Jessie Reyez - "The People's Purge: Words of a Goat Princess Volume II"

Worum gehts?
Um Liebe, das Leben, mentale Gesundheit und Kreativität, so sind die vier Kapitel überschrieben. 135 Gedichte sind ihnen zugeordnet, jedes zu einem Stichwort oder Satz, den Follower der Künstlerin Jessie Reyez auf Instagram schickten. Die Anregungen sind frei assoziativ, mal allgemein wie "Women" oder "College", mal präziser wie "Free Palestine" und manchmal szenisch, zum Beispiel "Träumen, dass du wieder zur High-School gehst". Darauf reagiert die Künstlerin mal mehr, mal minder ausführlich, aber immer so, dass die Zeilen in eine Instagram-Story passen.
Diese Insta-Storys wurden alle schon veröffentlicht. Die Screenshots finden sich als Kapitel-Trenner im Buch. Zwischen den Gedichten belegen witzige Zeichnungen ganze Seiten, die meist wie Karikaturen der Autorin und ihrer Unbeholfenheit aussehen. Die Themen und Gedanken kreisen viel darum, Selbstzweifel zu ordnen und sich fürs Leben mit seinen Widrigkeiten zu rüsten. Das Kapitel Liebe dreht sich daher auch um deren Hindernisse und Herausforderungen, wie Stolz, Fernbeziehungen oder dass die begehrte Person schon vergeben ist. Bei 'Kreativität' kommen auch Schreibblockaden und Motivationsprobleme zur Sprache, oder sollen es vielleicht tun, jedenfalls fragen die User danach.
Nicht immer geht Jessie auf diese "prompts", die ihr geschickt wurden, wirklich ein. Von konkreten Ratgeber-Fragen, die Jessie zu einer Art Bravo-Dr. Sommer machen würden, liest man kaum, außer: "Are you afraid that dumbasses will steal these to use as lyrics?" Die meisten gedroppten Stichwörter lassen viel Raum. Während der verbale Anteil oft banal erscheint, leben die wuseligen Zeichnungen auf und ziehen die Aufmerksamkeit beim Durchblättern auf sich.
Wer hats geschrieben?
Die kanadische R'n'B-Sängerin, Gitarristin, Texterin und Tänzerin Jessie Reyez hat bisher zwei EPs und zwei Longplayer veröffentlicht, "Before Love Came To Kill Us" und zuletzt "Yessie". Im September 2025 tourte sie kurz durch Deutschland. Bekannt wurde sie 2016 mit dem Song "Figures" über eine toxische Beziehung sowie im Jahr darauf mit dem Lied und Kurzfilm "Gatekeeper" über eine verhängnisvolle Autofahrt mit dem R'n'B-Producer Noel Fisher, der sie sexuell bedrängte. "Er sagte mir, 'wenn du Erfolg haben willst, musst du für einen Plattenvertrag meinen Schwanz lutschen'." Jessie wurde mit dem Song Teil der #MeToo-Welle 2018.
Viele Fans entdeckten sie gleichwohl erst in der Pandemie mit ihrem Debütalbum oder kürzlich mit ihrem zweiten. Sie ist zwischen Folk, Urban, Hip Hop, Hip-House, Trap, Hyper-Pop und Electro-Cumbia unterwegs. Ihre Eltern sind beide kolumbianische Einwanderer, die ein Jahrzehnt lang 'illegal' in Toronto lebten. Die 34-Jährige pendelt zwischen L.A. und Toronto und ist trotz ihrer Liebes-Lyrik bekennender Dauer-Single.
Die Zeichnungen stammen von Eloïse Diot aus Guadeloupe, wohnhaft in Paris. Die Comic-Zeichnerin und Illustratorin nennt sich als Autorin Braktosaure. Stil und Humor der Zeichnerin in ihren Porträts passen so perfekt zu Reyez, dass man meinen könnte, die Sängerin habe sich selbst gezeichnet.
Wer solls lesen?
Wer sich für Kalendersprüche, Psychologie-Kolumnen in Frauen- und Männerzeitschriften, Spiel mit Sprache - und zwar der englischen - und Gedichtbände interessiert. Fans, die in die Welt dieser Künstlerin eintauchen wollen, ihre augenzwinkernde Art mögen oder mal eine andere Art von Merch-Artikel als den üblichen Kapuzenpulli suchen. Leute, die spielerisch Englisch lernen oder auffrischen möchten. Musik-Sammler*innen, die auch Comic-Kunst mögen, skurrile, makabre, überzeichnende Abbildungen gut finden und schwarzen Humor haben.
Das beste Zitat:
Trotz vieler Steilvorlagen wie Selbstzweifel, Queerness, Refugees, Schlaf, 'Leute am U-Bahnsteig beobachten' gibt es erschreckend wenig Greifbares und sogar manche Themenverfehlung oder offenkundige Einfallslosigkeit. Schön dagegen, was Reyez aufs Stichwort 'Geldprobleme' antwortet:
"Time's the real currency / And the goal's to spend it / doing what you love."
Wertung: 2,5/5
Text von Philipp Kause
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