laut.de-Kritik
Der verbotene Vorbote des DDR-Niedergangs.
Review von Philipp Kause"Tausend Augen unter der Matratze / tausend Augen schießen aus dem Busch". Herber Funk-Hardrock erklingt in diesem Eröffnungssong. Sängerin Tamara Danz stößt diese Zeilen druckvoll aus. Sie spuckt sie regelrecht mit Ekel aus, mit unterdrückter Wut. Der Dichter Werner Karma, Sohn eines Kommunisten, liefert der Band die Texte für das dritte Album der (Ost-)Berliner Band Silly. "Zwischen Unbefahrenen Gleisen" gelangt in die Presswerke – und ein paar Exemplare finden wohl auch noch den Weg der Auslieferung in die Läden. Dann fällt dem Kulturministerium die Gestaltung des Covers auf. Es missfällt. Die fertigen Langspielplatten werden einkassiert. Eine offizielle Anordnung schreibt vor, die bestehenden Exemplare zu schreddern.
Das Regime selbst bestätigt die These, dass "Tausend Augen" einen im Visier haben; "tausend Augen zwischen meinen Worten", wie es Tamara sarkastisch singt. Bei genauerem Hinhören findet der VEB ("Volkseigene Betrieb") Deutsche Schallplatten nämlich drei Songtexte, deren Verbreitung man beim Label lieber nicht riskieren will – denn die fünfköpfige Band Silly hat mit den ersten beiden Alben relativ gute Verkaufszahlen erzielt.
Berühmt wird die Platte letztlich nie, aber sie erscheint - wenn auch stark abgewandelt. "Zwischen Unbefahrenen Gleisen", dieses verbotene Album, reizt musikalisch dennoch das ganze pralle Spektrum dieser Band aus. Silly vereinen hier auf verblüffende Weise Funk, Jazz, Disco-Rock und New Wave, und, in "Nester Der Nacht", auch ihr Markenzeichen, treibenden Hardrock.
Die offizielle, regimetaugliche LP-Version trägt den Albumtitel "Liebeswalzer". Sie enthält drei 'Ersatz'-Tracks. Der geplante Schlusssong "Nur Ein Lied" muss der - nur scheinbar - unverfänglicheren Ballade "Großer Träumer" weichen, der gleichen Komposition. Abgesehen von den ersten Lyrics verliert der Song auch sein langes Synthie-Bass-Intro. Ansonsten ist es einfach eine modifizierte Version der bereits aufgenommenen Nummer. Beim Opener "Tausend Augen" muss die Band einen Großteil des Textes opfern. Wobei die Betitelung "Psycho" nicht gerade weniger auffällt, als wenn das Lied "Tausend Augen" hieße; beides signalisiert Bedrohung.
"Nester Der Nacht" weist einen interessanten Bruch im Ablauf auf. Ein angejazztes Keyboard-Riff bremst den Spielfluss, steigert damit kurz die Spannung, bis die Band dann für die letzte knappe Minute zum großen Finale des Songs ausholt: "Deine kosmetische Kanüle / dringt mir ins Fleisch, in die Gefühle. / (...) macht, dass ich außer dir nichts fühle." Die bildlichen, sinnlich lasziven und im Grunde tieftraurigen Texte hieven den Release mit all seinen Songs als Zeitdokument auf eine besondere Ebene.
Der eigentliche Titelsong "Zwischen Unbefahr'nen Gleisen" heißt entschärft dann "Berliner Frühling". Die Gleise zwischen Ost- und West-Berlin waren "unbefahren". "Frühling" steht derweil für die Veränderung, die Öffnung, also 'Perestroika' und 'Glasnost', obwohl diese Tendenzen freilich eher von Moskau als vom Zentralkomitee in Ost-Berlin ausgehen.
Jörg Stempel, von 1981 bis zum Mauerfall beim einzigen DDR-Rockmusik-Label Amiga tätig, zeitweise dessen Programmverantwortlicher, dann bis 2004 eine Art Nachlassverwalter und heute für Sony im Dienst, erinnert sich: "Hätten Silly die Texte der besagten Songs nicht geändert, hätte ihnen das Karriereende gedroht – zumindest bei Amiga. Aber das wollte niemand bei Amiga (...). Nach einer harten Diskussion haben die Musiker die Songs so verändert, dass die Grundaussage geblieben ist, die Veröffentlichung aber nicht gefährdet war. (...) Wir mussten Gewinne abführen", erläutert Stempel im Rückblick, 2017, gegenüber der Tageszeitung taz, und sieht durchaus eine gewisse Kunstfreiheit. Trotz aller Auflagen und Zensur: "Mir ist jedoch kein Fall bekannt, wo eine Band von uns abgelehnt wurde."
