laut.de-Kritik
James Murphy gibt der Utopie den Rest.
Review von David HutzelDie Geschichte dieses Albums beginnt vor ungefähr sechs Jahren, als James Murphy, Kopf und Gründer von LCD Soundsystem, ankündigt, die Band auflösen zu wollen. Zuvor hatten die Musiker noch ihr sehr gutes drittes Album veröffentlicht und eine ausgedehnte Tournee gespielt. Am Ende stand ein allerletztes Konzert im Madison Square Garden in New York, bei dem die Band in knapp vier Stunden noch einmal alles raushaute, das sie zu bieten hatte.
Dieses Konzert sowie eine Doku über die letzten Monate erschienen als Film unter dem wenig bescheidenen, wenn auch ironischen Titel "Shut Up And Play The Hits". Ein bombastisches Ende einer großen Band, die den Sound etlicher Indie- und Electronic-Acts der 2000er-Jahre maßgeblich geprägt hatte.
Irgendwie schien diese Auflösung bereits damals zu schön inszeniert, die Art und Weise zu kontrolliert (in einer "strangely controlled manner", wie es Murphy im Film selbst formulierte), um wahr zu sein. Zu verlockend erschien es nun wohl für die New Yorker, das bis hierhin musterhafte Narrativ weiterzuschreiben und den in der Zwischenzeit um die Band gewachsenen Legenden-Kult auszunutzen.
Nachdem LCD Soundsystem also vorletztes Jahr wieder zusammengefunden und Konzerte gespielt hatten, tüftelten sie bis jetzt am Album. Die Erklärung von Mastermind Murphy legte die Messlatte für den musikalischen Output dann noch höher, als sie sowieso schon lag: Wenn es schon ein Comeback auf Albumlänge geben sollte, dann in großartiger Manier.
Nach dem Release der ersten beiden Singles im Mai musste man zunächst befürchten, die Band drifte in die Belanglosigkeit ab. Klar, da war wieder dieser grandiose Erzählsänger Murphy, der seine Texte mal gesprochen, mal im Falsett vorträgt. Doch zu seicht geriet der Titeltrack mit seinem fortplätschernden Synthie-Beat, und "Call The Police" eine Spur zu geradlinig und für jeden, der einmal ein David Bowie-Album gehört hat, auch berechenbar.
In der Gesamtheit wirkt die Platte jedoch alles andere als oberflächlich oder langweilig. Auch die genannten Singles fügen sich wunderbar in den Kontext. Insgesamt geben sich die Begründer des modernen Dance-Punk auf "American Dream" weniger Dance und verschachtelt als zuvor, dafür um so mehr Punk und Pop. James Murphy versprüht kein bisschen Müdigkeit, sondern eingängige, bisweilen wütende Energie.
"Other Voices" macht direkt deutlich, wo sich LCD Soundsystem im Jahre 2017 befinden: Sie beherrschen New Wave- und Post-Punk- genauso gut wie Selbstzitate. Während der Song gut auf der letzten Platte neben Songs wie "Pow Pow" funktioniert hätte, erinnert er ebenso an die Talking Heads und deren funky treibenden Sound auf "Remain In Light".
Trotz der Tatsache, dass "American Dream" (wie jedes Album der Amerikaner) der Himmel für Liebhaber analoger Synthesizer ist, gewinnt die E-Gitarre sporadisch an Prominenz. Natürlich war sie schon immer ein tragendes Element auf Murphys Alben und bleibt dies auch, beispielsweise fahrig geschrammelt auf "Emotional Haircut", das nicht zuletzt deshalb an Joy Division und den Opener von "Closer" erinnert. Darüber hinaus nimmt die Gitarre als Soloinstrument aber einen größeren Raum ein. Zu hören ist das ausgedehnt in "I Used To".
Schon das erste Stück "Oh Baby" deutet überdies an, wie der American Dream zu verstehen ist, wenn Murphy zu Midtempo-Beat und freundlichem Synthesizer-Bett seicht die Stimme hebt, "Oh baby / you're having a bad dream / here in my arms": als persönlicher Angsttraum. Dass der Begriff in der sozialen Realität der USA keine Bedeutung mehr hat, das dürften inzwischen die meisten wissen.
Murphy gibt dieser Utopie den Rest, weil er sie ausschließlich auf eigene Erlebnisse bezieht und ihr so ihre bedrohliche Strahlkraft, ihre Funktion als Ideal entzieht. So schildert er weiter, wie sein einstiger Mitbewohner und DFA-Mitbegründer Tim Goldsworhty vor ein paar Jahren New York ohne Ankündigung verließ, um nach England zu gehen ("How Do You Sleep": "Standing on the shore facing east / I can't feel you"). Eine persönliche Niederlage, die Murphy offenbar bis heute zu schaffen macht, ihn aber wieder kreativ werden ließ. Am Ende verfolgt eben jeder seine eigenen Träume.
Es mag zunächst kalkuliert und kommerziell motiviert wirken, eine Band mit einem solchen Krach aufzulösen, nur um sie knappe sechs Jahre später erneut die Bühne betreten zu lassen. Das kann man Murphy und Konsorten vorhalten. Letztlich zeigt "American Dream", dass dieses Album nicht deshalb entstand, damit LCD Soundsystem die Geschichte ihres eigenen Comebacks erzählen können. Sondern weil Murphy, Whang, Doyle und die anderen schlicht Lust darauf hatten, neue Songs zu schreiben. Diese nachdrückliche Hingabe spiegelt sich in beinahe jeder dieser knapp 70 Minuten und macht das ganze Drumherum zumindest für diese Dauer überflüssig.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Die Songs wachsen mit jedem Durchgang und wollen auch mehrfach gehört werden. Murphy versteht sein Handwerk immer noch und liefert Electro-Rock zwischen alter Schule (Suicide, New Order) und Gegenwart.
Jetzt noch Rereviews für die Vorgänger bitte. Das Meisterwerk "Sound of Silver" ist mit drei Sternen nach wie vor krass unterbewertet.
Kenne die Band nicht wirklich. Hab mal auch Neugier reingezappt – zack beim ersten Song hatte es mich. Grandioser Opener (quasi das gegenstück zum EROS Intro).
DerDVD- Titel "shut up and play the hits" stammt übrigens von einem Zwischenruf des Arcade Fire-Sängers, der beim Abschieds-Konzert Teil des Background-Chores war.
Klingt für mich ziemlich alt, sehr alt, bin alt und entsetzt.
Werd einfach alt.
Wahnsinnsdialog
Beim ersten Durchhören habe ich bei vielen Songs am Anfang gedacht: "Na ja, ok." Aber im Verlauf gewinnen die Songs dermaßen an Dramatik und Tiefe und überraschen total. Dann so: "WOW, großartig!". Freue mich auf die nächsten Durchgänge (dann in HiRes).