19. Februar 2020
"Johnny Cash machte uns Sandwiches"
Interview geführt von Michael SchuhEnde April erscheint Mark Lanegans erstes Buch "Sing Backwards And Weep" parallel zum neuen Album "Straight Songs Of Sorrow". Wir trafen den früheren Sänger der Screaming Trees und beliebten Rock-Kollaborateur in Zürich.
Zürich im Dezember, kurz vor 18 Uhr. Der Wind fegt durch die Straßen, es ist schweinekalt. Gleich sind wir mit Mark Lanegans Manager vor dem Züricher Club Bogen F verabredet. Unsere im Vorfeld skizzierte Idee, mit dem Musiker gemeinsam einen Plattenladen aufzusuchen, in der Hoffnung, den alten Profi überhaupt für ein Interview zu erweichen, wurde abgewiesen. Lanegan habe zu wenig Zeit. Überraschender Nachsatz: 15 Minuten vor der Show am Konzertort könnte klappen.
Lanegans Zeitplan ist eng getaktet: Am Vorabend spielte er in Lausanne, direkt davor in Athen und Thessaloniki. Es ist keine Tournee, die man sich im gesetzteren Alter unbedingt wünscht, im Zickzack durch Europa mit Flugzeug und Tourbus, mittendrin wurde der Sänger noch 55 Jahre alt, in Budapest. Als Geburtstagsüberraschung flog seine Crew den langjährigen Freund Dylan Carlson von Earth ein. Doch Mark Lanegan hat es so gewollt, er spielt 43 Konzerte in 56 Tagen. Im Mai kommt er für weitere 17 Konzerte. Sein Manager führt uns ins Nebengebäude des Bogen F in einen vernebelten Raum. Die Luft zum Zerschneiden. Lanegan sitzt mit zusammengekniffenen Augen und rauchend auf einer Couch. Kurzes Shake-Hands. Er mustert uns gelangweilt und greift mit einer seiner volltätowierten Hände zur Dose Red Bull.
Mark, es ist das dritte Mal nach 2013 und 2004, dass wir dich interviewen, damals zu den Alben "Imitations" und "Bubblegum". Woran erinnern dich diese beiden Platten?
Oh je. (Pause) "Bubblegum" ist im Laufe von drei Monaten entstanden, in Los Angeles und im Rancho De La Luna in Joshua Tree bei Alain Johannes. Das waren verrückte Zeiten. Für "Imitations" war ich in Seattle im selben Studio wie bei meiner Cover-Platte damals in den 90ern. Auch mit den selben Leuten und Martin Feveyear als Produzent. Das Schönste an den Aufnahmen war, dass Mike Johnson mitgemacht hat, der schon auf meinen ersten Platten mit dabei war. Es war mir wichtig, viele meiner alten Wegbegleiter dabei zu haben.
Obwohl er nur zwei Meter entfernt sitzt, flüstert Lanegan und macht lange Pausen. Lektionen in Demut. Ruhig bleiben trotz sekundenlangen eisigen Schweigens und seines einschüchternden Auftretens. Doch Lanegan verurteilt die Fragen nicht, meistens jedenfalls, sondern überlegt sich wohl formulierte Antworten. Seine Körpersprache sagt: "Jungs, ich habe das hier in meinem Leben schon zehntausend Mal gemacht. Stellt mir eure Fragen. Sie stören mich zwar nicht beim Rauchen, aber wenn ihr weg seid, muss ich nicht mehr reden beim Rauchen."
Du hast eine Autobiografie geschrieben (hier geht's zur Buchreview, Anm. d. Red.), die im April erscheint: "Sing Backwards And Weep". Was kannst du uns jetzt und hier verraten, was du nicht im Buch ausgebreitet hast?
Es ist keine Autobiografie im eigentlichen Sinne, sondern eher Memoiren über meine Jahre, die ich in Seattle verbracht habe, also etwa von 1987 bis 1997. Es geht darum, wie ich in dieser sehr ausführlich dokumentierten Zeit drauf war. Als plötzlich alle über die Musikszene von Seattle sprachen, durchlebte ich persönlich eine sehr dunkle Zeit, und einige meiner Freunde auch. Es war sehr schmerzhaft. Ich würde das Buch nicht nochmal schreiben.
Kam man mit der Buchidee auf dich zu?
