10. April 2019
"Die Leute checken Haftbefehl nicht"
Interview geführt von Dominik LippeEbow zieht dieser Tage jede Menge Aufmerksamkeit auf sich. Für ihren Auftritt auf der diesjährigen Tapefabrik erntete sie bereits Lob. In der zweiten April-Hälfte lässt sie eine fünfteilige Solotournee folgen. Gleichzeitig überschlagen sich die Kulturredaktionen des Landes mit Lob.
Anlässlich ihres dritten Albums "K4L" deklarierte etwa Die Zeit sie zur "Hoffnungsträgerin einer im weitesten Sinne deutschsprachigen Rapmusik, die sich nicht an Feuilletonschreiber wendet, aber all das überwindet, was Feuilletonschreiber an im weitesten Sinne deutschsprachiger Rapmusik" störe. Dabei macht die Begeisterung für die gebürtige Münchenerin nicht an nationalen Grenzen halt.
Nachdem die New York Times bereits im Sommer 2017 den Song "Fila" ihres Nebenprojekts Gaddafi Gals empfohlen hatte, der an die Zeit erinnere, "als Trip Hop auf den New Yorker Underground-Rap traf", öffneten sich für das Trio im März erstmals die Tore zu den Vereinigten Staaten. Im texanischen Austin traten die Hip-Hop-Musiker im Rahmen des Festivals "South by Southwest" (SXSW) auf.
Kurz nach ihrer Rückkehr aus den USA kränkelt Ebow zwar noch ein wenig, doch im telefonischen Gespräch zu ihrem dritten Album zeigt sie sich wach und aufgeschlossen. So spricht sie über politisches Engagement, Haftbefehl und Kollegah, kulturelle Unterschiede zwischen Wien und Berlin, Selbstliebe und natürlich über ihre Reise ins Mutterland des Hip-Hops.
Du warst gerade in den USA, wo du mit den Gaddafi Gals beim South by Southwest Festival in Austin aufgetreten bist. Wie ist es dazu gekommen?
Wir wurden von der Stadt München vorgeschlagen, weil wir ursprünglich alle daher kommen. Die schlagen jedes Jahr für die "Initiative Musik" Künstlerinnen und Künstler vor, die dort auftreten könnten. Anschließend wählt eine Jury aus, wer dort spielen darf. Diesen Slot haben wir dann bekommen.
Welchen Eindruck hattest du vom Festival?
Es ist ziemlich groß, weil die ganze Stadt oder zumindest die Innenstadt dazu gehört. Und es ist ja nicht nur ein Musikfestival, sondern auch ein Techfestival. Da gibt es eine Techmesse, voll viele Filme und Panels. Man kann sich gar nicht wirklich alles anschauen. Das Coole ist halt, dass es das "German Haus" gibt, wo man auf viele Künstlerinnen und Künstler trifft, die aus Deutschland kommen, aber englischsprachige Musik machen. Das ist ganz geil zum connecten und um zu sehen wie es auf der internationalen Ebene abläuft. Weil du mit denen zusammen dort bist, hat es ein bisschen etwas von einem Schullandheim.
Warst du zum ersten Mal in den USA?
Ja, ich war tatsächlich zum ersten Mal dort. Ich habe auch erst seit einem Jahr einen deutschen Pass. Davor hatte ich nie Bock, das teure Visum zu beantragen, weil ich mir dachte, mit meinem türkischen Pass geht das ohnehin nicht durch.
Viele deutsche Rapper beschreiben es als etwas Besonderes, wenn sie erstmals ins Land ihrer Vorbilder reisen.
Absolut! Wir waren ja nicht nur in Austin, Texas, sondern danach auch für ein paar Tage in New York. Ich checke jetzt ein bisschen mehr diesen New Yorker Rap. Ich bin mit diesen ganzen Eindrücken aufgewachsen. Man saugt das durch die Filme und Serien alles so auf, dass es einem dort vertraut vorkommt, weil man gefühlt alle Straßen schon gesehen hat. Als ich dort war, habe ich plötzlich nur noch New York Rap gehört, weil ich plötzlich einen anderen Zugang dazu hatte. Auch wenn es klischeehaft klingt, fand ich es sehr inspirierend, dort zu sein.
