinity" zeugen von einer Songwriting-Qualität, die bei 31-Jährigen viel zu selten vorkommt.
Sein von "Prefection" in Erinnerung gebliebenes Morrissey-Jauchzen ist heute fast ("Petrified Forever") gar nicht mehr erlebbar, erst ganz am Ende treibt er seine Stimme in "Wheel Of Fortune" nochmal überambitioniert die Tonleiter rauf. Für frisch verlassene oder einfach nur in der Musikschwemme des iTunes-Zeitalters Halt suchende Menschen ist Cass McCombs nach wie vor eine sinnvolle Wahl. So man sich nicht vom introvertierten Syd Barrett-Mandrax-Cover abschrecken lässt. Trotzdem: Sein nächstes Album darf eine Kollegin besprechen.
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