2. September 2025

"Ich bin die Sonne in der Mitte"

Interview geführt von

Mieze Katz schleicht auf Solopfaden umher: Die Mia-Frontsängerin geht mit ihrem Debütalbum "Dafür oder Dagegen" nach 28 Jahren Bandgeschichte erstmals eigene Wege. Alleine ist sie trotzdem nicht. Wir haben die Sängerin zum Interview in Berlin getroffen. Das Projekt in Eigenregie beschreibt sie gleichzeitig als "überfordernd" und "erfüllend".

Bunte Wimpel wehen im Sommerwind. Es ist heiß, Sonnenbrillenwetter. Ich nehme meine ab und trete suchend in einen stillen, gemütlichen Innenhof. Ein erneuter Blick auf Google Maps - bin ich hier richtig? In ein paar Minuten bin ich mit Mieze Katz für unser Interview verabredet. Treffpunkt: Der Proberaum ihrer Band Mia. Mein Zweifel verfliegt, als mich Schlagzeuger Gunnar entgegenkommt und mit Händedruck begrüßt. Ich darf schon mal Platz nehmen, Mieze nimmt gerade noch etwas im hauseigenen Bandstudio auf.

Ein Glas Wasser in der Hand, lasse ich mich auf einem Outdoor-Sessel nieder und komme mit Gunnar ins Gespräch – über den Bandalltag mit Kindern, Rap-Podcasts und den Zusammenhalt der Band. Entwarnung: Mia haben sich nicht aufgelöst. Dann erscheint Mieze, blondes Haar in zwei geflochtenen Zöpfen, in einer Hand ein Joghurtbecher, aus dem sie während unseres Gesprächs löffelt. Gleich zu Beginn beschließe ich, den Elefanten im Raum anzusprechen: Ihr Solo-Debüt "Dafür oder Dagegen" erhielt von unserem Rezensenten Ben Schiwek nur zwei von fünf Sternen.

Hi Mieze, "Dafür oder Dagegen" kam bei uns ja nicht so gut weg. Wie stehst du zu dem PR-Sprichwort: "Any press is good press"?

Den finde ich ein bisschen schwachsinnig. Aufrichtige Presse ist gute Presse: Wenn du einen Verriss schreibst, weil du das fühlst. Und du sagst, ich habe damit ein Problem aus Gründen. Das ist natürlich total okay, solange es ehrlich ist – die Geschmäcker sind zum Glück verschieden.

Einige Künstler wählen bewusst einen anderen Weg. Sabrina Carpenter hat mit ihrem neuen Album-Cover-Reveal gezielt provoziert. Für manche ist dabei nur eins wichtig: dass über sie gesprochen wird, egal wie.

Das ist ja auch voll in Ordnung. Für andere Leute mag das gelten. Für mich passt es nicht.

Wenn du bereit bist, habe ich einen kleinen Kritikpunkt von Ben, einem unserer Autoren. Ich bin gespannt, wie du darauf reagierst.

Total gerne, ich bin offen.

Er meinte, dass deine persönliche Stimme und Persönlichkeit anhand der vielen Duette ziemlich untergeht. Meinst du, dass er einen Punkt hat? Oder siehst du das anders?

Das ist total in Ordnung. Weißt du, wenn ich dieses Album ohne Duettpartner*innen durchgesungen hätte, wäre sicherlich ein Kritikpunkt gewesen, dass ich auf der ganzen Platte durchgehend zu hören bin. Das brauche ich gar nicht zu bewerten.

Es ist eines der Fakten eines Duette-Albums, dass ich nur teilweise in den Songs zu hören bin. Aber dadurch, dass ich mich künstlerisch zu 100 % verwirklicht höre und fühle, bin ich nicht nur die Stimme auf dem Album, sondern auch die Musik. Das ist ein großer Unterschied. Und für den Kollegen, der das gesagt hat, nimmt er nur meine Stimme wahr – ich sehe das natürlich ganzheitlich.

