laut.de-Biographie
Jah Cure
Nach mehr als sieben Jahren hinter Gittern wird Jah Cure am 28. Juli 2007 aus der Haft entlassen. Bereits vor seiner Verurteilung macht er sich als talentierter Neuzugang in der jamaikanischen Reggae-Szene einen Namen. Hinter Gittern feilt er an seinen Fertigkeiten als Sänger und Songwriter. Ein steter Strom von Veröffentlichungen sorgt zusammen mit einer Solidaritätskampagne unter dem Motto Free Jah Cure dafür, dass er nicht in Vergessenheit gerät. Im Gegenteil: Jah Cure scheint populärer denn je.
Was bisher geschah: Am 11. Oktober 1978 erblickt in Hanover, Jamaika, ein Knabe mit Namen Siccaturie Alcock das Licht der Welt. Drei Jahre später zeigen sich die ersten Symptome: Der Bengel ist besessen von Musik - und soll es bleiben. Als Schüler der St. James High School in Montego Bay sammelt er bei Theateraufführungen und Konzerten erste Bühnenerfahrungen.
Gerade einmal elf Jahre alt, stiehlt er sich nachts durchs Fenster davon, um sich in den Dancehalls der Nachbarschaft herumzutreiben. Das Reggae Sunsplash lässt er sich selbstverständlich auch nicht entgehen. Hier erlebt er die Großen im Geschäft und fasst den Entschluss: "Das will ich auch." Little Melody, wie er sich nennt, möchte die Fackel, die durch die Hände von Bob Marley und Peter Tosh, Black Uhuru, Burning Spear, Garnett Silk, Marcia Griffiths und zahlloser anderer ging, weitertragen.
Wenig später zieht es den mittlerweile 15-Jährigen nach Kingston. Eine gute Idee, wie es scheint: Hier erfährt Little Melody nicht nur die spirituelle Erleuchtung, er trifft auch auf Sizzla, Jah Mason und Capleton, die ihn unter die Fittiche nehmen. Letzterer verpasst dem jungen Sänger, der mit seiner melodiösen Stimme beeindruckt, seinen späteren Bühnennamen Jah Cure. Man munkelt, sein exzessiver Genuss des Krautes, das als gottgegebene Kur gegen verschiedenste Zustände gepriesen wird, habe entscheidend zur Namenfindung beigetragen.
Als ersten Titel unter dem neuen Alias nimmt er mit Unterstützung des englischen Produzenten Rebel Ruler die Nummer "Jah Is My Guide" auf. Jah Cure spielt kleinere Bühnenshows und drückt sich ansonsten in den Aufnahmestudios herum, von denen Kingston ausreichend viele zu bieten hat. In einem dieser Zusammenhänge wird Sänger und Produzent Beres Hammond auf ihn aufmerksam. Er ist es, der dem Nachwuchstalent professionelles Arbeiten nahe bringt. Hammond schwingt sich zu Jah Cures Mentor auf.
1997 nimmt er "King In This Jungle" auf, ein Duett von Jah Cure mit Sizzla, das den Grundstein für seine Popularität legt. Viele weitere Tunes sollen folgen. Jah Cures Beliebtheit wächst. Das erste Album "Ghetto Life" erscheint noch im gleichen Jahr. Jah Mason und Spectacular greifen zum Mikrofon. Unter den verschiedenen beteiligten Produzenten findet sich auch die legendäre Firehouse Crew.
Eigentlich sieht alles ganz gut aus für den neuen Stern am Roots-Reggae-Himmel. Eigentlich. Jah Cure tourt 1998 durch Europa und besucht gemeinsam mit Beres Hammond und dessen Harmony House Family diverse karibische Inseln. "Jah Cures melancholische Melodien treiben einem selbst dann die Tränen in die Augen, wenn man die Lyrics nicht versteht", schwärmt das Riddim-Magazin. Ein Novembertag des Jahres 1998 setzt den nahezu paradiesischen Zuständen ein jähes Ende.