Kommen wir mal nach Europa zurück. Du selbst hast lange in Wien gelebt und studiert. Was hat Österreich den Deutschen kulturell voraus?
Was Musik und Kunst angeht, gibt es hier eine ganz starke Fuck-off-Einstellung, aber auch eine viel stärkere politische Haltung. Wobei ich das auch nicht auf alle Künstlerinnen und Künstler beziehen könnte. Ich habe das Gefühl, dass es Leuten, die hier kreativ tätig sind, nicht so sehr darum geht, etwas zu erschaffen, was trendig ist, sondern einfach das zu machen, worauf man Bock hat. Es ist einem scheißegal, ob irgendjemand das cool findet oder nicht. Das genieße ich hier sehr, weil ich in Berlin merke, dass man den Anspruch als Hauptstadt hat, Vorreiter zu sein, was Trends angeht. Und trotzdem kommen alle neuartigen Sachen im deutschsprachigen Raum aus Österreich: Bilderbuch, Yung Hurn oder Wanda.
Du hast Anfang 2018 schon gegenüber Noisey gesagt, dass in Berlin der Anspruch herrsche, "extrem hip zu sein", was sich negativ auf die Musik auswirke. Wie bewahrst du dich denn nun davor? Du lebst ja jetzt auch in Berlin.
Genau, ich habe ein halbes Jahr in Berlin gewohnt und pendele jetzt wieder zwischen Wien und Berlin hin und her. Man muss in Berlin das Glück haben, einen coolen Freundeskreis zu haben. Es müssen einen coole Leute umgeben, damit man nicht so lost ist und trotzdem fokussiert bleibt. Das geht, wenn man eine Community um sich herum hat, die für einen da ist und das kreative Schaffen unterstützt.
Und wahrscheinlich hilft es auch, wenn dir keine Leute von den Labels reinreden.
Ja, das sowieso, aber da habe ich Glück. Die Leute, mit denen ich auf musikalischer Ebene vom Label bis zum Management zusammenarbeite, reden mir ohnehin nicht rein. Sie vertrauen mir, dass ich weiß, wohin ich will. Es ist eher unterstützend, was mein Label für mich macht.
Nimmst du Berlin mit seiner mittlerweile berühmten "Latte-Macchiato-Fraktion" gegenüber Wien als toleranter wahr?
Ich würde es anders formulieren: Wien ist intoleranter gegen Intoleranz. Sobald offensichtlich Intoleranz herrscht, werden die Stimmen viel lauter. In Berlin ist es mittlerweile auch schon mehr geworden, aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass es auch nur in gewissen Bubbles so ist. Aber es wäre auch unfair von mir, das zu beurteilen. Ich wohne seit vier Jahren in Wien, während ich in Berlin nur ein halbes Jahr gewohnt habe und davor immer hin und her gependelt bin. Ich verbringe zwar viel Zeit in Berlin, aber ich würde es mir nicht rausnehmen, darüber zu beurteilen wie tolerant die Stadt ist.
Du sagst, Wien sei "intoleranter gegenüber Intoleranz". Hast du denn nach einem Jahr ÖVP/FPÖ-Regierung einen Umschwung im Alltag gemerkt? Hat etwa die Fremdenfeindlichkeit zugenommen?
In Wien bekommt man es nicht so krass mit wie im Umland. Durch die Medien nimmt man es aber wahr. Wie hier Aussagen von Politikern medial verbreitet werden und was sich Politikerinnen und Politiker trauen zu sagen, könnte man sich in Deutschland gar nicht vorstellen. Hier ist es normalisierter, diskriminierende oder super menschenfeindliche Sachen in einem politischen Kontext von sich zu geben. Deswegen sind die Leute hier aber auch politisch aktiver. In Wien kriege ich eher die solidarische Seite mit, die diesem Rechtsdruck extrem entgegenwirkt und tolle Aktionen unternimmt.
