Verwahrlostes Kind, Rap-Star, Freak: Nach Höhenflügen und Bruchlandungen hat Ferris MC sein Happy-End in der Spießeridylle redlich verdient.
Hamburg (dani) - Angesichts der Flut von Rapperbiografien, die seit ein paar Jahren den Buchmarkt überschwemmt, drängt sich die Frage auf: Warum hat ausgerechnet Ferris MC seine Lebensgeschichte noch nicht verschriftlicht? Er zählt fraglos zu den interessanteren, weil sperrigsten Figuren im oft allzu gleichförmigen hiesigen Hip Hop-Zirkus. Lange Zeit über ging er sogar locker als der einzige durch, dem man die plakativ vor sich hergetragene Underdog-Attitüde wirklich abkaufte.
Ferris, so machte es stets den Eindruck, ist zu einhundert Prozent so kaputt, wie er tut. Seine Autobiografie "Ferris - Ich habe alles außer Kontrolle" (Edel Books, 320 Seiten, Paperback, 19,95 Euro), die Sascha Reimann zusammen mit seiner Ehefrau Helena Anna Reimann aufgeschrieben hat, bestätigt diese Empfindung.
Ferris eröffnet seine Lebensgeschichte mit der vielleicht bizarrsten Anekdote aus seinem Fundus: Er erzählt, wie er Mitte Dezember des Jahres 1999 bei einer Verkehrskontrolle verhaftet wird. Fast zwei Wochen sitzt er in Untersuchungshaft, in der einen Garnitur Klamotten, die er am Leib trägt, ohne Geld, ohne jeden Kontakt nach draußen, sein Hilferuf versickert auf dem Anrufbeantworter seiner schon in die Weihnachtsferien abgeschwirrten Plattenfirma Yo Mama Records. Ein vielleicht etwas dramatischer, aber ein packender Einstieg.
Wer danach nicht dringend wissen will, wie um Himmels Willen es so weit kommen konnte, dass sich ein Mensch schon in so jungen Jahren derart weit heruntergewirtschaftet hat, kann dieses Buch eigentlich gleich wieder weglegen. Alle anderen bekommen genau das schmerzhaft drastisch erzählt.
Entwurzelt und verwahrlost
Reimann rekapituliert die wirklich todtraurige Geschichte einer komplett verwahrlosten Kindheit. Er berichtet von einem abwesenden Vater, einer überforderten, gleichgültigen Mutter, wechselnden, allesamt wenig sympathischen Stiefvätern. Und von einer Oma, die es hätte besser machen können, dem in Folge zahlloser Umzüge wieder und wieder entwurzelten Kind letzten Endes aber doch auch weder eine dauerhafte Heimat noch einen Halt geboten hat. Als weit schlimmer als den allzeit präsenten Geldmangel schildert Reimann das Fehlen jeglicher emotionaler Zugewandtheit.
Obwohl er ohne übertriebene Bitterkeit, sogar mit einem Hauch von Verständnis für seine als (Nach)Kriegskinder selbst traumatisierten Eltern und Großeltern zurückblickt, klingt die Enttäuschung, nicht mehr Liebe und Aufmerksamkeit abbekommen zu haben, doch überall durch. Dass ein Junge die Wärme, die er zu Hause nicht findet, anderswo sucht: sehr nachvollziehbar.
Sascha Reimann lernt Struktur erstmals in einer Nachmittagsbetreuung für schwererziehbare Kinder kennen, wo er auch sein Faible für die Schauspielerei entdeckt. "Bis zu meinem 14. Lebensjahr war ich in dem Kindertagesheim glücklich und habe viel gelernt", schreibt er. "Warum der Staat dann plötzlich entscheidet, einem Jungen ausgerechnet in diesem so kritischen Alter die Teilnahme an einem so vernünftigen Programm zu verweigern, ist mir unbegreiflich."
Im Dauerrausch
Wieder auf sich allein gestellt, geht die Suche nach Zugehörigkeit von Neuem los, und Ferris findet diesmal diverse Substanzen. Dass der Rausch seine Kehrseiten hat, weiß eigentlich jede*r. Reimann beschreibt die stinkende Tristesse, in der dauerbreite Jugendliche hausen, und die psychischen Auswirkungen seines maßlosen Konsums jedoch in eindringlichen, ungeschönten Worten, ohne dabei die warnend-predigerhafte Attitüde der Bekehrten zu entwickeln, die ehemaligen Süchtigen oft anhaftet. Er schreibt einfach, wie es war, und das wirkt - nüchtern betrachtet - abschreckend genug.
Vom Dauerkiffer ist es nur ein kleiner Schritt zum Kleindealer. Da Sascha Reimann jedoch mit maximal wenig krimineller Energie gesegnet zu sein scheint, lesen sich seine Erinnerungen an diese Zeit auch eher wie Slapstick-Episoden. Von Glorifizierung irgendeines Gangster-Lifestyles jedenfalls bleibt sein Buch weit entfernt. Es porträtiert vielmehr einen chronischen Außenseiter auf der verzweifelten Suche nach einer Nische, in die er passt: "Ich war also ein Hip-Hop und Electro hörender Punk in Leopardenleggings und weißen Breakdancehandschuhen, der im Bremer Szenetreff Schlachthof abhing und auch noch Theater spielte."