Jah Cure schildert den Hergang folgendermaßen: Er sei mit einigen britischen Freunden unterwegs gewesen, um diesen Montego Bay zu zeigen. "Wir waren gerade losgefahren, als wir in eine Polizeikontrolle gerieten", erinnert er sich in einem Interview, das in voller Länge auf seiner Homepage zu lesen steht. "Sie sagten, ich solle aussteigen, mitsamt Führerschein und Fahrzeugpapieren. Das habe ich getan. Danach haben sie meinen Wagen durchsucht und nichts Verbotenes gefunden. Ich fragte: 'Kann ich jetzt gehen?'" Daraus wird nichts: Jah Cure muss die Beamten zur Wache begleiten.
Dort konfrontiert man ihn mit dem Vorwurf, er habe in der Woche zuvor gemeinsam mit einem Komplizen zwei Männer und zwei Frauen mit einer Waffe bedroht, ausgeraubt und eine der Frauen vergewaltigt, während sich sein Kumpan an der anderen Lady verging. Hartnäckige Unschuldsbeteuerungen helfen Jah Cure nicht: Eine nicht ganz vorschriftsmäßige Gegenüberstellung ergibt: Seine Stimme ähnele der des Täters, ebenso sein Auto. Aufgrund dieser Aussagen des Opfers wird Jah Cure im April 1999 wegen unerlaubten Waffenbesitzes, bewaffneten Raubes und Vergewaltigung zu 15 Jahren Haft verurteilt. Ein Berufungsverfahren bleibt ohne Erfolg.
Jah Cure tritt seine Strafe im Gefängnis St. Catherine an. Nachdem ihm nach einer Zellenkontrolle Schmuggel zur Last gelegt wird, verlegt man ihn ins Tower Street Adult Correctional Centre. Zwei Anträge auf vorzeitige Entlassung werden abgewiesen. Zu seinem Glück erhält Jah Cure im Knast Zugang zu Aufnahme-Equipment. Ein gutes Jahr nach seiner Inhaftierung veröffentlicht er im August 2000 über J&D Records mit "Free Jah's Cure" sein erstes Album aus der Vollzugsanstalt.
Dazu gesellen sich eine ganze Reihe von Singles. 2002 übernimmt Danga Zone das Management Jah Cures. Zwei Jahre darauf toppt dieser mit den Tunes "Jamaica" und "Longing For" gleich zweimal die jamaikanischen Charts. 2005 folgt das nächste Album "Freedom Blues". Einmal mehr leistet Sizzla einen Beitrag. Unter den Produzenten finden sich Phillip Burrell, Morgan Heritage und Beres Hammond. Mit der Gründung des Labels Iyah Cure Music möchte Jah Cure jungen Talenten die gleiche Starthilfe zuteil werden lassen, wie er sie einst von Kollegen erhielt.
Vermutlich begünstigt durch die Tatsache, dass er sich bereits vor seiner Inhaftierung auf dem Reggae-Parkett etablierte, kommt Jah Cure als einer der ersten in den Genuss des Programms Rehabilitation Through Music, von dem man sich, wie der Jamaica Observer berichtet, bessere Wiedereingliederungs-Erfolge verspricht. Die Single "True Reflections" liefert ein hörbares Resultat.
Dem nächsten Antrag Jah Cures wird stattgegeben: Seine vorzeitige Entlassung wird auf den 28. Juli 2007 angesetzt. Pünktlich dazu steht das neue Album in den Läden. Ebenfalls "True Reflections" betitelt und mit dem Zusatz "... A New Beginning" versehen, vereint es die letzten Single-Erfolge sowie eine brandneue Nummer, "To Your Arms Of Love", und bietet Roots-Reggae der gefühlvollsten Sorte. "Share Your Love" macht seinem Titel alle Ehre: Jah Cure teilt seine Liebe mit dem deutschen Reggae-Star Gentleman. Veranstalter reißen sich um die ersten Live-Termine. Fest eingeplant ist Jah Cures Auftritt bei dem nach ihm benannten Cure Fest, das allerdings auf Mitte Oktober verschoben wird.
