laut.de-Kritik
Bestes Helene-Album ever!
Review von Philipp KauseWeihnachten ohne Helene Fischer, das kennen Millionen Leute anders und verfolgten alljährlich ihre ZDF-Show am ersten Feiertag. Auf die dortigen Akrobatik-, Tanz- und Gesangsdarbietungen muss man 2025 verzichten. Doch in Adventsstimmung war Helene schon lange und spielte rechtzeitig mit Rolf Zuckowski und dem Hamburger Kinderchor Blankenäschen ein drittes gemeinsames Album ein, das dieses Mal bekannte Christmas-Klassiker aus dem deutschsprachigen Raum und eingedeutschte aus der anglophonen Welt umfasst, zuzüglich einiger Rolf Zuckowski-Stücke.
"Die schönsten Kinderlieder - Winter- und Weihnachtszeit" rückt die Definition ein wenig zurecht: Mit Weihnachten haben gerade die adaptierten englischen Lieder oft herzlich wenig am Hut, also beispielsweise "Schlittenfahrt", ursprünglich "Sleigh Ride", Easy Listening-Standard von 1948, "Rudolph, Das Kleine Rentier" (1949), basierend auf einer Auftrags-Fantasy-Story für eine Kaufhauskette, "Frosty, Der Schneemann" (1969) oder "Jingle Bells" (1857). Diese Nummern eignen sich prinzipiell in unserer Klimazone. Allerdings sind sogar in unseren Breitengraden die häufigsten Motive, Schnee, Schneemann, Schneeballschlacht, Schlitten und Rodeln selten geworden - die Künstlerin hat am Ammersee, wo sie inzwischen wohnt, wohl noch etwas öfter bepuderte Landschaften als die Blankenäschen in der Hansestadt. Wenig beachtet bei den kommerzieller orientierten Shopping-Dudel-'Weihnachts'liedern wird gemeinhin, dass in Ländern wie Brasilien, wo man ja auch das Fest Ende Dezember feiert, nie eine Flocke zu sehen war. Insoweit ist die Überschrift "Winterzeit" ehrlicher.
"Alle warten auf den ersten Schnee (...) träumen vom Schlittschuhlaufen und der Rodelbahn", trällert entsprechend Helene in Rolfs Komposition "Winterkinder". Das Kapitel Schnee-Stücke meistert sie bravourös. Herausragend gelingt gar die akustisch arrangierte, von den Blankenäschen toll performte Auffrischung des Drei-Viertel-Takt-Oldies "Schneeflöckchen, Weißröckchen".
Auf der anderen Seite führt der Begriff "Kinderlieder" in die Irre, sind doch "Jingle Bells" oder durchaus Christliches wie "Stille Nacht", "Alle Jahre Wieder" oder "Süßer Die Glocken Nie Klingen" Lieder für alle Altersgruppen. "Kinderchen, wie ihr euch freut, selbst wenn ihr schon 80 seid", formuliert das Zuckowski selbst in einem der Songtexte. Leider singt er im Opener mit, was der Platte nicht gut tut.
Der Einstieg "Bald Ist Weihnachten" schreckt nicht nur aufgrund der Darbietung mit kitschiger Synth-Panflöte und generischem Musikunterleger in dünnsuppigem Sound und durch die Kombination Rolf/Helene ab, sondern bereits mit dem Text: "Schenkt euch das Glück, das ganz leise die Herzen erfreut", beginnt die Millionärin recht abstrakt, "das Christkind ist geboren, darum fasst euch an den Händen / damit ihr es nicht vergesst", predigt Zuckowski und guckt auch noch einmal in die Herzen oder zumindest in eines: "Weihnachten leuchtet ins Herz hinein", woraufhin die ausgebildete Musical-Schauspielerin hoch und schrill intoniert: "Es strahlen die Augen so hell." - Man darf annehmen, dass die Nummer sich weder bei Erwachsenen noch Kindern zum Favoriten entwickelt.
