18. Januar 2024
"Twerken hat auch eine tiefere Bedeutung"
Interview geführt von Philipp KauseDie Baslerin La Nefera ist eine Rapperin, die mit Live-Musiker*innen an organischen Instrumenten tourt. Aufgewachsen in der Dominikanischen Republik, verschlug es sie im Alter von zehn Jahren in die Schweiz.
Mit einem Pariser Musiker am Sousaphon, einem Gitarristen, der in Río Cuarto in Argentinien studiert hat, und einem Schlagzeuger aus Basel, tourt La Nefera dieses Jahr in einem engmaschigen Terminkalender, seit sie von einer Reise aus Kolumbien zurück ist. Dort entstanden Teile ihres spanischsprachigen Albums "C'est ça!" In Hamburg gastierte die kreative Genre-Innovatorin ebenfalls, konnte aber in nur 40 Minuten Open Air-Slot kaum nur andeutungsweise ihr neues Werk vorstellen. Wir haben uns mitten auf der Reeperbahn mit Hintergrundlärm Betrunkener unterhalten.
Soziale Arbeit hast du studiert, hast zweigleisig Sachen gemacht, vielleicht kannst du erzählen: Wie stellst du dir das in Zukunft vor? Und was hast du aus bisherigen Jobs mitgenommen, das vielleicht in Songtexte einfließt?
Gerne! Also, die Soziale Arbeit ist in der Schweiz so aufgeteilt: Es gibt drei Hauptbereiche, also Schwerpunkte. Zum einen gibt's die Sozialpädagogik. Dann die Sozialarbeit an sich, die viel mit Recht zu tun hat. Und dann gibt's die soziokulturelle Animation. Und die hat zum Zweck, Partizipation zu fördern und Demokratie zu schaffen. Das hat mich sehr interessiert, und deshalb hab ich das auch studiert. Ich hab lange in der Jugendarbeit und mit Projektarbeit dazu beigetragen, dass die Jugendlichen auch den Mut fassen, ihre Stimme zu erheben und sich für sich einzusetzen. Später war ich dann Kinder- und Jugendbeauftragte der Gemeinde, wo ich gearbeitet habe. Ich war dafür zuständig, die Kinderrecht umzusetzen. Wir hatten auch ein Unicef-Label, das besagt, dass die Kinder zum Beispiel bei Bauten einbezogen werden, bei Schulbauten und so Sachen. Da musst du methodisch sehr viel wissen und kennen und das richtig deuten können, um die Bedürfnisse der Kinder übersetzen zu können.
Welche Altersgruppe?
Von ganz klein bis 18 - bezeichnen sie so als 'Kinder'. Und es war, je nachdem, bei einem Schulbau oder einem Spielplatz-Umbau, dass man bei diesen Prozessen die Kinder einbezieht. Oder die Jugendlichen, wenn ein öffentlicher Platz, wo sie sich aufhalten, verändert wird, dass sie auch mitsprechen können.
In Basel?
Im Baseler Land, in einer Gemeinde. Das hat mich sehr interessiert, aber ich hab nebenbei immer Musik gemacht: Also bisschen geschrieben, bisschen Featurings mit anderen Leuten, und ich hab dann erst 2016 mein Debütalbum rausgebracht. Und von da an hat's dann angefangen, bisschen mehr zu werden. Dann kam eine Brass-Band, bei der der eine Musiker aus meiner jetzigen Gruppe der Bandleader war. So bin ich überhaupt in Kontakt gekommen mit Live-Musiker*innen, denn zuvor war ich mit DJ*anes unterwegs. Das hat mich sehr weiter gebracht, ich hab sehr viel gelernt. Und fand immer mehr Gefallen daran. Die Konzertanfragen kamen und kamen und kamen, und ich merkte, dass es immer schwieriger für mich wurde damit klarzukommen, dass ich die Arbeitsbelastung im Job hatte, die mit ganz vielen Verantwortlichkeiten verbunden war, und dann dieses Engagement in der Musik, das immer größer wurde. Dann hab ich den Entschluss gefasst, Ende 2019, dass ich Musik machen möchte. Und ich hab auch meinen Job gekündigt - hehe. Schweren Herzens ...