Zu dieser Zeit steht die Karriere eines anderen Soft-Dancehallers in voller Blüte: Mavado. Trendsicher geht Jah Cure mit ihm, Dancehall-Legende Junior Reid und dem US-Rapper Flo Rida ins Studio. Die Single "Hot Long Time" klingt wie ein geöffnetes Ventil: Endlich macht der Sänger seinem Frust über die lange Zeit in Haft Luft, und doch hatte er das Privileg im Gefängnis Equipment für Tonaufnahmen zu nutzen:
Die Organisation Food For The Poor und andere supporten die Prison Recordings, indem sie Geräte an die Gefängnisleitung senden, darunter eine PA-Anlage. Die Aufseher tolerieren, dass ein Freund ihm ein Gerät zum Pegeln von Aufnahmespuren, das Roland Mini-Studio mitbrachte. Manche Gefängniswärter organisieren Kabel. So erinnert sich Jah Cure an ein trickreiches "system inside", als er ein Jahrzehnt später gegenüber dem Magazin Reggaeville entspannt darauf zurückschaut.
Gerade das Kollabo-Feature mit Mavado & Co. bringt ihn aber zurück in die Medien. Auf das fünfte Album "The Universal Cure" folgt mit "World Cry" erneut ein Album, das Mavado featuret - bis DJ Khaled diesen Künstler aufkauft und dessen Karriere so gut wie ausbremst. Auch die Jazz-Soulerin Jazmine Sullivan macht bei Jah Cure mit, zudem überraschen Einflüsse aus Latin und R'n'B.
Privat wagt Jah Cure ebenfalls einen Neuanfang. Er wird Papa und heiratet, und hier zeigt sich, dass er zum 'Jah' im Namen nicht die allertiefste Verbindung hat: Flexibel gestaltet er die Trauung nach den Abläufen der äthiopischen orthodox-christlichen Kirche, gleichwohl die Zeremonie auf Jamaika stattfindet. Aber klar: Der Reggae pflegt immer eine besondere Beziehung zu Äthiopien, dem Land Haile Selassies. Kamila, des Sängers Ehefrau, kommt selbst aus einer Reggaemusik-Familie: Ihr Papa steht der Roots-Band Chakuza vor, und ihre Schwester gilt als Partnerin von Chronixx: die Downbeat- und Reggae-/Dub-Sängerin Kelissa.
Mit dem Folge-Album "The Cure" setzt sich Jah Cure sofort an die Spitze der US-Reggae-Charts. In Sachen Europa-Booking reagieren auf die softer und schnulziger werdenden Songs nur wenige. Nach Deutschland holt das Ruhr Reggae Summer den Sänger gleich zweimal im Juli 2015 und als Samstagabend-Highlight im Mai 2016 - steht mit dieser Künstlerauswahl aber weit und breit alleine da. Immerhin das Rototom in Spanien, Europas größtes Reggae-Festival, bucht ihn.
Dann wird es sehr ruhig. Während sich der Sänger um sein Familienglück kümmert, reift der Plan, das Thema Kollaborationen mal so richtig auszureizen. Für den 30. August 2019 kündigt er die Scheibe "Royal Soldier" an. Eine Single mit Popcaan geht voraus. Allerdings, kein Kompliment für Jah Cure, erreicht der Song "Life Is Real" auf YouTube unter seinem Namen, 32.000 Streams, als der jüngere Hype-Artist Popcaan nur als Featuring-Act erwähnt wird. Und unter Popcaans Namen, ohne Erwähnung Jah Cures: über 800.000 Streams - in kürzerer Zeit!
Eine Vielzahl an Acts aus der Reggae-Geschichte und auch von außerhalb, z.B. die Kanadierin Melanie Fiona ("Give It To Me Right") beteiligen sich am Album "Royal Soldier". Musikalisch konzipiert Jah Cure das Comeback laut seinem Label als eine romantische Platte für die Ladys.
Die Folgeplatte "Undeniable" erscheint im Februar 2023 mal wieder aus dem Knast. "Meine Nachricht an meine Fans ist, ich bitte um Verzeihung für diese Situation (...) Ich würde gerne dieses Album als besonderes Geschenk von mir an euch geben (...) ich habe einige interessante Lieder mit euch zu teilen." Jah Cure ist zu sechs Jahren in einer holländischen Anstalt verurteilt. Sein Label VP hatte im Vorjahr 2022 erstmals in seiner Geschichte kein einziges neues Album veröffentlicht. Erschienen waren lediglich eine Handvoll Wiederveröffentlichungen und drei Compilations. So hängt die Hoffnung der Plattenfirma an einem Wiederholungsstraftäter.
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