laut.de-Kritik
14 durchzechte Nächte. Und jetzt? Post Punk Depression!
Review von Christian Kollasch"Bist du nicht müde / Nach so vielen Jahren? / Weißt deine Fragen nicht mehr / Kriegst keinen klaren Satz zusammen". Idles kennen dieses Zitat aus "Bist Du Nicht Müde" von Wir Sind Helden sicher nicht, die Fragestellung, die sich daraus ergibt, schoss den fünf Punks aus Bristol in jüngerer Vergangenheit aber vielleicht mal durch den Kopf.
Seit ihrem Debüt von 2017 rennt diese Band unentwegt gegen alles an, was sich ihr in den Weg stellt oder richtigerweise von ihr als beschissen erachtet wird. Sie brüllten den Rassismus nieder, reckten die Faust für freie Liebe zwischen allen Geschlechtern in die Luft, stampften das Patriarchat in den Boden und predigten Selbstliebe und Gleichheit.
Nebenbei rückten Idles ein tausendfach totgesagtes Genre wieder ins Rampenlicht und rissen mit ihrer Energie und der positiven Attitüde eine große Fangemeinschaft mit. Das Echo darauf verwundert im aktuellen Zeitalter der Kommentarspalten-Giftmischerei kaum. Von Musikerkollegen kam der Vorwurf des Klassentourismus', immer mehr Stimmen schrien "Ausverkauf!" Das ewige Kernproblem des Punks, der aufgrund seiner Werte gerne mal in sich zusammenbricht, wenn er zu groß geworden ist, manifestiert sich in der Gegenwart der Idles erneut.
Mit "Ultra Mono" folgte im vergangenen Jahr eine Art Befreiungsschlag, mit dem die Band den Druck nochmal erhöhte - in der Klarheit der Message und in der Produktion. Das Album machte rückblickend immer noch den nächsten logischen Schritt in der Diskographie, wirkte stellenweise aber tatsächlich etwas gezwungen und orientierungslos. Idles hatten alle ihre Fragen an die Gesellschaft gestellt. Und jetzt?
Auf "Crawler" wehen keine Fahnen mehr, es flattern keine Transparente, und keine Faust geht nach oben. Idles machen dicht und ringen statt mit den Tories mit den eigenen Dämonen. Front-Keifer Joe Talbot rückt für das vierte Album seine langjährige Alkohol- und Drogensucht in den Fokus und verarbeitet den ständigen Kampf zwischen ekstatischen Highs und schauderhaften Lows in schonungsloser Selbstreflexion.
Die entsprechende Stimmung setzt der Opener "MTT 420 RR" mittels eiskaltem Elektro-Ambiente, mit dem Trent Reznor und Atticus Ross sonst so passend Fincher-Filme untermalen. Talbot durchlebt hier seinen Abturn in einer Februarnacht erneut und findet die richtigen Worte für diese dunklen Momente, wenn sich Psyche und Körpergefühl gegen einen selbst wenden: "It's raining glass like a fever storm". Der Song wächst zum Abfuck-Crescendo heran, während Talbot fragt: "Are you ready for the storm?"
Der folgt prompt mit "The Wheel", das stoisch über ein Feld rollt, in das der Basslauf tiefe Furchen zieht. Bassist Adam Devonshire geht mittlerweile beim Tuning so tief, wie Talbots Texte ins Glas schauen. Der Song gerät zur manischen Dance-Nummer und verspricht zukünftige Live-Ekstase. Idles' bewährte Post-Punk-Formel geht auch auf dem vierten Album auf.
"The Wheel" würde mit der eher rudimentären Herangehensweise auch aufs Debüt passen. Ab diesem Punkt schlägt die Band aber einen Haken und schert in bisher unangetastete Genres aus. "When The Light Comes On" macht eine Zeitreise in die 80er, verbeugt sich vor Joy Division und begleitet Talbot mit geisterhaften Gitarren durch die Nacht. Die Gitarristen Mark Bowen und Lee Kiernan umspielen den Suff mit so unheilvollen Klängen, dass die Reue am nächsten Tag schon greifbar wird.
Auf dem Industrial-Noise-Angriff "Car Crash" funktionieren die beiden ihre Instrumente zu Alarmanlagen um, die schrille Signale durch Talbots Synapsen jagen. Mit den Nerven am Ende, die Selbstlüge hält sich aber noch wacker: "I got myself together / I got myself in check", redet sich der Frontmann ein. Talbot windet sich um sich selbst, sucht Ausflüchte und spielt seinen Zustand herunter, obwohl er längst im Straßengraben liegt. Die Tragik, dass man meistens selber weiß, wie es besser laufen sollte, schwingt hier überdeutlich mit.
"The Beachland Ballroom" glättet die Wogen mit angesoffenem Soul. Talbot schwipst sich hier mit bisher ungeahnten Gesangskünsten durch diesen Slowdance, bis er am Ende auf auf allen Vieren landet. Der musikalische Ausflug steht der Band wunderbar zu Gesicht, und gerade Talbot glänzt mit seinem Spagat zwischen Karaoke-Flair und den markanten Ausbrüchen.
Den krassen Kontrast gibt es gleich darauf bei "Crawl!", mit dem Idles schrillen Garage-Rock in ihre DNS einfließen lassen. Das klingt dann eben auch wie The Sonics auf Amphetaminen, wenn sich Talbot von einem High zum nächsten hangelt und zwischendurch versucht, die Konsequenzen auszublenden. Das "I'm alright!" aus dem Refrain kauft man ihm nicht ab, und darin steckt auch eine der besten Gesangsleistungen des Frontmanns.
"Crawler" wartet mit einigen der raffiniertesten Songs im Idles-Repertoire auf. Die Experimente glücken größtenteils. Zwar haben andere Genrevertreter wie etwa die befreundeten Shame in diesem Jahr kohärentere Werke abgeliefert, Idles sprengen aber erfolgreich die eigenen Grenzen. Talbots bewegende Erzählungen zwischen Kicks und Verzweiflung unterfüttert die Band hörbar kreativ. Ein Album mit 14 durchzechten Nächten, aber müde ist diese Band noch lange nicht.
3 Kommentare mit 4 Antworten
Vielleicht finde ich sie ja diesmal nicht saulangweilig. Irgendwas Mysteriöses muß an denen ja dran sein!
Ich möchte sie auch gerne mögen, aber die ersten beiden Alben gefielen mir nicht besonders. "Ultra Mono" hingegen hatte einige Momente und mein erster Hördurchlauf bei dieser Platte war sehr positiv.
Nach dem ich durch die ersten Alben der Idles nicht wirklich durch kam, scheint mir dieses tatsächlich besser zu liegen.
Find ich auch so!
Es klingt zwar auch noch so "rumpelig", aber dennoch vielseitiger. Der Gesang ist oft auch als solcher zu bezeichnen und somit abwechslungsreicher als das nuschelige Gebell sonst.
zua0ehrütaaaaaaa es war ewin uherat das ist fakt
Und außerdem ist "Car Crash" eine wunderbare Verneigung vor "Warm Leatherette"...