Kurz vorm Lockdown…
Ja, genau! Und dann ist der Lockdown gekommen. Das war eine sehr ambivalente Zeit für mich. Weil ich mir sehr lange sehr viele Vorwürfe gemacht hab. Auch, ob das jetzt die richtige Entscheidung war: Denn ich hatte einen sehr stabilen, sicheren Job, und hab mich entschieden Musikerin zu werden. Irgendwie war's so: Ja super. Genau zum falschen Zeitpunkt (lacht).
Ah, das hätte ja niemand ahnen können. Aber rückgängig machen ließ sich das dann auch nicht?
Nein! Also das Gute ist zwar, wenn du soziale Arbeit studiert hast, wirst du immer irgendwo einen Job finden. Auch für kleine Prozente irgendwo. Und das hab ich auch gemacht: Schwangerschaftsvertretung hier, oder als Springerin oder so. Ich hab aber trotzdem gehofft, dass es wieder gut kommt mit der Musik. Nach dem Lockdown wurde es immer besser. Dieses Jahr spielen wir so viele Konzerte wie noch nie zuvor. Das ist schon sehr, sehr cool.
Wow! Das heißt, du fühlst dich jetzt als hauptberufliche Musikerin ...
Genau.
Sehr cool. Und das heißt, da steht jetzt auch ein Album in den Startlöchern.
Also ich hab 2016 damals mein Debüt rausgebracht, und es ist somit schon eine Weile her.
Naja, jetzt hab ich ja schon heraus gefunden, als ich über dich gegoogelt hab, dass du kein Fan von Streaming-Algorithmen und diesen Arbeitstakten, hier eine EP, dort in diesem und jenem Zeitabstand eine Single, ein Album usw. bist ...
Es kommt ganz drauf an, über was eine Person schreibt oder wie du Lieder verfasst, was dir wichtig ist zu sagen. Ich hab mal ein ganz spannendes Interview von Lauryn Hill gehört, wo sie sagt, 'Du musst zuerst leben, dann reflektieren, und dann kannst du was erzählen.' Und ich glaube, das geht so ein bisschen verloren, wenn du alle sechs Wochen irgendeine Single releasen musst. Dann hast du überhaupt keine Zeit zum Leben und Reflektieren, weil du immer so diesen Druck hast, irgendwas abzuliefern.
Und wir waren nicht untätig. Wir haben die ganze Zeit gespielt, und ich finde: Das ist schon mein Haupt-Ding - ich liebe es auf der Bühne zu stehen (lacht laut). Und ich bin mega-froh, ich hab das Gefühl, dass es sich gelohnt hat, zu warten. Weil ich hinter all den Songs mega fest stehen kann. Und ich hab in der ganzen Zeit so coole Projekte gehabt, zum Beispiel bei dieser Brass-Band mitgespielt und sehr viel gelernt. Und aus dieser Brass-Band hab ich Musiker*innen angeworben für meine Band, und jetzt ist immer noch Victor dabei, zwei Neue sind dazu gekommen, das ergänzt sich mega-gut. Und ich war noch bei anderen lehrreichen Projekten und hab jetzt das Gefühl, dass ich bereit bin, mein eigenes Ding jetzt raus zu bringen – und das hat halt jetzt so lange gebraucht.
Der fünfzigste Geburtstag des Hip Hop wird gerade sehr männlich-dominiert gefeiert, von den großen Plattenfirmen, MTV und so weiter. Da laufen so alte Folgen von MTV Yo! Raps, da denkt man, die haben auch damals Anfang der '90er nur Männer interviewt, die zeigen auch nur Videos mit Männern. Wo ja richtig viel verloren geht, von der ersten Hälfte der Achtziger, wo viele Frauen dabei waren, die zwar nur Singles raus gebracht haben, aber dann weiter mit Roxanne Shanté, und in den frühen '90ern waren's ja richtig viele. Wie siehst du das? Was kann man tun dafür, dass es nicht so ungerecht ist?