Sillys Musik und auch ihre Texte wurden vom Publikum gewünscht. Der Spagat bestand darin, nicht zu explizit die Teilung Deutschlands, das Spionagesystem der Staatssicherheit und den bleiernen Zeitgeist zu besingen – andererseits aber genau diese Inhalte zu liefern, so dass die Zielgruppe sie aus den lyrischen Codes herausfiltern konnte.
Musik, die in Ostdeutschland von hiesigen Bands produziert wurde, musste zwingend auf Deutsch getextet sein – ein schönes Paradoxon der Honecker-Welt: Dadurch ließen sich kritische Botschaften natürlich viel unmittelbarer ans Publikum bringen als auf Englisch.
Das Kernstück des Albums ist der geheimnisvolle Song "Die Alten Männer", der als leicht dissonant verstimmter New Wave gestalterisch auf die Punk-Nachwehen Bezug nimmt und damit der SED so richtig die Klatsche gibt. Denn Punks war ja genauso gegen den Kapitalismus wie die SED.
Fasst man den Songtext, sein unnachgiebiges Schlagzeugtreiben und die rauen Synthie-Sequencer-Passagen zusammen, so kann man - zwischen den Zeilen und den Sounds - folgendes verstehen: "Wir sind auch links und gegen den Kapitalismus, wir sind jung und rebellisch. Aber ihr nehmt uns nicht wahr. Ihr seid alte Säcke, könnt euch nicht mal mehr zum Walzertanzen bewegen. Ihr ruht euch auf ollen Kamellen aus, und dabei steckt ihr in den Vorstellungen eurer Planwirtschaft fest. All eure (guten?) Absichten werden sowieso nicht mehr real."
"Die alten Männer, die haben Zeit", giften Silly. Dass New Wave damals angesagt ist, haben die alten Männer schon erfahren, aber "Sie sparen beharrlich ihren Applaus / Für einen Walzer von Johann Strauß / (...) Die neue Welle treibt sie nicht raus / (...) / Die alten Männer sind nicht erstaunt / Wie ihre Enkel zucken im Sound / (...) Und kein Sequenzer löscht ihnen aus / Die alte Liebe zu Johann Strauß." Tamara rollt das 'r' in 'Strauß' teutonisch, eine Anspielung darauf, wie Johann Strauß von der Obrigkeit des NS-Regimes ins Herz geschlossen wurde, die auch das rollende 'R' so liebte und die jüdische Familie Strauß mittels Urkundenfälschung 'arisierte'. Parallelen: Auch Kunstzensur lässt sich als Urkundenfälschung verstehen. Auch das Sowjetregime bog sich Freund und Feind zurecht, wie es genehm war.
Die Zeile "Und in Gedanken malen sie sich aus / Was sie wohl täten bei Johann Strauß" ergibt besonders in dem Kontext Sinn, dass 1984/85 in der DDR vieles mehr aus gedanklichem Ausmalen als aus stofflicher Realität bestand. "Die neue Welle" kann auf die NDW oder den englischen New Wave anspielen – während die Musiker beim Amiga-Label große Probleme hatten, sich die entsprechenden Synthesizer zu besorgen.
Zwangsläufig entstanden alle DDR-Alben an Mischpulten und Mikrofonen aus West-Import. Der Ostblock konnte hier keine Technologie bieten und sie nicht schnell genug nachbauen; der Export von DDR-Rockplatten sicherte aber wertvolle Devisen-Einkünfte - ein starkes Motiv für die Investition in 'die neue Welle' und ihren musiktechnologischen Fortschritt. "Die alten Männer tanzen nicht mehr / Doch in den Seelen schweben sie sehr" ironisiert den Wirklichkeitsverlust der Honecker-Getreuen, die schon viel zu lange in ihren Ämtern waren und als tattrige Graugesichter in ihren Datschas über der Allgemeinbevölkerung schwebten.