Auch wenn sich dieser Einstieg kaum krasser hätte verkorksen lassen und auch das zweite Stück Toleranz erfordert, zumal die Schlagersängerin bei "Weihnachten In Familie" pathetisch Sinatra mimt, so lohnt sich die CD im Verlauf durchaus. "Weihnachten In Familie" erscheint aber schon deswegen als Fehlgriff, weil die verantwortliche Zensorin der DDR, Stasi-Mitarbeiterin Gisela Steineckert, es getextet hat, während sie ihr missliebige Titel zeitgleich untersagte oder umschreiben ließ. Gerade ihre Lyrik steckt voller Bezugsfehler und Weltfremdheit. Das Auftragslied für eine Heiligabend-Sendung des DDR-Fernsehens war von Anfang an auf einen Kinderchor ausgelegt. Mit all seinen leeren Phrasen entstammt es der Ideologie eines erodierenden Systems. Erstmals erschien es 1985.
"Sieh, wie die Kinder sich freu'n / wenn wir die Silbersterne auf ihr Bäumchen streu'n", so spricht im echten Leben niemand - und die Kids warteten voller Vorfreude auf West-Pakete. Aber ob das gemeint war mit dem Satz "Wir holen die Heimlichkeiten aus Verstecken 'raus"? - "Ich wünsche dir von Herzen Frieden und viel Glück", teilt Helene einem imaginären 'du' mit. Wer das ist, das wird aber nicht näher ausgeführt. 'Du' kann gemäß den vorangehenden Zeilen der Baum sein oder die Familie. Du Baum? Du Familie? Helene hinterfragt nicht weiter, sondern setzt treuherzig einen wackelnden Textbaustein auf den anderen. "Wir wollen in Gedanken alle bei dir sein / noch wärmer als die Kerzen strahlt so ein Augenblick."
Die ersten beiden Tracks begehen auch gleich eine Themaverfehlung, indem sie die Steppkes weder erkennbar zu Wort kommen lassen noch deren Perspektive einnehmen, sondern die Gastgeberin zur anleitenden besserwisserischen Kindergärtnerin erheben. Es sind Meta-Beobachtungen über Kinder, in einer hohlen, teils schleimigen und unkonkreten Poesiealbum-Wortwahl.
Dennoch lässt sich über diesen doppelten Fehlstart hinweg hören. Die oft unterkühlte Geschäfts-Lady beherrscht den Themenkreis "Winter- und Weihnachtszeit" überraschend gut. Für ihre Verhältnisse. Sicher, es gibt Stellen, in denen sie ihre Rolle als Vorsängerin für die Schüler:innen etwas aufgesetzt, gestelzt ausübt, und zur übermächtigen Gouvernante wird. In "Lasst Uns Froh Und Munter Sein" zum Beispiel, da wirkt sie in einer Mischung aus übertrieben opernhafter Klar- und Reinheit und einem hörbaren Dauergrinsen während des Singens wie eine dieser nervigen Radiomoderatorinnen, die vorschriftsgemäß Verkehrsstaus mit auseinander gezogenen Mundwinkeln optimistisch klingen lassen und als frohe Kunde vortragen.
Die Interpretationen geraten jeweils dort besonders riskant, wo man die Texte sattsam kennt und Fischers Versionen seltsam entrückt anmuten, brav, beamtenhaft. So würde man bei "Süßer Die Glocken Nie Klingen" in ihrer Darbietung eben nicht an 'süß' denken, sondern spontan an ein Klassenzimmer mit einer übermotivierten Referendarin für den Lehramtsberuf, die für ihr Staatsexamen eine große Mitmach-Show probt und die Kinder dabei nicht so wirklich mitreißt.
Der Piepmatz, den Zuckowski ihr für die erste Stimme in "Stille Nacht" ans Mikrofon schleppte, wird seinen Auftritt in ein paar Jahren mutmaßlich bereuen, wirkt ein bisschen zum Fremdschämen - "The Voice Kids" und "Mini Playback-Show" lassen grüßen. Allgemein würde ich das durchgekaute Lied aus dem Kirchenkanon auch lieber zum Beispiel von David Byrne interpretiert hören als von der gestrengen Schlager-Funktionärin.
Geradezu freudlos entwickelt sich "Leise Rieselt Der Schnee" mit dem metallischen Knacks in Fischers Kehle und ihrer pastoralen Betonung, so dass die Aufforderung "freue dich, 's Christkind kommt bald" eher wie eine Drohung wirkt - die Kids retten diesmal die Entertainerin und biegen die beliebte Vorfreude-Hymne gerade noch zurecht. Wenn Helene "stimmet alle ein in den Jubelton" verlangt, in "Fröhliche Weihnacht Überall", stimmt leider niemand ein. Einer der leicht vermeidbaren Konstruktionsfehler der Platte, der einen weiteren tiefen Kratzer in diesen unzweifelhaft besten Fischer-Longplayer sägt. Zu sehr versackt sie in einer Personality-Solo-Show, wo es gar nicht passt.
