laut.de-Kritik
Liebeslieder von Psychopathen für Masochisten.
Review von Franz MauererFragen mich Leute nach der am meist unterschätzten deutschen Band, gebe ich seit einigen Jahren die Antwort: Locas In Love. Die Kölner verantworten gleich mehrere Meisterwerke: Das widerspenstige "Winter", das zwischen Garstigkeit, trotziger Freude und Trauer hin- und hergerissene "Lemming", und schließlich die tottraurigen, Hoffnung nur noch herbeiflehenden (und größtenteils in einer Session entstandenen) "Kalender" und "Use Your Illusion 3 & 4" (mit dem zweitbesten Song der Bandgeschichte, "Affe"). Damit trieben sich Stefanie Schrank, Björn Sonnenberg, Jan Niklas Jansen und (ab 2011) Saskia von Klitzing (plus Langzeit-Manager und Bandintimus Benjamin Walter) die Nägel so tief unter die Haut, dass sie nachvollziehbar zwei (hervorragende und kluge) Kinderalben als Gorilla Club veröffentlichten, um die Seele reinzuwaschen.
Die Gerüchteküche will, dass Locas In Love neues Material aufnehmen. Um so wichtiger scheint es, das LIL-Rezensionsvakuum von laut.de endlich zu füllen und die wichtigste Scheibe der Kölner in den Blick zu nehmen: "Saurus". Das zweite Album, das erste echte, wenn man "What Matters Is The Poem" als zwar interessante und nahegehende, aber doch als Skizze bezeichnen möchte. Und was war das für ein Ding, dieses "Saurus". Mit seiner Veröffentlichung Anfang 2007 lernte deutscher Pop das Leiden. Und das Klugsein. Und das Angsthaben, obwohl man genau weiß, dass die Angst vor dem Angsthaben das Allerschlimmste ist. Und das Zweifeln. Und den Mut, sich selbst zum Feind zu erklären und das alles überwinden zu wollen. Maurizio Arca war hier noch Schlagzeuger, Locas In Love also noch in der Konstellation, in der sie später mit Claire Oelkers Karpatenhund bilden sollten.
Es ist geradezu herzerwärmend, die euphorischen Rezensionen einzelner Musiknerds auf Amazon zu lesen, die 2007 über die "peinlichen" Tomte herziehen und sich darüber echauffieren, warum keiner stattdessen über diese Band berichten würde. Die Kritiken waren allerdings tatsächlich zahlreich und überschwänglich und der richtige Beginn der deutschen Band unserer Zeit mit der meisten Gravitas. Das liegt natürlich an Sonnenbergs Texten; schon auf dem Opener "Sachen" wird einem klar, dass man hier nicht die übliche Scheiße serviert bekommt. Ich erinnere mich, wie ich das zur Veröffentlichung mit 17 zum ersten Mal hörte und mir etwas dachte, was mir meine grenzenlose juvenile Arroganz sonst versperrte: Wer das schrieb, der ist klüger als ich. Und er muss es mir nicht mal sagen, es ist schlicht so offenkundig, dass an dieser Erkenntnis kein Weg vorbeiführt.
Das liegt an den Sprachbildern, an der Kunst der Zusammensetzung, natürlich an den Themen, an dem stets vorhandenen roten Faden, den man sich aber nachher zusammensuchen muss, weil man ihm im Dickicht der Gedanken nicht folgen konnte. Es liegt aber auch an der Konzeption des Ganzen; wie er mit den lyrischen Du in den Dialog tritt in "Sachen" und so ganz en passant eine emotionale Ebene einzieht, der man sich gar nicht bewusst ist, bis man auf "Martin kommt bald schon aus dem Gefängnis / das ging ja doch ganz schnell" kopfnickend reagiert und sich freut, dass der gemeinsame Freund Martin seine Vergehen an der Gesellschaft abgesessen hat. Diese emotionale Ebene ist es, in der sich Sonnenberg endgültig zum Fisch im Wasser verwandelt, während man selbst atemlos versucht, die Übersicht zu behalten und das zu verkraften, welche krassen, tiefgehenden Existenzängste allein die "Sachen" auslösen, die dazu führen, dass das Leben an einem vorbeirauscht.
