laut.de-Kritik
Reise durch die Gefühle zwischen Verzweiflung und Hoffnung.
Review von Hannes Huß"Keine Termine" ist eine Reise der seltsamen Art. Die elf Songs auf Fritzi Ernsts Debütalbum sind Bestandsaufnahmen auf einer Reise von der ersten zur letzten Zeile. Das klingt nichtssagend, ergibt aber am Ende sehr viel Sinn. Gleich zu Beginn, im Titeltrack macht Fritzi sich auf eine Reise durch ihre Gefühle. "Alle wollen was erleben / ich könnt mich übergeben". So stellt sie sich vor und geht gleich aufs Ganze. Der recht beschwingte Opener singt ein prä-pandemisches Loblied auf das Zuhausebleiben. Hier ist die Außenwelt nicht feindlich, weil sie einen Virus enthält, sondern einfach nicht wünschenswert. Höchstens geht es mal raus zum Therapeuten.
Aber das mit dem Zuhausebleiben kann auch gefährlich sein. Am Ende ist Fritzi nämlich in ihrem Zimmer verkümmert und singt sich selbst einen Nachruf. In der dritten Person besingt sie das eigene Ableben und zähl nochmal auf, wer sie denn so war "Sie liebte die Routine / jeden Tag keine Termine / jede Sekunde ein Genuss / und irgendwann war Schluss". So beiläufig wie sie die Rotation der Erde hinnimmt, scheint sie auch den eigenen Tod zu sehen. Auf ihrer Reise wird sie allerdings noch mehr entdecken. Immer wieder sucht sie nach einem Gefährten oder einer Gefährtin für den Weg. "Sie flirtet mit allen, guck wie sie das kann."
Wer sich in ihren Fängen wiederfindet, darf mit in ihre "Höhle", dort gibt es "keinen Hass / nur Honig / und Zeitdruck sowieso nicht". Dazu spielt sie eine naive Klaviermelodie, die sich träge und leicht unsicher durch den Song zieht. Passend dazu klingt auch Fritzis Stimme unsicher und zittrig. Wie eine Hochseilartistin versucht sie die Töne zu treffen, was ihr immer mit gespielter Mühe gelingt. Dabei gelingt ihr auch die vielleicht beste Zeile des Albums "Hier bin ich immer Erster / denn ich war zuerst da".
Diese Simplizität zieht sich durch das Album. Wer clevere Wortspiele erwartet, wird hier enttäuscht. Ernst zielt mehr auf das Offensichtlichte. Das Kammerspiel "Wieder Einen Gebaut" scheint nur die drei Worte aus seinem Titel immer wieder auf neue Art zusammenzusetzen, reimt "Gold" auf "gewollt" und gibt so den Blick frei auf das, was wirklich zählt. Zerbrechliche Intimität. Diese Zerbrechlichkeit wird noch weiter verstärkt von einem langsamen, getragenen Klavier und sehr dezenten Streichern im Hintergrund. Es wirkt beinahe, als säßen wir neben Fritzi und der anderen Person wie Fliegen an der Wand, während sich beide schüchtern Joints drehen und verstohlen in die Augen blicken.
Solche Gefühle gab es ja auch schon bei Schnipo Schranke, Fritzis alter Band, die mit "Pisse" und "Cluburlaub" in jeder Studierenden-Mate-Jutebeutel-Runde geliebt wurden. Auch dort ging es häufig um flüchtige Momente des Glücks im Angesicht der eigenen Gefühlskälte. Das haben aber die wenigsten gehört. Viel lieber haben alle "Warum schmeckt's wenn ich dich küsse / untenrum nach Pisse" mitgegrölt.
"Keine Termine" verzichtet größtenteils auf den sogenannten Pipi-Kacka Humor und die leichtgängigen Indie-Chansons der Schnipos. Stattdessen sind die Wunden direkt an der Oberfläche, soziale Phobien müssen nicht erst entschlüsselt werden. Der Humor ist natürlich immer noch da, weiterhin herrlich schräg. Der "Trauerkloß" möchte in warmer Soße ertränkt werden und der Mini-Kanon in "Ich Kann Deine Mutter Sein Oder Deine Schwester" hat eine seltsame Leichtigkeit an sich.
"Doofer Tag" macht keinen Hehl darum, dass es Fritzi nicht gut geht. "Heute war ein doofer Tag", ausnahmsweise gibt es hier zum Klavier noch etwas vorsichtige Drums dazu. Teilweise wirkt es sogar, als hätten Fritzi und Produzent Ted Gaier nicht die Energie gehabt, den Songs fertigzustellen. Türen gehen auf und zu, das Schlagzeug muss erst noch getestet werden. Es passt aber nur um so besser zur niedergeschlagenen Stimmung des Songs. "Ich bin doch dein Lieblingskuscheltier" klingt verletzt und ungläubig.
Durch diese Reduktion auf das Wesentliche tun die schmerzhaften Momente auf "Keine Termine" umso mehr weh. "Den Rubin" ist stellenweise kaum auszuhalten. Langsam baut sich zum Klavier ein Harmonium auf, dessen Schrille kaum zu ertragen ist. Der Song bohrt sich in die Ohren und verhakt sich dort. Die zwei Minuten ziehen sich in die Ewigkeit, bis in die Unerträglichkeit.
Doch zum Schluss, am Ende der Reise, ergibt alles Sinn. Alle elf Vignetten aus den letzten Jahren, die Fritzi Ernst auf "Keine Termine" angesammelt hat, fügen sich zusammen. Die seltsam schräge und beschwingte Erinnerung an einen desaströsen ersten Schultag "Trauerkloß" schmiegt sich an die emotionale Apokalypse "Außer Mir". Alle Gefühle zwischen Verzweiflung und (zaghafter) Hoffnung finden zusammen, sobald Fritzi in "Ich Weiß" in die Tasten haut. Ein sperrig-knarzender Beat treibt sie nach vorne, während sie ihr seltsames Glück beschriebt. "Ich mag dich so / ich könnte schreien / ich möchte häufig bei dir sein. Am Ende klingt die Electronica nach den wunderbarsten Sternen und Fritzi Ernst ist glücklich. "Ich glaub ich fühle gerade Glück / und ich find nicht mehr den Weg zurück."
3 Kommentare mit 3 Antworten
Ungehört 0/5!
Kann weg ...
Klingt wie Uni hat Sommerfest. Aber ist das Absicht, dass das Cover von "Keine Termine" Beine und nen Pimmel oder nen Kopfstand darstellen kann? Sollte es keine sein, find ich es auf infantile Art lustig.
Abgesehen davon möchte man sich nach 2 Sätzen erschießen und die Sängerin gleich mit.
nice, geht mir bei denen kommentaren auch so
Wie schön, alles richtig gemacht
Das klingt wirklich hart nach Mucke fürs „alternative“ FH-Café und auf ne ganz grausame Art nach Kindergartenfest und die Erzieherin am übersteuerten Mikro in ihrem Element.