"Es geht darum, seine Selbstliebe nicht davon abhängig zu machen, was andere denken."
Bist du in Österreich auch politisch aktiv?
Ja, ich bin mit Leuten von der "Burschenschaft Hysteria" befreundet, deren Aktionen ich unterstütze. Wir gehen auf alle möglichen Demos, die es hier gibt. Ich habe auch in einem Heim für Geflüchtete gearbeitet. Das ist aber gar nicht so nennenswert, weil es Normalität ist. Es ist total normal hier, die ganze Zeit politisch aktiv zu sein. Die Frage lautet nicht: 'Gehst du am Donnerstag auf die Demo?' Sie lautet eher: 'Hey, wann sehen wir uns dort?'
Die Deutschen sind wohl etwas träger und revolutionsfauler.
Ja, ich habe das Gefühl, dass in Deutschland erstmal irgendetwas Krasses passieren muss. Deswegen muss mega viel Werbung gemacht werden. Und dann gibt es diese eine Demo, zu der voll viele Leute hingehen. Aber hier ist die Donnerstagsdemo ein solches Ereignis, dass du da halt hingehst. Du musst die Leute nicht motivieren oder ein herzzerreißendes Youtube-Video machen, damit die Leute checken: Fuck, irgendwas läuft falsch.
Kommen wir zu deinem Album "K4L". Laut Pressetext geht es dir um die "Abkehr zu dem im Rap sooft überrepräsentierten Ego. Welche Ausdrucksformen stören dich konkret?
Mich stört es krass, dass Rap in eine Richtung geht, in der man sich als Genie präsentiert, das hinter allem steckt. Wenn man sich etwa Kollegah anschaut, der denkt, er sei ein Alphamännchen. Oder was auch immer er denkt. Keine Ahnung, ob er überhaupt denkt. Die Haltung lautet: Ich bin die Person, die das Imperium alleine geschaffen hat. Hip-Hop steht für mich für ein Gemeinschaftsgefühl. Es ist von der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft. Alles, was ich produziere, mache ich ja nicht alleine. Selbst für Songideen bekomme ich durch Gespräche mit Freundinnen und Freunden oder durch Bücher von tollen Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die ich lese, bewusst oder unbewusst Input. Wir sind ja alle ein Produkt von unseren Familien, unseren Freunden, unserer Umgebung und davon, womit wir uns selbst füttern.
Was müsste sich ändern?
Weg von der Einstellung, die Welt sei scheiße, weswegen ich schauen muss, dass es mir gut geht, und hin zu: Wenn du etwas verändern willst, dann glaube an Solidarität und an die Communities, in denen du dich aufhältst. Wenn man darin Vertrauen hat, hat man auch die meisten Existenzängste gar nicht mehr, weil man weiß, dass die Leute in jedem Fall zu einem halten. Das muss auch nicht immer die Familie sein. Immerhin hat nicht jeder das Glück aus einer funktionierenden Familie zu kommen.
Verbindest du mit deinem Ansatz auch eine allgemeine Kritik am übertriebenen Individualismus?
Auf jeden Fall, genau darum geht es mir auch. Wir gehen die ganze Zeit in Richtung Selbstoptimierung, um noch besser zu funktionieren. Das bekomme ich jetzt schon bei jungen Leuten mit. Selfcare-Treatment bietet die Antwort auf eine Welt, die gerade nicht so richtig funktioniert. Uns wird dieses ganze Selbstzentrierte als Lösung aller unserer Probleme erklärt. Ich glaube, dass die Selbstoptimierung ein Produkt davon ist, dass man von seiner Gemeinschaft ausgeschlossen wird, wenn man gewissen Standards nicht entspricht. Wenn du da nicht mithältst, fällst du raus und bist ein Außenseiter. Das Gegenteil davon ist das solidarische Zusammenleben. Wenn man checkt, dass nicht alles darauf ausgerichtet ist, immer besser zu werden, dann fühlt man sich in seiner Community sicherer und erlaubt sich auch mal schwach oder nicht perfekt zu sein.
