laut.de-Kritik
Synthesizer im Schockzustand.
Review von Elias Raatz"Musik darf auch einfach schlecht sein", dachten sich Ende 2014 vier junge NRWler und gründeten die witzelnde Dada-Formation Kochkraft Durch KMA. Ihr drittes, bislang ausgereiftestes Album "Hardcore Never Dies Das" ist rebellischer Post-Punk mit gesellschaftskritischem Augenzwinkern, mit tanzbarem Synthesizer im Schockzustand, mit energetischem Pop-Pathos und ironischen Ohrfeigen. Selbst bezeichnet die Band ihr 35-minütiges Werk als Mischung aus New Wave, Post‑Punk und Indie‑Punk - oder auch als Teil der "Neuen Deutschen Kelle". Mal albern, mal genial, mal angenehm, mal schmerzhaft. Das Album stieg in der Veröffentlichungswoche auf Platz 38 der deutschen Charts.
Kochkraft Durch KMA war nie einfach nur eine Band - eher eine Punk-Performance mit feministischer Agenda und absurd konsequenter Bühnenästhetik. Die zwölf Songs auf "Hardcore Never Dies Das" machen daraus ein musikalisches Manifest: Hier wird geplärrt, geschrien, geschmachtet und gesampelt, was das modulare Synth-Rack hergibt. Als Opener brettert "lana_v@gmx.de" treibend, tanzbar und energetisch und greift die Entgrenzung der Arbeit ironisch an: "Ich kann noch viel mehr schaffen, wenn man mehr von mir verlangt. Setz mir noch 'ne Deadline, setz mich unter Druck. Ich lass alles steh'n und liegen und dann mach ich mich kaputt." Gleichzeitig wird postuliert: "So wichtig war's noch nie" - ob der Rest des Albums auch von solcher Wichtigkeit gekrönt ist?
"Ich bin Bon Jovi, du flirtest mich an", heißt es im zweiten Track des Albums, "Bon Jovi", der sich inhaltlich um ein Date mit einem echten Lederjackenmann in einem Rock'n'Roll-Land dreht. Hier fusionieren Hair-Metal-Theatralik und DIY-Ethos zu einem tanzbaren Punk-Stück, das teilweise klingt wie eine nihilistische Teenie-Lovestory im Myspace-Chatfenster. "Ich sang die ganze Zeit von dir 2" hält danach leider nicht, was er textlich verspricht: "Ich bin verrückt nach dir." Doch eingefleischten Fans könnte auch diese Autotune-Explosion gefallen.
Beim "Tag des Pferdes" kommen sogar Rock-Fans auf ihre Kosten. Das Schlagzeug peitscht den Song im Rhythmus eines galoppierenden Pferdes nach vorne, was sich anfangs sehr erfrischend, zum Ende des Songs jedoch auch leicht nervig anhört. "Tag des Pferdes" reiht verschiedene Tiernamen aneinander: "Gänse, Küken, Hühner, Hähne, Ziegen, [...] "süße Kälber, süße Ferkel." Natürlich spielen in der Aufzählung vom Bauernhof die Bullen und Schweine eine besondere Rolle, die repetitiv hintereinander genannt werden. Ob es hier noch um Tiere geht?
"Es ist schon schwer genug, ich brauch nicht zu mir ehrlich sein" heißt es dann im fünften Song "Ehrlich", der vom Versagen im eigenen Leben handelt. Treibender Punk, aber eben ehrlich - und textlich stark. Genauso wie die beiden kommenden Tracks "Reich" und "Gutes Arbeitsklima, trotzdem kalt" (feat. Mamoré), die mit satirischem Unterton die Systemfrage stellen und den Kapitalismus auf dem Müllhaufen der Geschichte sehen wollen. Die Kälte des Kapitalismus behandeln Kochkraft Durch KMA nicht mit Wut, sondern mit fast melancholischer Ironie. Man wippt, man leidet, man lacht ein bisschen bitter. "Geld macht dich glücklich, Geld macht dich stark, Geld ist so nützlich, Geld versüßt dir den Tag", doch zu welchem Preis? Texte wie "Auf der Arbeit hab ich keine Langeweile, in meiner Freizeit wär ich sowieso alleine" greifen nicht nur die Lohnarbeit an sich an, sondern gleichzeitig die zunehmende Vereinsamung des Menschen im Kapitalismus.
