laut.de-Kritik

Rap-Shake mit dem Sousaphon.

Review von

Sie ist eine dieser vielen, die einem irgendwann in einem Song als 'Featuring'-Gast auffallen, sofort hellhörig machen und jahrelange Neugier entfachen - wer steckt dahinter, wer mag sie sein? La Nefera spricht Spanisch und Schweizerdeutsch. Jennifer, wie sie bürgerlich heißt, geht zwar mit einer kurzen Diskographie gerade noch als Newcomerin durch, ist aber kein TikTok-Teenie. Heute ist sie 35, eine jung Gebliebene, die was Neues aus testet. Einige Lebenserfahrung sammelte sie als Streetworker, wo sie Kinder und Jugendliche zu kreativen Problemlösungen motivierte. Doch ihr Herz schlägt auch für eine ganz eigene Form der Kreativität: die Kulturen des verträumten und eleganten Latinjazz mit Hip Hop-Spielarten und ihrer persönlichen, halb-europäischen, halb-lateinamerikanischen Identität zu verschmelzen. Inklusive einem selten gehörten, aber bezaubernden und erfrischenden Instrument: dem Sousaphon.

Victor Hege spielt es in ihrer Band, und der Name La Nefera versteht sich als Bezeichnung für die zurzeit vierköpfige Gruppe, nicht nur für die Frontfrau. Victor stammt aus Paris, doch "C'est Ça!" führt als Albumtitel ein wenig in die Irre: Denn "Genau das ist es!" (übersetzt), das ist die einzige französische Wendung. Lautmalerisches "lalala" dominiert im ersten Track "Reencuentro". Er knüpft an die Strömung an, als in den 1980ern Bossa Nova-Bands die Jazzwurzeln des Genres heraus arbeiteten und Cocktail-Pop-Gruppen wie Matt Bianco reüssierten. Außerdem erinnert dieser Einstieg trotz Rap-Einlage an das Album Santanas mit Buika vor einigen Jahren.

Nach der Spreizung zwischen Tal und Gipfel, wohlig brummenden Bassläufen und schrill hohen Bläsern, hebt La Nefera in "Tamo Ready" auf drilligen Kick-Beats zu schnellen Zungen-Salti ab und profiliert sich als einheizende Rapperin. Ein scheinbar Country-inspiriertes Blues-Metal-Riff bricht sich in der Mitte Bahn, als befände man sich bei der Jon Spencer Blues Explosion. Damit nicht genug, folgt von Minute 2'39" bis 2'55" ein sehr spezieller Brückenschlag von Club-House-Trance bis zu einer Art Western-Style in Anlehnung an "Ghost Riders In The Sky" aus "Bonanza".

Das Non-Konforme versiegt hier nie. Die Überraschungsdichte während des knapp 30-minütigen Mini-Albums beeindruckt. Gothic-Riffs mit insistierendem Rap und Reggaeton-Refrain ("Problema") und durchdringender Crossover ("Agua") bilden eine Leitplanke für die emotional ausgespuckten Lyrics. Andererseits bricht sich eine Dance-Street Party mit Electrocumbia-Elementen, Scratches und massivem Trommelwirbel Bahn (im Titelstück "C'est Ça!").

Perkussiver Salsa-R'n'B auf Spanisch und Englisch ("Verdadero Poder") sorgt für Lässigkeit, "Amor" groovt auf einem Chill-Rhythmus mit Jazz- und Storyteller-Vibes für Leute, die Monty Alexander, Ayo und Macy Gray gleichzeitig cool finden. Immer wieder und besonders angesichts der Trockenheit des rhythmisch getriebenen "Guacherna" drängt sich mir der Gedanke an "The Ecleftic" von Wyclef Jean und das Empfinden seiner Nonchalance auf. Zumal dieses Album hier nichts aufweist, womit es sich mit einem Satz auf den Punkt bringen ließe. Es sprudelt vor Einzel-Momenten und kurzen Phasen, von denen jede die Ausnahme ist und nichts die Regel. "C'est Ça!" bietet bunte Unterhaltung bar jeder Engstirnigkeit - 2023 wäre unvollständig beschrieben ohne diesen Multi-Genre-Shake.

Trackliste

  1. 1. Reencuentro
  2. 2. Tamo Ready
  3. 3. Verdadero Poder
  4. 4. Problema
  5. 5. C'est Ça!
  6. 6. Ay Amor
  7. 7. Agua
  8. 8. Guacherna

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