Kollegah hast du ja bereits genannt. In seinem Buch sagt er sinngemäß, dass man noch so erfolgreich und beliebt sein kann, solange man nicht die perfekte Figur hat, wird man niemals ein richtiger Kerl sein.
Oh Gott...
Das driftet dann leider immer in Richtung Faschismus ab.
Auf jeden Fall! Diese Denkweise und wie man Sachen gleichsetzt, ist total gestört.
Im vergangenen Jahr hatte ich das Thema schonmal im Interview mit Neonschwarz, die sehr nett, aber auch etwas naiv für den Individualismus eintreten. Den Leuten zu empfehlen, sie selbst zu sein und sich nichts sagen zu lassen, ist weniger zielführend, wenn man ein egoistischer Banker ist.
Es ist easy zu sagen: Sei du selbst. Darum geht es gar nicht. Es geht darum, seine Selbstliebe nicht davon abhängig zu machen, was andere denken, und nicht irgendwann Selbsthass zu entwickeln, weil man in seiner Kindheit beschissene Erfahrungen gemacht hat. Ich habe diese Selbstliebe ehrlich gesagt im Freundeskreis entdeckt. Es gibt Freunde, denen man wirklich wichtig ist und wo es nicht um Competition geht, sondern um gegenseitige Unterstützung. Ich bin zum Beispiel in München groß geworden. Wir haben da die Isar, die sich superschön durch die ganze Stadt zieht. In dem schönen Wasser kannst du eigentlich total gut schwimmen. Es ist auch nicht so tief wie die Spree. Ich bin in meinem Leben noch nie mit meinen Freunden dort schwimmen gegangen, weil ich mich immer für meine unreine Haut geschämt habe. Ich dachte, die Leute würden dann blöd schauen. In Wien habe ich durch meinen Freundeskreis gecheckt, dass die auch andere Körperformen haben, aber trotzdem Bikinis anziehen und schwimmen gehen. Ich fühle mich voll wohl und würde von diesen Leuten nie erwarten, dass sie dazu etwas sagen. Also habe ich mich erst hier getraut, mit meinen Freunden an die Donau zu gehen. Das ist total traurig, weil ich das erst mit 25 gemacht habe. Es geht darum, den Leuten in deinem Freundeskreis das Gefühl zu geben, dass sie sich wohlfühlen können.
Du sagst, du hättest die Selbstliebe oder –akzeptanz erst im Freundeskreis erlernt. Wenn ich mir aber sieben Jahre alte Berichte vom Bayerischen Rundfunk über dich ansehe, wirkt es so, dass du aus einem ganz gesunden, positiven Familienumfeld stammst.
Ja, auf jeden Fall, meine Familie hat mir Selbstliebe vermittelt. Ich komme auch aus keiner Familie, die mich anders behandelt hätte, weil ich eine Frau bin. Aber es gibt dann doch Faktoren, auf die sich deine Familie nicht auswirken kann. Wenn du in einer Gesellschaft groß wirst, in der dir die ganze Zeit ein bestimmtes Frauenbild und Pickel als etwas Unnormales und Unschönes gezeigt werden, können deine Eltern eigentlich gar nichts machen. Egal wie oft sie dir sagen, dass du schön bist und dass das kein Problem ist. Weißt du wie oft meine Mama gesagt hat: 'Geh doch mal an die Isar schwimmen!' Es gibt halt Dinge, in die deine Familie nicht eingreifen kann. Gerade da ist es wichtig, dass man Freundeskreise hat, die einen beschützen, solidarisch mit einem sind und ihre Stimme heben, wenn es darauf ankommt.
"Wenn ich in eine Kirche oder Synagoge gehe, betrete ich sie auch nicht in Shorts und im T-Shirt."
