Porträt

laut.de-Biographie

Madlib

Dass es ein Produzent aus dem Schatten des MCs heraustritt, hat im Hip Hop eher Seltenheitswert. Einer der ganz wenigen Superstars der Beatszene ist Otis Jackson Jr, besser bekannt als Madlib.

Best of 2004: 20 Jahre, 20 Alben
Best of 2004 20 Jahre, 20 Alben
Zwei Hochzeiten und eine Garderobenfehlfunktion? Britney und Janet regierten vielleicht die Schlagzeilen, die Platten des Jahres lieferten jedoch andere.
Alle News anzeigen

Ausnahmekünstler, Beatmaster, Plattenmagier: Dem Kalifornier könnte man viele Labels anheften. Man kann aber auch einfach seine Musik für sich sprechen lassen. Vermutlich wäre das auch Madlib selbst am liebsten: Der Mann gilt als bescheidener und ziemlich öffentlichkeitsscheuer Zeitgenosse.

Wer sich eines der seltenen Interviews mit Madlib anguckt, sieht, wie unwohl er sich in solchen Momenten fühlt. Schüchtern sitzt der Starproduzent dann da und bekommt die Zähne kaum auseinander. Das Rampenlicht ist nicht seine Welt und die Starallüren eines Kanye West liegen dem 1973 in Oxnard geborenen Madlib gänzlich fern. Was die beiden verbindet ist, neben einem gemeinsamen Track, lediglich der Status als zwei der größten Produzenten des 21. Jahrhunderts.

Dass sich Otis Jackson Jr der Musik zuwendet, scheint angesichts der Familie, der er entstammt, eigentlich kaum zu vermeiden. Beide Eltern sind als Berufsmusiker aktiv, die Mutter ist Pianistin, der Vater Soul-Sänger. Onkel John Faddis wiederum spielt Trompete für Jazz-Größen wie Dizzy Gillespie und Charles Mingus. Die musikalische Familie komplettiert Madlibs jüngerer Bruder Oh No. Dieser tritt als eine Hälfte des Duos Gangrene ebenfalls als Produzent und Rapper in Erscheinung.

Papa Jackson nimmt den kleinen Otis gerne ins Studio mit, wo er schon in jungen Jahren mit Vorliebe an den Reglern spielt. Macht die Techniker im Studio wahnsinnig, zeigt aber schon deutlich, wohin die Reise geht. Großen Einfluss hat außerdem die heimische Jazz-Plattensammlung. Dem Genre bleibt er verbunden, trotzdem tendiert er bald in Richtung Hip Hop. Als Teil der Gruppe Lootpack macht er das erste Mal von sich reden. Für das neue Jahrtausend kündigt er 2000 die "Madlib Invazion" an.

Die lässt sich kaum leugnen. Für das legendäre Jazz-Label Blue Note veröffentlicht er 2003 das Album Shades Of Blue. So smooth klingt es, wenn man Madlib in die eigenen Studios einlädt, um sich einmal durch die reich gefüllte Vorratskammer zu samplen.

Wenn er sich nicht durch alte Klassiker wühlt, ist Madlib gerne auch seine eigene Jazzband. Unter Namen wie Yesterdays New Quintet veröffentlicht er dann Alben, auf denen er alle Instrumente selbst einspielt. "Angles Without Edges", 2001 erschienen, ist das vielleicht bekannteste Beispiel.

Madlib ist jedoch nicht nur Produzent und Multiinstrumentalist, sondern tritt auch als Rapper in Erscheinung. Seine von Natur aus sehr tiefe Stimme bringt ihm bei Freunden den Spitznamen "Hip Hop's Barry White" ein. Ihm selbst klingt sie jedoch zu gewöhnlich. Deshalb beginnt Madlib seine Stimme hochzupitchen und erschafft so bereits Ende der 90er das dauer-bekiffte Alter Ego Quasimoto. Unter diesem Künstlernamen veröffentlicht der Kalifornier mehrere Alben, darunter das großartige Yessir Whatever.

Immer wieder hat Quasimoto seit Lootpack-Zeiten auch 'Gastauftritte' auf anderen Alben des Künstlers. Was als Gimmick beginnt, findet nicht nur Fans, sondern sogar Nachahmer. Hierzulande adaptiert der Rostocker Rapper Marteria Madlibs Idee für seine Zwecke und erschafft, zunächst nur als Hommage, die Kunstfigur Marsimoto.

Meist noch besser als solo ist Madlib als Teamplayer auf seinen Kollaborationen. Mit dem ebenfalls legendären, viel zu früh verstorbenen Jay Dilla schließt sich Madlib 2003 zum Produzenten-Superduo Jaylib zusammen. Wenn das Ergebnis so klingt, wie es klingt, dann kann man das gemeinsame Album getrost auch Champion Sound nennen, ohne besonders vermessen zu wirken. Größtenteils kommt das Duo auf dem Album ohne Gastrapper aus. Das können sie schließlich beide auch selbst.

