laut.de-Kritik
Stimmiger Nachtflug mit Dirty South-Schlagseite.
Review von Dani FrommMeistens behalten weise Großmütter Recht mit dem bewährten Ratschlag, ein Buch bloß nicht nach seinem Umschlag zu beurteieln. Im Fall "Midnight" dürfen wir diese goldene Regel aber gerne einmal über den Haufen schmeißen: Selten hat eine Platte besser zu ihrem Coverartwork gepasst.
Die Lichter der nächtlichen Großstadt. Sternengesprenkelte, unendliche Weiten. Grüner Rauch. Ein Protagonist, der zwar prominent und recht zentral inmitten des Geschehens steht, sich aber trotzdem nicht aufdrängt - im Bild hat er dem Betrachter, so dezent wie angemessen gewandet in schwarzen Hoodie, den Rücken zugekehrt.
Der Schriftzug bringt dann noch ein bisschen erlesene Spätachtziger/Frühneunziger-Ästhetik mit, Erinnerungen an "Miami Vice" oder "Drive" springen aus den petrolblauen Lettern. Bisschen "Das Fünfte Element", auch das ... ja! Wie könnte klingen, was so verpackt ist? Wie sollte es klingen?
Wenn mich das jemand vorher gefragt hätte, ich hätte auf dunklen, raumgreifenden, sphärischen Sound getippt. Auf Synthies, aber nicht zu grell. Bisschen Scheppern, bisschen Fiepen, bisschen Gewabere. Auf grundsätzlich schon entspannte, aber trotzdem unterschwellig leise bedrohliche Stimmung, stets an der Grenze zum Kippen ins Gruselige. Leicht angeschrägt, aber nicht zu seltsam. Auf einen Rapper mit möglicherweise etwas angestaubter, aber durchaus interessanter Delivery.
Ich bin ein verdammtes Orakel. DiscoCtrl - von dessen quasi ungooglebaren Künstlernamen sich hoffentlich so wenige abschrecken lassen wie von den schweinchenrosafarbenen Sweatshirts, die er zu favorisieren scheint - liefert all das und verblüfft obendrein mit Dirty South-Schlagseite, die mir seit längst versunkenen Swishahouse-Glanzzeiten nicht mehr begegnet ist. Woran genau sich das festmachen lässt? Kein Plan, muss wohl am Vibe liegen. Der stimmt einfach von vorne bis hinten.
"Midnight" entführt auf einen mitternächtlichen Flug durchs All, hier und da macht eine Computerstimme eine Ansage oder quakt eine auf Zeitlupentempo heruntergescrewte Zeile dazwischen. Alle Systeme arbeiten perfekt. Einzelne Tracks bleiben - wie "Crystal Terrace" - instrumental. Meist jedoch gibt DiscoCtrl mit dunkler Stimme und hypnotischem Vortrag die Richtung vor, wahrhaftig ein "prince of tides", allein schon seiner Anziehungskraft wegen. Eine Flowdemonstration wie in "Symmetry" findet dann mühelos auch in unter zwei Minuten Laufzeit Platz.
DiscoCtrl rappt aber nicht nur, mit wenigen Ausnahmen gehen auch die Produktionen auf sein Konto. Alles größtenteils aus einer Hand, quasi. Abrupte Brüche in der Atmosphäre stehen so kaum zu befürchten - und bleiben entsprechend auch aus. Wer auf Abwechslung pocht (oder mit dem Soundbild generell nicht warm wird), darf mit Fug und Recht eine gewisse Eintönigkeit bemängeln. Die stört mich in diesem Fall allerdings gar nicht, so widerstandslos, wie hier alles ineinander greift und sich zu einem ganz eigenen Film fügt.
Wenn ich einen Aufhänger zum Nörgeln suchen müsste, wäre wohl eher die gefühlt endlose Spielzeit dran. Fünfzehn Titel hätten doch wirklich gereicht, muss man da echt noch einmal so viele Bonus-Tracks hintendran hängen? Immerhin beherrscht DiscoCtrl die hohe Kunst, sich innerhalb der einzelnen Tracks kurz zu fassen. Keiner zieht sich unnötig in die Länge. Wenn nach zweieinhalb Minuten (oder noch früher) alles gesagt ist: Deckel drauf, nächstes Stück. Diese Konsequenz beim nächsten Mal auch noch in der Trascklistgestaltung, bitte. Dann gibts zum Lob auch noch das Sternchen.
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