Tamaras mehrdeutig klingende Stimme eignet sich bestens, diese Zeilen so trocken wie möglich herüber zu bringen. Weder trieft daraus Mitleid mit den alten Männern, was schon wieder zu viel der Satire wäre - noch lässt sie sich zu punkig-heiserem Schreigesang verführen, was schon wieder zu deutlich die rebellisch-kritische Absicht des Liedes markieren würde. Ganz ruhig, stoisch ruhig und emotional neutral trägt sie den Song vor, was erst die wirkliche Provokation ist. Denn dieser Song verwebt seine Anspielungen so geschickt, dass es keine Argumente gab, ihn zu zensieren. Jedenfalls nicht, ohne dass sich das Kulturministerium dabei völlig unglaubwürdig gemacht hätte.
Immerhin wollte und konnte die Obrigkeit die Jugend nicht völlig verlieren. Eine Jugendnische wie DT-64 brauchte doch auch zeitgemäße deutschsprachige, bestenfalls ostdeutsche Musik im Programm. Anderenfalls wanderte das junge Publikum an der Zonengrenze im westlichen Thüringen oder südlichen Sachsen zum Soldatenradio der amerikanischen G.I.s, dem AFN aus Frankfurt am Main oder Würzburg ab, oder landete an den UKW-Geräten bei Gottschalks "Pop nach 8" auf Bayern 3. Schlimmstenfalls 'infizierte' es sich mit Westfernsehen; Antennenverstärker und Frequenz-Konverter für dessen Empfang gab es frei im Handel. Dann sahen die Teenager dem dauergewellten Peter Illmann zu, der bunte Videoclips vorführte und so lässig moderierte, wie das in einer Diktatur eben nicht gegangen wäre.
Westlich geprägt ist auf jeden Fall die Musik auf Sillys Album. Die Einflüsse etwa in Form dröhnender Störgeräusche in "Nur Ein Lied" kann man bei Manfred Mann's Earth Band vermuten. Symphonische Rockgruppen wie Barclay James Harvest oder der Jazzrock Klaus Doldingers – was immer Silly als Inspirationsquelle Pate stand oder überhaupt verfügbar gewesen sein mag, sie machten auf dieser LP eine neue und sehr individuelle Mischung daraus.
Wir befinden uns in der Phase, als sich schon andeutete, dass das DDR-System ausgedient hatte und sich wirtschaftlich nicht mehr erholen würde. Die Frage war, wann und wie es zugrunde geht. Mit verklausulierten Witzen über das Regime und seine desaströse Handels- und Industriepolitik hatte sich ein spezifischer Humor unter systemkritischen Menschen entwickelt. Bands wie City, Karat oder Silly fanden ihr Publikum in Hörern, die den Mut der Gruppen auch wahrnahmen. Welche Rolle sollte da ein Plattencover spielen, um Anstoß zu erregen?
Das Cover-Artwork, Auslöser des Zensureingriffs, zeigt im Grunde nichts Verwerfliches. Ein Gleisschotterbett ist zu sehen, ein Strang Bahngleise, Wolken mit einem seltsamen Hauch Rosa, die fünf Bandmitglieder mit schwarz-/weißen Gesichtern und grell-bunten Oberteilen. Das Foto ist nachkoloriert. Fun Fact: Für die digitalen MP3s gibt es bis dato keine korrekte Formatierung. Entweder ist der Schriftzug abgeschnitten, oder die Köpfe werden lang gezogen.
Einen Hinweis auf das 'Verbotene' liefert der Song "Die Ferne". Obschon dieser Song am deutlichsten von Fluchtgedanken erzählt, müssen Silly ihn nicht ändern. Wohl auch, weil man ihn nicht zurückholen kann – er ist als Single ab August 1984 im Handel. "Die Ferne ist ein schöner Ort", singt Tamara in flehender Tonlage, als ob sie mit Anstrengung nach etwas greift, sich strecken muss, nicht genug Luft bekommt. Unter das Wort "Ferne" legt die Band mehrmals ein Echo, "Ferne-erne-erne".
Dies versinnbildlicht, dass Tamaras Schall auf einen Widerstand prallt, eine Art Mauer und von dort das Echo zurückhallt; beim Wort "immerzu" mischen sich in das Echo noch Stör-Loops, hier merkt man das Unnachgiebige der Situation: Immerzu, ohne Perspektive, ohne jede kleine Chance bleibt die Ferne verschlossen. "Die Ferne" ist genau genommen überhaupt kein Ort, kann man nun einwenden, sondern ein Abstraktum. Zu dieser Zeit stand die Berliner Mauer bereits 23 Jahre lang; alles hinter ihr war nun unvorstellbar, abstrakt, unerreichbar, unberührbar und fern.