Du trittst auf deinem Album sehr kritisch und durchdacht auf, aber durch die cloudigen Instrumentals und deinen entspannten Vortrag nie aggressiv. Das ändert sich schlagartig mit dem "Hengameh (Skit)", in dem sehr deutliche Worte gefunden werden. Warum hast du diesen deutlichen Bruch gewählt?
Ja, ich finde, dass Hengameh den Inhalt des Songs "AMK" super gut auf den Punkt bringt. Deswegen war es mir wichtig, dass eine klare Message davor reinkommt. Viel von diesem Kontext über kulturelle Aneignung habe ich aus ihren Texten genommen. Wie gesagt, ich lerne durch meine Communities und auch durch Gespräche mit Hengameh sehr viel, weil wir gute Freunde sind. Mir war es wichtig, dass Hengameh einen Skit drauf spricht, der das nochmal auf den Punkt bringt. Wir sind beide Menschen, die über solche Themen schreiben, aber dennoch schreibe ich Songtexte anders. Ich fand es ganz schön, das auch nochmal in so einer Form zu haben.
Im Skit heißt es, dass sich "Almans und Cis-Heten" "migrantische, nicht-weiße und queere Ästhetiken" nicht aneignen sollen. Wo begegnet dir diese kulturelle Aneignung im Alltag?
Es fängt damit an, dass Leute denken, sie müssten anders, gangsterhaft reden. Die Leute reden ganz normal miteinander und plötzlich heißt es: 'Yo, was geht, Digger?' Da denke ich mir: 'Ich weiß genau, du redest normalerweise nicht so. Warum denkst du, dass du mit uns so reden musst?' Auch dass Leute, die Deutschrap oder Haftbefehl gerade krass feiern, das nicht wirklich feiern. Ich finde zum Bespiel Haftbefehl witzig und höre mir das an, weil ich selbst früher so geredet habe oder meine Cousins immer noch so reden. Ich kann diesen Lifestyle nachempfinden. Aber ich weiß, dass sich das viele anhören, weil Haftbefehl für sie einfach eine Entertainment-Figur ist. Da denke ich mir: Ihr findet das witzig, aber ihr würdet trotzdem meiner Mama keine Wohnung vermieten. Das sind Punkte, wo mir das begegnet und die mich extrem stören, weil ich vor allem als Kind und Teenagerin von genau diesen Leuten dafür diskriminiert wurde, wie ich mich anziehe und rede. Jetzt finden sie es cool.
Aber hat es nicht auch Vorteile, wenn sich die Gruppen annähern? Wenn sich eine Annäherung vollzieht, dann könnte das Problem abnehmen, dass viele deiner Mutter keine Wohnung vermieten würden.
Wenn ich mich vor allem über solche Themen fünf Minuten länger mit diesen Leuten unterhalte, komme ich in Diskussionen schnell an den Punkt, an dem ich merke, dass sich die Leute nicht mit Rassismus auseinandersetzen. Nur weil die Leute die Musik hören, heißt das ja nicht, dass sie sich mit dem Thema auskennen. Es gibt genügend Leute, die amerikanischen Hip-Hop hören und das N-Wort mitrappen. Eine Musik zu hören bedeutet ja nicht, dass man sich wirklich mit der Kultur auseinander setzt. Es bedeutet nur, dass man gewisse Dinge der Kultur cool findet. Das Gleiche hat man auch in den Staaten mit der Black Culture, wo man schwarze Leute cool findet, wenn sie Basketball und Football spielen, Musik machen oder Entertainer sind, aber auf jeder anderen Ebene werden sie dann doch diskriminiert. Es ist ein anderer Kontext, aber für mich ist es das Gleiche. Die Leute haben nicht gecheckt, woher Haftbefehl kommt und warum er so rappt. Die finden das trendmäßig cool, aber was passiert, wenn es nicht mehr cool ist, Deutschrap zu hören? Für mich hat das nichts mit Annäherung zu tun. Annäherung könnte auf ganz anderen Ebenen stattfinden und nicht darüber, dass jemand witzig findet wie Haftbefehl redet.
