Wie unterhaltsam kann ein Vorlesungs-Skript ausfallen? Wenn ein Meister des gesprochenen Worts über Humor in der Literatur referiert: gewaltig.

Berlin (dani) - Wenn Sven Regener ein Buch geschrieben hat, les' ich das. Egal, worum es sich handelt, oder wovon. Einen Roman von "Herr Lehmann"-Ausmaßen darf man von seiner neuen Veröffentlichung nicht erwarten. Wie der Klappentext nicht verhehlt, ist "Zwischen Depression und Witzelsucht" (Galiani Berlin, 96 Seiten, Tachenbuch, 14 Euro) lediglich ein Essay, eine Abhandlung über "Humor in der Literatur", wie die Fortsetzung des Titels verrät. Im Grunde bekommen wir es hier also mit einer wissenschaftlichen Abhandlung zu tun. Was den Text nicht weniger lesenswert macht. Oder schwieriger zu konsumieren. Hey, hier schreibt immer noch Sven Regener. Der Mann, dessen Feder der komplette "Herr Lehmann"-Kosmos entsprungen ist.

Zwei Texte in einem

Wollte man Haare spalten, bergen die in seniorenfreundlicher Schriftgröße befüllten, damit extraknappen 90 Seiten sogar zwei Texte: Besagter Essay ist eigentlich das Skript einer Poetik-Vorlesung, die Regener 2016 an der Universität Kassel hielt. Dem hängt der Inhaber der Grimm-Professur zudem die Lobrede an, die er im Jahr zuvor anlässlich der Verleihung des Kasseler Literaturpreises für grotesken Humor auf den Preisträger, seinen Kollegen Frank Schulz gehalten hatte.

Das führt zwar zu Dopplungen etlicher Passagen, ergibt aber dennoch Sinn: Sven Regener liefert eine der Quellen auf diese Weise gleich mit. Getreu dem schönen Prinzip "Feature dich selbst wie die Hölle" zitiert er nämlich in seiner Abhandlung über Humor in der Literatur ausgiebig aus seiner eigenen Laudatio. Insbesondere wenn jemand die Behauptungen, die er selbst aufgestellt hat, kritisch beleuchtet und hinterfragt, erscheint solches aber durchaus legitim.

Regener zieht als Anschauungsmaterial ohnehin immer wieder seine eigenen Romanfiguren heran: Frank Lehmann, der liebenswerte Loser, sein durchgeknallter Künstlerfreund Karl Schmidt und viele weitere Bewohner*innen der Wiener Straße illustrieren die aufgestellten Thesen. Der Autor sinniert aber auch über die Rezeption seiner Schöpfungen, die oft ganz anders wahrgenommen werden, als er sie ursprünglich angelegt hatte:

"Die Musik von Element Of Crime gilt als traurig, melancholisch und gefühlvoll", steigt er in seinen Vortrag ein. "Wir können in Interviews noch so oft darauf hinweisen, dass viele unserer Lieder lustige Texte haben, das ändert gar nichts (...) Bei meinen Romanen ist es umgekehrt: Sie gelten allgemein als lustig. Dabei sind die darin erzählten Geschichten eigentlich traurig." Wie kommt das?

Fragen über Fragen

Tatsächlich geht es um viel mehr als nur um Humor und Literatur. Was Sven Regener über beides zu sagen hat, lässt sich locker auf die Kunst als Ganzes ausweiten: Immer gibt es unterschiedliche Spielarten, denen verschiedene Motive zu Grunde liegen, und wirklich immer machen Timing und Tonfall die Musik. Lacht man empathisch mit oder garstig über einen Charakter? Wenn letzteres: Erhebt man sich damit über jemanden, dessen Wesen einem fremd ist, oder lacht man nicht eigentlich über sich selbst, weil man sich in der dargestellten Figur wiedererkennt?

Ist ein Witz, wenn er einen gesellschaftskritischen Kern, also erzieherischen Mehrwert hat, wirklich mehr wert als sinnfreier derber Pipi-Kacka-Humor? Greifen die Kategorien "besser" oder "schlechter" im Humor, in der Kunst überhaupt, oder gaukelt sich das ein Publikum, das sich intellektuell überlegen fühlen möchte, bloß vor? Wo verortet man was zwischen den Extremen Depression und Witzelsucht? Ist Musik tatsächlich humorlos? Wozu ist Humor überhaupt gut? Schafft er Distanz? Killt er echt das Gefühl?