Sonnenberg muss als der Klügere die Last der Erkenntnis tragen, wir dummen Hörer aber die zusätzliche Schuld, von ihm überhaupt erst darauf aufmerksam gemacht werden zu müssen. Gleichzeitig ist das alles dermaßen tröstend, denn natürlich kann man nur von einer überlegenen Kraft getröstet werden: Mutter, Vater, der große Bruder Locas. Erst durch das Macht- und Intelligenzgefälle werden Locas In Love-Alben zu diesen kathartischen Erfahrungen. Wir dürfen uns ruhig noch ein wenig mit "Sachen" aufhalten, das ist nämlich dieser eine Song der Band, der noch besser als "Affe" ist. Diese ganze Kunst, über die wir bislang sprachen, erwähnte die Musik ja noch gar nicht. Die sitzt spektakulär gut, und deshalb ist Locas In Love eben kein Feuilleton-Feuerwerk, sondern astreiner Pop von beeindruckender Klarheit.
Mit Sonnenberg und Jansen spielen meist zwei Gitarristen, Schrank ist am Bass - sie ist wie auf "Sachen" oft der Taktgeber und das warme, schlagende Herz der Band, die auf "Saurus" noch lieber als später auch mal einen abbrannte und die Gitarren schreien ließ. Apropos Schrank: Auf "Zum Beispiel Ein Unfall" singt sie, die sich das Frontfrauen-Dasein schon immer gleichberechtigt mit ihrem Mann teilt und einige Songs auf "Saurus" alleine geschrieben hat. Sie tritt oft ein wenig mysteriöser auf als der zum frontalen Seelenstriptease neigende Björn. "Zum Beispiel Ein Unfall" ist ein schönes Beispiel, denn während der Song fröhlich mit einer fast schon satirisch harmlosen Hook durch die Tür schlendert, zieht Stefanie ein paar Böden ein und trällert: "Wenn man nicht bedrohlich wirkt / denken viele, es sei Spaß", bevor sie allen Rache schwört, die sie verletzen. Diese Fallhöhe trägt den Song in qualitativ enorme Höhen.
"Comandante" ist dagegen fast schon einfach, aber es ist jedes Mal ein teuflischer Genuss, wie der zunächst etwas disparate Song zum Schluss hin tight und doch fast choral gerät. Und die Grundidee, die Gewissheit der jugendlichen Angebeteten mit der von Guevara zu vergleichen, bietet eine beeindruckende Anknüpfungsmöglichkeit für eigene Hirngespinste. "Monkey" ist nicht mit "Affe" zu verwechseln, gleichwohl ein hervorragendes Lied, da ein Beispiel für die Melodie- und Hook-Qualitäten dieses tollen Quartetts. Wie der Sound sich bei Sekunde 37 öffnet, als Sonnenberg zugibt, wie er mit sich selbst nicht im Reinen ist, ist eine Sternstunde des deutschen Pop. Der ganze Song zeigt, wie geschickt und kunstfertig Locas In Love Musik und Texte verweben, bis sich alles so natürlich gegenseitig verstärkt, dass man als Hörer denkt: Klar, genauso geht der Song. Wie sollte der auch anders gehen? Gibt es eigentlich andere Möglichkeiten, Songs zu schreiben? Warum sollten nicht alle Gitarren so blühen, wenn Sonnenberg resigniert und ab 01:38 singt: "Und so bleibe ich / für immer besessen / von allem, was ich herumtrage"?
"Honeymoon Is Over (If You Want)" muss wohl das traurigste Trennungslied überhaupt sein, denn kaum singt Sonnenberg "Du musst nicht länger so tun / als wäre dieser Weg deiner / Du kannst stehenbleiben / umdrehen und zurückgehen", gibt er zu, wie sehr er absolut alles an dieser Frau liebt und wie sehr er sich geliebt fühlte und gesteht in seiner Verzweiflung seine absolute Opferbereitschaft, um noch ein Fitzelchen von ihr zu bekommen. Liebeslieder für Masochisten. Die musikalische Heterogenität von "Saurus" ist beeindruckend und der wirklich schwer zu erschließende Titeltrack, ein etwas krawalliger Indierefrain im Loop über fünf Minuten, legt davon Zeugnis ab. Dieser Grower braucht die richtige Stimmung, und insofern ist er den anderen Songs etwas unterlegen, die den Hörer einfach immer zu sich ziehen, egal wo man steht.