Ja, also, es gibt immer wieder Diskussionen darüber, ob eine Quote gut oder schlecht ist. Und ich denke, was ich beobachten kann: Dass es definitiv was gebracht hat. So was zwingt die Menschen, ein bisschen tiefer zu graben, als sie's machen. Und bei dem Business läuft extrem viel über Connections: Du hast so deine Kumpels, und die kennen andere Kumpels, alles läuft über das eigene Netzwerk. Aber dass die Leute wieder dazu angeregt werden, weiter zu schauen, und wirklich zu recherchieren ... Ich denke, das machen die wenigsten. Und deswegen machen sie sich's halt so einfach und checken ab, was da ist: Was dein Kumpel kennt und das eigene Netzwerk her gibt. Und das ist so schade. Dabei machen sie sich gar nicht schlau, weil sie nach anderen Kategorien oder Kriterien suchen müssten, um das zu finden.
Ja, das macht Arbeit. Bei den neueren Artists ist es so, dass man immer wieder zu Pop, Urban und R'n'B zurück gelenkt wird, aber nicht wirklich zu Rapperinnen. Unter dem Deckmantel 'MC' werden ja doch oft Frauen vermarktet, die überwiegend soften R'n'B machen, und dann legt das die Frage nahe, ob das heißen soll, richtig Lines zu spitten sei zu 'hart' für das 'weiche' Geschlecht?
Obwohl ich glaube, das hat ganz viel mit Vorbildern zu tun. Das spielt eine unglaublich wichtige Rolle dafür, dass solche Personen, FLINTA*-Personen allgemein, eine Plattform kriegen. Ich war als zweite Frau beim schweizweiten Nationalradio bei Cypher mit dabei. Und ich muss sagen, ich hab irgendwie eine mega Angst vor Cyphers, das ist nicht so meine Plattform, muss ich zugeben. Aber ich war da, weißt du? Und ich denke, wenn dich andere Personen, vor allem jüngere und gleichaltrige sehen, dann denken sie: 'Wenn die da ist, dann kann auch ich da hin.' Und mit jedem Jahr wurden es mehr FLINTA*-Personen, die da anwesend waren. Und ich finde, deshalb ist vielleicht eine Quote oder dass Vorbilder, sozusagen Vorbilderinnen (lacht) gepusht werden, wichtig. Damit die Leute überhaupt auf die Idee kommen. Zum Beispiel kann man das bei Kindern gut sehen oder wenn irgendeine Serie 'in' war, dann wurden ganz viele Kinder Ärzte. Also du musst es sehen, und es muss einen Coolness-Faktor haben, und dann wollen's viele machen. Und deshalb ist es unglaublich wichtig, aber es wird total unterschätzt.
Umgekehrt gibt's das auch. Der (männliche) Krankenpfleger ist nach wie vor mit etwa 18 Prozent unterrepräsentiert. Du hast mal gesagt, dass es zum Beispiel in deinem Publikum Leute gab, die es irrelevant fanden, über Gender überhaupt zu sprechen, und speziell auch in der Musikindustrie, und dass es nur vertiefen würde, dass es ein Ungleichgewicht gibt ...
Wenn halt viel darüber gesprochen wird, ich kenn das schon, ab dem Moment, wo du über die Unterschiede sprichst, schaffst du sie auch. Aber ich denke, wir sind an dem Punkt, weil man hat ja lange nicht darüber gesprochen, es hat sich ja nichts verändert. Also, was bringt's, wenn wir nicht darüber sprechen? Weißt du!? Ich hab das auch sehr viel gehört, und hör's immer noch sehr viel, aber ich bin der Meinung, dass wir immer noch darüber sprechen sollen, und ich merke auch, in meinem Umfeld, dass sich Leute, die sich früher angegriffen gefühlt haben, wenn du solche Themen gebracht hast, mittlerweile eine Position einnehmen können, ohne sich angegriffen zu fühlen. Ich will sie ja nicht bekämpfen.