"Ich seh so gerne / in die Ferne / mit meinem Doppelglas", beschreiben Texter Werner Karma und die Band das Lebensgefühl: Wie es sich anfühlt, durch ein Fernglas in Teile der eigenen Stadt zu schauen, aber nicht hingehen zu können. Die Besonderheiten Berlins macht der Song unheimlich gut spürbar, wozu besonders die beeindruckenden Effekt-Experimente mit den Keyboards beitragen. Das Schlagzeug baut eine düstere Spannung auf, die zu den Wolken auf dem Cover passt. Hinzu kommt die Intonation. Zwar singt die Frontfrau: "Ich seh so gerne / in die Ferne / Das macht mir so'n Spaß". Aber nach Spaß klingt das nicht im Mindesten, sondern nach einer Mischung aus 'depressiv' und 'angewidert'.
"Die Ferne ist ein schöner Ort / Doch wenn ich da bin, ist sie fort", heißt es rätselhaft, "Ich geh und geh und komm nicht hi-i-i-i-i-in", und die letzte Silbe klingt wahlweise nach einem Stromstoß und letzten Zusammensacken am Todesstreifen oder so, als ob Tamara gleich zu heulen anfängt. Jedenfalls verheißt der Track insgesamt nichts Gutes und spielt auf Ebene der kaum vorkommenden Lead Guitar und des unterschwellig drohenden Basses die dunklen Reize des Post-Punk aus.
"Ich geh so gerne / in die Ferne / Mit meinem Doppelschuh", spielt der Song mit dem absurden Wort "Doppelschuh" auf den doppelten Boden an, der in einer Überwachungsdiktatur ständig den Alltag prägt. Auf dem vorigen Album "Mont Klamott" hatten Silly das so formuliert: "Warum häng ich am Kompromiss / Und hab vor meiner Meinung so'n Schiss?".
Ausgerechnet der unauffällige "Liebeswalzer (für H. F.)" verleiht dem finalen '85er-Album dann einen Amiga-konformen Namen - ein spannendes Ablenkungsmanöver. Alle anderen Songtitel enthalten auf geschickte Weise eine Andeutung daran, dass die Platte unerfüllte Wünsche und Kritik artikuliert. Aber auch der Liebeswalzer, dieser langsame, äußerst hart gespielte Post-Punk-Titel mit Sitar-Sample, Red Crayola-haften Gitarren und Bass Drum-Outro tischt verklausuliert Politik auf: "Heil meinen Mund / von den Zweifeln", mit anderen Worten, "hilf mir, dass ich mich nicht verplappere".
Immer wieder verplappern sich aber rhythmische Unreinheiten. Wahrscheinlich mit Absicht eingebaut, passen etwa die Taktschläge der Instrumente von Minute 0'36" bis 0'40" in "Die Ferne" oder, mit Störsignalen, von 0'29" bis 0'33" in "So 'Ne Kleine Frau" scheinbar nicht zusammen. Solche Momente zwingen zum Hinhören und sagen: Irgendwas stimmt hier nicht. Die Platte verweigert glatten Pop und schlichtes Wiederholen von Strophen und Refrains, will überraschen und Aha-Effekte erzielen.
So durchbrechen stolpernde, widerborstige Kleinigkeiten das Flauschige der Harmonien. Knack, ploing, crash, blubb, knirsch, woarp! Auf anderen Platten spielten Silly straighter, vertieften sich weniger in den Art Rock. Dann gibt es da noch diesen lasziven Text auf einer extrem melancholischen Melodie: "So 'ne kleine Frau / Und so 'ne große Lust / Und hat schon Kinder dreie / Und immer noch kein' Frust / Und hat schon so gelitten / Und immer noch so'n Mut / Und hat so schlaffe Titten / Und hat so'n heißes Blut / (...) Doch so 'ne fahle Sehnsucht / Schmerzt in ihrer Brust".
Tamara Danz, geboren am 14. Dezember 1952, hat während der Arbeit am zweiten gesamtdeutschen Silly-Album im Jahr 1995 Schmerzen, Beschwerden, und stirbt ein Jahr später an Brustkrebs. Eine Frau, die selbst viel Mut bewies und heißes Blut gehabt haben muss, schaut man sich ihr Werk und alte Auftritte an.
Sie erlebte also noch einige Jahre nach der Wende im wiedervereinigten Berlin, nachdem sie sich gegen Helmut Kohls Pläne engagiert. Eine Wiedervereinigung der Form, dass der Westen den Osten schluckt, wollte sie verhindern und machte sich für eine Reform der DDR und ihren Erhalt stark.
