laut.de-Kritik
Pop-Stadium statt Straßen-Studium.
Review von Franz Mauerer"Stadium Rock" ist kein Stadionrock, auch kein Rock, auch nichts fürs Stadium, nur fürs Endstadium. Also alles wie gehabt im Hause Haiyti. Dementsprechend lüften wir gleich die Frage, die sich bei jedem Release stellt: Meisterwerk oder Schund? Es ist mal wieder was dazwischen und in diesem Fall recht viel von beidem nebeneinandergestellt. Alles-alles ist aber doch nicht wie gehabt, denn eine Entwicklung offenbart das neue Album: Die Hamburgerin macht auch auf Pop-Prinzessin – neben ihrem gewohnt irren Sound.
Fangen wir mit dem Geilzeug an: Der Opener "Der Kugelschreiber Poppt Nicht" lässt nämlich wirklich zuerst an "Stadium Rock" denken oder zumindest eine Industrial-Electroclash-Version davon, und seit Peaches war natürlich niemand mehr so destiniert für Electroclash wie die Ronja. "1,60" macht einfach Spaß mit Magenschlag-Bass-Beat, groovigem Vocalsample und einer MC, die mit "hhhhuuughhh" und "brrrrrs" nur so um sich schmeißt; wie so oft ist Haiyti am besten, wenn sie sich in ihrem Biotiop vorbehaltlos austobt.
Das macht sie auf "Bunte Planeten" auf der Rooftop-Bar, Killerbeat von Scoolboy, aus dem man zum Ende hin aber noch mehr hätte machen können. "Cini Mini" mit Money Boy (ja, hier in der offiziellen Tracklist mit Leerzeichen) ist ein zuckersüßer Killer mit beiden Rappern in Bestform. Sie lebt von Dynamik, er von Kontrolle, und beide liefern genau das. Man sitzt im Auto, während sie Gas gibt und er aus Spaß in Kurven die Handbremse zieht, während der Hörer aus einer zu kleinen Schüssel mit zu viel Milch versucht, Cornflakes zu essen; exzellent. "Texas" lebt davon, wie gut die MC sich in Bulletproofs Beat zwängt. Alles wabert und wackelt von oben nach unten und sie keift sich in bester Manier durch den Morast.
Der Poppart der Scheibe muss sich zwischen den beiden Polen eingruppieren: Haiyti ist eine gute, moderne, aber keine überragende oder avantgardistische Popsängerin. Songs wie der lupenreine Pop "Lumen", der Trap-Pop "Irgendwas", das schlechtere Clueso- (also circa Cro-) Stückchen "Dreh Dich Nochmal Um" sind alle sehr vernünftige Genreware, das sonst zuverlässig Überraschende der Rapdirne bleibt beim Pop aber oft aus. Bei "Semtex" gelingt eine Vermählung von Pop und Rap sehr überzeugend, diese beiden Welten sollte die Sängerin öfter gemeinsam denken, hier ist offensichtlich ihre Nische, während "Tagebuch" oder "Wo Soll Das Hinführen" jede zweite Lehrertochter deutscher mittelgroßer Städte ins Mikrofon hauchen kann; "Eine Nacht Wie Jazz" gar wie ein Catterfeld-Remix daherkommt. Zwischen den oben genannten Perlen "Cini Mini" und "Texas" zwängt sich das ebenso bockstarke "Florenz". Hier trifft die Popsängerin Haiyti endlich genau den richtigen Ton mit suaver Haltung und wahnsinniger Souveränität. Ein richtiger Trip und ein traurig-schönes Liebeslied, Meisterwerk.
Und dann widmen wir uns den Songs fürs Kröpfchen: "Beef Mit Der Welt" bräuchte viel mehr Aggressivität im Beat, Produzent basscrime und die Rapperin kommen nicht auf einen Zweig. Er verantwortet auch "Butterfly Doors", und auch hier ist er nicht so richtig schuld, der Beat ballert schon, aber Haiyti tritt bei ihrem Auftritt im Gesundbrunnen-Center zu sleazy auf, ohne die notwendige Tiefe zu gewinnen; das Ergebnis ist fade. Damit rangiert es deutlich weiter vorne als "Liebe Den Hate", Kategorie Totalausfall. Der Beat der Bounce Brothas würde wohl jeden MC überfordern, Haiyti kriegt ihn gar nicht in den Griff, spätestens beim Refrain versteht man den Hate. "Ain't Rock It" beendet den ganz schwachen Mittelparts des Albums mit einem weiteren Rohrkrepierer, und der Featuregast Lunchbox kann mal gar nichts. "Sternenhimmel Digital" hat nur eine Idee, die nicht ausreicht, "Vodka Soda" erreicht auch wegen des unsicheren Gastes Caramelo satirisches Niveau. "Y2K Guns" erstickt die Dynamik der Rapperin in viel zu grellen, aber seltsam statischen Beats.
Eine tolle Rap-EP, eine gute Pop-EP, eine schlechte Rap-EP, ergibt ein gutes Album. Nur der gute Rap und der gute Teil vom Pop zusammen ergäben ganz locker einen Stern mehr.
2 Kommentare mit 4 Antworten
Gefühlt 20 Alben in 10 Jahren - alle Scheiße. Wer hört sich sowas an?
Nicht viele vermutlich.Die ist ja auch nicht sonderlich erfolgreich mit ihrer Musik.
City Tarif war durchweg ein Banger. Das Frühwerk auch durchaus stabil, aber ja, danach wurde es halt schwierig. Also live ist sie auf jeden Fall super und ihre Stärke mittlerweile darin, gelegentlich mal ganz gute Singles zu veröffentlicht. Ihr Problem ist gleichzeitig ihr Markenzeichen: Sie nimmt ungefiltert auf und released gefühlt alles, was sie je recorded hat. Ein bisschen mehr Kuratieren oder jemand, der für sie die besten Singles rauspickt oder ihr mal sagt, dass sie an einem Song länger sitzen sollte, wäre wahrscheinlich am besten.
Ihr Markenzeichen ist ihr Gekrächze. Dafür ist die Zielgruppe enorm klein.
Sie hatte einen geilen run von 2016 bis etwa 2022. Danach war die Luft raus mMn
Ich finde es auf jeden Fall schonmal besser als die letzten beiden Alben. Für mich wäre ein Stern mehr gerechtfertigt, denn außer "Wo Soll Das Hinführen?" gibt es nach meinem Geschmack keinen Totalausfall. Die poppigen Hooks sitzen "Lumen"), die Beats sind zum Großteil stark ("1,60") und ihre Raps drehen entweder richtig schön frei ("Texas") oder sind gewohnt lässig und mit der richtigen Attitude ("Butterfly Doors").
Ich freue mich auf die nächste Tour.