Das tut der Bastard aus Alt-Goth-Country und Indie "To Get Things Straight" hingegen spielend, es ist wohl der einzig wirklich positive Song des Albums, weil der Rückspiegel ausgeblendet bleibt und Sonnenberg nur nach vorne guckt. Auf "Mabuse" merkt man übrigens, wenn man von den unverschämt tanzbaren Gitarren nicht abgelenkt ist, dass man sich auf einem Konzeptalbum befindet: Steffi erklärt, warum sie auf dem zweiten Song die Türen eingetreten hat und wofür Martin in den Knast gehörte. Hier zeigt sich auch im Kinderchor des Schlusses (in dem die Kleinen von "diesem verdammten Deutschland" singen) die Keimzeile des späteren Gorilla Club.
Der Tod der Schwiegereltern wurde nie so wunderschön und nachvollziehbar besungen wie auf "High Pain Drifter" ("Und warte ab bis wir nach Hause gehen / dann ist es vorbei"), das Schranks das ganze Album über immer zum rechten Zeitpunkt kommende Keyboard gebührend in die Mitte stellt. Die getragene, vor allem als nicht direkt Betroffener seltsam entwürdigende beziehungsweise einem durch die eigenen profanen Bedürfnisse zur Entwürdigung zwingende Atmosphäre eines Krankenhauses fängt der Songs perfekt ein.
Gitarrist Hansen schrieb "(How I Wrote) I Get Lonesome", den starken Tiefpunkt eines sonst quasi perfekten Albums. Auf Alben dieser Güteklasse merkt man erst durch sehr gute Songs, die einfach nur nicht völlig organisch zu Ende gehen, wie genial der Rest ist. Dieser Job fällt hier "Lonesome" zu. "Egal Wie Weit" jedenfalls nicht, das ist nämlich ein Meisterwerk. Der emotionale Tiefpunkt knüpft direkt an "High Pain Drifter" an, die Schwiegereltern sind tot, und der weniger Betroffene macht sich während der Beobachtung des Betroffeneren beim Besuch des Elternhauses generelle Gedanken. Im Falle Sonnenbergs sind sie von brutaler Ehrlichkeit, ruhend auf einem musikalisch schlicht wunderschönen Gitarrenwerk, fast schon himmlischen Serenaden, und es gehört zu ihm, dass er wie ein echter Psychopath bei erster Gelegenheit abschweift von seiner Frau und bei sich landet, wo wie immer die Angst lauert, vor allem die vorm eigenen Tod, davon, in der elendigen kleinen Heimatstadt begraben zu werden, bevor man etwas geschafft hat. Ihm beim Zusammenbruch zuzuhören, ist große Kunst.
"Rosa Mond" ist eine Hommage an Nick Drake und ein würdiges Ende für das auch nach fast 20 Jahren so schöne und so unerträgliche "Saurus". Sonnenberg bleibt der Angst treu, wie Drakes Mond ist auch seiner ein grausamer, nur dass Sonnenberg es noch etwas garniert und personalisiert. Wo Drake von allen singt, meint Sonnenberg nur sich.
Übrigens ist auch "Saurus (Demos)" sehr zu empfehlen. Dort sind die Demos, mit denen die Locase im Herbst 2006 zu Peter Katis aufbrachen, der "Saurus" abmischte. Der Ami mischte oder produzierte Großtaten wie "The Midnight Organ Fight", "Turn On The Bright Lights", diverse Alben von The National - und "Saurus".
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
3 Kommentare mit einer Antwort
nie von gehört. schick!
Sind dem aufmerksamen Kommentarspalten-Voyeur natürlich über die seinerzeitige Bejubelung von "Ich habe mich schrecklich benommen" durch Doc Souli ein Begriff. Bisher hats irgendwie noch keine ihrer Platten in meinen Schrank geschafft, vielleicht fang ich also mit dieser an. Oder doch die Nein!, bei der ich neben der besagten Nummer (Hit!) auch das charmante Cover schon kenne? Muss ich mal in mich gehen, wie wichtig mir die Haptik ist, Nein! scheint nur noch digital erschwinglich zu sein...
Dieser Kommentar wurde vor 7 Monaten durch den Autor entfernt.
Ein ganz wundervolles Album - vielen Dank für diesen toll geschriebenen Meilenstein!