laut.de-Biographie
Mutter
Mutter gehen 1986 in Berlin aus der Formation Camping Sex hervor. Ihr Kopf Max Müller war 1981 eigentlich Gründungsmitglied der Berliner Band Die Ärzte. Weil er aber bei keiner einzigen Probe erschien, sind Die Ärzte bis heute eine Drei-Mann-Band.
So erzählt er es jedenfalls. Aber was an den Gerüchten stimmt und was nicht, ist bei Mutter schwer zu ergründen. Immerhin halten sie sich seit den Achtzigerjahren im Musikgeschäft, ohne dass viele Leute Notiz von ihnen genommen hätten. Dafür die richtigen: Mutter veröffentlichen auf Alfred Hilsbergs legendärem Label "What's So Funny About" neben Blumfeld und inspirieren zahllose deutschsprachige Bands von Messer bis Die Nerven. Jochen Distelmeyer bringt das Verhältnis zwischen Mutter und der eigentlich verdienten, jedoch ausbleibenden Anerkennung auf den Punkt: "Später werden die Leute merken, das hat kein Schwein wahrgenommen, ist aber das Geilste gewesen."
Mutter bestehen zunächst aus Max Müller (Gesang), Kerl Fieser (Bass), Florian Koerner von Gustorf (Schlagzeug) und Frank Behnke (Gitarre). In dieser Besetzung spielen sie 1989 ihre erste Platte ein: "Ich Schäme Mich Gedanken Zu Haben, Die Andere Menschen In Ihrer Würde Verletzen". Doch trotz des vielversprechenden Titels findet das Debüt nur wenig Aufmerksamkeit. Das ändert sich 1991 mit der erstarkenden Independent-Bewegung und der zweiten Platte "Komm!". Die 1993er Platte "Du Bist Nicht Mein Bruder" soll die angeblich erfolgreichste der Band sein.
Trotzdem kennen fast nur Insider ihre einzigartige Musik, die schwer einzuordnen ist. Freunde alter Post-Punk-Bands sowie Sonic Youth und Velvet Underground dürfen sich willkommen fühlen. Mutter klingen dabei immer irgendwie zerbrechlich, oft auch mit dem nötigen Schuss Selbstironie.
Aufsehen erregt 1996 "Nazionali". Der Album-Name wird kritisch aufgenommen und missverstanden, bezieht er sich doch auf eine italienische Zigarettenmarke. Auch mit dem Cover von "Europa Gegen Amerika" (2001) bekommen sie Probleme. Es zeigt George Bush mit Micky-Maus-Ohren, der vor einer brennenden Skyline die Weltkugel verspeist. Dumm nur, dass wenig später die Twin-Towers in New York einstürzen, und der ironische Kommentar auf einmal in die Realität übersetzt wird. Das Cover wird schnell geändert.
Das neue Jahrtausend beginnt außerdem mit Personalproblemen. 2002 verlässt Frank Behnke die Band. Man findet in Achim Treu zwar Ersatz, allerdings nur bis 2005. Auch auf Gründungsmitglied Kerl Fieser müssen sie seit 2006 verzichten. Von der ursprünglichen Besetzung bleiben noch Max Müller und Florian Koerner von Gustorf. Neu dabei sind Michael Fröhlich am Bass, Heri Coltello an der Gitarre und Tom Scheutzlich an den Keyboards.
Außerhalb des Musikzirkus' kann man die Berliner zum Beispiel auf der Leinwand in der Band-Doku "Wir waren niemals hier" von Antonia Ganz bewundern, z.B. bei der Berlinale des Jahres 2005, wo der Film im Panorama-Segment läuft. Zehn Jahre davor tauchte bereits Schlagzeuger Florian Koerner von Gustorf in Jörg Buttgereits Film "Schramm" auf.
Obwohl sie sich vor allem als Live-Band verstehen, bringen Mutter 2010 mit "Trinken Singen Schiessen" bereits ihr zehntes Album heraus. Die Produktion finanziert die Band durch den Verkauf von 99 Kaltnadelradierungen des Sängers als Schuldverschreibung. Die erstandenen Kunstwerke können – bei Nichtgefallen – nach Ablauf eines Jahres zum Nennwert von 100 Euro zurückgegeben werden.
2016 treten sie mit ihrem 1994er Album "Hauptsache Musik" beim von laut.de mitpräsentierten Lieblingsplatte-Festival in Düsseldorf auf, wo "wichtige Alben der deutschen Popgeschichte" live aufgeführt werden. Dort sind sie in guter Gesellschaft von anderen Ikonen wie Notwist, Fehlfarben und den Goldenen Zitronen. 2017 erscheint mit "Der Traum vom Anderssein" ein neues Studioalbum. Auch nach einem Vierteljahrhundert im Musikzirkus scheint Mutter die Kreativität nicht verloren gegangen zu sein.
Vor und während der Pandemie von 2019 bis 2022 nimmt Max Müller neue Songs auf. Irgendwo in Brandenburg, verschanzt er sich und experimentiert. Mit Stimme und Elektronik. Gitarre, Noise und Wahnsinn bleiben. Ich Könnte Du Sein, Aber Du Niemals Ich erscheint im September 2022 auf Vinyl. Alles DIY und vom Künstler selbst gestaltet. Ein scheppernder Genuss für Augen und Ohren.
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