Freier, auch besser hören sich die Songs dort an, wo man einen englischen Text gewöhnt ist oder die Stücke nicht kennt. Wenn aus "Let It Snow" hier "Lass' Es Schneien" wird, sorgt die 41-Jährige für einen Hinhör-Effekt. Schön fügen sich hier das Sinfonieorchester und die kommentierenden und Background mimenden Kinderstimmen ein. Doch immerhin, unter den bekannten Hits kommt "O Tannenbaum" durchaus angenehm weg, majestätisch in Cello und Akustikgitarre verpackt. Die Blankenäschen singen dieses Mal häufiger und harmonischer als in den beiden vorigen Kinderlieder-Projekten.
In "Morgen Kinder Wird's Was Geben" ertönen sie sogar einmal durchgehend, was man ursprünglich für den Sinn der Veranstaltung gehalten haben mag. Sie jubeln, lachen, gluckern und untermalen Fischer, in einer Weise, gegen die man kaum etwas haben kann. Mehr Kinderlachen ziert "In Der Weihnachtsbäckerei" mit Zuckowskis Lieblingsthema, zuckrig-klebrigem Gebäck, Gegenstand mehrerer Beiträge auf der CD.
Ein bisschen Pädagogik scheint am Rande in "Rudolph, Das Kleine Rentier" durch, wenn zwei der Blankenäschen in die 'Moral von der Geschicht' einsteigen: "Genau, jetzt hast du's verstanden: Man darf nie aufgeben. In jedem steckt etwas Besonderes - auch in dir! / Und in dir!" - Der inflationär auf dem Album verbreiteten Freude steht in diesem Lied ausnahmsweise auch Traurigkeit entgegen, ein seltenes Spannungsverhältnis im Schlager-Kosmos. Gleichwohl sich das Album darauf fokussiert, dass alle Leute vor Frohsinn platzen, kriegt ja auch der Nachwuchs mit, dass der Advent mit viel Stress einher geht. In der Grundschule der Kinder einer Bekannten von mir kann aufgrund von Terminproblemen erst am 14. Januar die Weihnachtsfeier mit Performances der Klassen über die Bühne gehen - so weit ist es gekommen.
Diese Realität blendet man in der von Alex Christensen und Peter Könemann erschaffenen Klangwelt aus. Das mag kaum wundern, dürften die Aufnahmen lange vor der Geburt von Fischers zweiter Tochter, vermutlich schon im Frühling, vonstatten gegangen sein. Das ist naturgemäß das Problem fast aller Christmas-Alben: Sie entstehen nicht in der Atmosphäre, für die sie gemacht sind. Übrigens übte sich Helene Fischer früh, beteiligte sich an Schultheatergruppen, damals in den Neunzigern, als sie Teenager war. Somit war auch ihr erstes Publikum, wie bei vielen Knirpsen heute, die Elternschaft der Mitschüler:innen. Dankbar kann man sein, dass uns die Chor-Mentorin jetzt weder "Have Yourself A Merry Little Christmas" noch "Walking In The Winter-Wonderland" unterjubelt.
In dieser Sammlung der "schönsten Kinderlieder" funktionieren die schmissigen Nummern ebenso wie die ganz ruhigen besonders gut. Zuckowskis "Weihnachtszeit" basiert auf einem simplen Call-Response-Muster zwischen Helene als Lead-Stimme und den Blankenäschen als antwortenden Kehlchen in zweiter Instanz. Der Text ist banal, aber im Grunde auch egal, weil die Musik samt fetter Kick-Drum zündet. "Advent, Advent, Ein Lichtlein Brennt" ist in erster Linie ein Gedicht und profitiert von einer frischen Easy Listening-Jazzpop-Vertonung. In Summe kann man sich aus dem Aufgebot flink eine Playlist mit genügend brauchbaren Aufnahmen basteln, zumal die Lieder einigermaßen sinnvoll in der Tracklist gruppiert sind. Eins zu eins wahrgenommen, geriet der Tonträger jedoch zu armselig bezüglich des Blickwinkels der Dreikäsehochs und eine Spur schrill, und die Hauptinterpretin klebt etwas monoton in ihrem Schema. Doch ich bleibe dabei: Bestes Helene-Album ever!


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