Ich glaube, es wäre seltsam, wenn alle über dieses Album dasselbe denken würden. Es erreicht uns alle an unterschiedlichen Punkten in unserem Leben. Das ist Fakt. Ich finde es interessant, dass ihr vom Fach, ihr Musikjournalisten, so viel Musik hört, dass ihr sie selten für sich allein wahrnehmen könnt. Ihr hört ja automatisch, ob ihr wollt oder nicht, Dinge immer im Kontext eurer Erfahrung.

Manche Leute lernen Mieze Katz und Mia mit diesem Album gerade erst kennen. Da muss man sich erst einmal hineinhören. Und andere begleiten uns seit 28 Jahren. Ein Soloalbum heißt für mich in diesem Fall: Solo die künstlerischen Entscheidungen treffen. Solo bedeutet: Ich gebe vor. Und in dem Moment, in dem mir klar wurde, dass ich dieses Duette-Album machen möchte, habe ich es durchgezogen. Kennst du das, wenn sich etwas so richtig anfühlt? Dieses Projekt ist auch nichts, das man wiederholen kann. Klar kann ich ein zweites Duette-Album machen, aber es wird den Zauber der ersten Idee, des ersten Duette-Albums, niemals erreichen. Und du hast reingehört in die Platte?

Durchgehört.

Und was hat mit dir resoniert? Wo hast du so gedacht, "Ah, da will ich mit Miez mal drüber sprechen?"

Was ich spannend finde, ist deine Selbstliebe-Botschaft. Ich war zum Album-Release bei deinem Showcase in den Hansa Studios. Da habe ich gemerkt, wie wichtig dir das Thema ist.

Ich freue mich so, dass du da warst. Weil es ja wirklich ein ganz, ganz besonderer Tag war.

Das hat man gemerkt, besonders an der Stimmung vor Ort und dem Support von denen, die da waren.

Manche haben sich dort zum allerersten Mal gesehen im Meistersaal und haben sehr, sehr connected. Und das bedeutet mir viel. Sehr cool. Ich bin so die Schnittstelle. Die Sonne quasi in der Mitte. Und irgendwie geht das dann für mich auch auf, wenn meine Duettpartnerin und auch Tarik Tesfu sich treffen und auch eine Chemie haben. Und wenn sie was miteinander verbindet.

Was würdest du sagen ist das Entscheidende, was euch zusammenbringt? Gibt es da Persönlichkeiten, die sich ähneln? Oder eine bestimmte Message?

Die große Gemeinsamkeit ist, glaube ich, dass wir alle keine Angst vor unserer Unterschiedlichkeit haben. Dass wir offen füreinander sind und die Türen aufmachen konnten für die Welt der anderen. Und diese Unterschiedlichkeit wurde nie als Limitierung irgendwie begriffen. Und ich habe so und so viel Raum in dem Lied und du so und so viel. Sondern ey, wir tun uns zusammen und daraus entsteht eine Superpower. Und was du nicht kannst, das kann ich. Und ich bewundere Sänger*innen wie Namika oder Madeline Juno für ihre unglaublich tolle Gesangsperformance. Ich bewundere Künstler*innen wie Miss Platnum und Wilhelmine für ihre geilen Texte und bedanke mich bei meiner Freundin Eva Briegel, dass wir einfach Zeit verbringen können. Und das finde ich irgendwie schön, die Unterschiedlichkeit als verbindendes Element. Und auch das Bedürfnis nach Austausch ist etwas, das uns verbindet.

Wie kann man sich so ein Treffen unter Kolleg*innen vorstellen?

Ich habe ja dieses Projekt kreiert, damit ich meine Duettpartner*innen, meine Freund*innen und Kolleg*innen treffen kann. Wir haben alle unsere eigenen Themen, Alltag, Tourpläne, Album-Releases und unsere Projekte. Und da ist es wirklich nicht leicht, sich zu treffen und zu vernetzen. Und dafür ist dieses Projekt gedacht, dass wir zusammenkommen, uns vernetzen, uns austauschen. Wie läuft dein Alltag? Wie kriegst du eigentlich alles hin? Wie fühlst du dich da, wo du bist? Fühlst du dich gesehen? Kannst du kreativ sein? Um den Alltag im Business ging es schon auch. Einfach sich abholen in der gegenseitigen Lebensrealität.

