laut.de-Kritik
Die samtweiche Stimme vertreibt Trauer und Trübsal.
Review von Philipp KauseAtlanta im US-Bundesstaat Georgia brachte unter dem Namen Arrested Development Ende der 80er Jahre eine verquaste Stilistik zwischen Folk und Hip Hop hervor. Die Musik dieses Kollektivs mag den Grundstein für den unerwarteten Brückenschlag auf "Atlanta Millionaires Club" von Faye Webster gelegt haben. Der Clou von Websters drittem Album liegt jedoch nicht einfach im Verbinden von Stilen - sondern im 'Wie'. Die Songwriterin bewegt sich elegant, unaufgeregt und fast schlaftrunken-dösig durch ihre Lieblingsmusiken.
Verwässerten Lambchop bereits erfolgreich die Abgrenzung zwischen Country und Soul, reichert die 21-jährige Webster ein solches Konglomerat mit zaghaften Hip Hop-Anleihen und Folk-Flair an. Vernuschelte Kurt Wagner bei Lambchop den Gesang und schien unentwegt zu zittern, geht Faye Webster hingegen jegliche Melodramatik ab. Ihre Stimme klingt samtweich. Die Klangfarben wirken so hell und freundlich, heiter und gelassen, der Gesang pirscht sich vertraulich an des Hörers Ohr und vertreibt Trauer und Trübsal.
Auf Textebene setzt sich die alles selbst komponierende und dichtende Sängerin mit allerhand Negativem auseinander: Tränen und Rückzug ("Room Temperature") toppt Faye mit Vermissen und unstillbarer Sehnsucht ("Right Side Of My Neck"), Verletzung und dem Ignorieren derselben ("Hurts Me Too"). Die Anti-Heldin ihrer Songs leidet unter Zeitverschwendung ("Pigeon"), Stimmungstiefs und tiefem Liebeskummer ("Jonny"), verzehrt sich in endlosem Warten ("Come To Atlanta") und Selbstgesprächen.
All ihre inneren Monologe kreisen um die Enttäuschungen, die sich aus quälendem Warten und Hoffen entwickeln. Ob in Chattanooga ("What Used To Be") oder Atlanta, die gewünschte Person scheint nie zu kommen oder sich gar nicht für die verführerisch säuselnde Dame zu interessieren. Das verstehe wer will, denn Fayes Stimme lädt zum sofortigen, bedingungslosen Verlieben ein. Faye Webster beherrscht das Gesangshandwerk ohne den geringsten Zweifel, sowohl was Tonreinheit, Timbre als auch Betonungen angeht. Ausdruck und Präsenz fühlen sich direkt und gut an. Die Singer/Songwriterin wirkt authentisch.
Nun könnte man diese Themenpalette als spätpubertär abhaken. Wären da nicht: der ironische Bruch, der Schwung und die berühmte Würze der Kürze. Faye Webster spricht die Hörerschaft direkt an: "This was not supposed to be a love song, but I guess it is now." Sie macht Liebeslieder und weiß zugleich, als wie billig und vorhersehbar sich das Genre erweisen kann. Ursprünglich geht es aber um die Nicht-Liebe, die Einsamkeit, die Fata Morganas und Illusionen einer sich nur im Tagtraum erfüllenden Zweisamkeit. Ihre Haltung wirkt fast anti-sozial: Eigentlich verursacht es zu viel Risiko sich dem Mitmenschen anzudienen und attraktiv zu machen, überhaupt auf sich aufmerksam zu machen. Sehr schüchterne Menschen wollen angesprochen werden statt selbst den ersten Schritt zu tun. Aber auch vor dem Moment, tatsächlich im Mittelpunkt zu stehen, haben sie Angst: "I don't have much to offer", bescheidet sich die Songhauptfigur in "Kingston".
Dass sich dem teils altbackenen Country-Twang ein nicht minder 70er Jahre-verhafteter Soul-Einschlag hinzu gesellt, dazu trägt ein wenig der Rhythmus bei, noch mehr aber die Instrumentierung. Sie vereinnahmt schnell, fasziniert durch Perfektionismus gepaart mit Bauchgefühl. Zwar weiß Faye offenbar genau, was sie wie wo an welcher Stelle für einen einzelnen Tusch eines bestimmten Instruments haben will, der dann einmalig im Song auftaucht. Andererseits übertreibt sie die Perfektion auch nicht. Webster lässt den Stücken genügend Luft, dass Melodie, Stimmungen und Worte den Hörer noch erreichen ohne dass dieser von zu viel Input übersättigt würde.
"Ich möchte glücklich sein / einen Mann finden (...) mein Hund ist mein bester Freund / und er weiß nicht einmal / wie ich heiße." singt sie in "Jonny". Um den heißen Brei kreisen auch die hawaiianisch klingenden Steel Guitar-Riffs nicht herum: Eine junge Frau ist von sich selbst gelangweilt, bekommt den Hintern nicht hoch - so lautet die Schlüsselbotschaft. Alles fühlt sich für diese Dame aus der Großstadt lasch an. Sie wartet auf ein Wunder. Es tritt nicht ein. Zugleich kann das nicht autobiographisch sein oder wenigstens nicht aus jüngster Zeit. Denn die Songautorin muss eine Menge Zeit mit produktiver, spannender Arbeit verbracht haben, um dieses halbe Stündchen Musik in solch verdichteter Form zusammenzufügen.
Nach vielen Durchläufen landet man womöglich bei "Baker Street" als Ähnlichkeit, bei Gerry Rafferty, auch wenn Fayes Platte damit vor allem die Elegie und die Melancholie des Wartens verbindet - und das Pendeln zwischen rockigen und Offbeat-verwandten Sounds.
Die zweite Hälfte erinnert an diese spezielle Überinstrumentierung der mittleren 70er Jahre, wie Rafferty sie damals gestaltete. Der R'n'B-Flow in "Kingston", zudem der von Mayer Hawthorne erfolgreich revitalisierte Backbeat, den auch die Newcomerin in "Come To Atlanta" nutzt und die Zeilen-Zerlegung in "Flowers feat. Father", wo sie auf jede Silbe eine Betonung legt – all das klingt verdammt alt.
Dann bricht Father mit einem Feuerwerk an Explicit Content los, "I know a lotta niggaz hate me", und völlig selbstsicher schließt Faye Webster an den Gastauftritt des Rappers mit der Fortführung ihres verträumten Gesäusels an. "Atlanta Millionaires Club" ist kein kapitalismuskritisches Album, sondern ein sehr privates. Der irreführende Titel knüpft an eine Anekdote im Leben ihres Vaters an. Aber das Entscheidende ist wohl 'Atlanta' als Location darin. Kaum eine Metropole wie die Hauptstadt Georgias beherbergt von Rock über Country, Rap und Soul, Blues bis Folk so viele Stile mit gleichberechtigtem Stellenwert, und Faye Webster tobt sich darin aus ohne dass es ihr die geringste Mühe bereitet.
Noch keine Kommentare