Fragen dieser Art wirft Sven Regener dutzendweise auf. Er kennzeichnet dabei Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Literatur, Film und Musik, spricht über die verschiedenen Anforderungen, um ein Publikum mit geschriebenen, gesprochenen oder ganz ohne Worte bei der Stange zu halten und zu erheitern. Nebenbei, quasi als Zugabe, bekommt man auch noch einen guten Einblick in seine Arbeitsweise als Schriftsteller.

Ein Meister des gesprochenen Worts

Das könnte alles schrecklich theoretisch und entsprechend trocken geraten, führte hier nicht Sven Regener Regie. Mit seinen Romanen hat er längst bewiesen, dass seine große Stärke in den lebensechten Dialogen liegt, und "Zwischen Depression und Witzelsucht" fällt ja ebenfalls in die Kategorie "gesprochenes Wort": Auch ohne sich die Audio-Fassung zu geben, fühlt sich das Buch wie ein Vortrag an, wie die Rede, die es (zumindest in Teilen) ja ist. Man meint wahrhaftig, Sven Regener an einer Tafel stehend dozieren zu hören, und die Lehrstunde vergeht wie im Flug.

Angesichts der ärgerlichen Kürze dieses Büchleins wünscht man sich, er hätte nicht nur eine einzelne Vorlesung gehalten und zwischen zwei Buchdeckel gebannt, sondern ein ganzes Seminar. Ich hätte nicht gedacht, dass mich in diesem Leben noch einmal irgendetwas an eine Uni locken könnte. Für einen Kurs in Humoranalyse bei Grimm-Professor Sven Regener würde ich eine Rückkehr in Erwägung ziehen.

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Element Of Crime

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3 Kommentare mit 25 Antworten

  • Vor 2 Tagen

    Vielleicht werden die lustigen Texte in EoC-Songs, sowie die traurigen Geschichten seiner Herr-Lehmann-Bücher nur deswegen so oft übersehen, weil beides halt nicht wahnsinnig gut geschrieben ist. Nur mal so als Erklärungsvorschlag.

    • Vor 2 Tagen

      Entschiedener Einspruch!
      Klar ballert der in beiden Kunstgattungen auch mal mit Platzpatronen (wie beinahe jeder), aber in den guten Momenten ist Regener als Texter in Deutschland Easy Top-Ten Material.

    • Vor 2 Tagen

      Inb4 ragismo kommt mit „top 10 in D ist weltweit unteres Mittelmaß“

    • Vor 2 Tagen

      Ich langweile mich extrem beim Lesen und Hören von Regener. Liegt vielleicht auch an meiner Abneigung gegen den deutschen Befindlichkeitsfetisch, den ich in seinem Werk sehr sehe. Selbst wenn man die besten Übersetzer an sein Werk setzt, würde sich vermutlich keine Sau im Ausland dafür interessieren - zu wenig einfühlsam und somit wenig universell ist es, vermute ich.

    • Vor 2 Tagen

      Ein paar Gummipunkte kriegste, Caps. Eine wohlige Sache, wie berechenbar wir sind - bzw. wie gut wir uns kennen ♥

    • Vor 2 Tagen

      "in den guten Momenten ist Regener als Texter in Deutschland Easy Top-Ten Material"

      Der Literatursnob in mir bezweifelt deine Top10-Behauptung zwar, aber was würdest du von Regener denn emopfehlen für den Einstieg?

    • Vor 2 Tagen

      Ja, ich hab kurz gezögert, bevor ich das so breitbeinig für beide Sparten behaupte :D
      Zumindest in der Gegenwartsliteratur fallen mir aber wenige ein, die ihn mehrfach überrunden und gleichzeitig nicht zu Avantgarde für meinen Anspruch an ambitionierteren Realismus sind.