Und was total wichtig ist, ich total finde, es gibt auch FLINTA*-Personen, die nicht dasselbe erlebt haben, und die solche Erfahrungen nicht teilen können. Es ist nicht per se jede Frau von Diskriminierung betroffen. Ich kenne z.B. auch viele, die sehr früh in einem Freundeskreis waren, die alle irgendwie gerappt, gefreestylet haben, und die waren alle Teil vom Ganzen, und wurden so groß.
Aber ich hatte einen weiblichen Freundeskreis, und die haben sich alle nicht fürs aktive Hip Hop-Machen interessiert, und für mich war's schon eine große Hürde, in diese männlichen Kreise rein zu kommen, um irgendwie Zugang zu einem Beat zu haben oder whatever. Und deshalb find ich's auch eine positive Entwicklung, dass es heute auch immer mehr Produzentinnen und Beatmakerinnen, also nicht nur Rapperinnen gibt, damit die Machtverhältnisse da nicht mehr so sind. Die ganzen Möglichkeiten, die zum Netzwerken geboten werden, zum Beispiel in der Schweiz Helvetia Rockt - die bieten ganz viele Workshops, Djing, Producing. Und das find ich ganz toll. Denn das waren früher alles Sachen, die dazu geführt haben, dass du so'n bisschen ausgeliefert warst. Irgendwer hatte das Know-How und hatte die Beats und hatte die Connection und das Netzwerk, und du musstest der Person sympathisch sein, damit du weiterkommst. Und dadurch, dass mehr Frauen jetzt die Skills kennen, ist es demokratischer.
Es hat mir als Teenie Angst gemacht, meine lateinamerikanische Seite zu verlieren.
Das heißt, wie gehst du vor? Du bist sozusagen die Bandleaderin, also du bist der Boss, du textest, du sagst, wie du dir letztendlich das fertige Master am Ende vorstellst, und die anderen müssen das dann letztendlich umsetzen?
Naja, nein, es ist schon ein Teamwork. Da bin ich schon sehr Sozialarbeiterin. Denn ich finde, die Qualität einer leitenden Person ist es, die Skills der mitarbeitenden Leute zu erkennen und die zu pushen, damit sie dort wachsen oder ihr Potenzial ganz ausschöpfen können. Deshalb ist es für mich nicht so ein Machtverhältnis im Sinn von 'Ich bin Chef und ich sag dir', sondern ich versuche die Menschen zu pushen, und die haben ganz viele verschiedene Skills, und ich möchte sie darin bestärken, damit das Bestmögliche rauskommt. Zum Beispiel bin ich nicht gut im Produzieren, kann aber gut Texte schreiben und mir gut Konzepte überlegen, ich mach das Management, den Business-Teil. Da bin ich froh, dass sie zum Beispiel Musik studiert haben und komplett anderes Wissen in die Band rein bringen, das ich nicht liefern kann. Aber ich werte mich nicht ab oder sie, sondern wir sind ein Team, und es ist geil, dass wir zusammen sind, und wir bringen das Projekt voran.
Das find ich ja auch schön. Es gibt da nicht sieben Zwischenpersonen, um mit dir in Kontakt zu treten.
Ja! Das war mir schon sehr wichtig. Ich bin kein Controlfreak (lacht). Als ich soziokulturelle Animation studiert habe, hatten wir Projektmanagement und all das. Dadurch liebe ich das auch so. Da kannst du eine Struktur aufbauen, wo Menschen ihren Platz finden und so richtig Geiles kreieren. Musik machen in einem Team ist wie eine Projektarbeit: Du musst Geld organisieren, du musst planen, es ist einfach schon sehr cool.
Wow!
Es heißt immer, 'tu Gutes und sprich darüber.'
Okay, sprechen wir darüber. Du bist in deiner Kindheit in der Dominikanischen Republik aufgewachsen. Ist das eine prägende Zeit gewesen, oder ist das schon so lang her, dass das heute im Alltag keine Rolle mehr spielt?