Als sich die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern kürzlich mit Hinterbliebenen des Terroranschlags traf, trug sie aus Solidarität ein Kopftuch. Wie bewertest du das? Ist das deiner Meinung nach bereits zu viel des Guten?
Nein, da ging es ja nicht darum, dass sie das Kopftuch getragen hätte, um irgendetwas nachzuahmen. Das war ein Zeichen des Respektes. Wenn ich in eine Kirche oder Synagoge gehe, betrete ich sie auch nicht in Shorts und im T-Shirt. Da wurde zum Gebet aufgerufen, weil Leute umgebracht wurden. Das hat für mich nichts damit zu tun, dass sie sich etwas aneignen wollte, sondern mit Respekt. Das hat man gemerkt und das war auch angebracht. Ich habe aber auch das Gefühl, dass das so angenommen wurde. Ich bin zum Beispiel Alevitin. Bei uns in der Familie tragen vielleicht die Ältesten Kopftuch. Es ist nicht so Teil der Religion, doch trotzdem lege ich mir bei solchen Anlässen ein Tuch für sie um.
Das Thema kulturelle Aneignung wurde vor zwei Jahren in "Get Out" behandelt. Konntest du das gut nachvollziehen?
Ja, ich fand den Kontext auch super interessant herübergebracht. Ein superkrasser Film, obwohl ich mir Horrorfilme nicht so gut anschauen kann. Aber es bietet eine ziemlich krasse Übersetzung der Thematik.
Um kurz im Filmthema zu bleiben: Auf "Komplexität" sprichst du davon, dass ihr "Fassbinders Kinder" seid. Was verbindest du mit Rainer Werner Fassbinder?
Ich verbinde mit Fassbinder eine gewisse Fuck-off-Einstellung, Lässigkeit und Experimentierfreudigkeit. Auch bestimmte Sachen finden sich bei ihm, die ich in Bezug auf Österreich meinte: Sich einfach was trauen und Neues erschaffen.
Welche Filme würdest du zum Einstieg empfehlen?
Ich würde gar keine Filme zum Einstieg empfehlen. Es gibt auf Youtube ein gar nicht so langes Video, das einen supergeilen Einstieg bietet, um diesen Vibe zu catchen. Also das ist kein Interview, sondern eine Art Performance. "Bologna" von Wanda hat mich daran erinnert.
Fassbinder hat schon vor 50 Jahren feministische und queere Themen in seinen Filmen verhandelt. Was geht dir über den Zustand der heutigen Gesellschaft durch den Kopf, wenn Annegret Kramp-Karrenbauer oder Tilman Kuban, der neue Vorsitzende der Jungen Union, Toiletten für Intersexuelle verächtlich machen?
Es ist einfach traurig, weil ich merke, dass wir im Jahr 2019 leben und die irgendwie nicht. Aber gleichzeitig darf man nicht außer Acht lassen, dass wir mittlerweile krass feministische Magazine wie das "Missy Magazine" haben und super viele Online-Formate wie "Softie", die nicht nur Videos über queere Kultur machen, sondern über alles Mögliche, worüber Politikerinnen und Politiker nicht reden, die aber trotzdem Realität in unserer Gesellschaft sind. Es passiert super viel dagegen. Ich glaube, man darf dem nicht so viel Bedeutung geben, sondern muss eher darüber reden, was gerade für die Leute passiert.
Du warst mit der Headline "Rap für uns" auf dem Cover des "Missy Magazines". Findest du, dass das der richtige Ansatz ist, dass du von Feministinnen und Feministen vereinnahmt wirst?