Und es war total interessant mit Gwen Dolyn. Wir haben zusammen super viel über das Thema mentale Gesundheit gesprochen. Sie geht ja sehr offen mit ihren Ängsten um – "Angststörung" finde ich ist da das falsche Wort – mit ihren Ängsten und Angstanfällen und wie sie damit kämpft. Und sie sagt auch, an vielen Tagen geht es einfach nicht so gut. Und wie stark für sie die Diskrepanz ist, als Sängerin in der Öffentlichkeit und in der ersten Reihe zu stehen, strahlen zu müssen. Und dass dann alle denken: "Na, der geht es immer gut. Die ist geschminkt, die sieht schick aus, die hat eine laute Stimme, die ist extrovertiert: Der muss es ja gut gehen." Gwen Dolyn bricht mit diesem Bild.

Und auch in unserem gemeinsamen Lied, "Fenster Gegenüber", erzählt sie ganz klar: (Mieze singt) "Ich such das Glück mal in späten Stunden, das ist wie Schritte auf zu dünnem Eis." Sie lebt diese Ambivalenz. Und sie muss da immer wieder nach einem Safe Space für sich selber schauen und sehr gut auf sich achten. Und ich verstehe auch, warum sie trotz all ihrer Sorgen und Ängste vorne in der ersten Reihe singt: um sichtbar zu sein, nicht unsichtbar zu werden, um beitragen zu können. Zeit mit ihr zu verbringen, ihr Sicherheit zu geben und ihr zu zeigen, wie toll sie ist – allein dafür hat sich das gesamte Projekt schon gelohnt.

Würdest du auch sagen, dass du dann in der Hinsicht auch ein bisschen als Mentorin wirken kannst?

Eher als Freundin, würde ich sagen. Bei uns Frauen im Business geht es gern gleich um Konkurrenz. Es ging auch schon in den Anfängen darum, als dann Wir sind Helden und Silbermond am Start waren, kam dann immer gleich die Frage: "Ja, wie findet ihr die?" Und gleich so ein bisschen auf Zickenkrieg. Und da können wir einfach nur aktiv dagegen arbeiten, uns vernetzen und sagen: Das machen wir einfach nicht. Zum Beispiel ein wichtiges Thema, was du vorhin schon angesprochen hast. Mir ist das Thema Selbstwert, Selbstbild und Selbstliebe auch so wichtig. Und wer hat das in ihrem Schaffen besser formuliert als Madeline Juno? Das ist ihr Thema. Dieser schwierige und steinige Weg zu sich selbst. Dieses Gefühl nicht zu passen, nicht die zu sein, die sie eigentlich sein möchte, sondern immer die zu sein, die andere von ihr erwarten. Gerade ihre letzte Single "Mediocre" handelt wieder davon.

Wir Frauen, wir haben so viel auch mit Erwartungen zu tun. Also du bist gar kein Mensch und kannst dich frei entscheiden, sondern du bist eine Frau und damit gibt es gleich so bestimmte Schablonen, die mit dir verbunden werden. Dieses: Du bist fürsorglich, du bist eine Mutter, du hast auf dein Aussehen zu achten, du musst dir die Beine rasieren. Also dieses Funktionieren-Müssen als Frau, das ist schon so anstrengend manchmal. Da bleibt dann wenig Platz dafür, wer bin ich eigentlich als Mensch? Auf diese Spurensuche haben wir uns begeben, stellvertretend für uns alle. Und ich habe mir so gewünscht, mit Madeline zu singen, weil das ihr Kernthema ist. Im Studio hatten wir die Gelegenheit, uns damit noch ein mal viel intensiver beschäftigen. Und ich bin auch bei mir auf die Spuren gegangen: Woher kommt mein Selbstbild und wie wird auch das Selbstbild meiner Kinder geprägt? Das fängt ganz früh an, mit unseren Kindheitsgeschichten, die wir vorgelesen bekommen. Mit den Role Models, die wir als Kinder wahrnehmen. Wer sind denn da Schauspieler, Schauspielerinnen, Musiker, Musikerinnen? Wer war das in deiner Kindheit, wer war das bei mir?

