Seite 31 von 35

Stewart Copeland - "Police Diaries"

Worum gehts?

"Police Diaries" handelt von allem, das Stewart Copeland in den Jahren 1976 bis '78 erlebt hat. Allem. Beginnend mit seiner Band Curved Air, an deren Auflösung er sich nicht erinnern kann, weiter mit der nachfolgenden Gruppe und ihrem spannenden Weg aus dem Underground zum Massenerfolg: The Police. Wir erfahren sogar, dass Copeland am 22. Dezember 1976 frei hatte, und am 23. noch schnell Weihnachtseinkäufe machte. Sieh an: Auch Rockstars haben ein normales Privatleben, und auch Mister Copeland erledigt Dinge auf den letzten Drücker.

Der Musiker schrieb damals fleißig Tagebuch. Manches erscheint heute überraschend bis verblüffend, zum Beispiel, wenn er im November '76 feststellt, dass sich Hoffnungen auf Margaret Thatcher richteten. Ja, genau die, die das britische Gesundheitswesen kaputtsparte, Massenarbeitslosigkeit verwaltete, die deutsche Wiedervereinigung zu verhindern versuchte und als Staatsoberhaupt der brutalen Apartheid in Südafrika lange tatenlos zusah. Copeland hielt vor ihrer Amtszeit fest: "Die öffentliche Moral in Großbritannien befand sich Mitte der 70er auf einem solchen Tiefpunkt, dass Margaret Thatcher wie ein wunderschöner Strahl der Hoffnung glänzte."

Stattliche 75 Protagonist*innen stellt Copeland hier und da vor. Seine Mitbewohnerin oder ein KFZ-Mechaniker, der seinen VW Käfer repariert, zählen ebenso zur Crew wie der großartige Eberhard Schoener. Beim Durchblättern prasselt eine Fülle an Bildern auf lesewillige Musikfans ein. Farbenprächtiges Chaos, wohin man guckt: Cover-Artworks, Tournee-Fotos, eingescanntes Gekritzel, bemalte Straßenkarten, zum Beispiel mit einer England-Route für Auftritte, haufenweise Zeitdokumente. Manche Bezüge, Begebenheiten und Figuren bleiben aber völlig irrelevant oder erzählen keine Story. Am Ende solcher Episoden sehnt man sich nach einer Pointe oder einem Grund, warum das da so ausführlich beschrieben wurde. Wie die verschrienen Sex Pistols Ende '76 auf einem grün leuchtenden Konzert-Plakat angeteast werden, sagt da tausend Mal mehr über die Stimmung der Zeit aus. Manche Fotos sind nicht nur rar, sondern auch richtig gut getroffen. So sieht man Ari Up von den Slits in action am Mikro.

Zum vielschichtigen Collagen-Layout, das sich konsequent durchs ganze Buch zieht, findet sich eingangs eine Bedienungsanleitung, wie man welche Schriftart zu verstehen hat. Dem Tagebuch folgend, gibt es keine Kapitel, und der 300-Seiten-Informationsstrom ist chronologisch aufgebaut. Deutschland nimmt viel Raum ein, das "Land der vielen Marks", in dem Copeland Pfund in D-Mark wechselte. Man sieht die alten Tour-Pläne der ersten beiden The Police-Tourneen in der West-BRD. Damals hieß Tournee nicht wie heute Köln - Berlin - Hamburg, sondern Göttingen, Bochum, Böblingen, Offenbach, Nürnberg ... und schließlich Eberhards Heimatstadt München, wo Stewart 1977 ein Foto vom 'Mariensplatz' machte.

Wer hats geschrieben?

Stewart Copeland, Drummer von The Police, hat seine eigenen Tagebucheinträge kommentiert. Somit hat er einen Teil des Buchs damals mittendrin im Geschehen notiert, einen anderen heute im Rückblick, viereinhalb Jahrzehnte später verfasst. Copeland ist auch Komponist, er war er an den meisten Songs auf "Reggatta De Blanc" beteiligt, einige schrieb er alleine, und das Doppel-G im Wort "Reggatta" geht übrigens darauf zurück, dass er Reggae-Schlagmuster in sein Spiel integrierte. Auf den Folgealben steuerte er je ein, zwei Tracks bei, zum Beispiel "Bombs Away" auf "Zenyatta Mondatta".

Heute ist Copeland über 70, tourt aber unermüdlich. Seine letzten drei Tourneen widmete er den alten Klassikern von The Police, führte sie mit Orchester und drei Soul-Sängerinnen auf, und spielte auf der Bühne auch Gitarre. Zudem komponiert er Computerspielmusik. Stewart Copeland ist einer der wichtigsten noch lebenden Zeitzeugen der musikalischen Umbrüche in London 1977 während der Punk Explosion, er selbst sieht sein eigenes Verhältnis zu dieser Welle aber distanziert

Wer solls lesen?