Nein, finde ich nicht. Man kann es ja doppelt deuten. Einmal "Rap für uns" als Aufforderung: 'Hey, rap mal was!' Andererseits deute ich das für mich mehr so: 'Rap für uns, damit man uns im Hip-Hop hört.' Es geht darum, dass ich eine Stimme in den Hip-Hop einbringe und Themen behandele, die andere Rapperinnen und Rapper vielleicht nicht behandeln. Das ist dann nicht nur für Feministinnen und queere Leute, sondern auch für Leute, die mit dem Thema vielleicht gar nichts zu tun haben, aber darüber einen Einstieg finden.
2 Kommentare mit 5 Antworten
gibt es eigentlich innerhalb nicht weißer ethnien auch kulturelle aneignung? wenn sich jetzt also die eher arabischstämmigen menschen den habitus afroamerikanischer/afrofranzösischer randgruppen zueigen machen ist das ok? dürfen sich afroamerikaner am habitus der amerik. ureinwohner bedienen? was ist, wenn sich jetzt -zB wie beim wu tang clan- afroamerikaner am fundus der asiatischen (populär)kultur bedienen? ist das ok?
Lässt du dich von deinen Klassen eigentlich mit "Heil, mein Führer" begrüßen?
kommt auf die klasse an
Ich finde deine Fragestellung hat durchaus Berechtigung. Kulturelle Aneignung ist (natürlich abhängig von der Definition) grundsätzlich ein zu jeder Zeit und überall auftretender Prozess des Kulturtransfers. Daran ist erst einmal per se nichts auszusetzen. Vielmehr empfinde ich die Vorstellung voneinander abgegrenzter Kulturen ohne Austausch geradezu als reaktionär und im Grunde auch absurd, weil nicht realistisch. Dann dürften europäische Jugendliche nicht dem Cosplay fröhnen, Bauchtanzkurse für Europäer*innen müssten verboten werden und Rapmusik von Weißen gäbe es sowieso nicht.
Kritisch wird es bei deutlich asymmetrischen Machtverhältnissen. Wenn die kulturellen/materiellen Errungenschaften oder Spezifika diskriminierter Minderheiten für Profitzwecke missbraucht werden, findet jene "Cultural Appropriation" statt, die durchaus kritisiert werden kann und sollte. Aus Sicht der Minderheiten, auf deren Kosten sowas stattfindet, gibt es bestimmt jede Menge Grund zur Kritik. Nicht zuletzt weil häufig nur eindimensionale Stereotype einer wesentlich komplexeren Kultur reproduziert werden.
Ob das auf die von dir genannten Szenarien zutrifft, müsste jeweils an konkreten Beispielen diskutiert werden. Meiner Meinung nach wirken einige der o.g. jedoch zuweilen mindestens aufgesetzt, deplatziert oder gar albern. Aber da sind wir eher bei Geschmacksfragen.
"...Bauchtanzkurse für Europäer*innen müssten verboten werden und Rapmusik von Weißen gäbe es sowieso nicht"
wo muss ich dafür mein kreuz machen?
wer würde das denn wollen?
also "nein"
Finde ihre Ansichten ziemlich indifferent. Sie selber hört Haftbefehl, weil sie selber früher so geredet hat und das witzig findet, und deshalb kann sie den Lifestyle nachempfinden? Macht sie nicht genau das, was sie anderen vorwirft und legitimiert das für sich mit ihrer Herkunft?
Ich halte auch dieses "Hafti ironisch feiern, Sprache ändern" für etwas überbewerte. Mir selber ist das zumindest noch nicht begegnet. Dazu kommt, dass Hafti ja eine Kunstfigur ist, und ich nicht wirklich glaube, dass diese Sprache in dieser krassen Ausprägung so gesprochen wurde. Mittlerweile ja, da es von den Kids natürlich nachgeahmt wurde. Aber in den vielzitierten Cafés etc. wurde früher kein Rap gehört und auch nicht so gesprochen. Sie bringt da einiges durcheinander und ich würde fast behaupten, daß eine Münchenerin, die in Wien Architektur studiert, in queeren Künstlercommunities unterwegs ist, einfach selbst zu weit von dieser Welt entfernt ist, um sich solche Urteile anzumaßen.