Davon könnte auch das Herzstück des Albums handeln, ein Feature mit The Toten Crackhuren Im Kofferraum namens "Wer soll ich heute für dich sein?". Oberflächlich thematisiert der Song gesellschaftliche Einsamkeit, in der man vor Problemen wegrennt und sich in einer anderen Person verliert, die vom eigenen Schmerz ablenkt: "Ich kann alles, aber lass mich nicht allein. Wer zur Hölle soll ich für dich sein?" Gleichzeitig schwingt zwischen den Zeilen auch eine feministische Kritik an der weiblichen Unterwerfung in der patriarchalen Gesellschaft mit, indem die Protagonistin des Songs sich in bester Tradwife-Manier ihrem Partner fügt. Sie symbolisiert eine Frau, die alles für ihren Mann sein kann und will, sich für ihn auch bis ins Letzte verbiegen würde: "Gefällt dir, was du siehst? Ich kann deine Traumfrau sein, oder auch deine Alptraum-Frau, ganz wie du willst." Zwischen Genderfragen, toxischer Anpassung und 80s-Flair schillert dieser Song wie ein Glitzerrevolver: laut, überdreht und gefährlich präzise.
Musikalisch oszilliert das Album zwischen stampfendem Gitarren-Noise in bester New Wave-Manier und erstaunlich tanzbaren Synth-Wellen wie "Freefalltower" und "HP2071F", die sehr experimentell beinahe schon in die Techno-Kerbe schlagen. Ähnlich experimentell und mit einigen Elementen elektronischer Musik kommt "Maria Magdalena" daher. Der Mix ist wie auf dem gesamten Album eher roh, aber nicht schlampig - die Produktion erlaubt sich Schmutz, aber nie Beliebigkeit. Wobei diese drei Tracks auf dem Album eher mitschwingen, als eine tragende Rolle einzunehmen.
Trotz aller Ironie und verspielter Referenzen bleibt die Band emotional greifbar. Wenn Sängerin Lana "Danke" haucht wie ein toxisches Schlussmach-Gespräch auf LSD, bleibt da mehr hängen als nur Sound.
Der zwölfte und letzte Song scheint gleichzeitig der wichtigste des Albums, der sich nicht nur "für die gute Energie" bedankt, sondern auch Einblick in das Seelenleben der Sängerin offenbart: "Mir egal, wer hier Recht hat und ob ich irgendwas schlecht mach. Ich singe schief, doch ich mag das. Und ich tanz dazu, denn es geht mir gut." Kein Album-Ende wäre gut genug, ohne den Fans beim fulminanten Abschied noch eine Message mit auf den Weg zu geben: "Die Gedanken, sie ärgern dich, sagen, dass du nicht richtig bist. Ihre Meinung, sie juckt dich nicht. Du tanzt dazu, es geht dir gut." Nicht jeder Track zündet gleich. "Reich" beispielsweise will mehr, als er trägt - hier wirkt die Kritik am Geldadel klischeehafter als gewohnt. Auch "Ich sang die ganze Zeit von dir 2" verliert sich etwas im Kitsch, ohne die emotionale Tiefe der anderen Songs zu erreichen. Aber Schwäche ist bei Kochkraft Durch KMA eh Teil der künstlerischen DNA. Mit "Hardcore Never Dies Das" beweist die Band, dass Haltung und Hedonismus sich nicht ausschließen müssen. Das Album ist radikal, eingängig, überdreht und gleichzeitig schmerzlich relevant - ein Soundtrack für alle, die tanzen wollen, obwohl (oder gerade weil) die Welt brennt. Man sollte dafür aber bestenfalls Punk-Fan sein.
3 Kommentare mit 3 Antworten
Albumtitel des Jahres

Schon sehr gut.
Dafür leider einer der blödesten Bandnamen aller Zeiten
Danke, Heike Eldenreich.
Sing-Zeile für mich klare doppelte Dendemann-Referenz. Daher muss ich mal reinhören, um es dann trotzdem scheiße zu finden.
Kannte ich noch garnicht. Wie eine weiblichere Version von Pisse. Gefällt.