      Neue Vahr Süd würde ich jedem empfehlen, das hab ich damals trotz der Länge in drei Tagen gefressen. Man darf halt keine Allergie gegen eine gewisse Verquatschtheit haben.

      Frage an Ragi: Was sind denn deine bevorzugten Texter in Musik und Prosa? Ich meine mich zu erinnern, dass du zumindest bei der Musik keinen allzu großen Wert auf Texte legst.

    • Vor 2 Tagen

      Herr Lehmann war ein sehr guter Roman und besser schreiben als Ragism, der hier quasi 24/7 seinen eigenen Befindlichkeitsfetisch befriedigt, kann jeder Achtklässler.

    • Vor 2 Tagen

      Eine Woche die schon in der ersten Hälfte eine lange Diskussion "Ragismo vs Rest" teasert kann nur gut werden. ;)

    • Vor 2 Tagen

      Ach stilistisch kann man Ragi ja wenig vorwerfen. Er reibt sich halt nur an mehr Kanten als ein läufiges Haustier.
      Ich finde gegen ästhetische Urteile muss man auch nicht groß anschreiben. Es gibt auch objektiv große Texter, die mir nicht reingehen. ABER: Wenn ich jemandem minderwertiges Handwerk vorwerfe, sollte ich das auf einem solideren Fundament tun als mit der Allerweltsfloskel befindlichkeitsfixiert :D

    • Vor 2 Tagen

      @hrvorragend
      Hast du zufällig mal ein Hörbuch von Regener gehört? Habe mir letztes Jahr mal mit einem übergebliebenem Audible Abo "Wiener Straße" zugelegt.

    • Vor 2 Tagen

      bitte vertreter des top-ten materials in deutschland auflisten

    • Vor 2 Tagen

      Tom Liwa, Hannes Wader, Hafti, die Frau von Das Günther, Jule Werding fallen so spontan ein. Der Negativpreis für den selbstverliebtesten Dummschwätzter der letzten 25 Jahre geht an Thees Uhlmann. Muss hier auch nochmal Pashanim erwähnen, den der geschätzte Y. Gölz in einer Doubletime mal mit Dostojewski verglichen hat, was mich innerlich gebrochen hat.

    • Vor 2 Tagen

      dafür schreibt uhlmann wunderbare heuler-aphorismen
      "du wartest auf die liebe und ich auf das nächste bier"
      "Ja, ich bin der Letzte mit einem Bierglas
      In einer Welt voller Champagner
      Die Welt ist von sich selbst besoffen
      Aber ich bleib' beim Bier
      Und immer wenn ich daran denke
      Immer wenn ich daran denke
      Immer wenn ich an dich denke, stirbt etwas in mir"
      :cry: :cry: :cry:

    • Vor 2 Tagen

      @Scroto: Pennälerquatsch

      Die Top 10 ist samt und sonders im letzten Jahrhundert vorzufinden, sollte kla sein.

    • Vor 2 Tagen

      "Sophia, der Tod und ich" fand ich sehr kurzweilig und lustig. Aber ja, Thees Uhlmann textet schon viel Schrott zusammen

    • Vor einem Tag

      ich habe ja auch nicht gesagt, dass uhlmann zu den top ten gehört, sondern dass er ganz wunderare heuler-lieder voller heuler-aphorismen schreibt
      :cry: :phones:

    • Vor einem Tag

      In der Musik: Clickclickdecker, Marcus Wiebusch bei den frühen Kettcar, Nagel von Muff Potter, Prezident, Hiob, Degenhardt/Vandalismus, Regener, OG Keemo, Francesco Wilking, Maeckes.
      So aus der Hüfte geschossen ein recht unangenehmer Pimmelverein :D Paula Hartmann hat noch zu wenig Output und die meisten Frauen, die ich höre sprechen englisch.
      Ist aber auch schwierig, weil da ja auch immer noch die Performance dazugehört, die nen Hafti oder ne Lary erst vergolden.

      In der Literatur: Herrndorf, Haas, Joseph Roth, Judith Herrmann, Thomas Mann, Kästner, Doris Anselm, Elfriede Jelinek, Kracht und um konsistent zu bleiben Sven Regener.