Madlib - Sound Ancestors
Madlib Sound Ancestors
Sampling als erzählerische Kunst.
Alle Alben anzeigen

Im folgenden Jahr veröffentlicht Madlib zusammen mit dem Superschurken MF Doom einen weiteren, vermutlich noch größeren Klassiker: Madvillainy gilt vielen Hip Hop-Fans als eines der besten Alben der 2000er. Wenn man Madlib Glauben schenken darf, besteht der Produktionsprozess vor allem daraus, gemeinsam abzuhängen, Shrooms zu konsumieren und in rauen Mengen zu kiffen. In einem Anfall spontaner Kreativität entsteht ein Großteil der Beats in einem Hotelzimmer in São Paolo. Es versteht sich von selbst, dass Quasimoto auf einem derart trippigen Album nicht fehlt.

Auch unter Kollegen genießt "Madvillainy" Legendenstatus. Die Liste der Rapper, die das Album zu ihren Lieblingsplatten zählen, ist lang. Earl Sweatshirt vergleicht es, was den Einfluss angeht, mit dem, das "Enter the Wu-Tang", für die vorherige Generation war. Auf einen Nachfolger warten Fans bis heute. Und nicht nur die: 2008 bringt Madlib mit "Madvillainy 2" ein Remix-Album auf den Markt. Nach eigenen Angaben sein Versuch, Doom einen echten Nachfolger schmackhaft zu machen. Aber der bleibt hart.

Die Zusammenarbeit mit Straßenrapper Freddie Gibbs stellt ein weiteres Highlight in Madlibs Karriere dar. Das 2014 erschienene Piñata bündelt die Stärken der so unterschiedlichen Charaktere: das vielleicht beste Hip Hop-Album des Jahres. Zusammen mit Blu und M.E.D., mit dem er seit Lootpack-Zeiten immer wieder zusammenarbeitet, veröffentlicht er im kommenden Jahr "Bad Neighbor". Auch mit Mac Miller, der auf dem letzten Track auf "Piñata" vorbeischaut, arbeitet Madlib zusammen. Zu einem gemeinsamen Album kommt es leider nicht mehr.

Dafür bekommt "Piñata" 2019 seine heiß ersehnte Fortsetzung. Wieder kooperiert Madlib mit Freddie Gibbs, wieder treibt die Zusammenarbeit Fans und Kritikern schier die Tränen in die Augen. Auf "Bandana" rollt Madlib den roten Klangteppich für seinen rappenden Kompagnon aus. Der kommt und rasiert der Konkurrenz die Milchbärte ab. Warum zum Teufel haben die beiden so lange gebraucht? Nun, allein schon die unzähligen Samples zu klären, dauerte über ein Jahr, sagt man.

Madlib zeichnet seine Offenheit für Einflüsse verschiedenster Art aus. Die Beat-Kondukta Reihe zeigt deutlich Madlibs Vielschichtigkeit und seine nie versiegende Kreativität, was die Beschaffung von Samples angeht. Beat Kondukta Vol 1 & 2 nimmt sich einerseits des Souls an, zitiert jedoch auch zahlreiche Hollywoodfilme. Mit dem dritten und vierten Teil bereist Madlib den fernen Osten und samplet sich einmal quer durch Bollywood. Die nächsten beiden Ausgaben wiederum erinnern an die musikalische Früherziehung und lassen sich hauptsächlich von Jazz inspirieren.

Fest steht: Wo Madlib an den Reglern waltet, kann man zumindest erwartungsvoll sein. Seit den Anfängen Ende der 90er hat sich sein Name fast schon zu einem Gütesiegel entwickelt. Der Mann ist und bleibt ein jazzaffiner Nerd, ein Tüftler, ein unermüdlicher Schatzsucher. Was die Kreativität seiner Samples betrifft, kann ihm so schnell keiner das Wasser reichen. Der Produzent denkt außerhalb der Box und wagt den Blick dabei auch aus den Vereinigten Staaten heraus. Welcher andere amerikanische Produzent kennt sich wohl ähnlich gut mit brasilianischer oder indischer Musik aus?

Auch die deutsche Hip Hop-Szene klänge ohne Madlib um Einiges ärmer. Nicht nur, dass es den permanent breiten grünen Indianer nicht gäbe. Für Musiker wie Dexter ist Madlib schlicht der bedeutendste Hip Hop-Produzent, den es je gab, und das große Vorbild sowieso: "Es gibt ja durchaus Leute, die sagen, ich hätte eine gewisse Zeit lang nur Madlib kopiert. Ganz so drastisch würde ich es jetzt nicht sehen, aber er ist sicherlich eine der Hauptinspirationsquellen gewesen." Gerade was Selbstverständnis und Sound der Produzenten angeht, müsste man dem Kalifornier eigentlich ein Denkmal errichten.

News

Alben

Freddie Gibbs & Madlib - Bandana: Album-Cover
  • Leserwertung: 5 Punkt
  • Redaktionswertung: 5 Punkte

2019 Bandana

Kritik von Kay Schier

Vier Mittelfinger für ein "Gat Damn". (0 Kommentare)

Surftipps

Noch keine Kommentare