Ich werde seit den 90ern gebeten, ein Buch zu schreiben. Jetzt habe ich zugesagt. Ich meine, wenn du 32 Jahre alt bist, hast du nicht wirklich was zu erzählen, oder? Na ja, 20 Jahre später sitzen wir nun hier. Ein paar Freunde von mir sind Bestseller-Autoren und bestärkten mich in der Sache. Ich hatte vorher schon ein Buch mit Songtexten veröffentlicht und darin eigene Geschichten ergänzt. Das hat einigen gefallen. Dadurch habe ich mich an das Buch gesetzt. Wir waren parallel dazu auch im Studio, um eine Platte aufzunehmen, die mit dem Buch erscheinen soll. Die Songs sind direkt von meinen Erinnerungen inspiriert, die ich aufgeschrieben habe.
Neues Album mit John Paul Jones, Greg Dulli und Ed Harcourt
Geht die Musik klanglich auch in die 90er Jahre zurück?
Es ist eher das volle Spektrum, also sowohl akustische als auch elektronische Stücke. Thematisch sind sie aber eng mit Personen oder meinen Erfahrungen aus diesen zehn Jahren verknüpft. Viele Songs schrieb ich kurz nach meiner Zusage für das Buch, das hatte schon etwas Kathartisches. Es war sozusagen die Belohnung für die Arbeit am Buch. Ein Gefühl, als würde man die Büchse der Pandora öffnen. Da kamen Dinge zum Vorschein, über die ich mir ewig keine Gedanken mehr gemacht habe. So schmerzhaft dieser Prozess auch war, wenigstens habe ich jetzt diese Songs. Die Aufnahmen waren zum Glück auch viel angenehmer.
Hast du auf der Platte mit alten Freunden aus Seattle zusammengearbeitet?
Ja, Dylan Carlson ist dabei, mein ältester Freund aus Seattle, mit dem ich in den 80ern und in den 90ern zwei Mal zusammen gewohnt habe. In einem Haus hat er seine Band Earth gegründet. Es sind noch andere Gäste auf der Platte, aber nicht aus diesem Zeitfenster: Greg Dulli, Warren Ellis, Ed Harcourt, Adrian Utley von Portishead, John Paul Jones, Wes Eisold von Cold Cave und Simon Bonney von Crime And The City Solution, einer meiner absoluten Lieblingssänger. Eigentlich habe ich nur mein Adressbuch aufgeschlagen und jeden angerufen, den ich kenne.
Was war schwieriger zu schreiben: Der Anfang des Buchs oder die Drogenkapitel?
Jedes Kapitel ist ein Drogenkapitel.
Lanegan lacht heiser auf, lehnt sich zurück und öffnet eine neue Dose Red Bull.
Du hast das Buch nach einer Zeile aus dem Song "Fix" vom 2001er Album "Field Songs" benannt. Wie kam's dazu?
Wenn du einen Song hast, brauchst du einen Titel, wenn du ein Buch schreibst, brauchst du einen Titel, eine ganze Platte braucht auch einen Titel und wenn du etwas singen willst, brauchst du Texte. Soll ich weiter machen? Ich hatte einfach das Gefühl, es ist ein Titel, der gut zum Buch passt. Es ist keine Gehirnchirurgie.
Natürlich warten Fans auch auf Anekdoten über dich und deinen Freund Kurt Cobain, der ja in erster Linie ein Fan von dir gewesen ist. Wie hast du es hingekriegt, noch einmal all diese schmerzhaften Erinnerungen hervor zu kramen, nach denen man dich über die Jahre schon in unzähligen Interviews gefragt hat?
Wie gesagt, es war keine schöne Erfahrung. Ich bin außerdem auch kein Mensch, der in der Vergangenheit lebt. Mich interessiert das Jetzt. Ich war nun aber gezwungen, mich umfangreich mit vergangenen Erlebnissen zu beschäftigen. Ich sage mal: Du musst dich vor dir selbst schützen, bevor du bestimmte Regionen deines Geistes betrittst. Darauf war ich vorbereitet. Aber es war dann doch sehr heftig. Ich hatte viel verdrängt. Mich mit diesen Erinnerungen zu konfrontieren, war ... nun wie gesagt, ich würd's nicht noch mal machen.
Hast du schon Feedback auf das Buch bekommen?
Einige Freunde, darunter Autoren und Regisseure, haben es schon gelesen und die Resonanz war positiv bis überwältigend. Andererseits: Wenn du eine Hand mit Kritikerlob auffüllst und die andere mit Scheiße, wird nur eine voll.
"John Robb ist eine Legende"
Auf deinen letzten Platten traten musikalische Vorlieben wie New Order oder Depeche Mode immer deutlicher hervor. Inwieweit ist das auch ein Einfluss von deinen Songwriting-Kollegen Rob Marshall und Martin Jenkins?