    • Vor einem Tag

      Einfach da um +++ für Herrndorf zu geben (und großes Herz für Kästner). „Sand“ für mich der beste Roman der jüngeren dt. Literatur. Ich kann noch „Herkunft“ von Stanisic und „Tyll“ von Kehlmann aus der jüngeren Vergangenheit empfehlen.

    • Vor einem Tag

      Ich bin der Falsche, um hier Empfehlungen loszuwerden. Gäbe nur Klein-Klein von wegen: DEINE Lieblingsautoren sind auch diof, äschibätsch! Hab ja Regener nicht geschmäht, um speziell jemandem eins auszuwischen.

      Ich habs ein paar mal versucht, ihm was abzugewinnen, aber nach ein paar Seiten war mir das immer zu verkrampft um die Form bemüht. Ist zwar ein anderes Niveau, aber die Attitüde kam mir sehr vor wie sie Poetry Slammer hatten - "ich muß jetzt richtig hart beweisen, wie krass ich schreiben kann, und tu dann noch das obligatorische Understatement mit viel Bemühen um Lässigkeit dazu, weil das gerade so angesagt ist." Mir ging da total das Herz und die emotionale Tiefe ab, und es wirkte wie eine reine Stilübung.

      Hatte es aber auch nur mit dem ersten Roman der Lehmann-Reihe versucht, der auch der beste sein soll, so wie ich gehört hab.

    • Vor 5 Stunden

      "Ich bin der Falsche, um hier Empfehlungen loszuwerden. Gäbe nur Klein-Klein von wegen: DEINE Lieblingsautoren sind auch diof, äschibätsch!"

      Wenig bis nichts anderes weiß ein OP wie deiner hier im zwischenmenschlich-reaktiven gemeinhin überhaupt zu provozieren und der stets mit dem högschdmöglichen Argwohn interpretierende Leser könnte nach o.g. Zitat übrigens auch leicht den Eindruck behalten, Du könntest eine solche Liste nicht mal bringen wenn, Du wolltest, hast mal wieder nur deinen pseudo-überlegenen, snobistischen und vermeintlich intellektuell so erlesenen Geschmack inszenieren wollen und dich mit besagtem Zitat nur glitschiger als die Haut des Wendehaals aus der Affäre ziehen wollen.

      PS: Beim Ragismo-Bingo hatte ich mich noch für "Pickt sich erst eine Liste aus Rosinen der von den anderen bereits genannten Autoren und relativiert im nächsten Satz die Anerkennung deren Talents gleich wieder" auf E5 entschieden statt deines tatsächlich hier gezeigten Verhaltens und- Das hätte die Diagonale ab A1 vollgemaxht auf meiner Karte. Jetzt kann ich hier maximal noch den Extrapunkt als Erklärbär mitnehmen: Ich hab dir intellektuell und hinsichtlich Literaraturtipps echt bedeutend mehr zugetraut als den hier performten good ol' Kindergarten-Duckout. :)

    • Vor 5 Stunden

      Lauti "strictly on topic"-Gedächtniskommentar:

      Hendrik Otremba (für die Moderne) hätte ich hier gerne noch von wem anders als mir selbst gelesen. :)

    • Vor 4 Stunden

      herrndorf lasse ich gelten, die noch lebenden frauen und (wolf?) haas auch. kästner und Roth sind große schriftsteller, keine frage, aber halt lange tot. ich würde gerne die top 10 noch lebender oder wenigstens innerhalb der letzten 30 jahre verstorben. stanisic und kehlmann werde ich recherchieren. ronja von rönne?

  • Vor 2 Tagen

    Steilvorlage für die laut.de HuSo Elite

    • Vor einem Tag

      Neidisch das du nicht zum Zirkel der elitären Hurensöhne gehörst? Ist nicht schlimm, mit ein bisschen Glück bleibt deine Mama nicht mehr lange im Hartgeldbereich sondern kriegt auch mal einen Schein in die Hand gedrückt.

  • Vor einem Tag

    Liefert er einen neuen Take aufs Thema "Raubkopien"?
    Ich könnte es jetzt von MyGully ziehen, aber finde wohl eher keine Zeit es zu lesen...