Was würdest du sagen – welche Geschichten haben dich in deiner Kindheit geprägt? Und würdest du sagen, dass sie dir gut oder eher nicht so gut getan haben?

Ich denke, dass ich mit einem sehr klassischen Rollenbild aufgewachsen bin. Gleichzeitig hatte ich eine Mutter, die diesem Rollenbild nicht entsprechen wollte und auch nicht konnte, und letztlich daran gescheitert ist. Heute würde es ihr vermutlich besser gehen. Denn auch wenn es nur Babyschritte sind, gehen diese in die richtige Richtung.

Und welche Geschichten hast du als Kind vorgelesen bekommen?

Ganz klassisch: Prinz und Prinzessin. Oder bei Arielle die Meerjungfrau. In Märchen ist es fast immer so: Die Prinzessin kann nicht für sich selbst sorgen, muss gerettet werden, gerät in Gefahr, braucht Schutz. Sie ist sehr unselbstständig und muss unbedingt angeleitet werden. Und dazu sage ich: "Danke – aber nein, danke."

"Ich bin kein Ego-Shooter"

Du hast eingangs erwähnt, wie wichtig es dir war, bei diesem Album mit diversen Kolleg*innen der Popszene zusammenzuarbeiten. Laut Pressemitteilung haben daran nur FLINTA-Personen mitgewirkt. Wie kam es zu dieser Idee?

Ja, für dieses Album ist ganz überwiegend ein FLINTA* Team verantwortlich. Das gilt für alle Künstler*innen auf dem Album, auch die Produzent*innen inkl. Mix und auch Mastering, aber zB auch die Fotografin. Ich wollte bewusst diesen von Diskriminierung potentiell betroffenen Menschen einen geschützten Raum geben. Aber es gab natürlich auch die sogenannten "CIS Männer" im Team, zB im Management und innerhalb der Plattenfirma. Ausgehend von dem Begriff "FLINTA" habe ich das Projekt gestartet, aber schnell gemerkt: Ich möchte keine Limits aus Prinzip setzen. Ich will ja gar nicht exkludieren, sondern inkludieren. Das ist mein Lebensprinzip – und auch die Gesellschaft, in der ich leben möchte. Warum sollte ich sagen: "Ich mache ein FLINTA-Projekt, also dürfen auf keinen Fall Männer mitarbeiten"? What the fuck?

Dieses Album war jedenfalls ein großes Projekt: dein erstes Soloalbum – und dazu die Arbeit mit zahlreichen Duettpartner*innen. Ist es nicht eine Mammutaufgabe, so etwas zu organisieren?

Teilweise, ja. Das beste englische Wort dafür ist "exhausting". Wie würdest du dieses Gefühl auf Deutsch nennen?

Auslaugend oder erschöpfend vielleicht?

Ja, genau. Es war wirklich immer wieder überfordernd. Ich bin ein sehr gut organisierter Mensch, aber es war so krass – ich war so am Limit. Und ich war, würde ich sagen, vielleicht gleichzeitig so am Limit und so erfüllt. Es war beides. Ich hatte so starke, auch visuelle Ideen zu dieser Platte, dass ich jeden Schritt begleitet und initiiert habe. Die künstlerischen Entscheidungen auf allen Ebenen – alles, was du dazu siehst und hörst, habe ich so abgesegnet oder initiiert. Auch die Videos. Ich habe das so vor mir gesehen und wollte es bis ins letzte Detail begleiten.