Martin hat eine eigene Geschichte mit elektronischer Musik und Rob lernte ich ursprünglich kennen, als er mich für eines seiner Projekte anfragte. Es fiel mir sehr leicht zu seiner Musik zu schreiben. Nun revanchierte er sich und gab mir viel Musik für mein Album "Gargoyle" und auch etwas für die neue Platte. Mein holländischer Freund Sietse Van Gorkom spielte Streicher ein und komponierte auch einiges auf "Somebody's Knocking". Mit Alain Johannes entstand der Song "Penthouse High", den wir eigentlich schon für "Gargoyle" geschrieben hatten, der aber erst auf dieser Scheibe drauf ist. Ich wollte schon lange ein Doppelalbum machen mit Songs, die einfach catchy sind [Lanegan meint die einzeln erschienenen "Gargoyle" und "Somebody's Knocking"]. Die neue Platte, die mit dem Buch erscheint, ist jetzt wieder ein Doppelalbum, aber für mich ist es etwas Neues, ein Experiment.
Du hast vorhin das Rancho de la Luna erwähnt. Dort hat Josh Homme gerade eine neue Desert Sessions-Platte aufgenommen. Hättest du nach deiner Koop im Jahr 2001 auch mal wieder Lust auf solche Sessions in der Wüste?
Klar, ich bin auch so immer wieder dort. Für die Platte "With Animals" mit Duke Garwood habe ich dort vor eineinhalb Jahren ein paar Songs aufgenommen. Es ist nicht so weit weg von Zuhause. Und was eine Teilnahme an den Desert Sessions angeht: Ich habs schon gemacht.
Ja, deshalb frage ich.
Klar, es macht natürlich Spaß. Deshalb ist meine Art Platten aufzunehmen von diesem Konzept auch nicht sehr weit entfernt: Ein Haufen Leute treffen sich, um gemeinsam aufzunehmen. Davon abgesehen bin ich natürlich ein Fan von Josh. Wenn ich ihn frage, ob er etwas für mich einspielt, macht er es. Wenn er mich fragt, mache ich es. Das ist unser Verhältnis.
Du hast in den 90er Jahren einige Konzerte für Johnny Cash eröffnet. Kannst du uns davon erzählen? Hatte er Interesse mit seinen Vorgruppen ins Gespräch zu kommen?
Er war ein ausgesprochen netter Mensch. Ich wollte das Angebot damals eigentlich ausschlagen, wie ich es zuvor schon mit R.L. Burnside gemacht hatte, was ich heute selbstverständlich zutiefst bereue. Aber das Johnny Cash-Angebot konnte ich nicht absagen, weil er der Lieblingssänger meines Vaters war. Er hat mich nie auf der Bühne gesehen, weil er 40 Jahre in Alaska gelebt hat. Von dort kommt man nicht so gut weg. Ich habe dann für den Auftritt eine Band aus ein paar Freunden zusammen gestellt. Irgendwann am Abend bemerkte ich Johnny Cash, wie er an der Seite der Bühne stand. Dort blieb er die ganze Zeit und als wir fertig waren, schüttelte er mir die Hand und machte mir ein Kompliment für meinen Gesang.
Ein paar Jahre später traf ich ihn in Los Angeles, wo er die zweite "American Recordings" mit Rick Rubin und all diesen Leuten aufnahm. Ich war zufällig zu der Zeit auch in diesem Studio. Beim Vorbeischauen fragte er mich ob ich ein wenig Zeit hätte, er wolle mir etwas zeigen. Später nahm er mich dann in seinem Auto mit und irgendwann sitzen wir bei ihm zuhause und er machte uns Sandwiches. Er war ein total geerdeter Typ und unglaublich freundlich.
Heutzutage bist du auf Tournee der Headliner, der seine Support-Acts hat. Hat dein Treffen mit Cash dein Verhältnis zu Vorgruppen beeinflusst?
Nein, Support-Acts behandle ich wie Dreck. (lacht) Aber nach all den Jahren darf ich auch ein bisschen mitreden, was Vorbands angeht. Dass jetzt The Membranes für mich eröffnen ist einfach nur eine große Ehre. Ich fasse es eigentlich immer noch nicht. Ich bin seit Ewigkeiten Fan, das sind Helden für mich. Es ist daher surreal, dass ich nach ihnen spiele und nicht umgekehrt. John Robb ist eine Legende und ich bin mit ihm befreundet, seit er mich mal vor Publikum interviewt hat. Und wegen Cash: Wenn ich die Bands nicht kenne, die vor mir spielen und mir ihre Musik gefällt, sage ich ihnen das natürlich.
1 Kommentar
Schönes Interview. Die Grummeligkeit des Interviewten merkt man den Antworten in Textform auf jeden Fall nicht an.