Freaks, Mongos und Deichkinder
Obwohl Sascha Reimann eher seine psychische Verfassung als seine musikalische Karriere ins Zentrum seiner Erinnerungen stellt, erfährt man natürlich eine ganze Menge über Mechanismen und Zwischenmenschlichkeiten des Musikgeschäfts. Anschauungsmaterial lieferten Ferris die Stationen, die er durchlaufen hatte, ja reichlich. Der erste Auftritt mit der ersten eigenen Band Three Little Boyz: "Aus schwarzen Stoffbahnen, die wir in einem Restpostenlager gekauft hatten, nähten wir uns Hosen im MC-Hammer-Stil. Zwar kamen die Ergebnisse unserer nicht vorhandenen Nähkünste eher wie volle Windeln daher, aber wir fühlten uns gut angezogen und absolut cool. Dazu kombinierten wir schwarze, dezent verwaschene T-Shirts. (...) Extra für diesen Abend ließ ich mir von einer Freundin Minidreadlocks verpassen, die wie kleine Antennen von meinem Kopf abstanden. Ich sah denkbar bescheuert aus." Sehr schade, dass das Buch auf Bildmaterial verzichtet - das hätte ich doch zu gerne gesehen.
Es folgen der erste Höhenflug und die erste Bauchlandung mit F.A.B. (zusammen mit FlowinImmo), Ferris' Verwicklungen mit der Mongo Clikke, dann seine Solokarriere mit Höhen, Tiefen, schlechtem Timing, Rückzug und Comeback, Erfahrungen als DJ im Elektro-Segment, schließlich sein Engagement bei Deichkind, das er selbst aber eher als Brotjob denn künstlerische Berufung darstellt.
Roter Faden zum Selberknüpfen
Mit der Suche nach besonders geschliffenen Formulierungen hält sich Reimann nicht groß auf. Er erzählt unaufgeregt runter, was ihm gerade so einfällt, und lässt eher das Erzählte wirken als dessen Form. Da er, statt chronologisch voranzuschreiten, seine Kapitel nach Themen zusammenstellt - "Ferris und die Frauen", "Ferris und die Bundeswehr", "Ferris und die Videopiraterie", und so weiter - reißt er seine Leser*innenschaft oft ein bisschen unsanft in der Zeit hin und her. Einen roten Faden muss man sich aus den kurzen Abschnitten, die er liefert, zuweilen recht mühselig zusammenknoten. Dass sein Buch trotzdem auf ein fast schon kitschiges Happy-End zusteuert, wirkt da beinahe wie ein Zufall.
Ferris MC war offenbar wirklich so kaputt, wie er tat. Inzwischen scheint ihm das Schicksal aber doch ein wenig Zeit auf der Sonnenseite des Lebens zuzubilligen. Sein privates Glück, zur Abwechslung ohne Scherben, dafür mit Weib, Kind, Hund und Häuschen, "Spießeridylle total", sei ihm von Herzen gegönnt. Möge es lange halten, der Weg hierher war ganz offensichtlich steinig und schwer genug.
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1 Kommentar mit 14 Antworten
Ferris war zumindest immer ne interessante Persönlichkeit. Deutschrap heute ist vor allem öde, weil entweder versucht wird, zwei-drei Proto-Idealen zu entsprechen. Inklusive Streit, wer das besser könne. Oder halt einer auf verkopfte Kunstfigur gemacht wird. Zumindest kommt mir das überwiegend so vor.
Für ernsthaft interessante Persönlichkeiten halte ich quasi keinen, der mir heute so untergekommen ist. Ohne ihre Images sind die meisten Dudes und Mädels so interessant wie Toastbrot.
ragism mal wieder mit dem Expertenwissen
Expertenwissen erkennt man immer an all den Relativierungen und Verweisen aufs subjektive Empfinden. Von den Dullis im Game halte ich halt niemanden für ne besonders interessante Persönlichkeit, die da durch die Kunstfigur durchscheint.
Oder aber... krude Theorie, ich weiß... du bist so weit vom genre entfernt, dass du nur mitbekommst, was hier auf laut rezensiert und berichtet wird...
Ragi wohnt in der Nähe von Köln. Der bekommt ALLES mit.
Ragi riecht an jedem Baum.
Ne, ich krieg durch die Nähe von Köln nur Schwulitäten mit.
Capsi - hab schon eingeräumt, daß ich nicht mehr viel mitkriege in Sachen Rap, gerade weil mich die Rapper, die hier auf laut.de vorgestellt werden, und die mir sonst so vorgestellt werden, halt für Schwachmaten ohne den Mumm halte, mal Persönlichkeit zu zeigen.
Bin nie ein großer Ferris-Fan gewesen, respektiere ihn aber genau dafür.
ich denke auch manchmal schwulitäten nicht gut aber es gibt auch rapper die sind nich schwul
Ist Massiv schwul?
Grüße
ElHundi
Unangefochtener Kommentarlimbomeister auf laut.de
Der Lieblingsgummiknochen der Forenhundis
Was mich echt mal interessieren würde ist: Wann wird Ragism endlich gelöscht?
Wenn du dich mal locker machst, also niemals.
Zur Löschung müßte ich unironisch schon einiges äußern, was völlig außerhalb meines Geschmacks liegen würde. Zumindest wenn ich mir so angucke, was hier oft alles von Nazitrollen stehengelassen wird. Bin jedenfalls nie ernsthaft gehässig oder verachtend gegenüber Menschengruppen geworden.