Gab es in deinem Umfeld nur positives Feedback zu der Idee, oder gab es auch Leute, die das kritisch gesehen haben?

Manchmal gab es die Sorge, ob mit der Band alles okay ist. Das konnte ich aber mit gutem Gefühl bejahen. Es ist ja auch eine Entscheidung, die wir gemeinsam getroffen haben, dass ich das Soloalbum jetzt mache. Davon hängen ja auch andere Lebensrealitäten ab. Ich bin kein Ego-Shooter, ich sage nicht: "Nach mir die Sintflut", sondern ich bin ein Familienmensch. Ich bin seit 28 Jahren mit diesen Menschen im gleichen Boot. Ich liebe sie – das ist meine Familie, meine Musikfamilie. Ich würde eine solche Entscheidung nicht leichtfertig treffen, sondern wirklich gemeinsam. Das fühlt sich für mich natürlich an. Und wenn ich es fühle, kann ich mit Bestimmtheit sagen: Ich möchte das jetzt machen. Selbst das. Aber ich wollte es gerne in Absprache tun. Ich habe gesagt: Ich fühle es jetzt. Ich habe die Idee mit dem Duette-Album.

Und das Coole ist: Das Lied "Hellsehen" habe ich der Band Mia sogar weggeschnappt. Sie waren noch unsicher, ob das etwas für uns ist. Ich meinte: "Ihr seid unsicher? Ich liebe es, ich habe eine Vision damit. Ich würde es machen." Dann sagten sie: "Mach doch du." Und im Ergebnis fanden sie es so gut, dass unsere letzte Tour "Hellsehen" hieß und wir die Tour damit eröffnet haben. Für mich war das ein echter Full-Circle-Moment, weil ich dachte: Wie geil, dass ich sie da künstlerisch überzeugen konnte.

Kam das erst mal als Schock für die Band, dass du sagst, ich habe hier eine Idee, solo durchzustarten?

Nein, nein. Die Idee eines Soloalbums wird seit ungefähr 15 Jahren immer wieder angesprochen. Das war kein "Oh, darüber haben wir noch nie nachgedacht". Es war immer mal wieder im Raum, und jetzt hatte ich diese konkrete Idee mit den Duetten. Ich wusste, dass ich in der Hauptsache mit anderen Künstler*innen zusammenarbeiten möchte, weil ich schon so lange mit vielen Männern arbeite.

"Ich bin viele."

Gibt es Unterschiede zwischen dir als Frontfrau einer Band und dir als Solokünstlerin?

Ich bin ja viele. Wie bei meinem Song "Was ich will": Ich bin die eine genauso wie die andere. Aber wenn du mich nach den Unterschieden fragst, würde ich sagen: Mia ist gelebte Demokratie. Jeder oder jede tritt auch mal einen halben Schritt zurück. Beim Soloalbum habe ich das hingegen nicht gemacht. Ich habe in aller Konsequenz so gearbeitet, dass ich zu 100 % hinter allem stehe. Es war zu keiner Zeit ein Kompromiss. Der Begriff "Kompromiss" ist bei mir künstlerisch nicht negativ belegt – er ist ja das Ergebnis von 28 Jahren Mia. Darauf bin ich extrem stolz, auf unsere demokratische Zusammenarbeit. Aber das ist der größte Unterschied.

Okay, verstehe. Bei deinem eigenen Projekt hast du die Kontrolle.

Ja. Ich habe zum Beispiel mit meinen Duettpartner*innen zusammen gesungen, und ich habe sie erst sehr spät den Mix hören lassen – erst, wenn ich gesagt habe: "Das ist für mich der Mix, das ist es." Nicht vorher, weil ich es schwierig finde, wenn zu viele reinreden. Ich höre ja etwas Besonderes und Bestimmtes dabei. Genau, das ist ein großer Unterschied zu Mia. Dort hören vier Leute ein Ergebnis, bei meinem Soloprojekt geht es um meine eigene Vision.