Ich hab dort schon noch ganz viele Verwandte. Die Tatsache, dass ich auf Spanisch zu rappen begonnen habe, ist auch, weil ich gemerkt habe, dass ich diesen Teil von mir immer mehr verliere. Mit zehn bist du nicht ganz klein, aber du bist immer noch jung, und ich hab immer gemerkt, ich denke auf Schweizerdeutsch, ich spreche Schweizerdeutsch, ich träume auf Schweizerdeutsch, und du gehst immer weniger dort hin in den Ferien und so, und dass halt dieser Teil immer weiter weg ist, das hat mir im Teenie-Alter Angst gemacht. Deshalb hab ich angefangen, Tagebuch auf Spanisch zu schreiben. Dann später Reime. Und irgendwann halt Musik! Weil ich die Musik und das Tanzen sehr mit meiner südamerikanischen Seite verbinde und die da so ausleben kann. Deshalb ist halt Spanisch die Sprache, die ich fühle, wenn ich rappe.
Was ist denn musikanalytisch oder rhythmisch gesehen drin aus der karibischen und lateinamerikanischen Musik bei dir? Kann man das sagen oder geschieht das unbewusst? Man findet da ja allerlei Begriffe im Internet über dich wie Cumbia-Rap, Tropical Hip Hop?
Ah ja ja ja, aber ich muss sagen, ich bin noch nicht zufrieden mit den Bezeichnungen. Aber irgendwie musst du's ja bewerben, damit die Leute sich irgendwie orientieren können, wissen, was sie erwartet. Was ich auch schade finde. Ich muss sagen, ich würd mir wünschen, dass es wieder mehr Personen gäbe, die einfach so entdeckungsfreudig wären, dass sie sich überraschen lassen würden. Aber heutzutage musst du alles so benennen und betiteln und belabeln, damit die Leute wissen: Lohnt sich's jetzt da rein zu hören? Oder nicht? Auch mit den Playlisten! Deshalb, also … keine Ahnung, die Streaming-Geschichten kann man nicht mehr ändern. Das ist jetzt so. Aber alles muss irgendwie so belabelt sein.
Das kann schnell vorbei sein. Wer erinnert sich noch an MySpace oder Napster? Wer benutzt noch Facebook?
Ja ja, genau. (lacht) Aber was war nochmal die Frage?
"Twerken hat auch eine tiefere Bedeutung"
Was für Elemente aus Lateinamerika hast du bei dir in der Musik drin? Du bist ja auch gereist, zum Beispiel nach Kolumbien.
Es gibt schon einige Tracks, in denen so was drin ist, ja. "C'est ça" hat zum Beispiel im Backing-Track zusätzliche Bläser, welche wir in Kolumbien aufgenommen haben. Und wir haben auf dem Album viele zusätzliche Musiker*innen gewinnen können, die sich mit ihren Klangfarben einbringen. Das ist halt sehr geil. Victor hat sich zum Beispiel extrem von den Maracas inspirieren lassen, ich hab mir auch welche gekauft (Anm. d. Red.: Maracas sind Rasseln). Aber ich selbst habe für sie leider keine Zeit zum Üben (lacht - aber es ist schon was, was ich in Zukunft sehr gerne benutzen möchte.
Was muss da üben?
Dieses tschi-tsick-tsi-tschu-tsick-tsi...
Das Handling?
Ja ja.
Was ist eigentlich ein Sousaphon?
Das ist mit der Tuba verwandt. Allerdings viel größer. Es kommt ursprünglich aus den USA, aus der Militär-Marschmusik. Auch in Frankreich und der Schweiz ist es sehr verbreitet, und zwar an Fastnacht in Guggen-Bands. Das Sousaphon spielt bei uns Victor. Ich find das geil! Denn in Bands hast du immer irgendwie das Übliche, und dass er den Bass mit diesem Sousaphon spielt und dann in Kombi mit den vielen Effektgeräten macht's halt schon sehr speziell.
Jetzt ist es mit den Streaming-Diensten so, dass sie nach noch nicht so genau bekannten Gesetzmäßigkeiten unseren Konsum steuern. Daher wäre ich wahrscheinlich ohne Collie Herb gar nicht auf dich gestoßen. Collie Herb toastet und singt Schweizerdeutsch - für hochdeutsche Ohren sehr poetisch, im Vergleich weniger altbacken. Hat man damit einen sehr guten Flow, was würdest du sagen?