Wer immer sich für New Wave, Punk, Reggae, Alternative und die brodelnde Rhythmenküche der britischen Hauptstadt interessiert, bekommt hier sehr lese- und herumblätterfreundlich einen faszinierenden Eindruck einer sehr bewegten Zeit. Wer Tagebücher und/oder Bildbände als Format(e) zu schätzen weiß, bekommt hier beides im Doppelpack, in recht authentisch wirkender Darstellung. Copeland lässt nichts weg, das heißt umgekehrt, er verfälscht nichts. Wer auf solch dokumentarisch "naturgetreue" Bücher abfährt, ist hier ebenfalls richtig.

Eine deutsche Übersetzung war für Oktober 2023 angekündigt, gibt es aber bis jetzt nicht. Wer Bücher gern auf Englisch liest, profitiert hier natürlich vom amüsanten Szene-Slang aus der Hauptstadt, Kostprobe: "I still had to do meticulous accounts for our micro economy. This penny pinching, accounting and hiving allowed me to save up for band gear (...)", will sagen: Stewart drehte jede Münze sieben Mal um, und er sparte damit auf tolles Equipment. Der Drummer war somit auch der Buchhalter der Band. Nachwuchs-Gruppen, die einen praktischen und akribischen Leitfaden für ihre Finanzplanung suchen, finden ihn hier. Jede Taxifahrt ist dokumentiert, jeder Einkauf im Supermarkt.

Enttäuscht werden hingegen alle, die sich Details über Schlagzeug-Sets oder ein aussagekräftiges Porträt des Bandkollegen Sting erhoffen. Unter diesen Aspekten ist die Lektüre eher Zeitvergeudung, obwohl manche Randnotiz den ein oder anderen Eindruck vermittelt.

Ein Must-Have ist das Teil hingegen für alle Fans von Dingen, die gut aussehen. Das Lay-Out entzückt maximal. Es lädt zum Schmökern und Auf-sich-wirken-lassen ein. In der Kategorie Print-Design ist das Buch ein wunderschönes Kunstwerk, und wer gerne Ausstellungen besucht, muss für diese hier nicht extra ausm Haus stapfen, sondern kann sie bequem in die Hand nehmen.

Das beste Zitat:

"Eberhard Schoener was an eclectical classical composer and pioneer of mixed media who had booked Andy for a German tour that involved a laser display (very new and rare at the time), ballet, an aromatron (a word I just made up for the stage technology that would fill the air with different aromes as the concert progressed under the laser show. At it's first trial Eberhard wisely canned the idea after the combined effect of the different smells turned the rehearsal space into an eye watering bog), filmed sequences, jazz musicians, classical electronica and Andy - who got me the gig too. Eberhard early took us on the suggestion to add Punk band to this odd mix (...) It turned out to be the last time that we ever worked the punk angle to get a gig. Eberhard was passionate about creating a new experience for his audience and pushed us to expand our musical language beyond everything that we had been doing to survive in London punkdom. (...) Got to choose between 'Roxanne' promo in England or lots of more money touring Germany with Eberhard."

["Eberhard Schoener war ein eklektischer Klassik-Komponist und Mixed-Multimedia-Pionier. Er hatte Andy [Summers] für eine Deutschland-Tour gebucht. Sie enthielt jeden Abend eine Laser-Bildschirm-Show. Eine neue und seltene Sache zu der Zeit. Außerdem gab es ein Ballett, gefilmte Sequenzen als Projektion, Jazzmusiker, Elektroklassik, Andy, der mich zum Gig dazu holte, und ein Aromatron. Das ist eine Wortneuschöpfung von mir, für Eberhards fremdartige Erfindung: Er füllte die Luft im Lauf des Konzerts zum Wechsel der Laser-Lichter mit verschiedenen Aromen. Beim ersten Mal allerdings verwandelte die Kombination aus den unterschiedlichen Düften den Probenraum in einen Sumpf, und uns tränten die Augen. Eberhard kam auf uns zu, um eine Punkband zu diesem ganzen bizarren Mix hinzuzufügen. (...) Das war übrigens das letzte Mal, dass wir die Punk-Karte ausspielten, um an einen Auftritt zu kommen. Eberhard war leidenschaftlich darin, seinem Publikum eine neue Erfahrung zu unterbreiten, und stachelte uns an, unsere eigene musikalische Ausdrucksweise vielfältig anzureichern. Jenseits von allem, das wir zum Überleben im Londoner Punk-Dasein taten. (...) Wir mussten uns entscheiden, ob wir Promo für 'Roxanne' in England machen oder haufenweise mehr Geld kriegen, indem wir mit Eberhard durch Deutschland tourten."]

Wertung: 3,5/5

Text von Philipp Kause

Kaufen?

Dieses Schmuckstück ist nur direkt beim Verlag Rocket 88 errhältlich, hier entlang:

Stewart Copeland - "Police Diaries"

Seite 31 von 35

Weiterlesen

Noch keine Kommentare