Wie geht es weiter? Gunnar hat es vorhin schon erwähnt: Ihr arbeitet derzeit wieder an einem gemeinsamen Projekt. Wird es von dir auch wieder Musik außerhalb der Band geben?

Doch, bestimmt. Es war so eine positive Erfahrung, dass ich offen bleibe. Es wird sicherlich noch ein paar Gigs geben. Ich habe meine elektronische Seite auf dem Album sehr ausgelebt, aber es klingen auch Streicher und Piano an. Wenn ich jetzt gerade auftrete – zum Beispiel bei den Radio 1 Sessions – war ich mit Synthies und Cello unterwegs. Ich liebe diese Soundwelt, und sie findet im Mieze-Katz-Universum statt, nicht im Mia-Universum, was völlig in Ordnung ist. So kann ich beides ausleben. Wir werden Mieze-Katz-Songs auch in der Mia-Besetzung auf der Tour spielen und neue Mia-Songs präsentieren – das ist, was jetzt gerade kommt. Und das ist gut, ich brauche das auch. Ich finde, die Welt, in der wir leben, lädt so sehr zu Depression, Hoffnungslosigkeit, Wut und Desillusionierung ein. Mir hilft dieser künstlerische Austausch, eine gute Mitte zu finden und Zuversicht zu behalten. So gelingt es mir täglich, an einer positiven Grundhaltung zu arbeiten und an einem Vertrauen, das mir sonst fehlen würde, wenn ich einfach nur wie eine Flipperkugel durch die Welt taumeln würde.

Hast du die Songs auf "Dafür oder Dagegen" alle aus deiner eigenen Perspektive geschrieben, oder versetzt du dich manchmal auch in andere Emotionen hinein?

Es ist sehr autobiografisch, absolut, zu 100 %. Ich bin da nicht in eine Figur reingegangen.

In "Buntes Konfetti" singst du unter anderem über Edith Piaf und Hildegard Knef. Was interessiert dich speziell an diesen Frauen, und wie haben sie ihren Weg in deinen Song gefunden?

Schöne Frage. Ich empfinde beide Frauen als unglaubliche Ikonen. Ich frage mich manchmal, ob sie zu Lebzeiten schon so Ikonen waren, wie wir sie jetzt wahrnehmen. Findest du nicht auch, dass beide unglaublich tragische Geschichten haben? Hildegard Knef wäre in ihrer Jugend fast gestorben – auf einem Schlachtfeld, im Krieg. Sie hat sich als Mann verkleidet und war quasi an der Front, in einer Zeit, in der das Leben so knallhart, bitter und böse nicht sein konnte, und hat trotzdem nie aufgehört zu träumen. Das bewundere ich zutiefst.

Und auch Edith Piaf – aus der Straße, aus der Gosse – ihre eigene Stimme zu finden und sich zu behaupten, das bewundere ich. Das bewundere ich sehr. Weißt du, das sind beides ganz unordentliche Leben. Man kann das Leben auch gar nicht ordentlich leben. Ich habe mir im Zusammenhang mit "Buntes Konfetti" vorgenommen: Die dümmsten Sachen habe ich gemacht, als ich dachte: "Ach, ich lebe für immer. Ach, was ist morgen? Ach, egal, ich kenne kein Morgen." Seitdem ich aber weiß, dass das Leben irgendwann vorbei ist, spüre ich die Endlichkeit – ich bin in der Hälfte meines Lebens angekommen und spüre diese Federn.

Seitdem denke ich nicht mehr: "Oh, ich muss aufpassen und noch ordentlicher leben." Nein, ich möchte später viel zu lachen haben. Die dummen Sachen machen wir jetzt noch einmal extra, und wir genießen sie mit voller Power! Edith Piaf und Hildegard Knef sind für mich Frauen, die aus dem Vollen gelebt haben und nichts auf später verschoben haben. Zum Teil, weil sie nicht konnten, aber auch, weil sie nicht wollten.

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