Ah, ich finde, das ist total personenbezogen. Denn zum Beispiel gibt's auch Leute, die auf Schwyzerdütsch rappen, und du kannst das Gefühl haben, dass es Englisch ist, wenn du nicht mega exakt hinhörst. Auch bei meinem Spanisch kann es sein, bei der Art, wie ich rappe, dass Leute auf mich zukommen und fragen: 'Ist das jetzt Portugiesisch gewesen, oder was?' Erst wenn du ihnen langsam sagst, was du gerappt hast, dann checken sie's. Man kann mit Sprache Melodien kreieren. Oder in der Art, wie du einen Vokal in die Länge ziehst, kannst du eigene Kreationen schaffen. Beim Schweizerdeutsch habe ich auch schon so ziemlich alles gehört, von sehr melodischen coolen Sachen, bis hin zu 'kch xsch ch krr' (lacht).
Verrätst du uns ein bisschen was über die Texte auf dem Album " C'est ça"?
Ja, also das Album beinhaltet verschiedene Themen, die mich beschäftigen. Zum Beispiel bedeutet "C'est ça", aus dem Französischen übersetzt 'es ist so wie es ist'. Das hat damit zu tun, dass ich vor Corona meinen Job gekündigt habe, und ich dachte, jetzt startet die große Tour, und dann kam's völlig anders. Das Leben läuft meistens anders als geplant. Deswegen bleibt dir nichts anderes übrig, als das so anzunehmen und das Beste draus zu machen. Da geht es mir um das Feeling: Dass ich mir selbst treu bleibe, an mich glaube, dass du nicht alles beeinflussen kannst, aber dass du den Glauben an dich nicht verlieren sollst.
Dann gibt es einen Song, "Problema", der ein bisschen Metal-angehaucht ist. Was Wut symbolisiert. Denn manchmal bin ich so wütend darüber, dass ich die immer wieder gleichen Sachen zu hören bekomme oder von anderen die Rückmeldungen kriege, dass sie damit konfrontiert werden: Dass zum Beispiel FLINTA*-Personen keine Bühne kriegen. Angeblich, weil sie nicht gut genug sind. Oder wenn Leute gepusht werden, dass es dann heißt, 'ja, das ist eh nur, weil du eine Frau bist'.
War bei mir auch so. Das regt mich so auf, weil ich selbst weiß, wie viel Herzblut und wie viel Schmerz auch in dieser Arbeit steckt, was ich alles geopfert habe, um hier zu sein. Ich habe mir den Arsch dafür aufgerissen, um da zu sein, wo ich jetzt bin. Ich hock nicht zuhause und chill einfach und bekomm die ganzen Interviews und Konzerte, weil ich etwa einfach eine Frau bin. Und dass Leute diese Sicht haben, das macht mich so wütend! Deshalb ist der Track eine Art Abrechnung mit diesen Leuten, und ich denk einfach: 'Was ist dein Problem?!' - Akzeptier einfach, dass ich mir den Arsch aufreiße, für das, was ich habe, und das einfach verdammt nochmal verdient habe! (lacht leise)
Nutzen wir deine Zeit noch für einen Blick in dein Album. Würdest du sagen, dass es wie eine Compilation aus allen möglichen Themen ist, die dich gerade beschäftigen?
Ja, genau! Eine Freundin meinte zu mir neulich, dass man anhand jedes Albums ablesen kann, wo ich gerade im Leben stehe. Fand ich mega spannend. Und ich habe mir eben jenes Interview von Lauryn Hill sehr zu Herzen genommen, wo es ums Leben, Reflektieren und Schreiben ging. Es sind sogar Liebeslieder auf dem Album drauf, was ich vorher nie in Betracht gezogen hätte. Ich hab immer gesagt, ich schreibe nie eins - und jetzt haben wir zwei! Aber manchmal kommt es eben so: Wenn das Gefühl passt, dann kannst du dich voll rein geben. Auch geil! Zwei Liebeslieder... (lacht)
Ja, aber Liebe ist ja auch sehr kompliziert geworden... In Deutschland rennen sie zum Beispiel alle mit Tinder rum.
