Porträt

laut.de-Biographie

DiscoCtrl

Augen auf, bei der Wahl des Künstlernamens! Sich "Disco" zu nennen, mag einem Rap-Anfänger in der neunten oder zehnten Klasse ganz brauchbar vorkommen. Spätestens wenn es irgendwann aber um Auffindbarkeit im Netz geht, zeigt der Name doch, vorsichtig ausgedrückt, kleine Schwächen.

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Das fehlende Alleinstellungsmerkmal findet sich im angehängten "Ctrl". Das liefert nicht nur die dringend nötige Unterscheidbarkeit, sondern zeugt auch von Crew-Love: Image Ctrl nennt sich das Kollektiv, in dessen Reihen DiscoCtrl im Oktober 2013 das erste Album "Better Living Through Image Ctrl" veröffentlicht. Vorher ist allerdings schon eine Menge passiert.

Der Mann, der später DiscoCtrl heißen soll, ist ein Kind zweier Kulturkreise. Er kommt in Berlin zur Welt. Die Beziehung der Eltern geht allerdings bald darauf in die Brüche, der Vater zieht ins texanische Austin. Dort besucht ihn DiscoCtrl regelmäßig, bis er mit zwölf Jahren ebenfalls in die USA übersiedelt. Zurück nach Berlin führt ihn sein Weg erst wieder mit Anfang zwanzig, als der Zivildienst ruft.

Die Eltern getrennt und ziemlich eingespannt, das bedeutet: Der Sohn bleibt viel sich selbst überlassen. DiscoCtrl verkrümelt sich in Fantasiewelten, in Science-Fiction-Geschichten und Videospiele und findet ein neues Zuhause in der Musik. Neben dem in den 90ern allgegenwärtigen Eurodance sozialisiert ihn vor allem Hip Hop. Der Vater und die große Schwester in den Staaten sind dem Rap schon lange verfallen, Freunde in der Schule erledigen den Rest. Der Sound der Ostküste und natürlich der aus dem dreckigen Süden hinterlassen die tiefsten Eindrücke.

Bald versucht sich Disco (da noch ohne Ctrl) selbst am Mic. Er textet - klar, er lebt zu diesem Zeitpunkt ja in Austin - auf Englisch, und bleibt auch später dabei: "Es ist die Sprache, in der ich angefangen habe, ich kann mich darin einfach besser ausdrücken", erklärt er im Interview mit noisiv.de. Der positive Nebeneffekt: Mit englischen Texten lassen sich potenziell viel mehr Menschen erreichen.

Die Hinwendung zur Musik beendet ganz nebenbei eine kleinkriminelle Karriere, ehe sie so richtig angefangen hat: "Ich kann hier echt keinen Mythos stricken", so DiscoCtrl rückblickend. "Es ging nie um mehr als um ein bisschen Gras. Ich war einfach ein bekiffter Schulschwänzer, der gelegentlich aus einem Zehner einen Zwanni gemacht hat" - und ab und an ein wenig sprühen gegangen ist.

Das US-amerikanische Rechtssystem zeigt allerdings wenig Nachsicht mit derlei jugendlichem Überschwang: Mehrere seiner Schulfreunde wandern für ähnliche Vergehen hinter Gitter. "Ich hab' den krassesten Schiss meines Lebens bekommen, weil ich zum ersten Mal bemerkt habe, an was für einem Abgrund ich da rumhampel'." Also verlegt er sich, ganz legal, aufs Rappen. Sein Geld verdient er unter anderem als Koch, ehe er "irgendwas mit Geisteswissenschaften" studiert.

Zum Produzieren kommt er erst mach seiner Rückkehr nach Berlin, in den Reihen von Image Ctrl, einem mehr oder weniger losen Zusammenschluss von zwei Produzenten, einem Grafiker, einem DJ und einem MC. Ihr Debüt legt die Crew im Oktober 2013 vor. Es soll zugleich die letzte gemeinsame Veröffentlichung bleiben: Die Einzelinteressen lassen sich zu schwierig auf ein gemeinsames Ziel hin ausrichten, die Mitglieder verlegen sich fortan auf Solo-Aktivitäten.

DiscoCtrl - Midnight Aktuelles Album
DiscoCtrl Midnight
Stimmiger Nachtflug mit Dirty South-Schlagseite.

So auch DiscoCtrl. Er verliert sich in der alternativen Szene der Hauptstadt und sein Herz an den Techno. Seinen eigenen Sound beherrschen aber düstere G-Funk- und Boom-Bap-Klänge, wie diverse Singles und die EPs "Dusk" und "Dusk 2" belegen. Seine Texte bezeichnet DiscoCtrl als "nicht unbedingt pessimistisch, aber realistisch".

Politisches und Persönliches gehen bei ihm Hand in Hand: "Ich verarbeite, was um mich herum passiert, in Musik", erklärt er gegenüber der Backspin. "Da gehört das Politische auf jeden Fall dazu."

Mit Kobito, mit dem er seit Jahren bekannt ist, nimmt DiscoCtrl einen gemeinsamen Track auf, obwohl ihm Features sonst eher schwer fallen: "Ich finde schwierig, mit anderen auf einen gemeinsamen Vibe zu kommen."

Sein Debüt-Album, das er im Herbst 2017 in einem Berliner Bunker aufnimmt, kommt deswegen auch mit sehr wenigen handverlesenen Gästen aus. "Midnight" erscheint im Juni 2018, wie schon diverse Singles zuvor, beim Hamburger Lieblingslabel Audiolith.

DiscoCtrl verdient sich mit Produktionen für andere, Film und Fernsehen, aber auch als Booker und Veranstalter sein Brot. Bei der eigenen Musik legt er entsprechend viel Wert auf den Live-Aspekt: "Viele Tracks ergeben erst richtig Sinn, wenn ich sie live spiele und sehe, wie die Leute damit interagieren."

Zugleich stellt aber auch jeder Track eine Art Selbstporträt dar. Kein Wunder also, dass er einem davon den Namen einer Malerin verpasst, die größtenteils ihrer Selbstporträts wegen Berühmtheit genießt: "Frida Kahlo".

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DiscoCtrl - Midnight: Album-Cover
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2018 Midnight

Kritik von Dani Fromm

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