Interviews sind leider kaum überliefert. Eine inzwischen vergriffene CD-Box veröffentlichte eine Sammlung von O-Tönen. Darin erzählte Tamara, wie sie anfängliche Angebote umging, Schlagersängerin zu werden. Sie erinnert sich, wie schwierig es war, die Balance zwischen Anpassung und Widerstand zu halten und als Musikerin im Auftrag des Staates zu arbeiten, weil, nun ja, jeder für den Staat arbeitete. Manchmal hätte sie darüber fast resigniert.
Die Musiker um sie herum wechselten ein paar Mal. Diese Platte entstand in der Konstellation Rüdiger 'Ritchie' Barton, Thomas Fritzsching, Herbert Junck und Mathias Schramm, und auch letztere beiden leben schon lange nur noch über die Musik weiter. Die Band Silly, die zur Feier von 30 Jahren Mauerfall am Brandenburger Tor 2019 spielte, hat mit der Gruppe von 1984 nicht wirklich viel zu tun.
Silly fassten damals die über allem liegende Schwere, die aber auch die Band zusammenschweißte, in dieser Zeile zusammen: "Wo die Lieder leiden / da leid ich auch / (...) So verwundbar wie mein Lied / Bin auch ich (...) / Wo die Lieder sterben / da sterb ich auch / (...) Was uns nicht tötet / das macht uns hart." Die Mitglieder von Silly bewiesen mit dem Album "Zwischen Unbefahrenen Gleisen", dass sie Musik, mit ihrer gesellschaftlichen Kraft, über alles liebten und zwischen 'Job' und 'sich selbst' kaum bereit waren zu trennen. Die präzise Wortwahl ("und der warme Wind der Wolllust lässt die Blicke geiler glüh'n") elektrisiert. Die genauestens ausgetüftelten einzelnen Schläge, Töne und Brüche faszinieren. All das zusammen und die extrem präsente Stimme machen diese Platte so authentisch wie zeitlos.
Dass "Zwischen Unbefahrenen Gleisen" trotz seiner Relevanz 30 Jahre nach der Wende und acht Jahre nach seinem Re-Release (2011) nur einen englischsprachigen Wikipedia-Eintrag hat, nicht aber einen deutschsprachigen, ist schon etwas seltsam. Vielleicht hilft dieses Album beim schwierigen Vorgang der Wiedervereinigung. Vielleicht besinnt sich Sony Music, uns außer der Retrospektive "Zehn", mit vier der zwölf Nummern, das ganze Werk noch einmal anzubieten. Die Rillen dieser Scheibe sind unter dem CD-Laser oder unter dem Plattenspielerarm selbst noch recht unbefahrene Gleise.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
3 Kommentare
Das Album ist in der 5er Box "Original Album Classics" derzeit verfügbar. Regulär wurden auf CD die drei gestrichenen bzw. Ersatz-Titel dem Album als Bonus beigefügt, so daß das ursprünglich neun Stücke umfassende Album jetzt zwölf enthält. Einige Auflagen nach 2011 enthalten noch weitere Bonus-Stücke, insbesondere Live. Die einzige CD-Auflage mit ausschließlich den 9 "Liebeswalzer"-Titeln wurde Anfang der 90er von der Deutsche Schallplatten Berlin veröffentlicht, der Rechtsnachfolge der VEB, ehe die Rechte dann aber an BMG Hansa bzw. später Sony gingen.
Ist ein schönes Album, auch wenn mir persönlich die "Februar" textlich und musikalisch eher zusagt. Gerade deshalb, weil sich zu diesem Zeitpunkt schon kein Mensch mehr wirklich um Zensur Gedanken machte und daher viele Sachen noch unverblümter ausgesprochen werden konnten - und weil die Band rückblickend da einen beachtlichen Weitblick bewies.
Gruß
Skywise
Immer noch eins meiner Lieblingsalben. Ich meine die "Liebeswalzer". Die Geschichte dahinter kannte ich bis vor ein paar Jahren noch nicht, so ist also für mich die "Liebeswalzer" das Original. Auch Produktionstechnisch muss sich das Album nicht verstecken.
Mega geiles 80er Album.
(bis auf die Nina-Hagen-theatralische Stimme von Tamara Danz in manchen Songs…Geschmackssache)
Respekt, dass so etwas in der DDR entstanden ist. Deutlich besser als das meiste, was Nena, Falco, BAP und Konsorten zu der Zeit zustande gebracht haben.