Ja genau. Nun, ich habe mich oft gegen das Thema verweigert, weil zum Beispiel die meisten Reggaeton-Songs, also die, die kommerziell werden wollen, meistens Liebes- oder Sex-Lieder sind. Das ist das einfachste, was du schreiben kannst. Deshalb finde ich es cool, wenn man andere Themen aus dem Leben findet, die einen Platz auf der Bühne oder in einem Videoclip kriegen. (lacht) Das ist irgendwie eine Challenge. Und es ist mir sehr gut gelungen. (lacht)
Kommen wir mal auf Sexismus zu sprechen. 50 Jahre Hip Hop-Feierlichkeiten, und nahezu kaum ein Lob auf die Frauen, die als Pionierinnen in diesem Genre aktiv waren. Dabei gibt's grundsätzlich viele Rapperinnen in den 80ern und 90ern, wenngleich viele, die nur ein Album rausgebracht haben, wo aber immerhin viel Innovatives enthalten war, von den politischen Raps einer Nonchalant über Polizei und Gewalt in ihrer Hood bis zum Electro-Hip House von JJ Fad als Antwort auf Salt-n-Pepa mit einer ganz anderen Art von Musik. Gründe fürs Verschwinden einer ganzen Reihe von Köpfen findet man öffentlich kaum, aber in den wenigen Interviews und Recherchen dazu taucht seitens der Verantwortlichen oft der Punkt der Kosten von Videoclips auf. Teurer, mit Frauen zu drehen, viele Kostümwechsel, Aufwand in der Maske, mehr Drehzeit, Budget schneller erschöpft. Für mich ist das ein Aspekt, mit dem sich das Business rausredet. Ist dir so eine Haltung oder sind dir solche Argumente auch schon widerfahren?
Nein, nein, das nicht. Wenn man jetzt alte, sexistische 'Männervideos' anschaut, merkt man auch, dass die männlichen Teams die Frauen für die Videos gemietet und bezahlt haben. Auch das war mit Kosten verbunden, dass die Frauen kommen und in den Videos tanzen und 'rum shaken'. Ich glaube, dass Twerken auch eine tiefere Bedeutung hat. Ich habe mal von einer Frau gehört, dass sie glaubt, dass du Traumata im Bereich vom Becken speicherst und diese bei den Moves raus getanzt werden. Ich kenne mich mit dieser Kultur nicht so aus, aber finde es interessant, wo das herkommt und was die Geschichte dahinter ist, und ich finde das mega spannend. Normalerweise, wenn man's sieht, denkt man: 'sexuelle Sache' (lacht). Daher fänd ich es sehr cool, darüber mal einen Talk zu haben.
Bist du abgesehen von Lauryn Hill auch ein Music Lover und sammelst selbst Musik?
Leider nicht so. Früher mehr, aber jetzt habe ich keine Zeit, so viel Musik zu hören. Wenn, ist es meistens kein Rap und kein Hip-Hop. Ich höre dann meistens soulige Sachen, die super easy und chillig sind, zum Beispiel Imany oder den Franzosen Ben L'Oncle Soul, den liebe ich. Was ich mache, ist schon sehr powerful, und damit kann ich runterkommen.
Was ich ganz spannend finde, ist, dass du bereits ein weiteres Album als Nachfolger angekündigt hast. Das ist ungewöhnlich, ganz selten. Erstens die Transparenz und zweitens ein Abstand von nur einem halben Jahr.
Ja, ich versuch immer, in allem so zu sein, wie ich es fühle. Klar gibt's Regeln und Kriterien, wie das am besten funktionieren könnte. Andererseits muss es sich auch gut anfühlen. Wenn ich das Gefühl habe, dass ich Bock habe auf ein neues Projekt, dann ist es schwierig, an älteren Liedern nur deswegen fest zu halten, weil das strategisch gesehen mehr Sinn ergibt, wenn du ein Jahr wartest. Ich bin immer sehr mit meinen Gefühlen involviert, und es muss sich einfach alles richtig anfühlen.
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